Nimo – Ein Gespräch über Empathie (Interview)

Nimos Schlussworte im großen Hiphop.de-Interview mit Aria Ende 2019 lauteten unter anderem: "Ich will Spuren hinterlassen". Für Nimo markierte dieser Zeitpunkt den Beginn einer persönlichen Weiterentwicklung, nachdem sein Lebenswandel in den Jahren zuvor nicht nur von guten Momenten geprägt war. Eine dieser Spuren, die Nimo im Leben hinterlassen will, ist es, Menschen mit seiner Musik zu verbinden und für mehr Miteinander zu kämpfen.

In seinem neuen Song "Zart" greift Nimo dieses Vorhaben auf und rappt darüber, dass es wichtig ist, Gefühle zu zeigen und für andere da zu sein. Um dem Empathie-Gedanken einen größeren Ausdruck zu verleihen, hat sich Nimo mit dem Schokoladenhersteller Milka zusammengetan, der Titel ist in Kooperation entstanden. Anlässlich des neuen Songs haben wir uns mit Nimo im digitalen Raum zum Interview getroffen und mit ihm über Empathie, Emotionen und Entwicklung sowohl in seiner Persönlichkeit als auch im Rap-Business gesprochen.

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Über welche gesellschaftlichen Themen hast du dir in der letzten Zeit Gedanken gemacht?

Im letzten Jahr habe ich mich oft mit Corona und allem, was damit kam, sich geändert hat und noch ändern wird, befasst. Davon losgelöst sind es die Themen Gerechtigkeit, Rassismus und Mobbing, mit denen ich mich schon immer stark beschäftigt habe. In letzter Zeit ist das nochmal extremer in meinen Gedanken gewesen. Wir kennen alle die Fälle, die in den Medien tagtäglich präsent sind. Es gibt aber genauso viele Fälle, über die man nicht Bescheid weiß. Es ist schade, dass diese Themen nur durch extreme Vorfälle in aller Munde sind.

Wie ordnest du aktuell die Empathie-Fähigkeit der Menschen in Deutschland ein?

Ich sehe da zwei Seiten. Einmal gibt es die Seite der Menschen, denen das egal ist. Denen geht es nur um ihren eigenen Arsch. Wie kann ich am besten für mich sorgen? Alles andere ist egal. Und dann gibt es eine Gruppe, die das sehr beschäftigt. Besonders in der jetzigen Zeit, in der wir alle viel zu Hause sitzen und oft mit unseren Gedanken allein sind und Dinge nur über Social Media mitbekommen. Diese Gruppe will, dass es Veränderungen in der Gesellschaft gibt. Das klappt aber nur, wenn alle mitmachen. Empathie ist eine normale menschliche Sache. Man muss kein Talent haben, um empathisch zu sein. Man muss nur ein Herz haben. Das haben wir alle. Jeder Mensch möchte verstanden werden, egal ob er glücklich ist oder traurig. Wir müssen mehr hinterfragen und nicht immer gleich verurteilen. Sehr oft habe ich gemerkt, dass wir Sachen in den Medien gezeigt bekommen und direkt urteilen. Ich erwische mich auch ab und zu selbst dabei. Wir urteilen direkt, ohne überhaupt darüber nachzudenken, was vielleicht der Hintergrund der Geschichte ist und wie sich diese Personen gefühlt haben. Ich merke, dass es eine große Gruppe von jüngeren Menschen gibt, die an all dem etwas ändern will. 

Empathie ist ein großer Begriff heutzutage. Was verstehst du persönlich darunter? 

Für mich zählen dazu Werte, die normalerweise in jedem Menschen vorhanden sein sollten: Nächstenliebe, Gerechtigkeit, liebevoll sein, respektvoll sein, verständnisvoll sein, zart sein. 

Woran hast du in deinem Leben gemerkt, dass du empathisch bist?

Ich habe das schon sehr früh gemerkt. Bevor ich es selbst gemerkt habe, hat mein Vater bemerkt, dass ich eine gerechte Ader in mir habe und ein sehr großes Herz. Mir ist es mit all den Rückschlägen, Dramen und dem Leid, das wir in unserer Familie hatten, aufgefallen. Ich weiß, wie es ist, als Kind allein zu sein. Ich weiß auch wie es ist, wenn man friert oder Hunger hat, weil ich diese Situationen schon durchgemacht habe. Ich kann Menschen, die so etwas durchmachen, sehr gut nachempfinden. Dieser Sinn ist dadurch bei mir sehr ausgeprägt. 

Wie viel Empathie braucht man im Musik-Business?

In der Musikwelt ist Empathie schwierig. Künstler sind sehr eigene Charaktere. Sie sind nicht aus Spaß in der Musikwelt, sondern wollen etwas erreichen. Auf diesem Weg sieht jeder Künstler sich selbst als die Nummer 1. Da musst du dich auch eigentlich sehen, denn dieses Selbstbewusstsein brauchst du. Jeder Künstler hat eine eigene Wahrnehmung. Oftmals treffen viele Egos aufeinander. Mit vielen Künstlern funktioniert es reibungslos, mit anderen dagegen weniger. Dieses Business ist ein Rennen. Der Neid ist sehr groß. Wo Neid ist, kann wenig Empathie sein. 

Zu mehr Empathie aufrufen möchtest du mit deinem neuen Song „Zart“. Welche genaue Idee steckt dahinter?

Mit diesem Song geht’s mir darum, Menschen zu verbinden. Jemand soll einfach diesen Song hören und für einen kurzen Moment ein Lachen ins Gesicht gezaubert bekommen und eine Message daraus mitnehmen. Im Song gibt es auch eine Ebene, wo man sicher kurz schmunzeln muss. Am Ende gibt es aber auch den lauten Nimo, der dir die Botschaft mitgibt: Sei zart. Mir gefällt, dass du zart bist, keinen Neid in dir hast. Sei ein Mensch, sei du selbst, sei alles, was du sein willst, aber sei bitte zart. Ich möchte erreichen, dass die Leute das Bild wegbekommen, dass Rap immer hart sein muss, ekelhaft oder sexistisch. Das allein ist es nicht. Gefühle zeigen macht dich stark. 

Hattest du Bedenken, dich mit dieser Message so zu öffnen? 

Ich mache mir keine Gedanken darüber, was die Leute am Ende des Tages sagen. Der Song ist in Kooperation mit Milka entstanden und war eine Challenge. Mir ging es darum, einen nicen Song zu machen, der diese Message enthält. Mir war nur wichtig, dass es ein typischer Nimo-Song ist, der meinen Sprachstil, Humor und meine Adlibs rüberbringt. Ich möchte mit diesem Lied auch erreichen, dass sich andere Künstler keine Gedanken mehr darüber machen, ob etwas zu weich sein könnte.

Du hast in der Vergangenheit oft für Songs mit einer härteren Message gestanden. Welche Werte willst du mit deiner Musik vermitteln?

An allererster Stelle will ich mit meiner Musik Freude bereiten. Jemand, der meine Songs hört, soll Spaß haben, er soll tanzen. Wenn er oder sie gerade Liebeskummer hat, dann soll mein Song aber auch wie ein bester Freund für ihn oder sie da sein. Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Empathie wirst du immer in meinen Songs finden. Ich werde in Zukunft auch weiter harte Songs machen. Emotionen sind manchmal laut, manchmal sind sie aggressiv. Manchmal sind sie zart, manchmal sind sie müde, fühlen sich schwach an. Das alles ist in einem Menschen drin. Auch wenn ich weiter harte Songs machen werde, heißt das nicht, dass es meine Message verändert. 

Viele Rapper setzen Zeichen gegen Rassismus, Armut, Krankheiten oder andere Dinge. Welchen Einfluss können Rapper auf die junge Generation nehmen? 

Wir haben die Verpflichtung, unseren Teil dazu beizutragen, ein Zeichen zu setzen. Jeder von uns hat eine enorme Reichweite. Wenn dich etwas berührt, etwas verändert, wenn dir etwas von einer Sache im Kopf geblieben ist, dann sagst du es Minimum drei Leuten weiter. Wenn diese drei Leute davon überzeugt sind, sagen sie es wiederum anderen Leuten weiter. Das ist die wahre Reichweite. Nicht die Zahlen im Internet. Durch diese wahre Reichweite können wir viel erreichen, indem wir nicht einfach nur zuschauen, sondern uns für unsere Mitmenschen und unsere Kinder einsetzen.

Die junge Generation ist vor allem auf Social Media zu finden. Können soziale Medien und Empathie überhaupt zusammenpassen, wenn jeder in seiner eigenen Blase lebt? 

Das ist das Schwierige. Der Mensch im privaten Leben ist in den meisten Fällen nicht derselbe Mensch wie im Internet. Ich bin seit sechs Jahren im Musikbusiness. Seit sechs Jahren hat mich auf der Straße weder jemand beleidigt noch angegriffen. Aber wenn du ab und zu durch meine Kommentare oder Nachrichten gehst, findet sich die ein oder andere Beleidigung oder Drohung. Es ist sehr gefährlich im Internet, die verbale Gewalt nimmt dort extreme Ausmaße an. Viele haben sich wegen Mobbing das Leben genommen, weil sie mit diesem Druck nicht klargekommen sind. Diejenigen, die wir berühren und erreichen wollen, sind die wahren Menschen im Leben. Im Internet wird es immer die Radikalen und Extremen geben. Man muss aber auch die Radikalsten erreichen und mit ihnen reden. Man darf nicht radikal auf radikal antworten. Jeder hat ein Herz und etwas Positives in sich. Man muss es mit Geduld und Liebe versuchen. Wenn du dich änderst und ein guter Mensch sein willst, erwarte nicht, dass es von heute auf Morgen gehen wird. Mach es in erster Linie für dich und habe Geduld.

Wie gehst du mit wenig empathischen Menschen um?

Wenn ich das im echten Leben mitbekomme, versuche ich, je nachdem wie die Situation ist, etwas zu sagen. Wenn ich merke, dass eine Konversation nichts bringt, mache ich einen Bogen drumherum. Auf manche Nachrichten im Internet antworte ich, um derjenigen Person einen Denkanstoß zu geben.

Wie kann man lernen, empathischer zu werden? 

In jedem Menschen steckt Empathie. Das meiste passiert in der Erziehung. Ein Kind wird ohne böse Gedanken, Worte oder Taten in diese Welt geboren. Es liegt immer daran, wie das Kind groß wird. Was lernt das Kind von den Eltern, im Fernsehen oder bei seinen ersten sozialen Kontakten draußen? Ich bin davon überzeugt, dass man jemanden, der sehr rassistisch ist und ein ganzes Volk oder eine Religion hasst, von diesem Hass befreien kann, wenn man mit ihm redet. Viele bekommen gewisse Werte von zu Hause mit. Aber viele brauchen in dieser Zeit auch jemanden da draußen, der sie von gewissen Dingen abbringt.

Du setzt dich für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft ein, hast deiner Mutter ein Haus im Iran gekauft, weil es ihr Traum war und gibst mit "Zart" nun einen Denkanstoß zu mehr Miteinander. Du scheinst deine Empathie mittlerweile in viele Lebensbereiche zu spreaden. 

Ich habe mir Empathie zur Lebensaufgabe gemacht. In den letzten zwei bis drei Jahren habe ich einen sehr großen Wandel durchgemacht. Mir ist einiges klargeworden. Zum Beispiel, dass ich diese Reichweite und die guten Fähigkeiten in mir vollkommen ausschöpfen muss. Das gute Herz, das ich habe, hat mich immer wieder schwach gemacht, weil ich Leuten vertraut habe und zu gut zu Leuten war. Mir ist aber bewusst geworden, dass mein Verhalten nicht falsch war. Dass du Menschen helfen willst, ist nicht falsch. Du musst es nur bei den richtigen Menschen anwenden. Du kannst da helfen, wo Menschen ein offenes Ohr brauchen. Du kannst dort die Stimme der Stummen sein, wenn sie deine Stimme brauchen. Ich finde mich selbst immer mehr und lerne mich besser kennen. Trotzdem habe ich noch tausend Fehler in mir und Dinge, die ich ändern möchte.

Lass uns zum Schluss nochmal auf deine persönliche Weiterentwicklung in den letzten Jahren kommen, insbesondere seit dem Interview mit Aria Ende 2019, in dem du dich sehr reflektiert und selbstkritisch gezeigt hast. Wo steht Nimo 2021 künstlerisch sowie persönlich?

Es hat sich privat wie auch künstlerisch sehr vieles geändert. Ich bin in einer dauerhaften Entwicklungsphase. Manchmal ist es so, dass man nicht nur Fortschritte macht. Manchmal denkst du dir, ich mache doch alles richtig, aber trotzdem machst du Rückschritte. Manchmal lässt der Moment es nicht zu, dass du klar über eine Sache nachdenkst. Ich will immer wachsen, ich will immer größer werden. Aber das ist nicht Sinn der Sache. Ich arbeite gerade intensiv an meiner Geduld. Wir machen ein neues Album, mein ganzes Business ist hier, gleichzeitig leben meine Mutter und meine Frau im Ausland. Es gibt viele Sachen, wo ich selbst nicht immer weiß, wo ich bin und was ich mache. Die einzige Zeit, in der ich komplett meinen Frieden finde, ist, wenn ich zwei Stunden für mich allein laufen gehe. 

Die Zeit rast. Auf einmal bist du kein Kind mehr und wartest auf dein eigenes Kind. Du bist kein Zuhörer mehr, sondern du bist derjenige, der die Musik macht. Es kommt die Zeit, in der du merkst: Du bist jetzt ein Mann. Seit dem Interview mit Aria habe ich nochmal gemerkt, dass ich kein Teenager mehr bin. Ich bin jetzt ein Mann, der Sachen sagt, die ein Mann sagt und Werte vermittelt, für die ein Mann im Leben stehen sollte.

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