Von einem, der auszog, die Hiphop-Kultur zu erzählen: 187-Fotograf Pascal Kerouche

Einst flog Pascal Kerouche mit 70 US-Dollar in der Tasche nach New York, schlug sich in der Bronx durch und fotografierte die Streetrapszene des Big Apples. Mittlerweile hat er mit Snoop Dogg gearbeitet, zwei Fotobände herausgebracht, begleitet die 187 Strassenbande bei ihren ausverkauften Tourneen als Fotograf und greift lukrative Werbedeals ab. Das wichtigste Kriterium seiner Bilder ist dabei seine Authentizität. Damit beantwortet er nichts Geringeres als die Gretchenfrage der globalen Hiphop-Community nach der Realness und gleichzeitig die nach seinem Erfolgsgeheimnis mit einem klaren Ja. Die Geschichte von einem, der auszog, die Hiphop-Kultur zu erzählen.

Nas, Xzibit – Pascal Kerouches anfängliche Fotomotive lesen sich wie die von jemandem, der es auf Anhieb geschafft hat. Und das Mitte der 90er in Bremervörde, im Niemandsland zwischen Weser und Elbe. Die Nachbarschaft heißt Hesedorf, Spreckens, Nieder Ochtenhausen – Namen, die noch nicht mal nach Endhaltestelle eines Busses klingen, sondern eher nach von-den-Eltern-abgeholt-werden-müssen. Weit weg ist hier so ziemlich alles. Vor allem New York.

Hamburg-Sternschanze, 2018. Touri-Hotspot, Hipster-Laufsteg, zur Folklore verkommenes alternatives Viertel. Place to be, sehen und gesehen werden. Vor dem Fenster das Schulterblatt, die Rote Flora, explosive Zeitgeschichte. Pascal und ich sind zum Interview in seiner Bürogemeinschaft verabredet, die er sich mit anderen Kreativen teilt.

„Die allererste Arbeit, für die ich je Geld bekommen habe, war das Cover zu Outlawz – Mix Collaboration Vol. 1 – da bin ich noch zur Schule gegangen“, erinnert sich Pascal an den Anfang der Nullerjahre und führt aus, wie es dazu kam: „Die hatten damals so ein Internetfanforum, in dem auch ich angemeldet war. Zu der Zeit war gerade ein neues Album von denen erschienen für das ich aus Spaß Flyer gemacht habe. Promoflyer, einfach weil ich grafikinteressiert war. Die Flyer habe ich online gestellt, die Jungs haben die dann gesehen, fanden die cool und haben mich daraufhin gefragt, ob ich nicht Bock hätte, für sie ein Cover zu machen.“

Das alles noch ohne geschäftlichen Hintergedanken – weil er die Hiphop-Kultur liebt und lebt. Von den technischen Seiten des Fotografierens hat er auch da noch keine Ahnung. Pascal macht einfach, er denkt nicht groß nach – eine Eigenschaft, die ihn bis heute auszeichnet. 2004 geht er nach New York.

„Dabei war mein Interesse an New York gar nicht so groß. Ich habe zwar am Anfang Wu-Tang, aber dann hauptsächlich G-Funk gehört. Ganz viel Bay-Area–Kram und solche Sachen. Aber das Flugticket nach New York war damals einfach günstiger als eines an die Westküste“, lacht er. „Außerdem bist du in L.A. ohne Auto aufgeschmissen. New York kann man zu Fuß und mit der U-Bahn entdecken. In Los Angeles fährt die U-Bahn nur dahin, wo man nicht hin will.“

70 Dollar und ein Rückflugticket für ein paar Monate später hat Pascal in der Tasche, als er nach New York geht. Die erste Bleibe: eine Drei-Zimmer-Wohnung, die er sich mit fünf Mitbewohnern teilt. „Ich hatte mir erst ein Jahr Zeit gegeben, um zu gucken, wie sich das entwickelt. Danach, so hab ich mir gesagt, könne ich immer noch eine Ausbildung oder so was machen.“ Aus dem Jahr im Big Apple sollten letztendlich fünf werden, nur unterbrochen für Rückflüge, um das Visum zu erneuern.

"Hiphop als Kulturform ist eine Demonstration der Anwesenheit derjenigen, welche in der medial vermittelten Welt sonst abwesend waren."

(Jan Kage, Autor des Buches „American Rap – US HipHop und Identität“)

Pascal begibt sich auf die Spuren der Hiphop-Kultur im Herzen ihres Geburtsortes. Nur für sich, immer noch. „Ein Auslöser, diese Welt mit der Kamera aufzunehmen, waren Bilder der UK-Grime-Szene, die ich damals sah. Leider weiß ich nicht mehr, wer die gemacht hat, aber dass die mich damals richtig geflasht haben. Die Fotos informierten einen nicht einfach, sie machten die Szene selbst für einen Laien so lebhaft, wie ich es zuvor noch nie erfahren hatte. Ich wollte die HipHop-Welt auf die gleiche Weise erzählen: So, wie ich sie sehe.“

Schnell findet er Zugang zu denen, die ihn faszinieren: Den einfachen Menschen, den Menschen am Rand der Gesellschaft. „Es gab nie irgendwelche Berührungsängste. Anfangs war ich viel mit New Child unterwegs, einem Local, den man dort in der Szene kannte, der hatte also Street Credibility. Es lag aber sicher auch daran, dass die Leute wussten, dass ich in der Bronx wohnte. Das hat sich dann schnell rumgesprochen. Ich war halt nicht der, der aus Deutschland einflog und in irgendeinem netten Hotel in Manhattan wohnte, um dann rauszugehen und mal eben Straße zu fotografieren. Im ersten Jahr habe ich in der Bude sogar auf dem Boden geschlafen und mich nur von Croissants ernährt, die ich täglich für 'nen Dollar an einem dieser Corner Stores kaufte, die es dort an jeder Ecke gibt. Nicht, um mal zu erleben wie das ist, nichts zu haben – sondern weil ich selbst keine Kohle hatte. Dass ich das so durchgezogen habe, ohne zu wissen, wie sich das letztendlich entwickeln wird, und trotz prekärer Lage, das hat mir viel Respekt eingebracht.“

"Diesen Beginner-Hype um 'Advanced Chemistry' habe ich nie verstanden"

(Pascal Kerouche)

Mit dem Hiphop-Deutschland seiner Jugend konnte Pascal hingegen nie etwas anfangen. Rap von und für Kiffer, Studenten, Leute aus der Mittelklasse, wie er damals in den 90ern eigentlich von fast jedem gemacht wurde, war so gar nicht sein Ding. Auch als sich die härtere Hauptstadt zu den damals biederen Hiphop-Hochburgen Hamburg und Stuttgart gesellte, änderte sich das nicht.

„Savas und dieses ganze Ich-f*ck-deine-Mutter-Gehabe war überhaupt nicht meins. Ich war aus deutschem Hiphop voll raus. Ich habe meinen eigenen Film geschoben, meinen US-Film. Wahrscheinlich hätte ich auch in Deutschland eine Szene gefunden; Aspekte, die man gut hätte fotografisch festhalten können. Zum Beispiel die ganzen Jams, die es natürlich auch hier gab. Es wäre sicherlich auch interessant gewesen, zu dokumentieren, wie sich das hier alles entwickelt hat. Ich konnte aber auch mit der Attitude der Leute in den Staaten mehr anfangen. Dort war man viel offener, gerade Newcomern gegenüber. Da heißt es heute noch: 'Lass mal was zusammen starten und wenn‘s scheiße wird, dann arbeiten wir halt nie wieder mit dir zusammen.' In Deutschland wurde man immer komisch beäugt.“

Zu deutschem Hiphop fand Kerouche dann doch – interessanterweise über Nico Suave, der nun wirklich nicht das Pendant zu der US-Szene bildet, deren Aspekte Pascal in New York fotografisch dokumentierte. Der Wohnort Hamburg und gemeinsame Freunde ließen die beiden zusammenfinden und schließlich miteinander arbeiten. Heute fotografiert Pascal regelmäßig deutschsprachige Künstler, darunter so unterschiedliche wie Chefboss, Estikay, Ufo361 oder die 187 Strassenbande, mit der er eng verbunden ist: „Die Jungs kommen dem US-Streetrap hierzulande am nächsten. Man merkt, dass sie in der Straßenkultur so richtig drinnen sind. Sie sind authentisch.“

„Baby needs new shoes / But his papa uses all the money for booze / A young girl is undressed in the back seat of a caddy / Calling some man daddy”

(Kool G Rap & DJ Polo – Streets of New York)

Bis sich Pascal damals, Mitte der 2000er, in New York durchsetzte, vergingen Jahre. Den Grundstein legte Mitte der Nullerjahre der lokale DJ Bad Guy, der seine Arbeit erstmals im fernen Amerika honorierte. Die Outlawz-Geschichte lief ja noch aus dem Jugendzimmer heraus. Wie für die von 2Pac mitgegründete Posse zuvor, knipste er auch für DJ Bad Guy ein Mixtape-Cover.

„Da dachte ich: 'Geil, jetzt habe ich 500 Dollar, jetzt kann ich ein bisschen leben. Mit dem Geld kam ich sonst gefühlt zwei Monate über die Runden. Ich war zufrieden, wenn ich am Ende des Monats noch 10 Dollar in der Tasche hatte. Es ging mir noch nie ums Geld, sondern immer um den Spaß. Dann entwickelte sich das. Nachdem ich den einen fotografiert hatte, kam der nächste, der auch Fotos für 'nen Cover brauchte. Die Hiphop-Welt ist ja auch drüben relativ klein, auch wenn sie von hier aus größer erscheint. Dann fotografierst du halt die Show von Busta Rhymes, dann ruft dich der nächste an, will auch Konzertfotos von dir. So entwickelt sich das.“

Pascal wird über Jahre immer wieder gebucht, fliegt nach Amerika ein, obwohl es dort natürlich auch viele gute Fotografen gibt: „Die Leute haben es geschätzt, dass ich immer wieder zurückgekommen bin. Das ich mir dort nicht nur die ersten Sporen verdient habe und dann nichts mehr von denen wissen wollte, nachdem ich zum Beispiel das Cover für das Snoop Dogg-Mixtape [Snoop Dogg Presents "The Big Squeeze", Koch Records, 2007 - Anm. d. Verf.] gemacht habe, den ich zuvor auf einer Party kennengelernt hatte. Ich halte bis heute noch Kontakte zu den Leuten von früher, mache immer wieder Dinge, wenn ich mir es erlauben kann, die andere nicht mehr machen, wenn sie ein bisschen Geld verdient haben. Und das Feedback der ganz normal lebenden Leute, die eben nicht Künstler oder irgendwie anders mit dem Business verknüpft sind, bedeutete mir immer am meisten – das ist auch heute noch so. Ich habe nie einen Unterschied zwischen den Leuten gemacht, mit denen ich zusammengearbeitet habe.“

Auch wenn Pascal persönlich und als Fotograf viel mit Straßenrap anfangen kann – das Genre ist nicht das entscheidende, sondern die Authentizität des Fotomotivs. Ganz gleich, ob es einen Künstler zeigt, einen Crackabhängigen oder Karten spielende Männer am Straßenrand in Kingston.

„Wenn ich mit jemandem was mache, der anders ist, als er sich gibt, dann fällt es mir auch schwer, mit dem zu arbeiten. Da möchte ich dann schon die Person haben, die so ist, wie sie sich öffentlich gibt. Talib Kweli zum Beispiel ist einer meiner Lieblingsmusiker. Den habe ich irgendwann mal privat kennengelernt und da hat er sich als richtig krasses A*schloch herausgestellt. So ganz anders, als man gerade von ihm erwarten würde. Bei ihm war das dann natürlich auch für mich als Person enttäuschend, so aus der Fanperspektive heraus. Das ging so weit, dass ich mir sagte: 'Den hättest du besser mal nicht kennengelernt'.“

Snapshot Zwei Eins Null Sieben: Straßenfotografie zwischen Buchdeckeln

Für Fotoreportagen reist Kerouche mittlerweile auch nach Ghana, Jamaika oder auf die Philippinen. Die Geschichten, die er von dort erzählt, sind ähnlich – nur der Hiphop-Kontext fehlt. Es ist die bittere Armut gepaart mit ehrlicher Hoffnung, die die Protagonisten eint. So sind auch die Bilder nicht so düster, wie es hier klingen mag, auch wenn sie Menschen in prekären Verhältnissen zeigen. Pascal schafft es wie kaum ein anderer, in fremde Kulturen oder zumindest in andere Schichten einzutauchen, da er selbst die Beobachterperspektive verlässt.

Eine Auswahl dieser Fotos erschien erst Anfang 2018 im Band „ZWEI NULL EINS SIEBEN“, dem Nachfolger des im letzten Jahr erschienen Bandes „Snapshot Stories“, der ausschließlich Bilder seiner Zeit in New York versammelt – finanziert über Crowdfunding, mittlerweile restlos ausverkauft. Dabei hatte er anfangs nur sporadisch fotografiert und stattdessen 80 % seiner Tätigkeit gefilmt, wie er sagt.

„Ich habe gedreht und gedreht und gedreht, bis ich irgendwann merkte, dass ich gar nicht weiß, wo ich eigentlich hin will. Ich habe einfach alles aufgenommen. Leute, die auf der Straße rappen – es gibt Material mit 50 Cent, mit Ma$e, mit Loon, der damals alles für Puff Daddy geschrieben und zu dem Zeitpunkt gerade Bad Boy verlassen hatte, aber es gab keinen roten Faden. Da saß ich dann auf hunderten Stunden Videomaterial und hatte trotzdem keine Idee, was ich eigentlich erzählen will. Fotos hatte ich auch schon immer nebenher gemacht und dann gemerkt, dass ich über die Fotografie die Geschichten erzählen kann, die ich erzählen möchte.“

Erschwerend hinzu kam die damalige Technik. Mit kleinen, handlichen Digicams Videos zu drehen, daran war noch nicht zu denken. Genauso wenig wie sich an Musikvideos zu versuchen – die Budgets dafür waren damals einfach im Keller, selbst in den Staaten. Heute hat sich beides geändert.

„Die Plattenfirmen von Drake oder Kendrick hauen wieder 500.000 Dollar für Videos raus. Damals hatte ein durchschnittliches Video 2.000 Euro, in den USA 10.000 Dollar gekostet. Jetzt ist auch dank Streaming und YouTube-Klicks wieder mehr Geld da und das wird eben auch in die Hand genommen. Das eröffnet natürlich auch ganz andere künstlerische Möglichkeiten.“

Möglichkeiten, die das Regieführen bei Videoclips für Pascal weiterhin interessant machen – das vor kurzem in L.A. abgedrehte Video zu Gzuz' Single „Warum“ ist da ein erster Anfang.

The advertisement is on the back

Mittlerweile ist Pascals Stil auch in der Werbung gefragt. Interessenten wollen vermehrt ihre Kampagnen in der Bildsprache erzählt haben, wie er die Straße erzählt.

„Werbejobs bringen natürlich viel Geld, muss man ganz ehrlich sagen. Aber sie machen auch Spaß, sie haben auch ihren Charme – zu sagen, dass ich diese Jobs nur wegen der Kohle annehmen würde, wäre nicht zutreffend. Und ganz ehrlich, eine Werbetafel mit dem eigenen Motiv am Hamburger Flughafen zu sehen, das hat schon was.“

Während seine Arbeiten mit Musikern auf einer persönlichen Ebene zustande kommen, hat auch Pascal für Werbejobs eine Agentur, die Anfragen für ihn sammelt und an ihn weiterleitet.

„Ich war jetzt letztens bei Adidas Originals in London. Die feiern die Authentizität in meinen schwarzweißen Harlem-Fotos und wollen genau so die Originals-Serie darstellen. Da geht es gar nicht so um die Marke, sondern um das Gefühl.“

Was vor allem für Studenten eines x-beliebigen Marketingstudienganges, wie sie in den letzten Jahren aus dem Boden sprießen, nichts Neues ist, ist doch nicht überall gegeben: „In Deutschland steht bisher viel mehr das Produkt im Vordergrund. Das ändert sich erst jetzt allmählich.“

Ob Musikfotografie, die Aufnahme einer alltäglichen Szene oder Werbung – das Wichtigste bleibt für Pascal das, was er selbst nie verloren hat: die Authentizität.

(Alle Fotos mit der freundlichen Genehmigung von Pascal Kerouche. Bleibt auf Instagram und auf seiner Website www.pascalkerouche.com immer auf dem Laufenden über seine neuen Projekte!)

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Autoreninfo

Kevin Goonewardena wurde mit deutschsprachigem Hiphop der End-90er sozialisiert. Er lebt als Freier Journalist und Kulturschaffender in Hamburg und verfasst vor allem Hintergrundberichte und Portraits über Milieus und musikspezifische Themen für so unterschiedlichen Publikationen wie HHV.de, Vice, intro, Mit Vergnügen, zweikommasieben, Kaput und seit neustem auch für Hiphop.de Außerdem veranstaltet er Kinderkinovorführungen, hat eine Lesepatenschaft und steht manchmal hinterm Tresen.
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