Swiss: Meine Musik ist die Neuerfindung deutscher Punkmusik! (Interview)

Nach wie vor ist es in Rapdeutschland in Mode, angeblich politischen Protest in hohle allgemeingehaltene Phrasen zu verpacken, die inhaltlich die Aussagekraft eines Youtube-Kommentars besitzen, um bloß keine potentiellen Käufer zu verschrecken und der breiten Masse die Möglichkeit zu geben, sich selbst in diesen Phrasen wiederzufinden. Swiss hingegen spricht diese Themen schonungslos an und schreit seine politischen Ansichten ungeschminkt auf dröhnende, brachiale Instrumentals in die Welt. Grund genug, sich einmal intensiver mit den politischen Ansichten des Hamburgers zu beschäftigen.

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In deiner Biographie ist zu lesen, dass du der wohl interessanteste und bekannteste Newcomer auf Hamburgs Straßen bist. Mittlerweile bist du allerdings seit neun Jahren öffentlich wirksam Teil der Rap-Szene. Betrachtest du dich wirklich nach all den Jahren noch als Newcomer?

(lacht) Ich will mir nicht anmaßen, der interessanteste Newcomer aus Hamburg zu sein. Das müssen zum Glück immer noch andere beurteilen. Ich halte nicht viel von gehypten Sachen. Sowas kommt und geht dann auch ganz schnell wieder. Mir persönlich gefällt die Musik, die ich zusammen mit meiner Band Die Andern mache, besser, als der restliche Kram. Aber das ist Geschmackssache. Was das betrifft, sehe ich uns schon als Newcomer, auch wenn man mich natürlich schon lange kennt. Die neue Schwarz Rot Braun-EP und das Album, das bald kommt, sind eine Neuerfindung deutscher Punkmusik, wie ich finde. Schön viel Schmutz und laut!

Diese Punk-Attitüde, die unter anderem von der Ablehnung aller Autoritäten gespeist wird, ohne dass du dabei zu konkret wirst, zeichnet dich seit jeher aus. Für was steht der Rapper Swiss politisch und gegen was rebellierst du in deiner Musik?

Ach, ich will jetzt hier nicht meine komplette politische Gesinnung ausbreiten. Da sitzen wir noch morgen hier. Dass ich am linken Rand stehe, ist eh klar und Rebellion bezieht sich in meiner Musik nicht nur auf die Obrigkeit, sondern auf alles, was uns davon abhält, Mensch zu sein. Da gibt es tausende Beispiele, wie zum Beispiel, dass Leute wie ich aus den Vierteln vertrieben werden, in denen sie aufgewachsen sind. Oder dass zwei Drittel der Welt vor die Hunde gehen und wir so tun, als wär das nicht unser Problem. Ein großes Thema bei mir ist auf jeden Fall der Verlust der Freiheit im Konsumkapitalismus.

Unter anderem thematisierst du auf deiner Schwarz Rot Braun-EP nationalistisches Gedankengut, das Einzug in die Köpfe der breiten Öffentlichkeit gefunden hat. Welche politischen Ansichten der Masse stören dich konkret und siehst du eine Möglichkeit hier etwas zu unternehmen?

Naja, wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Auf jeden Fall sollte das so sein. Aber ich registriere immer öfter, dass Leute davon reden, dass wir "endlich wieder jemand sind". Was für eine Scheiße, was soll das bedeuten? Ich verstehe diese Denke nicht, aber du findest sie in allen Medien, besonders in Springers heißem Blatt. Dann wird außerdem so getan, als wenn das ach so gute und barmherzige Deutschland für die Armut und Inkompetenz der dritten Welt oder Griechenlands blechen muss. Aber das stimmt so nicht. Die sind so arm, weil wir so reich sind! Mir fehlt einfach ein reflektierter Umgang mit uns selber. Ich glaube, die einzige Möglichkeit, das zu ändern, besteht darin, eine Gegenwarheit rauszubrüllen, mit allen Mitteln, ohne Schminke und ohne Eitelkeiten.

Wie hast du als Hamburger die Krawalle rund um die Rote Flora wahrgenommen und wie beurteilst du den aus diesen Unruhen resultierenden Polizeieinsatz?

Meinst du die alljährlichen Krawalle zum Schanzenfest oder von welchen redest du genau? Da muss man unterscheiden, es gibt verschiedene Anlässe. Grundsätzlich möchte ich nicht so gerne erzählen, wie ich das wahrnehme, besonders in Bezug auf den Polizeieinsatz. Jedoch muss man auch sagen, dass viele der Leute, die da aufschlagen, besonders nach dem Schanzenfest nichts mit echtem politischen Protest am Hut haben. Da geht es nur darum, mal dabei gewesen zu sein. Das finden die vielleicht hip oder was weiß ich was. Aber die haben nichts mit der Sache zu tun, um die es eigentlich mal ging.

Lassen dich solche Ereignisse von einer "Missglückten Welt" sprechen oder liegen die Wurzeln dieser Formulierung anders begründet?

Alles ist die "Missglückte Welt". Die "Missglückte Welt" ist die ungeschminkte Wahrheit hinter der Glitzerfassade und hinter deinem Facebook-Profil. Die "Missglückte Welt" ist das Wissen, dass wir alle eigentlich kaputte Wesen sind, die ihre menschliche Bestimmung verloren haben und irgendwelchen Konsumwahrheiten hinterher strichern. Die "Missglückte Welt"  ist aber auch der erfolgreiche Geschäftsmann, der sich nach der Arbeit im SM-Club Dinge auspeitschen lässt, weil auch sein Erfolg ihn nicht vor der inneren Leere in sich bewahren kann. Alle diese Fehler im scheinbar perfekten System sind die "Missglückte Welt".

Welche politischen Ereignisse beschäftigen dich derzeit?

Mich beschäftigt vieles, aber nicht unbedingt immer die Sachen, die grade in den Medien gewälzt werden, sondern vielmehr die Zusammenhänge, die dahinterstecken. Alle heulen, dass die bösen Saudi-Scheichs die IS-Brigaden finanzieren. Ist ja auch ok, aber dann guckt mal bitte auch, welche deutschen Politiker genau diesen Scheichs die Hände schütteln und welche deutschen Firmen mit ihnen Geschäfte machen. Auf einmal wird alles relativ. Ich würde mir außerdem wünschen, dass es wieder sexy wird auf Demos zu gehen. Viele Leute haben so etwas noch nie gemacht, dabei ist es total wichtig, die da oben wissen zu lassen, dass wir noch da sind!

Lass uns nun spezifisch über deine Schwarz Rot Braun-EP sprechen. Hier sticht dem Hörer direkt der recht rockige, E-Gitarren-lastige Sound ins Auge. Weshalb hast du dich entschlossen, ein solches Klang-Gewand zu verwenden und wer waren hier deine musikalischen Vorbilder?

Ich hab mich nicht bewusst dazu entschieden. Ich wollte Musik machen, die laut ist, stinkt und richtig viel Schmutz macht. Da landest Du automatisch bei Gitarren, Bass und Drums. Das war für uns auf jeden Fall ein komplett neuer Film, was den Sound betrifft. Auf einmal vergleichst du deine Mixe mit Bands wie System of a Down oder Rage Against the Machine. Das ist der Maßstab, an dem wir uns orientieren! Man muss sagen, dass Sleepwalker, der für all das verantwortlich ist, was nach der Aufnahme passiert, sich unfassbar in die Geschichte reingefuchst hat. Ich glaube, das hört man auch. Das Album wird im Gegensatz zu der EP noch einmal eine Schippe drauflegen und noch mehr brettern. Sagt er zumindest (lacht).

Thematisch hingegen stellt sich die EP trotz der recht kurzen Spieldauer breit auf. Siehst du dennoch einen roten Faden und wenn ja, wie lautet dieser?

Nein, die EP hat keinen thematischen Faden. Ich finde, dass das auch nicht immer sein muss. Der rote Faden ist doch sowieso durch den Sound gegeben, denke ich. Der brettert unfassbar und außerdem sind die Songs ziemlich gut, wie ich finde (lacht). Ich wollte eine EP machen, die die Leute auf das vorbereitet, was sie in Zukunft von uns zu erwarten haben. Sie ist auf der einen Seite hart, aber auch rotzig, lustig und auch melancholisch. So bin ich auch und deswegen fand ich die Mischung perfekt.

Kannst du vielleicht sogar die Grundattitüde der EP im Rahmen einer exemplarischen Zeile zusammenfassen?

(Überlegt lange) Da gibt es einige. Eine ist auf jeden Fall: "Egal, was die Leute so sagen/ An keinem Tag vor meinem Tod werd' ich einen meiner Träume verraten/" Die Zeile passt zu den letzten Jahren. Ich musste durch so viel Kacke stiefeln und jetzt bin ich wieder da und folge immer noch meinem Stern. Das macht mich schon ein bisschen stolz.

Welche Ziele hast du dir mit Schwarz Rot Braun gesetzt und was möchtest du in Zukunft unter anderem mit deinem kommenden Solo-Album erreichen?

Ich hab mir ehrlich keine Verkaufszahlen als Ziel gesetzt. Das kann ich auch gar nicht, da mein letztes Album sechs Jahre her ist. Ich weiß aber, dass wir erst einmal kleine Brötchen backen sollten, bevor wir uns irgendwelche Verkaufsziele setzen. Aber ich krieg' natürlich die Euphorie um mich herum mit und freue mich, dass es allen so gefällt. Ich habe mich mit Soulfood bewusst für eine Truppe entschieden, die genau so an uns glaubt, wie ich das tue, und die Geschichte seriös und langfristig angehen will. Es fühlt sich einfach gut an, wenn man Menschen um sich hat, die nicht nur Platten verkaufen wollen, sondern auch die Musik lieben, die du machst. Besser geht's nicht und ich glaube schon, dass in den nächsten Jahren kein Weg an uns vorbeiführen wird.

Lass uns das Interview anstelle von klischeebehafteten letzten Worten mit der deiner Meinung nach missglücktesten Person der hiesigen Rap-Szene beenden. Warum fällt deine Wahl genau auf diese Person?

Die missglückteste Person ist auf jeden Fall Money Boy! Ich glaube immer noch an den Tag, an dem er uns sagen wird, dass er uns alle nur verarscht hat!