Namika über "Que Walou", ihr Verhältnis zu Farid Bang, Ufo361 und untypische Outros (Interview)

Vor drei Jahren sorgte Namika mit "Lieblingsmensch" für einen unerwarteten Hit. Fast 77 Millionen YouTube-Klicks und unzählige Livehows später kehrt sie am 1. Juni mit ihrem neuen Album "Que Walou" zurück. Eine sehr persönliche Platte, die unter anderem einen Song über ihren verstorbenen Vater sowie ein beeindruckendes Feature mit Farid Bang beinhaltet. Neben diesen Themen sprachen wir mit ihr über die Entwicklung seit ihrem Debütwerk "Nador", die Arbeit an "Que Walou", ihr Verhältnis zu Ufo361 und warum sie ihre Alben und die Bühne lieber mit lauten Songs verlässt.

Als du 2015 auf die Bildfläche kamst, warst du in den Augen vieler Rapfans zu poppig und für Popfans zu rappig. Drei Jahre später macht die halbe Szene Gesangshooks, benutzt Autotune, ist auf Hits aus und im Mainstream erfolgreich. Denkst du dir rückblickend vielleicht manchmal: Wollt ihr mich verarschen? Und ich soll zu poppig gewesen sein?

Ich nehme das gar nicht so persönlich, es ist mir nur hier und da aufgefallen. Es hat nie jemand zu mir gesagt "Du bist nicht Hiphop" oder "Du bist nicht Pop". Das war tatsächlich mehr von der Medienseite der Fall. Unter 10.000 Kommentaren war dann vielleicht ein musikpolizistischer Kommentar. Ansonsten mache ich Musik und ich mache Hiphop. Das ist meine Art von Hiphop, es gibt da keine Richtlinie. Jeder ist frei, das zu machen, worauf er Bock hat und ich find's gut, dass es musikalischer wird. Ich selbst finde Gefallen an dieser Entwicklung, ich feier' den melodischen Sound. Trotzdem erzählt jeder Rapper seine Storys, die starken Rap-Charakter haben.

Hattest du nach dem riesigen Erfolg mit "Lieblingsmensch" das Gefühl, nur noch auf diesen Song reduziert zu werden?

Nein, gar nicht. Man muss sich vorstellen, dass es nochmal ein ganz anderer Talk ist, wenn ich selbst auf Tour bin. Das sind Leute, die haben sich mein Album gekauft und kennen alle Songs. Allerdings hatte ich witzigerweise ein Szenario auf einem Festival. Verschiedene Künstler sind dort vertreten und somit war da auch ein sehr gemischtes Publikum. Es gab tatsächlich einige Leute, die mich nur aus dem Radio und durch "Lieblingsmensch" kannten. Die waren dann total erstaunt, als ich mit "Na-mi-ka" als Opener auf die Bühne kam, was sozusagen der Spitter von allen Songs ist, die ich zu der Zeit rausgebracht habe. Ich habe darin eine Chance gesehen, die Leute, die mich eben nur durch "Lieblingsmensch" kennen, auf mein Album und auf meinen Hiphop aufmerksam zu machen.

Kann so ein Erfolg dazu führen, dass man denkt, man müsse ganz viele Hits hinterherschieben oder hast du dich von solch einem Druck komplett freigemacht?

Ich habe mich komplett frei gemacht. Ich meine, bei dem ersten Album habe ich auch nicht gewusst, dass da ein Hitchen schlummert. Da es aus Versehen passiert ist, bin ich der Meinung, dass es auch ein zweites Mal aus Versehen passieren kann.

Denkst du, dass die Chancen auf so einen Singleerfolg dank Spotify inzwischen gestiegen sind? 2015 war Streaming schließlich noch längst nicht so groß wie heute.

Absolut. Spotify ist jetzt quasi das Onlineradio, in dem du dir selbst deine Musik aussuchen kannst, wann und wo du sie du gerade hören willst. Das hat starke Vorzüge. Man sieht das auch anhand der riesigen Erfolge, die zurzeit im Deutschrap gefeiert werden. Ich finde es cool, dass es diese Entwicklung beziehungsweise diese zusätzliche Plattform gibt. Als Künstler selbst profitiert man ja auch davon.

Kommen wir zum neuen Album "Que Walou". Das Feedback auf die ersten Singles war extrem gut, du bekommst sehr viel Liebe von deinen Fans, vor allem für "Ahmed 1960-2002". Wie sehr fällt da eine Last ab, wenn man so einen Erfolg hatte, dann relativ lange weg ist, anderthalb Jahre am neuen Album arbeitet, zurückkommt und solch eine positive Rückmeldung bekommt?

Das ist wirklich schön. Ich muss sagen: Zu meinem zweiten Album hin habe ich mich so gefreut, wieder ins Studio zu gehen, weil ich zwei Jahre lang mit meinem ersten Album getourt bin. Ich habe zur richtigen Zeit die Handbremse gezogen und gesagt: "So, jetzt reicht's mit Auftritten, ich würde jetzt gerne wieder ins Studio und neue Songs machen." Das hat mir richtig gutgetan und sich angefühlt wie Urlaub. Dann sind eben auch Songs entstanden, die mir anscheinend sehr, sehr lange auf der Seele gebrannt haben wie zum Beispiel "Ahmed", wo ich über meinen Vater erzähle. Ich behandle das Thema, wie ich mich gefühlt habe, als Kind ohne Vater aufzuwachsen. Mit dem Gefühl, dass immer eine Hälfte fehlt. Wer war dieser Mensch, von dem ich die Tochter bin? Wie war er so? Warum ist er nicht hier? Diese Fragen hat mir dann meine Mutter beantwortet und dadurch konnte ich diesen Song schreiben. Ich glaube, das ist ein Song, der auf einer Hiphop-Ebene einige Leute und Herzen bewegen konnte. Das ist witzigerweise der unkommerziellste Song, allein wegen der Struktur. Da war es mir einfach wichtig, diese Geschichte zu erzählen und dafür hat es keine Hook gebraucht.

An dem Song hat quasi deine ganze Familie mitgeschrieben, weil du die Infos dafür brauchtest. Wie war das Gefühl, bevor du zum ersten Mal mit der Idee auf deine Mutter zugegangen bist? Hattest du Angst vor der Reaktion?

Das war ganz entspannt. Ich habe sie einfach befragt: Wie ist das alles passiert? Dann hat sie mich natürlich gefragt, warum ich das plötzlich so genau wissen möchte. Dann habe ich ihr gesagt, dass ich vorhabe, einen Song darüber zu schreiben und daraufhin hat sie mir alles erzählt.

Nach "Nador" spielt auch der neue Albumtitel auf deine Herkunft an und ohnehin thematisierst du in deiner Musik oft deine marokkanischen Wurzeln. Ist es dir wichtig, in Zeiten des leider wieder sehr präsenten Rechtspopulismus ein Zeichen zu setzen, dass du eine moderne Frau bist, obwohl du in den Augen solcher Leute aus einem rückschrittlichen Land kommst?

Ich bin so wie ich bin und meine Themen kommen einfach aus mir heraus. Ich wollte jetzt nicht der Vorzeige-Kanake in weiblich sein, um es kurz auf den Punkt zu bringen. Es wäre eh Schwachsinn, wenn Leute sagen würden "Die Namika, die ist eine von uns", aber gleichzeitig angebliche Negativbeispiele oder meine Herkunft dissen. Das wäre dann kein Kompliment mehr für mich.

Wie schon erwähnt, hat sich Deutschrap in den vergangenen drei Jahren extrem gewandelt. Du behältst trotzdem einen sehr eigenen Sound bei und hast wieder alles gemeinsam mit den Beatgees produziert. Mit "Okay", der Song mit Lary, und "Kronleuchterlicht" sind trotzdem zwei Tracks dabei, die in Richtung des aktuell vorherrschenden Styles gehen. Wie kam das zustande?

Für mich ist Trap und Autotune eh nichts Neues. Die ganzen marokkanischen Sänger von damals, deren Musik ich in meiner Kindheit beim Durchstöbern der Kassetten und CDs auf den Basaren Marokkos mitbekam, benutzten schon Autotune. Autotune an sich finde ich cool, auch Trap finde ich cool, dennoch ist meine Musik jetzt nicht auf den Zug aufgesprungen, der gerade durch Deutschrap fährt. "Kronleuchterlicht" haut einfach richtig auf den Putz. Es ist mehr die Art von Rap, die ich damals als Hän Violett gemacht habe. "Okay" ist ein Song, der sommerlich und urban klingt. Lary kam dazu und hat noch einen Vers darauf geschrieben. Da steht im Vordergrund, dass wir zwei eigenständige Frauen sind, die Unabhängigkeit leben und zelebrieren.

Im Interview mit Visa Vie für Diffus hattest du rückblickend auf den plötzlichen damaligen Medienrummel erwähnt, dass du in Interviews nicht so gerne über Persönliches sprichst. Machst du das deshalb jetzt lieber auf dem neuen, sehr persönlichen Album?

Ja, so gehe ich auch immer an Musik ran. Es muss etwas Persönliches haben. Auf dem ersten Album wollte ich noch nicht alles preisgeben, man stellt sich ja auch immer erst vor und mit der Zeit öffnet man sich mehr – wie im echten Leben. Das habe ich eben auf dem zweiten Album "Que Walou" gemacht und auf dem dritten Album wird es sicherlich auf irgendeine Art und Weise wieder eine Steigerung geben.

Sehr persönlich ist auch der Song "Hände" mit Farid Bang. Für viele wahrscheinlich ein sehr überraschendes Feature, obwohl ihr euch schon lange kennt. Warum hat sich nicht schon vorher eine Zusammenarbeit ergeben?

Ich glaube, das hat auch einfach damit zu tun, dass wir relativ weit voneinander entfernt wohnen. Ein Feature hat sich jetzt bei der ersten Gelegenheit schon ergeben. Vorm ersten Album wusste er, glaube ich, gar nicht, dass ich was Neues oder generell jetzt ernsthaft Musik mache. Er hat mich ja damals unter anderen Bedingungen kennengelernt [auf einer Hiphop-Jam in Frankfurt vor etwa zehn Jahren, Anm. d. Red.]. Da war ich mit meinen Jungs, mit denen ich damals angefangen habe, Musik zu machen. Farid war Headliner, soweit ich mich erinnere. Dort haben wir uns das erste Mal kennengelernt und das war eigentlich die einzige Begegnung, an die ich mich erinnern kann. Wir kannten uns zwar und hatten gemeinsame Freunde, was auch verbindet, aber dann gab es erst mal zehn Jahre keinen direkten Kontakt. Zum zweiten Album hin haben wir uns dann zufällig in Düsseldorf getroffen. Wir haben uns gegenseitig Songs vorgespielt, er hat "Hände" gehört und sagte dann zu mir: "Weißt du eigentlich, dass wir dasselbe Schicksal haben und dass ich auch ohne Vater und bei der Oma aufgewachsen bin?" Ich fand’s schön, dass er in diesem Moment zeigte, dass er berührt ist. Also habe ich ihn dazu eingeladen, auch eine Strophe für seine Oma zu schreiben.

Das entstand aber nicht an diesem ominösen Tag, an dem ihr zusammen im Moviepark wart?

(lacht) Achso, nee. Wir wollten einen Videoblog drehen und das haben wir auch. Der wird aber leider nicht mehr rauskommen, einfach, weil wir den nicht fertig gemacht haben. Der war auch nicht speziell für mein Album, sondern just for fun, für Social Media Content. Wir haben da so eine Rummelchallenge gemacht mit Dosenwerfen und so. Und ich habe gewonnen! Sorry, Farid!

Er hat sich bei "Hände" ja auf dich eingelassen. Könntest du dir wiederum vorstellen, auch mal wieder battlerappigere Sachen zu machen wie unter deinem früheren aka Hän Violett?

Ja, klar, wenn ich irgendwann mal eine Hän Violett-Platte mache. Ich würde das, wenn überhaupt, nur aus Nostalgiegründen machen, wenn ich wieder so richtig Bock darauf bekomme. Battle ist auf jeden Fall eine Sparte im Hiphop, die ich amüsant finde, aber auch bis zu einer gewissen Grenze. Im Augenblick habe ich nicht das Gefühl, Battlerap machen zu wollen, deswegen bleibe ich erst mal bei dem, was ich fühle. Wenn ich irgendwann mal Battlerap machen sollte, habe ich immer noch Hän Violett, die ich auskramen kann.

Wer allerdings nicht auf dem Album ist, sind unter anderem MoTrip und Ali As, mit denen du schon Tracks hattest oder auch Abdi, einem alten Jugendfreund von dir. Warum sind diesmal keine Zusammenarbeiten entstanden?

Also das erste Feature mit MoTrip kam zustande, weil er auch ein paar Songs bei den Beatgees produziert hat. Da haben wir uns kennengelernt und dadurch kamen wir ins Gespräch. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, eine Strophe auf "Mein Film“ zu schreiben. Bei Ali As war's ähnlich. Abdi habe ich im Musikumfeld nie getroffen, sondern eigentlich immer so auf der Straße. Features entstehen für mich, wenn wir miteinander viben, die passende Idee und das passende Gefühl vorhanden ist. Zu "Que Walou" war das leider nicht der Fall. Aber hey, was nicht ist, kann ja noch werden.

Apropos Features. Du warst ja letztes Jahr auf "Ich bin 3 Berliner" von Ufo vertreten ...

Stimmt!

… da hatten sicher die wenigsten mit gerechnet.

Mein kleiner Bruder hat mir Ufo gezeigt. Das war einer von seinen Songs, die sehr musikalisch und melodiös waren. "Flieg" war das, glaube ich. Da habe ich ihn das erste Mal als Ufo361 mit dem neuen Style mitbekommen. Vorher war er ja bei Hoodrich, also ich hatte ihn schon länger auf dem Schirm. Als "Flieg" rauskam, habe ich seine damaligen Produzenten, die Broke Boys, kontaktiert. Die haben mich mit Ufo connected. Ich rief ihn an, um ihm zu sagen, dass ich seine Sachen cool finde und dass er ab sofort neben Celo und Abdi noch einen weiteren Kumpel aus Frankfurt hat. Und das bin ich (lacht). Das war ganz nett, er hat gelacht, wir haben gelabert und dann kam eins zum anderen. Ich habe ihm einen Part gegeben und so ist das entstanden.

Was sowohl auf "Nador" als auch jetzt auf "Que Walou" auffällt, ist, dass du trotz sehr deeper, nachdenklicher Songs immer eine Grundpositivität ausstrahlst und auch dank deiner Stimmfarbe und dem Sound ein gutes Gefühl vermittelst. Machst du das bewusst?

Ja, das ist mein Ding. Wenn ich schon einen relativ traurigen Text habe, will ich nicht noch traurige Musik, die es noch mehr zur Aufschlitzmusik macht und umgekehrt genauso. Ich finde es sehr spannend, wenn zwei unterschiedliche Stimmungen aufeinandertreffen.

Dein Album klingt aus mit dem Track "Zirkus". Ein recht untypisches Outro, da es sehr nach vorne geht. Warum hast du dieses Lied als Outro gewählt?

Wenn ich auf Tour bin, gehe ich immer mit einem lauten Song von der Bühne, weil ich das Publikum mit einem guten Gefühl zurücklassen möchte. Deshalb hatte ich mir überlegt, das auch auf dem Album zu machen. Ich dachte mir, der letzte Song auf meinem Album sollte Partystimmung vermitteln, sodass die Leute Lust haben, die Platte von vorne zu hören. Das hat für mich Sinn gemacht. Das Ende klingt nach einem Start. (lacht)

Zum Abschluss noch eine Frage zu deiner Spotify Playlist, die du geteilt hattest. Da findet sich so gut wie kein Deutschrap drin wieder. Hörst du privat kaum deutschen Rap?

Weißt du, was ich gemacht habe? Ich habe einfach meine Shazamliste runtergeschrieben und es kann gut sein, dass ich keine Deutschrapsongs shazame, weil ich die meistens schon kenne. Manchmal mache ich mir 'ne Deutschrapplaylist an, aber ich höre aktiv auch kaum Deutschrap. Einfach, weil ich selbst deutsche Musik mache und sich automatisch was in meinem Unterbewusstsein speichern könnte. Wenn man das dann verwendet und es das schon gab, ist das nicht so gut.


Vielen Dank für das Gespräch!