Was Haftbefehl mit orthodoxen Juden und Cro mit EASYdoesit zu tun hat (Interview)

EASYdoesit ist ein bedeutendes Stück Berliner Popkultur, die Essenz des Viertels Kreuzberg, ein Sticker an einem Späti und, was für uns wohl am Interessantesten ist, eine der besten Videoschmieden der Bundesrepublik. Eindrucksvoll stellte das Berliner Kollektiv dies zuletzt im Rahmen der kontrovers diskutierten Zusammenarbeit mit Haftbefehl unter Beweis. So entstanden die Videos zu Ihr H*rensöhne/Saudi Arabi Money Rich oder Lass die Affen aus'm Zoo unter ihrer Regie. Es wird Zeit, sich einmal näher mit EASYdoesit zu beschäftigen.

Eine mit einer Louis Vuitton-Burka bekleidete Muslima, in einem Auto feiernde orthodoxe Juden und eine junge Dame, die teuersten Champagner via Gartenschlauch verprasst. Wie kann ich mir das kreative Meeting zu Haftbefehls Saudi Arabi Money Rich-Video vorstellen, das ein solches Video als Ergebnis liefert?

EASYdoesit: Wir gehen bei der Ideenfindung für unsere Videos meist so vor, dass wir erst mal den Kosmos abstecken, in dem sich ein Künstler, ein Song oder eine Grundidee bewegt oder bewegen sollte. Das ist der zeitaufwändigste Prozess in der gesamten kreativen Phase. Da kann es passieren, dass sich Leute aus unserem Kernteam wie Chehad, Sebi oder Mario erstmal drei Wochen lang ohne Ergebnisse hinsetzen, Wein trinken, sich den Wanst vollschlagen und japanische Gangsterfilme gucken. In so einer Phase wird der Kunde, sprich das Label, auch gerne mal nervös, weil noch nichts Konkretes von uns zu hören ist und wir auch niemals mit Unkonkretem an sie herantreten. Meist gibt es dann ganz plötzlich morgens nach dem Aufstehen eine einzelne Idee von jemandem, von der aus in kürzester Zeit Anschlussideen heraussprudeln. Beim Saudi-Video war es beispielsweise so, dass uns sehr schnell klar war, dass wir ein Hype Williams-Video drehen wollen, aber eben mit mehr Twist und Kante als ein typisches Hype Williams-Video. Und leider auch mit weniger Budget als es Puff Daddy zur Verfügung hat. Nicht gerade die einfachste Aufgabe. Hyper-Kapitalismus als Motiv, gepaart mit Haftbefehls einmaliger Straßenkreativität. Das erste Bild, mit dem Chehad dann um die Ecke kam, war die Muslima in der Louis Vuitton-Burka. Von da aus hatten wir dann innerhalb weniger Stunden das Lacoste-Krokodil, das Dom Perignon-Fass, die Chanel-Hassmaske und die feiernden Rabbis. Es gab in solchen Prozess aber auch schon Momente, in denen Chehad geschrien hat: "Bevor wir irgendein Video drehen, drehen wir gar kein Video!" Und dann hat Sebi zurück geschrien: "Das ist keine Option, niemand legt hier die Arbeit nieder!" Die anderen im Büro haben dann alle traurig geguckt. Universal oder Haft und dessen Management haben davon natürlich nie etwas mitbekommen. Die wurden vielleicht auch etwas nervös, als wir eine Woche vor Dreh immer noch keine Idee präsentiert haben. Gott sei Dank haben die aber einerseits das Vertrauen zu uns als kreativ Schaffenden, andererseits aber auch die Eier, bei einem solchen Konzept voll mitzuziehen, das auf wirklich alle Konventionen scheißt. 

Jedes Bild dieses Videos ist im Grunde entweder eine für sich stehende Provokation oder ein augenzwinkernder Seitenhieb gegen Medien, die Haftbefehl in der Vergangenheit kritisierten. War dies der Wunsch des Interpreten oder wolltet auch hier als Videoproduzenten eine Duftmarke setzen?

EASYdoesit: Solche Dinge entstehen immer im Austausch. Das Allerwichtigste bei jedem Video ist für uns, dass sowohl der Künstler als auch wir zu einhundert Prozent hinter dem Ergebnis stehen können. Wir werden kein Musikvideo für einen Künstler drehen, bei dem wir einfach probieren, uns ohne Rücksicht auf ihn selbst zu verwirklichen. Es gibt aber natürlich auch den Fall, dass wir im Austausch mit Label und Künstler merken, dass wir verschiedene Vorstellungen haben und dann kommt man vielleicht lieber einmal auf einem anderen Projekt zusammen. Mit Haftbefehl haben wir uns aber sehr schnell sehr gut verstanden. Da kam auch hinzu, was für ein unglaubliches Album er mit Russisch Roulette gerade abgeliefert hat.

Es ließe sich dem Video auch eine politische Komponente unterstellen. So könnte die Burka ein Symbol für die paradoxe Verbindung des Kapitalismus mit traditionellen Werten in Saudi Arabien und die jüdische Partygesellschaft Kritik an der nationalistischen, dem Westen zugewandte Politik des israelischen Staates sein. Spielten solche Gedanken eine Rolle bei der Erarbeitung des Videos?

EASYdoesit: Mehr oder weniger, natürlich. Hierzu muss man vielleicht auch einmal kurz den Prozess erklären, der bei einer Videoanfrage zuallererst abläuft. Meist tritt ein Label, Management oder auch ein Künstler direkt mit dem Wunsch an uns heran, dass wir etwas für sie produzieren, seien es einzelne Musikvideos, Coverartworks, Fotoshootings oder auch ganze Kampagnen, wie wir sie für Haftbefehl, Chakuza, Miss Platnum und Olson realisiert haben. Dann überlegen wir uns als Produktionsfirma EASYdoesit, mit welchem Regisseur wir das jeweilige Projekt am Besten umsetzen können und wollen. Wir arbeiten da mit einem kleinen Pool an Leuten, die sicherlich in der Branche zu den Besten gehören, die der Markt zu bieten hat. Specter Berlin beispielsweise oder auch Felix Urbauer. Dazu viele talentierte Leute aus unserem unmittelbaren Umfeld wie Maxim Rosenbauer oder Sofia Bavas und auch immer wieder interessante Menschen, mit denen wir vorher noch nicht gearbeitet haben, wie beim aktuellsten Olson-Video der Regisseur Sander Houtkrujier. Bei dem Haftbefehl-Projekt hat Universal wiederum ganz konkret nach Chehad Abdallah gefragt, mit dem wir auch schon die oben angesprochenen Kampagnen als Creative Director realisiert haben. Chehad ist seit noch gar nicht allzulanger Zeit Video-Regisseur, er kommt ursprünglich aus dem Designbereich. Wenn man sich sein gesamtes Werk anschaut, dann ist das Saudi-Video nur die logische Fortführung von dem umgedrehten Michael Jordan am Kreuz oder dem Warzone-Carpet.

Die speziellen Bilder des Haftbefehl-Videos haben wir nun zur Genüge besprochen. Wo liegen denn grundsätzlich eure Inspirationen und Einflüsse?

EASYdoesit: Auch hierzu müssen wir wieder etwas ausholen, und kurz erklären, wie EASYdoesit funktioniert. Oft hören wir die Frage, was EASYdoesit eigentlich sei, da wir nach außen hin sehr schwer greifbar sind. Wir machen Videos, klar, aber wir machen auch Partys, auf denen Kool Savas oder Frauenarzt mit ihren Untergrundklassikern auftreten. Wir machen T-Shirts und Sticker, die man in Berlin an jeder noch so abgelegenen Straßenecke unter die Nase gerieben bekommt. Man kann sagen, dass es über 50 Leute gibt, die sich auf verschiedenste Weisen zur EASY-Family zugehörig fühlen. Wir glauben, EASYdoesit definiert sich wirklich am Aller-, Allerbesten über das, was zwischen jedem Einzelnen von uns passiert und das können ganz verschiedene Sachen sein. Dabei kann alles Inspiration sein: Wenn Maxim, Jesper, Eo und Sebi zusammen zwei Nächte durchfeiern, passiert dabei etwas. Wenn Gregor, Andi und Dimi für ein paar Stunden aus dem Office verschwinden und keiner weiß, was die eigentlich treiben, kann man sicher sein, dass da gerade etwas passiert, was uns in irgendeiner Weise voranbringt. Wenn Chehad, Mario, Core, Kolja und Farid zusammen in den Urlaub fahren, passiert etwas. Wenn Tara, Anne, Julia und Caro zusammen ein Fotoshooting planen, passiert etwas. Selbst wenn Moritz Ross gerade mit seiner Freundin schläft, passiert etwas. Unser Leben ist Inspiration, alles was wir täglich tun und gemeinsam erleben ist EASYdoesit.   

Schauplatz eurer Videos ist häufig der wohl kreativste Bezirk der Republik, Kreuzberg. Was macht den viel zitierten Zauber dieses Bezirks aus?

EASYdoesit: Kreuzberg ist auf jeden Fall unsere Base und in dieser Form hätten wir nirgendwo sonst auf der Welt entstehen können. Gleichzeitig stimmt es nicht, dass Kreuzberg besonders häufig Schauplatz unserer Videos ist. Im Gegenteil: Natürlich haben wir auch schon oft vor unserer Haustür gedreht, wo wir jede Ecke kennen. Gleichzeitig haben wir uns an sehr vielem hier auch schon satt gesehen und probieren unsere Videos an den unterschiedlichsten Orten zu drehen. Kapstadt, Bukarest, Los Angeles, Sri Lanka oder Offenbach beispielsweise.

Grundsätzlich sind aufwendig produzierte Hochglanz-Videos elementarer Bestandteil einer jeden Deutschrap-Promophase. Auf der anderen Seite zieht das allerdings Firmen an, die im Augenblick Musikvideos auf Masse zu vergleichsweise günstigen Konditionen produzieren. Wie seht ihr den deutschen Markt im Vergleich zu den hochgelobten Amerikanern und Franzosen qualitativ und in Sachen finanzieller Rahmen?

EASYdoesit: Wir verstehen natürlich, dass viele Leute gerade in kreativen Bereichen anfangs auch mal für wenig Geld arbeiten. Einfach, um einen Fuß in die Tür zu kriegen und sich beweisen zu können. Wenn dies allerdings Methode statt Chance wird, dann fickt das ganz einfach den Markt und diese Leute schaden am Allermeisten sich selbst. Wir sind glücklicherweise in der Position, Budgets zu bekommen, mit denen man auch ein bisschen was anstellen kann. Im internationalen Vergleich muss man aber leider ganz offen sagen, dass die Budgets in Deutschland zwar immer auch mal mithalten können mit Ländern wie Frankreich oder gar den USA, gleichzeitig aber die Qualität hier einfach in 90% der Fällen zum Kotzen ist. Das gilt nicht mal nur für Musikvideos, sondern für Film allgemein. Ein einfaches Beispiel: Frankreich hat Vincent Cassel, Deutschland Til Schweiger. Ende der Diskussion.

Fühlt ihr euch bei der Masse an Musikvideos, deren Qualität häufig eher auf den Künstler zurückfällt, ausreichend für eure Arbeit gewürdigt?

EASYdoesit: Auf jeden Fall. So ist nun einmal das Game, wir sind nicht da, um selbst berühmt zu werden. Feedback lesen wir ebenso, freuen oder ärgern uns darüber und sind uns bei jedem Projekt darüber bewusst, was wir selbst dazu beigetragen haben.

Lasst uns das Thema Musikvideos mit einer interessanten beziehungsweise unterhaltsamen Anekdote von einem eurer zahlreichen Drehs abschließen. Gibt es hier etwas, von dem ihr uns berichten könnt?

EASYdoesit: Das Spannendste sind sicherlich die verschiedenen Milieus, in die man eintaucht und die immer wieder erstaunlichen Charaktere, die man dabei kennenlernt. Seien es Crackdealer vom Frankfurter Hauptbahnhof oder Alligatorenzüchter aus Brandenburg. Eine besonders schöne Geschichte hat sich beispielsweise beim Dreh zu Olsons Mein Kleines Hollywood zugetragen. Wir hatten hier in Los Angeles einen Location-Scout engagiert, der eigentlich einen super Job gemacht hat: Motelzimmer, Diner, Kleinstadt – alles war genauso, wie wir es wollten. Eine sehr zentrale Szene waren für uns aber außerdem die Cheerleader in der Wüste, ein weiteres Symbol für die große Bühne im Nirgendwo. Da die Wüste weit außerhalb von LA gelegen war, sind wir vor dem Dreh dort nicht extra hingefahren, sondern haben Fotos von der Location gesehen, in der übrigens auch der Film No Country for Old Men gedreht wurde. Es war eine Wüste genau wie man sie sich vorstellt. Die Fotos sahen super aus! Also ab dahin. Als wir dann dort ankamen, war die gesamte Wüste komplett mit Gräsern und Sträuchern zugewachsen. Wir dachten erst, hier läge eine Verwechslung vor. Doch die Grundstücksverwalterin, eine richtig typische weiße amerikanische Redneck-Braut, erklärte uns: "The photos you’ve seen have been from the shoot Britney Spears did here 5 months ago. But a few weeks later it rained once and now you have grass all over the place." Das war schlecht, denn wir wollten unsere Cheerleader auf keinen Fall auf einer grünen Wiese schießen. Doch erstaunlicherweise konnten wir schnell eine Lösung finden und eine halbe Stunde später stand ein Bekannter der Grundstücksverwalterin mit einer gelben Planierraupe auf der Matte und hat die Wüste auf einer Fläche von vier Fußballfeldern gemäht. Das war schon Hollywood-Shit. 

Scheinbar als Reaktion auf die Chimperator-Buchveröffentlichung habt ihr an 13. November euer Buch Easy Does It - Wir, die Gang und der ganze Rest veröffentlicht. Gab es bereits die Absicht ein Buch zu veröffentlichen oder war das Buch von Sebastian Schweizer und PSAIKO.DINO der einzige Anlass, hier tätig zu werden?

EASYdoesit: Es gab vielleicht schon vorher mal den Gedankenfurz, irgendwann ein Buch zu veröffentlichen. Doch der Anlass war definitiv die Buchveröffentlichung von Seiten Chimperator. Es geht uns dabei gar nicht um Feindschaft oder so einen Quatsch. Eher um Competition auf einem kreativen Level. Was Cro und ganz Chimperator independent aufgebaut haben, verdient natürlich allergrößten Respekt. Und unser Buch wird auch nur einen Bruchteil davon verkaufen, was die innerhalb weniger Tage absetzen. Allerdings ist es schon eine gewisse Dreistigkeit, ihrem Buch einfach einen Namen zu geben, den wir die letzten zweieinhalb Jahre direkt vor ihrer Haustür groß gemacht haben. Das ist ganz einfach respektlos und hat mit Hiphop nichts zu tun. Und dieser Respektlosigkeit wollten wir in einer Art entgegen treten, die sagt: "Was ihr da macht, das können wir erst recht." Wir leben hier in einem kreativen Umfeld, das man nicht so einfach übergehen kann. Eines, in dem jeder etwas zu sagen hat. Und auch wenn manch einer in unserem Buch gegen die Jungs gestichelt haben mag, so sei hier noch einmal festgehalten: Jeder, der zu dem Buch etwas beigetragen hat, hat das ausschließlich aus Verbundenheit uns gegenüber getan und nicht, um Chimperator zu schaden.   

Was genau ist nun der Inhalt eures Werkes?

EASYdoesit: Das Buch ist sowohl inhaltlich als auch designtechnisch ein absoluter Schnellschuss. Wir haben niemandem inhaltliche Vorgabe gemacht und auch keine Zensur geübt. Wir haben einfach allen in unserem Adressbuch geschrieben, deren kreatives Werk wir schätzen und das ist das Ergebnis. Wir haben Texte von Frauenarzt, Specter, Unlike U, Marcus Staiger, Juri Sternburg, Harris, Sascha Ehlert und vielen mehr. Wir haben Foto- und Designbeiträge von Paul Ripke, Muschi Kreuzberg, Lodown, Oliver Rath, Cleptomanicx und vielen mehr. Ein exklusives Interview mit Kool Savas, Jack Orsen und Boba Fett über ihre gemeinsame MOR-Zeit und ihren ersten gemeinsamen Auftritt fast 15 Jahre später, gibt es ebenfalls. Plus viele Überraschungsauftritte verschiedenster Künstler und allerlei mehr oder weniger hochwertigen Firlefanz. Insgesamt sind es 224 bunte Seiten geworden und somit decken die 17,90€ Kaufpreis gerade mal so unsere Herstellungskosten. Die Auflage ist streng limitiert und das Buch könnt ihr ausschließlich auf unserer Homepage www.easydoesit.de bestellen. 

Euer Fokus liegt unabhängig vom Erfolg des Buches wohl weiter im visuellen Bereich. Welche Ziele habt ihr auch mit eurer Arbeit gesetzt und welche Projekte werdet ihr in naher Zukunft realisieren?

EASYdoesit: Unser Ziel ist es, immer in Bewegung zu bleiben. Alles muss sich verändern, doch der Kern muss gleich bleiben. Wir wollen uns ständig neu erfinden und Freundschaft und Business dabei niemals trennen.

Lasst uns das Interview mit dem eurer Meinung nach besten Musikvideo aller Zeiten beenden. Warum fällt eure Wahl ausgerechnet auf dieses Musikvideo?

EASYdoesit: Das beste Musikvideo aller Zeiten gibt es nicht, ebenso wenig wie DEN besten Song überhaupt. Die Videos zu Mobb Deeps Shook One Pt. 2 und Bushidos Bei Nacht sind aber noch immer ziemlich großartig.  

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Interview: Marc Schleichert