Was ist mit der Realness? Wie Live-Rap einen Wertewandel dokumentiert

Wer sich schon mal mit dem Freestyle Wortgenerator RapScript beschäftigt hat, der weiß, dass Freestylen eine ziemlich schwierige Sache ist – sogar, wenn die Worte einem zufliegen. Black Thought von The Roots hat jüngst eindrucksvoll demonstriert, dass er die Kunst des freien Rap-Vortrags auf einem überragenden Niveau beherrscht. Ein Beat und starke Parts bilden wohl immer noch die Essenz von Rap. Mehr braucht es nicht, um zu zeigen, wer man ist und was man darstellen möchte. Rap ist heutzutage jedoch ein weites Feld. Von lyrischen Großtaten bis hin zur Zwei-Minuten-Hook-Dauerschleife geht eigentlich alles.

Dabei sind Freestyles oder live gerappte Parts besonders im amerikanischen Radio weiterhin an der Tagesordnung. Bei Funkmaster Flex oder Peter Rosenberg auf Hot97 rappen regelmäßig die großen US-Stars und beweisen, dass in ihnen echter MC-Geist steckt. Auffällig oft fallen die Jungen und Wilden dabei ziemlich ab. Wer sich Lil Yachtys spontane Einlagen reinzieht oder nun Kodak Black über den Beat murmeln hört, der erkennt schnell, dass dort unter den alten Skill-Gesichtspunkten nicht viel zu holen ist. Bei ihnen geht es mehr um Melodien, Timing und das Gespür für einen Hit. Der Competition stellen sie sich Jungs trotzdem.

Kodak Black - ProjectBaby Freestyle

Uploaded by Kodak Black on 2017-12-19.

LIL YACHTY & ROSENBURG FREESTYLE HOT 97

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Schon der Beef zwischen Drake und Meek Mill hat offenbart, dass es dem Zuhörer immer egaler zu werden scheint, was der Künstler eigentlich an Basic-Elementen drauf hat. Ghostwriting-Vorwürfe nehmen die Fans genauso hin wie die vermeintliche Unbedarftheit beim Live-Vortrag. Das Bewusstsein für Hiphop und Rap scheint sich nachhaltig geändert zu haben. Eine prägnante Line reicht inzwischen zum weltweiten Ruhm. Also warum sich die Mühe machen und unter Anstrengung in Bruchteilen von Sekunden nach krassen Reimen suchen? Black Thought steht für genau das Gegenteil ein und kämpft mit seiner Performance an der Front derer, für die Rap mehr ist, als irgendwie melodisch den Takt zu halten. In Amerika gehen beide Lager in die Radio-Stationen und erlauben so den direkten Vergleich. Real Rap und pure Ignoranz liegen dort oft nur ein paar Sendungen auseinander.

In Deutschland sind es Wenige, denen man überhaupt zuschreiben würde, freestylen zu können. Die Kultur des Live-Raps in Radio- oder Fernsehstationen ist zwischenzeitlich ziemlich zum Erliegen gekommen. Anfang der Neunziger hatte die Ausdrucksform sogar noch eine eigene Sendung. Bei Freestyle waren so gut wie alle Elemente vertreten und wer dort Rappen wollte, der griff zum Mic. In den letzten Jahren erlebt das Live-Rap-Ding wieder einen kleinen Aufschwung. Zwar gibt es weiterhin keine Freshman-Cypher nach amerikanischem Vorbild, aber vor allem A-cappella-Rap findet bei Formaten wie DLTLLY und Rap am Mittwoch statt. Auch hauseigene Formate wie Besieg den Beat zeigen, dass beispielsweise Leute wie Lakmann es auch in diesen Zeiten locker draufhaben, im Vorbeigehen ein Instrumental zu zerlegen.

Lakmann - Besieg den Beat (Staffel 5 Folge 13)

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Den Versuch, übers Radio die Skill-Demonstration zurück an die Öffentlichkeit zu holen, unternimmt die Flexclusive-Cypher. Allerdings werden auch hier Parts gerappt und keine freien Assoziationsketten gedroppt. Ein Beat, ein Mic und ein Text (egal, welchen Ursprungs) reichen um zu zeigen, was man als MC zu leisten im Stande ist. Totale Aussetzer wie bei den Kostproben der Jungs aus den Staaten sucht man hier noch vergebens. Die Rapper, die hierzulande am ehesten in den musikalischen Kosmos eines Kodak Black passen würden, suchen nicht gerade eine solche Bühne.

Wer brüllt oder sichtliche Probleme hat, Atempausen in sein Reim-Pattern zu integrieren, der enttarnt sich schnell als bloßer Studio-Rapper. Und trotz des hohen Levels an Ignoranz möchten vielleicht einige gar nicht, dass dieses Urteil über sie gefällt wird. Das könnte neben der Alles-Egal-Attitüde einer der Gründe zu sein, warum sich die junge Generation immer wieder auf die Live-Checks einlässt. Die Lils und Kodak Blacks der Welt wollen eventuell sogar ernster genommen werden, als es zunächst den Anschein macht. Dazu gehört dann auch, sein Können ins Schaufenster zu stellen, wenn der Autotune-Regler nicht auf Anschlag gestellt ist und das Playback läuft. Oder es greift tatsächlich das naheliegendste Argument: Sie interessieren sich nicht dafür, was irgendwer von ihnen hält, solange die Kasse stimmt und ihnen genug Aufmerksamkeit zu Teil wird.

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