OG Keemos "Vorwort" ist das beste Deutschrap-Intro des Jahres
OG Keemo im "Vorwort"-Musikvideo

Wer die letzten Wochen verschlafen hat, hat dringenden Nachholbedarf. OG Keemo und Funkvater Frank haben mit "Skalp" nicht nur eins der besten Releases 2018 abgeliefert, sondern gleichzeitig eins der epischsten Intros der letzten Jahre:

OG Keemo - Vorwort (Official Video 4k)

OG Keemo gleitet durch die Straßen wie ein Mantarochen. Das Skalp Tape ist ab jetzt überall: https://og-keemo.lnk.to/skalptapeID Ab dem 23.11.

Die erste Frage stellt sich, als der Song noch gar nicht richtig angefangen hat: Hat Franky da wirklich "Shook Ones" geflippt? Ja, und wie er das hat! Der Vibe des Originals bleibt spürbar, die Härte der Straßen New Yorks weicht jedoch einem surrealen Gefühl, als würde man mit verschwommenem Blick nach einer Silhouette fassen, die man einfach nicht zu packen bekommt. Bevor man sich darin verliert, sorgt der junge Keemo Sabe für etwas Greifbares:

"Ja, es war'n paar lange Wochen"

Sechs Worte reichen, um verheißungsvoll den Schatten auf die kommenden vier Minuten vorauszuwerfen. Würde man hier schon zum ersten Mal die Stopptaste drücken, ginge jedem Hörer eine ganze eigene Assoziation durch den Kopf. Zunächst wird aber representet. In einem technischen Massaker grenzt Keemo sich von Standardfloskeln droppenden Tanzgenossen ab, hält die Fahne für den Zonkeymobb in die Luft und lässt angebrochene Wangenknochen zurück. Das wirkt beim Hören ziemlich leichtfüßig dahergereimt, offenbart bei genauerer Betrachtung aber eine Finesse, die zu den Stärken des Mannheimers gehört. Ein detaillierter Blick auf die ersten Zeilen des Tapes:

Das Klangbild ist unfassbar dicht – noch deutlich mehr A-Laute als nur die grün markierten sind hier eingebaut worden. Der Textabschnitt zeigt bereits deutlich, wie gekonnt Keemo mit Assonanzen (also ähnlich klingenden Silben) nicht nur zeilenübergreifend, sondern auch innerhalb einzelner Bars jongliert. Die Formulierungen klingen trotzdem natürlich – anders als bei den meisten MCs, die mit teils schwachsinnigen Mehrfach-Nomenreimen ihre Technik-Skills hervorheben wollen.

Noch bevor Frankys Beat nach etwa anderthalb Minuten mit Kicks und Bassline droppt, gibt es zwei besonders eindringliche Lines. Die erste davon bekommt ein Setup über mehrere Zeilen. Andere rappen: "Kopf ist gef*ckt" – legitim und effektiv, aber auf Mannheims Straßen ist der Anspruch ein anderer:

Uff. Keine klassische Punchline, aber durch den Aufbau und die Auflösung knallt die letzte Zeile umso heftiger. Es ist bemerkenswert, mit welcher nahezu romantischen Bildsprache Keemo den Winter heraufbeschwört und gleichzeitig ausdrückt, dass er sich an einem emotionalen Tiefpunkt befindet. Inhaltlich, technisch und phonetisch eine der besten Passagen des Jahres, wenn ihr mich fragt. Poesie, wie wir sie nur selten zu hören bekommen.

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Den Grund für seinen Mindstate erfahren wir nur wenig später. Das anderthalbminütige Intro von "Vorwort", also die 90 Sekunden auf "Skalp", endet mit der Auflösung, dass OG Keemo im letzten Jahr seine Mutter verloren hat.

"Unterschrieb den Vertrag 'nen Tag, nachdem ich sie begraben hab' / Der Start meiner Karriere hat auf ewig einen Nachgeschmack, f*ck"

Man muss erstmal die Luft anhalten. Der Fast-zwei-Meter-Hüne, dessen Texte sonst vor Diebesgut platzen, entblößt grade sein Innerstes. Der Song ist spätestens (!) ab dieser Stelle sehr viel mehr als 90 % deutschsprachigen Rap-Outputs 2018: nämlich etwas Echtes. Und das spürt man an allen Ecken.

Von "Get Rich Or Die Tryin'" im Kinderzimmer über Diebesphasen mit dem Mobb bis hin zu wichtigen Erkenntnissen aus seinem ersten Vierteljahrhundert auf der Erde webt Keemo ein ums andere biografische Detail in Frankys maßgefertigten Soundteppich.

"Ich rede wenig und guck, wie ich Worte wähl' /

Ich stell' mir jeden Morgen vor, wie meine Brüder sich mein' Lebensweg als Vorbild nehm'n /

Und schwör', solang ich morgen leb' /

wird keiner von ihn' jemals einmal durch dieselben Pforten geh'n"

Das Ergebnis ist ein Unikat, das seinesgleichen sucht. Mindestens seit Capos Intro zu "Alles auf Rot" hat es keine derart packende Eröffnung mehr zu einem Album oder Tape gegeben. Das Gute ist, dass Keemo hier grade erst anfängt. Auch wenn "Vorwort" ein – vielleicht sogar das – Highlight der neuen Platte ist, gibt es überall clevere Wortspiele, Reime und Gedanken zu entdecken.

Von den Beats ganz zu schweigen: Funkvater Frank hat seine ganz persönliche Handschrift, die brachiale Trap-Elemente mit einer bunten Palette aus Samples und Effekten vermengt, ohne wie etwas zu klingen, das wie etwas anderes klingen möchte – aber das wäre ein eigener Artikel.

"Vorwort" ist nicht nur eins der besten Intros der letzten Jahre. Der Song ist auch ein Blick auf das Potenzial, das noch in OG Keemo schlummert. Sein Style sticht schon jetzt aus der Szene heraus und begeistert Fans, Kritiker und andere Rapper gleichermaßen. Aber wenn der Zonkeymobb irgendwann jeden erdenklichen Wertgegenstand aus jedem Domizil entwendet hat und Keemos Eichel jedes Gaumenzäpfchen der Welt zu einem Boxsack gemacht hat, könnte uns noch viel mehr blühen. Der Mann hat noch lange nicht alles erzählt, was er zu sagen hat.

OG Keemo & Funkvater Frank über "Skalp", Chimperator, Genetikk, Zonkeymobb & 2019-Swag (Interview)

Es ist einer dieser frühen Herbsttage, an denen du dich einfach nicht passend zu den Temperaturen anziehen kannst. Während Erdogan Köln und sämtliche Autobahnen in der Umgebung dicht macht, treffen in Düsseldorf zwei große Männer aufeinander, denen ich deutlich lieber zuhöre: OG Keemo und Megaloh sind im Zakk.

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