Bild über #wirsindmehr: Wieso die Hass-Debatte um K.I.Z gefährlich ist

Die #wirsindmehr-Veranstaltung, die am Montag in Chemnitz stattfand, wurde überwiegend als das gefeiert, was sie war: eine Party gegen Rassismus und alle Formen von Menschenfeindlichkeit, die allerdings nur ein Anfang sein kann. Es waren Momente, die den Fans vor Ort und denen, die vor den Streams hockten, Hoffnung gaben. Doch wir sind in Deutschland im Jahre 2018 und da schlägt die Realität meist schnell zurück. In diesem Fall sind es (konservative) Politiker und einige Medien - allen voran die Bild-Zeitung - die versuchen, die Veranstaltung umzudeuten. 

"27 Minuten Hass auf Veranstaltung gegen Hass" titelt die Bild-Zeitung und meint den Auftritt der K.I.Z-Jungs. Als wäre das nicht schlimm genug, stimmen verschiedene Leute aus der Politik mit ein. Dazu werden - wie fast immer, wenn Rap von konservativen und älteren Menschen diskutiert wird - Zitate und Lines aus dem Kontext gerissen. Das ist in diesem Fall gefährlich, weil es denen Auftrieb gibt, die seit Tagen versuchen, die Veranstaltung zu verunglimpfen. 

Es waren bewegende Bilder: Ungefähr 65.000 Menschen setzten am Montagabend in Chemnitz ein Zeichen gegen Rassismus und alle anderen Formen von Menschenfeindlichkeit. Dort, wo wenige Tage zuvor Rassisten und Neonazis unter dem Deckmantel der Trauer gegen Migrantinnen und Migranten hetzten und auf alles Jagd machten, was nicht in ihr Weltbild passte, traten nun Künstlerinnen und Künstler auf, hielten junge Leute flammende politische Reden und das Publikum feierte ausgelassen. Es war auch ein Zeichen an all jene, die sich wenige Tage zuvor verzweifelt dem Mob aus "besorgten Bürgern" entgegengestellt hatten. Maxim und Tarek von K.I.Z nutzten die Pausen immer wieder, um auf ihre ganz eigene Weise ein paar politische Inhalte zu transportieren. Im Wesentlichen sind es drei Dinge, die der Bild sauer aufstoßen.

Bild-Zeitung: K.I.Z verbreiten Hass, machen sich über Heiko Maas lustig und befürworten Gewalt

Dass die Jungs Hass verbreiten würden, leitet der Verfasser aus verschiedenen K.I.Z-Lines ab, von denen er eine sicherheitshalber gleich unter die Headline gepackt hat.

Ich ramm' die Messerklinge in die Journalisten-Fresse 

Zudem ist er entsetzt über eine Line, in der die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman verbal hart angegangen wird:

Eva Herman sieht mich, denkt sich: "Was'n Deutscher!" / Und ich gebe ihr von hinten, wie ein Staffelläufer / Ich f*ck sie grün und blau, wie mein kunterbuntes Haus / Nicht alles was man oben reinsteckt, kommt unten wieder raus

Beide Lines stammen vom Track "Ein Affe und ein Pferd". Es ist natürlich vollkommen in Ordnung, Rapper für ihre Texte auch mal zu kritisieren - aber bitte vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit. Wir empfehlen dabei außerdem, sich den Kontext des Tracks anzuschauen und sich mit dem gesamten Werk der Artists zu beschäftigen. Vor allem zur Eva Hermann-Line empfehlen wir dem Verfasser der Zeilen genius.com - dass Hermann "umstritten" ist, wusste er immerhin. Wobei wir froh sein können, dass er sich nicht die gesamte Track-List des Mixtapes "Ganz oben" angeschaut hat. Wer möchte, kann das gesamte Tape hier nochmal hören:

Ganz Oben (Mixtape)

Ganz Oben (Mixtape), an album by K.I.Z on Spotify

Die anderen beiden Hauptkritikpunkte beziehen sich auf Äußerungen zwischen den Tracks, die Maxim und Tarek losließen. Einmal behauptete Tarek, auf dem Weg zum Gelände hätten die drei Heiko Maas beobachtet, wie er gleich fünf Neonazis aufeinmal attackiert hätte. Ihm deswegen zu unterstellen, er würde sich über Heiko Maas lustig machen, weil dieser "Neonazis nur doof findet und nicht k.-o.-haut" (BILD), ist eine mögliche Interpretation. Es wäre aber auch denkbar, dass Tarek Maas' Aufruf, Menschen sollten Neonazis gegenüber Gesicht zeigen, zum Anlass nahm, zu fragen, wieso bislang so wenig Politikerinnen und Politiker in Chemnitz waren, oder?

Dass Maxim der Antifa beziehungsweise dem schwarzen Block dankte, weil dieser zeitweise die Arbeit der Polizei übernommen habe, gefällt vielen nicht. Das mag aus verschiedenen Gründen sogar nachvollziehbar sein. Tatsächlich ist es aber so gewesen, dass die Polizei zeitweise überfordert war, die von Neonazis gejagten Menschen zu schützen.

Zweifelhafte Äußerungen auch aus der Politik

Dass das ehemalige CDU-Mitglied Erika Steinbach immer mal wieder durch polarisierende Äußerungen auffällt, ist keine Neuigkeit. Insofern macht Tarek alles richtig, als er auf Twitter im gewohnten K.I.Z-Stil Erika Seinbachs Kritik kontert:

Tarek kaizett on Twitter

@SteinbachErika Das ist ja krank. Wer rappt den sowas??

Nun hat Steinbach die CDU mittlerweile verlassen und ist stattdessen für eine AfD-nahe Stiftung tätig. Dass es allerdings auch aus einer Partei wie der SPD Versuche gibt, die Veranstaltung im Nachhinein abzuwerten, könnte viele eher überraschen. Sabine Sieble - die SPD-Geschäftsführerin in Südwest-Sachsen - wird von der Bild so zitiert:

Ich habe aber in dem Moment geweint, als mir bewusst wurde, dass Chemnitz zu einem bloßen Austragungsort im Kampf um die Deutungshoheit eines tragischen Ereignisses wurde. Der Mensch, der getötet wurde, war da schon längst auf beiden Seiten in den Hintergrund getreten.

Damit bemüht sie genau die Strategie, die rechte Trolle seit Tagen nutzen. Dass die Hälfte der gesammelten Spenden an die Familie des Opfers ging, es zu Beginn eine Schweigeminute gab und die Hinterbliebenen die Veranstaltung begrüßten, wurde so oft betont, dass man es schon gezielt ignoriert haben muss, um es noch immer nicht zu wissen. Wir hoffen, dass sich (Boulevard-)Medien sowie Politikerinnen und Politiker bewusst werden, wen sie mit solchen Statements stärken.

Auf der #wirsindmehr-Veranstaltung gab es nach der Schweigeminute Musik. Die muss zwar nicht jeder gut finden, wenigstens sollte man die Absicht der angereisten Acts aber anerkennen. Nach den Schweigeminuten auf der anderen Seite folgte Gewalt gegen Andersdenkende. Dann lieber ein paar in den Augen diverser Menschen geschmacklose K.I.Z-Lines. Denn es geht um mehr als die alte Debatte Hiphop gegen den Boulevardjournalismus und die Empörung aus der Politik.  

Wer noch an weiteren spannenden Blickwinkeln auf die Bild-Berichterstattung über K.I.Z und den vergangenen Montag interessiert ist, dem sei dieser Artikel der Kolleginnen und Kollegen des BILDblogs empfohlen:

K.I.Z: Die „Gewalt-Verherrlicher", die bei „Bild" Kultstatus haben

Nach gerade mal 50 Sekunden im Song „Wir" erklärt Nico von K.I.Z eigentlich alles, was „Bild"-Mitarbeiter über die Berliner Hip-Hop-Gruppe wissen muss: Es liegt an eurem geistigen Fassungsvermögen, wenn ihr bei K.I.Z nicht lacht, ihr Amöben. „Bild"-Chefreporter Peter Tiede lacht ganz offenbar nicht bei K.I.Z.

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