"Über die positiven Dinge zu rappen, ist langweilig. Feindbilder sind interessanter." - Fatoni im Interview

Mit Yo, Picasso erschien kürzlich das umjubelte zweite Soloalbum des ehemaligen Creme Fresh-Mitglieds Fatoni und auch wir waren so begeistert von der kritischen Beobachtungsgabe des Münchners, dass wir ihn direkt als Chefredakteur einstellen wollten. Nachdem er dieses Amt aus intellektuellen Gründen ablehnen musste, haben wir stattdessen ein ausführliches Interview zu den relevanten Themen dieser Zeit geführt.

Dem Song Benjamin Button kann man entnehmen, dass du mittlerweile, nach Jahren als Teil diverser Gruppen, deinen eigenen Stil gefunden hast. Was würdest du als charakteristische Merkmale dieses Stils bezeichnen?

Fatoni: Ich kann dir nur sagen, was andere Leute, insbesondere Musikjournalisten, über mich sagen. Die meinen, dass ich die Welt und bestimmte Bereiche scharf beobachte und treffend sarkastisch beschreibe. Ich glaube, das stimmt auch. Außerdem... (überlegt) rappe ich gut. Meine Texte sind mein Alleinstellungsmerkmal.

Ein weiteres Merkmal sind subtile politische Botschaften, die ohne den berüchtigten Zeigefinger auskommen. Auf Benjamin Button stellst du augenzwinkernd fest, dass nicht jeder Musiker ein politisches Bewusstsein benötigt. An welche Art von politischen Songs hast du bei dieser Aussage gedacht?

Fatoni: Was politisch ist, ist natürlich auch immer eine Definitionsfrage, und ich würde jetzt ungern konkrete Namen nennen. Mich nerven so völlig unreflektierte Deutschlandsongs, die es schon mehrmals im deutschen Rap gab. Ich glaube auch, dass die Leute denken, dass ihre Songs reflektiert sind, aber das sehe ich anders. Mir geht es hier um Hymnen, die zeigen sollen, was für ein tolles Land Deutschland ist. Ein anderer Rapstar hat da auch mal eine ganze Kampagne gefahren: "Wir haben keinen Nationalstolz. Und das alles bloß wegen Adolf - ja toll. Schöne Scheiße, der Typ war doch eigentlich 'n Österreicher." (rappt) Der Song, auf den du anspielst, ist aus der Perspektive eines enttäuschten Fans geschrieben und es geht auch um die Veränderung des Künstlers, in eine Richtung, die sich von den eigenen Ansichten unterscheidet. 

Gibt es bei all der berechtigten Kritik deutschsprachige politisch motivierte Songs, die du positiv hervorheben kannst?

Fatoni: Oranienplatz von Zugezogen Maskulin, die Antilopengang oder auch K.I.Z.. Die sind klug, schreiben bessere Texte und haben eine bessere politische Einstellung als andere Künstler. Natürlich nur aus meiner Diktatoren-Sicht. Biergarten Eden ist zum Beispiel ein gutes Deutschlandlied.

Die Frage stelle ich dir, da über Jahre von deiner Seite aus einige Songs mit sehr negativen Szenebetrachtungen zusammengekommen sind. 

Fatoni: Ja, das kann sein, aber über die positiven Dinge zu rappen, ist ja langweilig. Feindbilder sind einfach interessanter.

Welche Auswüchse der Rapszene stören dich ganz konkret?

Fatoni: Dass die Wackness immer am Stärksten und am Gehyptesten ist, weil da irgendwelche Leute scheinbar Bock drauf haben. Ich kann das nicht verstehen und habe mich auch mittlerweile damit abgefunden. Mich stört außerdem, dass ich Interviews gebe und mir Fragen gestellt werden wie: "Wie findest du eigentlich den und den?", nur um dann in die Überschrift schreiben zu können: "Fatoni über...", und dann der Name des Rappers. Die Frage wird nur gestellt, um dieses "über" in die Überschrift schreiben zu können. Das ist halt voll der Quatsch. 

Auf der nächsten Seite spricht Fatoni über eine der Schattenseiten des Rapper-Lebens und kündigt Konsequenzen an. 

Den für deine Musik charakteristischen Zynismus hast du lange Zeit mit dem "gescheiterten Zyniker" Edgar Wasser geteilt, mit dem du auch ein gemeinsames Album veröffentlicht hast. Dieser hat im Anschluss an sein letztes Album seiner Wut auf die Szene, die Fans und den Zwängen innerhalb einer Promophase in einem Song Luft gemacht. Kannst du seine Kritik ein Stück weit nachvollziehen?

Fatoni: Ich bin ja gerade in meiner Promophase und kann das daher sehr gut nachvollziehen. Man ist ja nicht Musiker, weil man Werbung machen, sondern weil man eben Musik machen möchte und Rapper sein will. Dieser Teil macht natürlich weniger Spaß, auch wenn mich das Gespräch jetzt nicht nervt. Man muss als Teil einer Industrie etwas machen, das nichts mit den Gründen zu tun hat, wegen denen man Musiker geworden ist.

Ziehst du daraus irgendwelche Konsequenzen?

Fatoni: Nee, ich bin ja gerade mittendrin, aber vielleicht ziehe ich Konsequenzen für das nächste Release. Im Augenblick bin ich ja in dieser Maschinerie und ziehe die durch, bis es vorbei ist. 

Welche Konsequenzen könnte man zum nächsten Release denn ziehen? Du hast zum Beispiel eine Box gemacht, obwohl diese auf deinem gemeinsamen Song mit Weekend und 3Plusss noch belächelt wurde.

Fatoni: Die Zeile auf dem Song rappt ja Weekend, der schon zig Boxen mit Schneekugeln und so weiter auf dem Markt hat. Ich glaube, das war auch ein Stück weit Selbstkritik.

Er hat allerdings beim folgenden Album keine Box gemacht.

Fatoni: Ja, aber das war auch kein richtiges Album mit Promophase. Da hat er ja fast gar nichts dafür gemacht, sondern einfach nur die CD rausgehauen und zwei Videos gedreht.

Das könnte ja zum Beispiel eine Konsequenz sein.

Fatoni: Ja, aber ich glaube, solche Sachen sind immer nur Trends. Ich habe jetzt eine Box, aber in meiner Box ist fast nur Musik drin. Da geht es schon fast ausschließlich um Musik. In meiner Box ist kein Feuerzeug mit meinem Gesicht drauf oder ähnliches. Ich weiß allerdings nicht, ob ich jemals wieder eine machen werde.

Welche tragischen Schicksale Fatoni während des Videodrehs zu 32 Grad erlebt hat erfährst du auf der nächsten Seite.

Lass uns über die Inhalte deines Albums sprechen. In der Schlussszene des Videos zum Song 32 Grad sieht man Unmengen an Schlauchbooten und Rettungswesten, die von ankommenden Flüchtlingen stammen. Was ist das für ein Gefühl, an einem solchen Ort zu stehen?

Fatoni: Ich war da (in Lampedusa, Anm. d. Red.) fünf Tage und das war ziemlich hart. Ich war dort bei Flüchtlingsankünften dabei und habe auch mit Einheimischen, Helfern und Flüchtlingen gesprochen. Ich war auch schon privat auf der Insel und irgendwann werden solche Bilder einfach zur Normalität. Auf der Insel leben auch einfach Menschen, für die das mit der Zeit zur Normalität geworden ist. Die Strände sind komplett voll mit Rettungswesten und Schlauchbooten. Am Anfang war es ein wahnsinnig krasses Gefühl, bei Ankünften dabei zu sein, aber irgendwann merkt man, dass das der Alltag auf dieser Insel ist, mit dem alle klarkommen müssen. Ich hab' mir dann eher so konkrete Fragen gestellt wie: "Was passiert eigentlich mit all diesen Menschen?", und keine Antwort darauf gefunden. Das war dort auch alles extrem unorganisiert. 

Was konnten dir Einheimische über die Situation vor Ort sagen?

Fatoni: Die sind einfach verzweifelt, weil nächstes Jahr keine Urlauber kommen werden, alle pleite sind und das Land komplett im Sack ist. Die Flüchtlinge kommen dort an, sollen auf andere Länder verteilt werden, die machen aber die Grenzen zu. Auf der anderen Seite habe ich auch viele Einzelschicksale von den Menschen aus Syrien mitbekommen.

Welche Schicksale waren das?

Fatoni: Eine tote Familie, einen toten Freundeskreis, dann das komplette Geld zusammengekratzt und abgehauen. So richtig krasse Stories einfach. 

Wie geht es jemandem, der mit solchen Eindrücken zurück nach Deutschland kommt und sieht, dass es mittlerweile selbst bei Hiphop-Medien krasse Anfeindungen gegen Flüchtlinge gibt?

Fatoni: Was heißt denn: "Selbst bei Hiphop-Medien?" Hiphop ist nicht mehr Hiphop in dieser Frage. Fler schreibt einen komplett rassistischen Brief gegen Farid. Gib dir mal diesen Post und diese ekelhaften Kommentare da drunter. Das ist im Augenblick Rap in Deutschland. Deutschland ist ein rechtes Land und da Rap ein Spiegel der Gesellschaft ist, finden sich unter einem solchen Post dumme rechte Jugendliche, die noch nicht einmal wissen, dass sie rechts sind. Die Leser von Hiphop-Medien sind nicht besser als die der anderen Magazine. Ich war positiv überrascht, wie viele Rapper sich zu dem Thema geäußert haben, aber natürlich könnte da immer noch mehr gehen. Das ist aber auch ein wirklich schwieriges Thema und es fällt mir schwer hier mehr zu sagen.

Dann lass uns dieses Thema verlassen. Du bist als Schauspieler Teil der viel kritisierten deutschen Fernsehlandschaft, die qualitativ teils deutlich hinter anderen Länder zurückliegt. Was macht Deutschland hier schlechter als die vielzitierten Amerikaner? 

Fatoni: Wir haben ein riesiges Problem in der gesamten deutschen Unterhaltungsbranche. Die ist nicht gut und einfach nicht konkurrenzfähig. Da musst du nicht nach Amerika gehen. Schau dir europäische Länder an, die nicht größer sind als wir. England beispielsweise. Das Unterhaltungsbranchenproblem hat viel mit den Nazis und dem dritten Reich zu tun. Hitler hat die meisten guten Leute innerhalb der Unterhaltungsbranche entweder umgebracht oder die sind abgehauen. Seitdem hat es Deutschland nicht mehr geschafft, wirklich unterhaltsam oder witzig zu sein. Zumindest nur in Ausnahmen. Andere Länder haben mehr Eier und geben jungen, kreativen Leuten mit neuen Ideen auch Verantwortung und Geld, um diese Ideen umzusetzen. In Deutschland gibt es nur wenige gute Sachen wie Stromberg, Der Tatortreiniger und Jan Böhmermann.

Wir haben viel über Merkmale deiner Musik gesprochen. Kannst du zum Abschluss des Interviews den Künstler Fatoni anhand einer exemplarischen Zeile deines Albums zusammenfassen?

Fatoni: Fuck, das ist eine krasse Frage... (überlegt) "Schau mal all die anderen, die waren früher besser, doch bei mir ist das anders, ich war früher schlechter."

Marc Schleichert

Autoreninfo

Marc Schleichert ist seit Anfang 2014 ein Teil von Hiphop.de und leitet hier den Textinterview-Bereich. In dieser Funktion spricht er regelmäßig sowohl mit hungrigen Newcomern als auch mit alteingesessenen Künstlern.

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Kategorie

Groove Attack by Hiphop.de