Das Team hinter Haftbefehls "Unzensiert" über das Mixtape, Verschwörungstheorien & die Zukunft der Azzlackz (Interview)

Spätestens seit Depressionen im Ghetto ist klar: "069, Baba Haft ist zurück / unterste Schublade, Gangasta-Rap, mitten ins Gesicht!" Mit seinem Mixtape Unzensiert hat Haftbefehl eins der besten Releases des Jahres abgeliefert.

Eine Ankündigung gab es vorher nicht, das Mixtape überraschte uns über Nacht. Zum promophasenfreien Release spart sich Haftbefehl die Interviews (wenn er nicht grade Rooz beim Soundclash über den Weg läuft). Warum? Er arbeitet im Studio schon am nächsten Werk – aber dazu später.

Toxik wollte dennoch mehr wissen und hat mit dem wahren #teamhaft, Manager Erfan Bolourchi und Produzent Bazzazian, gesprochen. Über den Soundclash, den Sound auf Unzensiert, die "neuen Azzlackz", Rothschild, Chemtrails, Böhmermann und Malcolm X.

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Warum habt ihr euch für ein Überraschungs-Release entschieden?

Erfan: Ohne jetzt andere Releases beim Namen nennen zu wollen – vieles wird auf die immer gleiche Art promotet. Außerdem wollten wir dadurch deutlich machen, dass es sich nicht um ein Album, sondern ein Mixtape handelt. Das Ganze sollte zuerst noch explosiver stattfinden: Wir wollten im November, gleichzeitig mit Shindy und Bushido, releasen. Es gab ein paar Probleme mit der Fertigstellung der Platte und weitere Kleinigkeiten, die das verhindert haben.

Jetzt konntet ihr CopKKKilla nach Böhmermanns Ich hab Polizei bringen und das Mixtape kam passend zum Soundclash gegen Sido. Ein Nachteil war die Verschiebung nicht.

Bazzazian: Absolut nicht! Dass wir dadurch passend zum Soundclash veröffentlichen werden, haben wir erst gar nicht gecheckt. CopKKKilla wollten wir sowieso als erstes Video veröffentlichen, aber Ich hab Polizei kam perfekt. Und nein, das war nicht abgesprochen.

Erfan: CopKKKilla war zuerst noch härter. Aber die Version war uns dann doch zu krass, also haben wir den Song geändert. Dann kam Böhmermann.

Bazzazian: Als Ice-T damals Cop Killer veröffentlicht hat, gab's ein riesiges Palaver. Deshalb hatte ich auch bei uns viel Kritik erwartet. Dann wurde aber nur noch darüber diskutiert, ob CopKKKilla eine Antwort an Böhmermann sein soll.

Erfan: Die Aufmerksamkeit durch Böhmermann war riesig. Ich kann nur jedem raten, einen flexiblen Fahrplan für sein Release zu haben, damit man auf solche Sachen reagieren kann.

Bevor wir zur Musik kommen, lasst uns kurz über den Soundclash sprechen. Wie kam der Laas Unltd-Part in eurem Camp an? Das war waschechter Battle-Rap. Habt ihr es auch so verstanden oder wurde es euch zu hart?

Erfan: Zunächst mal: Es gibt keinen Beef! Das Problem ist, dass die Medien das jetzt so aussehen lassen und seine Strophe abtippen. Es hat einfach nicht ins Format gepasst. Für ihn ist es natürlich gut, da haben fast eine Million Leute zugeguckt. Nur unterm Strich haben ihn 5.500 Leute ausgebuht.

Ich hoffe nicht, dass das bei uns so wirkte. Battle und Beef sind zwei verschiedene Dinge. Und Laas’ Part habe ich als Battle-Rap verstanden.

Bazzazian: Bei Rap am Mittwoch kannst du sowas natürlich bringen. Aber wenn du dir anguckst, dass die Veranstaltung freundschaftlich und mit einem Augenzwinkern aufgezogen war, finde ich, dass er übertrieben hat. Ich glaube, Sido wurde es auch zu viel.

Auf Seite 2 geht es um den Sound und die Features auf Unzensiert, den Nachwuchs im Hause Azzlackz, Hipster-Fans und das Feuilleton.

Kommen wir zu Unzensiert. Wie zufrieden seid ihr mit dem Feedback?

Erfan: Das ist durch die Bank weg gut. Teilweise sogar noch besser als bei Russisch Roulette.

Dass wir euch als "Team hinter dem Mixtape" im Interview haben, passt? Oder wer hat in erster Linie mitgewirkt?

Bazzazian: Im Prinzip hat an Unzensiert die gleiche Dreier-Kombo wie an Russisch Roulette gearbeitet. Aykut [Haftbefehl, Anm. d. Red.] und wir beide. Das funktioniert super. Unzensiert ist aber keine Fortsetzung von Russisch Roulette, von sowas halte ich nichts. Das Mixtape ist noch düsterer und wütender.

Erfan: Bei Mixtapes machen Fortsetzungen für uns mehr Sinn als bei Alben. Wir haben vor, irgendwann Unzensiert 2 zu bringen. Vielleicht machen wir auch eine Reihe daraus.

Klingt gut! Mich würde es generell freuen, wenn es in Deutschland mehr Mixtapes gäbe. Warum wolltet ihr ein Mixtape veröffentlichen statt einem Album?

Bazzazian: Für uns war klar, dass wir nicht jedes Jahr ein Album bringen wollen. Aber Aykut war gerade so motiviert – es wäre Quatsch gewesen, nichts zu veröffentlichen.

Wie habt ihr die Freiheiten, die einem das Format "Mixtape" gibt, genutzt? Was war euer Konzept?

Erfan: Im Prinzip legen wir uns vorher auf nichts fest. Anfangs haben wir gedacht, wir gehen in die Richtung vom ersten Wu-Tang-Album, was Samples und Melodien angeht. Oder in die Richtung vom Lunatic-Album [Mauvais œil von Booba & Ali, Anm. d. Red.], nur mit modernen Drums. Irgendwann hat sich das Ganze dann in seine eigene Richtung entwickelt.

Bazzazian: Bei Depressionen im Ghetto hatte ich die ganze Zeit die Beastie Boys im Kopf: dreckig und mit verzerrter Stimme. Das steht Haft auch gut, finde ich.

Mich hat das Ergebnis auch an Bomb Squad und die ersten Ice Cube-Soloalben auf der einen, Kaaris oder Kanye West auf der anderen Seite erinnert. Songs wie Frisch aus der Küche klingen nach elektronischem Trap oder mutigen Genre-Mischungen von Kanye. CopKKKilla und Depressionen im Ghetto passen dagegen voll in ein Jahr, in dem jeder Straight Outta Compton im Kino gesehen hat. Wieso passen so unterschiedliche Einflüsse so gut zusammen?

Bazzazian: Das ist schwer zu erklären. Das ist einfach der Geschmack, den Erfan, Aykut und ich haben. Irgendwie passt es einfach.

Erfan: Ben [Bazzazian, Anm. d. Red.] sitzt nach den Aufnahmen noch wochenlang an den Vocals, verändert immer wieder den Beat und macht neue Remixes. So entwickeln sich die Songs. Aykut gibt ihm die Plattform und Ben geht dann damit los und macht das Ding fertig. Der Unterscheid zu den ersten Aufnahmen ist oft enorm.

Dadurch kann er natürlich gut dafür sorgen, dass alles zusammenpasst. Bazzazian, dein Sound hat sich über die Jahre auch stark weiterentwickelt. Hören wir auf Unzensiert den aktuellen Bazzazian-Sound oder klingt das nur so, wenn du mit Haftbefehl zusammenkommst?

Bazzazian: Das ist der Sound, der entsteht, wenn ich für Haftbefehl – mit seiner Stimme im Hinterkopf – produziere. Er lässt mir alle Freiheiten und vertraut mir.

Nur drei Songs stammen nicht von dir. Welche?

Bazzazian: Hang the Bankers ist von Jimmy Torrio, der auch Schmeiß den Gasherd an gemacht hat. Kalash und Alles dreht sich hat SOTT produziert. Das ist ein junger Kerl aus Offenbach, der auch viel für das Azzlackz-Camp produziert.

Wie kam es zu den Features mit Moses Pelham und Ufo361?

Bazzazian: Für Aus Hater werden Fans hat uns einfach noch ein Part gefehlt. Wir haben dann diverse Leute besprochen, die zu dem Thema passen würden. Das mit Moses haben schließlich Aykut und ich eingefädelt. Ufo hat Erfan klargemacht. Das kam überraschend, aber er passt echt gut mit Hafti zusammen. Mal gucken, was in Zukunft noch von den beiden kommt.

Ihr habt jede Menge Azzlackz-Nachwuchs auf dem Tape. Was plant ihr mit den Jungs?

Erfan: Viele sind zwischen 16 und 19. Aykut wollte ihnen eine Plattform bieten. Er hat was mit den Jungs vor, aber mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Man wird sie auch auf dem Sampler hören.

Dann warten wir mal ab, wann es mit dem Sampler soweit ist. Veysel war nach seinem Weggang für das Mixtape keine Option?

Erfan: Wir haben kaum Kontakt. Ich glaube, Celo hatte noch mal mit ihm gesprochen, aber sonst haben wir nichts mehr von ihm gehört. Ich wünsche ihm alles Gute!

Wie siehst du Haftbefehls Rolle in der Öffentlichkeit aktuell und wo willst du, als sein Manager, ihn hinbringen?

Erfan: Wenn du jemanden wie Haftbefehl hast, der durch seine äußere Erscheinung und seine Texte bereits seine Geschichte verkörpert, kannst du das "Produkt" auch gut an den Mann bringen. Die Musik gibt vor, was Haftbefehl ist. Deshalb arbeiten wir an der Musik und müssen uns um das Image keine Gedanken machen.

Damit, dass das Feuilleton Haftbefehl plötzlich feiert und zum Goethe der Straße kürt, konnte man aber nicht rechnen, oder?

Erfan: Doch. Das liegt zum einen an seiner Musik und zum anderen daran, dass wir die Journalisten aus dem Mainstream abgecheckt haben, bevor Haftbefehl mit ihnen gesprochen hat. Wir haben uns die Journalisten ausgesucht und mit ihnen viel gesprochen, damit sie Haftbefehl verstehen.

So kann man's natürlich auch machen. Und dass es jetzt in Berlin Hipster geben soll, die Haftbefehl nur ironisch feiern? War das auch gewollt?

Bazzazian: Ich glaube nicht, dass es das gibt. "Ironisch feiern“... Ich glaube, sie feiern ihn ernsthaft und werden höchstens ironisch, um es nicht zugeben zu müssen.

Auf Seite 3 sprechen wir über das Risiko von politischen Texten, das Cover von Unzensiert, Verschwörungstheorien und einen alternativen Mixtape-Titel.

Auf Unzensiert zeigt sich Haftbefehl auch wieder anders. Es ist ein bisschen sozialkritischer...

Bazzazian: Haha, ja. Wir wollten nicht um jeden Preis ein sozialkritisches Mixtape machen. Ich glaube, das ist aktuell einfach die allgemeine Stimmung.

Dass es um Politik geht, zeigt auch das Cover. War eigentlich Malcolm X oder Boogie Down Productions das Vorbild?

Erfan: Malcolm X. Dieses berühmte Bild fiel mir ein, wir wollten es erst zeichnen lassen, haben es dann aber so umgesetzt.

Politischer zu werden kann für einen Künstler auch nach hinten losgehen. Siehe Xavier Naidoo.

Erfan: Er ist auf Montagsdemos aufgetreten. Das hat nichts mit "sozialkritisch sein" zu tun. Das ist einfach etwas, das man nicht macht. Jeder weiß doch, was das für Demos sind.

Klar, was das angeht, kann man Haftbefehl nicht mit Xavier vergleichen. Wegen einer Parallele kam ich auf den Vergleich: Verschwörungstheorien. Xavier hat sich welche ausgesucht, die "Reichsbürgern" gefallen, Haftbefehl thematisiert Chemtrails. Aber hörst du als Manager nicht dreimal ganz genau hin, ob auf Hang the Bankers nicht Lines sind, die euch völlig zu Recht Probleme machen könnten?

Erfan: Nein. In erster Linie ist das Kunst. Sind K.I.Z. Nazis?

(lacht) Nein. Wenn überhaupt, sind sie Kommunisten.

Erfan: Eben. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Okay, es ist Kunst. Aber der Song klingt nicht, als wollte Olexesh die verballerten Verschwörungstheoretiker vorführen. Einiges davon glaubt er doch auch selbst, oder nicht?

Erfan: Das ist einfach Unterhaltung. Der Song gibt das wieder, was die Kiddies sich abends im Internet auf einem Joint reinziehen. Jeder befasst sich auf einmal damit.

Es bestätigt einen doch, wenn Haftbefehl offensichtlich auch an Chemtrails glaubt. Da kommt sich der Horst, der aus einem Ventilator eine Chemtrail-Abwehranlage baut, gleich gar nicht mehr so dämlich vor.

Erfan: Ich glaube, die Hörer können da schon differenzieren. Wir sind alle erwachsene Männer. Olexesh kümmert sich um seine Familie, der hat was anderes zu tun, als sich abends mit Verschwörungstheorien zu beschäftigen. Mit der Argumentation könntest du ja auch Kollegah und Farid Bang für die Schiene kritisieren, die sie fahren. Aber das kannst du doch einordnen. Der Song spiegelt wieder, womit sich die Leute zurzeit beschäftigen.

Chemtrails und Reptiloide sind ja auch nicht so kritisch, wie all die Theorien, bei denen am Ende rauskommt, dass die Juden an allem Schuld wären. Erklärt doch mal die "Rothschild-Theorie". Das kommt so oft vor, man könnte meinen, das wäre mal als Mixtape-Titel geplant gewesen.

(Beide lachen)

Erfan: Was sagst du denn, Toxik? Was ist die Rothschild-Theorie?

Da gibt es zwei Ideen: Erstens gibt es die Verschwörungsschiene, mit den Rothschilds als mächtiger Banker-Familie und angeblichem Mitglied der Illuminaten. Man könnte sich aktuelle Monopolisten wie Google oder Facebook vornehmen. Von den Monopolisten der Industrialisierung könnte man Henry Ford oder J. P. Morgan nehmen. Aber man nimmt Mayer Amschel Rothschild, den Juden in der Runde. Das riecht dann nach Antisemitismus. Die zweite Idee, wie es gemeint sein könnte: Haftbefehl vergleicht sich mit Rothschild und feiert ihn. Weil Rothschild aus Frankfurt kam und genau wie Haftbefehl hinter dem Geld her war. Dann wäre Haftbefehl pro Rothschild.

Erfan: Richtig, schön gesagt! Nummer Zwei ist es.

Bazzazian: Die Leute, die sich die Platte genau anhören, werden auch auf die Zeile "egal welche Religion, Mensch ist Mensch / jeder, der anders denkt, soll in der Hölle brenn'" stoßen. Ich habe extra den Beat aussetzen lassen, damit die Line nicht untergeht. Mit der Zeile macht er sämtliche solche Vorwürfe zunichte. Da sagt er überdeutlich seine Meinung. Deshalb bin ich einfach gespannt, ob die Leute es raffen werden oder weiterhin mit solchem Quatsch um die Ecke kommen. Ich hoffe, die Menschen verstehen es.

Cooles Schlusswort. Trotzdem, Bonusfrage: Da ihr wohl noch nicht das Release Date für das kommende Album ankündigen wollt, sagt mir doch in welche Richtung ihr im Studio grade arbeitet.

Bazzazian: Wir machen jetzt wieder GANZ andere Sachen.

Erfan: Ich glaube, mit dem, was jetzt kommt, wird KEINER rechnen. Und es wird definitiv kommen.

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