Wie sollte authentische, deepe Musik klingen? Tuas Entdeckung im Interview

Spätestens seit Casper mit XOXO unwidersprochen einen Meilenstein der deutschsprachigen Hiphop-Geschichte ablieferte und so damit begann, jedwede verkaufstechnische Schallmauer zu durchbrechen, erscheinen in angenehmer Regelmäßigkeit Alben, in denen Künstler völlig authentisch Schwächen, Ängste und Wünsche schildern, ohne sich dabei selbst zu überhöhen, den eigenen Lebenslauf aufzupolieren oder eine Rolle zu spielen. So auch Edi, der mit Ordeal, an dessen Entstehungsprozess Mastermind Tua beteilligt war, ein Album geschaffen hat, das Geschichten erzählt, die so ehrlich sind, dass es für den Hörer kaum zu ertragen ist. Grund genug, sich mit ihm über sein bewegtes Leben und authentische, deepe Musik zu unterhalten.

Die Zeit vor der Veröffentlichung deines Albums Ordeal scheint von persönlichen Krisen durchzogen zu sein. Kannst du uns deine Lebenssituation zur Zeit des Albumentstehungsprozesses beschreiben?

Das war, als ich gerade Vater geworden bin. Wer das Album gehört hat, weiß, dass das alles nicht ohne Komplikationen abgelaufen ist. Die heftigen Eindrücke aus dem Krankenhaus saßen immer noch tief. Wenn ich nur daran gedacht habe, sind mir noch oft die Tränen gekommen. Die Beziehung zu der Mutter meines Kindes hat natürlich unter dem immensen Stress gelitten und war zerstört. Ich habe bei einem Dachdecker angefangen und jeden Tag die härteste Arbeit im Bitumstaub gemacht. Nebenbei habe ich versucht, die Beziehung noch irgendwie zu retten. Es war total frustrierend, weil da einfach nichts zu machen war und oft ist es dann in einem Wutausbruch geendet, bei dem ich vor meiner eigenen Wohnung rumgeschrien habe, in die ich nicht mehr rein gelassen wurde. Das hat dazu geführt, dass meine Exfreundin und ihre Familie mir meinen Sohn ganz wegnehmen wollten. Ich habe mich dann einige Monate zurückgezogen, um klar zu kommen. In dieser Zeit ist ein Großteil der Songs von Ordeal entstanden.

Allgegenwärtig schien das Gefühl gewesen zu sein, nichts aus dem eigenen Leben zu machen und ein Versager zu sein. An welchem Punkt wurde dir bewusst, dass du etwas ändern solltest und welcher Umstand war hierfür ausschlaggebend?

Bewusst war es mir eigentlich schon die ganze Zeit seitdem ich vor Gericht gewesen war. Allerdings wusste ich nicht ganz genau, wohin die Reise gehen sollte. Die Zeit, als ich in die Großstadt kam, war extrem aufregend und vielversprechend. Ich war auf dem besten Weg, eine kriminelle Karriere hinzulegen. Von außen betrachtet mag es armselig gewesen sein, aber durch meine Augen war es einfach ein geiler Trip. Drogen, Frauen und Dinger drehen. Trotzdem war es irgendwie nicht erfüllend und als mein Kumpel dann ins Gefängnis kam, war es sowieso vorbei. Ich habe mich in die Mutter meines Kindes verliebt und wollte anständig werden. Erst recht, als sie dann schwanger wurde. 

Eine Möglichkeit, dieser Situation zu entfliehen, war sicherlich deine Freundschaft zu Tua. Wie wichtig war er für die Entstehung von Ordeal und welchen Einfluss hatte er neben seines Gastauftritts auf das Album?

Abgesehen von der moralischen Unterstützung, hat er mir vor allem geholfen, indem er mit gutem Beispiel voran gegangen ist und mir gezeigt hat, dass es tatsächlich möglich ist, als Musiker etwas Außergewöhnliches auf die Beine zu stellen, wenn man hart dafür arbeitet und sich seine Vision vor Augen hält. Außerdem hat er den Kontakt zu Audhentik hergestellt, ohne den Ordeal nicht das geworden wäre, was es jetzt ist. Audhentik hat Monate lang Tage und Nächte verbracht und das Ding bis ins Detail ausproduziert. Tua hat uns immer weiter motiviert indem er von Anfang an von dem Projekt begeistert war. Er war neben seines Gastauftritts auf jeden Fall insofern wichtig für die Entstehung von Ordeal, dass er uns motiviert und angetrieben hat und außerdem immer gerne mit gutem Rat zur Seite stand.

Du machst dich auf dem Album vollkommen nackt und beschreibst Situationen, jenseits der Grenze des Erträglichen. Warum hast du dich dafür entschieden, dich so verletzlich darzustellen und den Hörer so nah an dich ranzulassen?

Einerseits war es natürlich eine Art, das Erlebte zu verarbeiten. Andererseits habe ich alles einfach ehrlich aufgeschrieben, als würde ich es einem guten Freund erzählen. Ich wollte den Hörer durch meine Augen sehen lassen, was ich erlebt hatte. Deshalb habe ich auch so eine simple, bildhafte Sprache gewählt und das Ganze in der Gegenwart geschrieben. Ich wollte mich nicht unbedingt verletzlich darstellen, sondern zeigen, wie es für mich war. Ich denke, dass viele Leute sich beim Hören des Albums in mir wiederfinden, weil sie selbst schwere Zeiten erlebt haben und vielleicht hilft es ihnen ja sogar dabei, mit ihren Erlebnissen besser klar zu kommen. Am Ende lernt man nämlich aus allem und kann daraus neue Kraft gewinnen.

Bevor Edi dir auf der nächsten Seite erzählt, was gute, authentische Musik für ihn ausmacht, kannst du dir hier einen Eindruck von seinem musikalischen Schaffen machen.

Fehlt es möglicherweise in einer Szene, in der Gefühle zeigen häufig mit Schwäche gleichgesetzt wird, an authentischen, deepen Songs?

Musik und Gefühle gehen Hand in Hand. Das wird dir jeder wahre Musiker bestätigen können. Wenn man seine Gefühle in der Musik nicht zum Ausdruck bringen darf, wo denn dann? Ich weiß auch nicht, warum das scheinbar mit Schwäche gleichgesetzt wird und ob das überhaupt wirklich so ist. Eigentlich brauchst du ja einiges an Mut, um dein Inneres zu zeigen und so betrachtet ist es ja eher ein Zeichen von Stärke. Ich bin mir nicht sicher, ob es in der Szene an authentischen Songs fehlt. Sie ist ja mittlerweile so groß, dass man sie kaum überblicken kann. Bei vielen deepen Songs, in denen von Leid und Tränen die Rede ist, würde mich allerdings interessieren, was denn genau vorgefallen ist, das die Krise verursacht hat.

Gibt es Positivbeispiele, die du hier hervorheben kannst?

Ich bin seit Ewigkeiten ein großer Azad-Fan. Seine ehrliche Musik hat mir schon vor vielen Jahren sehr geholfen. Am besten gefallen mir die Songs von ihm, in denen er bildhaft sein Leben beschreibt, wie zum Beispiel in Reflektionen oder Blind mit Blut & Kasse. Tua hat natürlich mit Grau auch alles auf dem Gebiet abgerissen. Ich freue mich auch schon extrem auf seine Kosmos-Box.

Dein stilistischer Ansatz scheint zu sein, schonungslos und mittels schnörkelloser Klarheit und einfachsten Formulierungen Gefühle zu transportieren. Warum hast du diesen Erzählstil gewählt und gab es andere Optionen für dich?

Zumindest für dieses Album habe ich diesen Stil gewählt, um es dem Hörer leichter zu machen in Gedanken bei der Geschichte zu bleiben. Ich habe mal versucht einen Roman von Thomas Mann zu lesen. Die Sätze waren so ewig lang und kompliziert, dass ich überhaupt nicht kapiert habe, worum es eigentlich geht. Somit war das Buch für mich total langweilig und ich habe es ziemlich schnell wieder ins Regal gestellt. Das wollte ich bei meinem Album vermeiden. Es sollte auch nicht aufgesetzt klingen und deswegen habe ich es einfach so erzählt, wie ich es meinen Kumpels bei einer Flasche Wodka an der Tankstelle erzählen würde. Ich hätte natürlich auch ein Album machen können, in dem ich mich damit gebrüstet hätte, wie viele Frauen ich schon flach gelegt habe und wie cool ich sonst noch bin. Solche Tracks habe ich natürlich auch schon gemacht. Ganz klar finde ich aber Ordeal viel spannender und einzigartiger und der Hörer kann selbst entscheiden, ob er mich cool findet oder nicht.

Wie wichtig ist dir die angesprochene Authentizität und wie stehst du zu Künstlern, die im Gegensatz zu dir ihre musikalische Karriere auf einer erdachten Kunstfigur aufbauen?

Sowohl bei Filmen oder Büchern als auch in der Musik ist es einfach viel spannender, wenn es zumindest auf wahren Begebenheiten beruht. Generell wird doch auch jemand, der nur Lügengeschichten erzählt irgendwann nicht mehr ernst genommen. Ich bevorzuge also auf jeden Fall Künstler, die die Wahrheit sagen und aus dem echten Leben berichten. Es ist natürlich jedem Künstler selbst überlassen, was er in seiner Kunst zum Ausdruck bringen möchte. Was ich nicht mag, ist wenn jemand so tut als würde er die Wahrheit sagen obwohl er es nicht tut. Solange klar ist, dass es ein Produkt seiner Fantasie ist, kann das ja auch sehr reizvoll sein.

Ordeal kannst HIER bestellen

Marc Schleichert

Autoreninfo

Marc Schleichert ist seit Anfang 2014 ein Teil von Hiphop.de und leitet hier den Textinterview-Bereich. In dieser Funktion spricht er regelmäßig sowohl mit hungrigen Newcomern als auch mit alteingesessenen Künstlern.
Kategorie

Groove Attack by Hiphop.de