Ungehypt & dope: 5 Tipps aus dem Untergrund unter 25.000 Klicks

Als der Retrogott 2010 im Song "Freiheitsstatue" mit Beleidiger-Homie Sylabil Spill rappte: "Hiphop lebt im Untergrund und stirbt in den Charts", kann er nicht die Deutschrap-Explosion der folgenden Jahre genau vorhergesehen haben. Mit jedem weiteren Jahr wird aber deutlicher, wie sehr Rap sich von Hiphop entfernt. Weiß nicht nur der Retrogott, sondern auch Sido.

Wer angesichts der These den Kopf in den Sand steckt, wird die Ohren und Augen aber nicht mehr offen haben für das, was sich unterhalb der Oberfläche abspielt. Kreative Beatmaker, leidenschaftliche Rapper und Leute, die noch wirklich etwas zu erzählen haben gibt es reichlich in der Szene, wenn man nur genau hinsieht. Mit diesem Artikel stellen wir euch wieder fünf Songs vor, die am Großteil der Rapfans vorbeigegangen sein könnten. Die Spielregeln sind die gleichen wie auch sonst in dieser Artikelreihe: Zugelassen ist alles, was zum Zeitpunkt des Verfassens noch nicht die 25.000-Klicks-Marke überschritten hat.

Kwam.E ft. Naru – Roadrunner (prod. Mathistypebeats)

Mit diesen Regeln lassen wir uns zugegebenermaßen einen gewissen Spielraum, wie das erste Beispiel zeigt. Auf Spotify kann die erste Zusammenarbeit von Kwam.E und Naru nach zweieinhalb Wochen knapp 150.000 Plays vorweisen, das dazugehörige Video kommt aber nach zwei Tagen auf unter 8.000 Views.

Kwam, der mit seinem Rapstil oft 90er-Jahre-NY-Flavour versprüht als, zeigt hier, dass er auch anders kann. Das dürfte nicht zuletzt an Naru liegen, der in seiner Musik gerne etwas experimenteller auf neuen Rapwegen wandelt durch wolkige Beats fliegt. So vermengt Kwam in "Roadrunner" mit seiner unverkennbaren Stimme melodische und roughere Elemente zu einer Mischung, an der man auch über die Spielzeit des Songs hinaus hängenbleibt.

Eine spannende Kombo aus zwei unterschiedlichen Künstlern, die man beide im Augen behalten sollte. Kwam.Es neue EP "Izza" erscheint am 4. Oktober, die dazugehörige Tour startet schon zwei Tage früher.

Negroman ft. Eloquent – Zins (prod. J. Wassenberg)

Alleine bei der Kombination der beiden Rapper auf "Zins" dürfte dem Untergrund-Connoisseur das Wasser im Mund zusammenlaufen. Mit Negroman und Eloquent finden sich zwei Sichtexoten auf einem detailverliebten Instrumental zusammen, das Zuhörer wie MCs durch die 198 Sekunden fliegen lässt.

Aber nicht nur der Vibe, sondern auf der Text hat hier etwas zu bieten. Denn während die armen reichen Rapper an der Chartsspitze so viel Kohle haben, dass sie sich unsagbar furchtbare Kleidung von Versace oder Philipp Plein kaufen und ständig darüber rappen müssen, bleiben Negroman und Elo am anderen Ende der kapitalistischen Nahrungskette auf ihren Schulden sitzen. Wer sich die Lowlife-Poesie der beiden auf der Zunge zergehen lässt, wird dem desillusionierten Blick der MCs ins eigene Portmonee aber auch etwas Gutes abgewinnen können.

"Kann ich noch die Karte überzieh'n? (ah) / Gottgefällig heißt kreditwürdig, Hoffnung heißt, die Karenzphase endet nie" – Negroman

... oder ...

"In Sünde gebor'n, die fehlende Ordnung begründet die Form / entfliehe der Norm, verzichte auf Pathos doch nutze den Zorn" – Eloquent

Clep – Blinder Passagier (prod. Contrabeatz)

Noch sträflicher unterhypt als die beiden Vorgänger, die zumindest in gewissen Kreisen schon kleinere Hits landen konnten, ist Clep. Der Rapper, den die meisten aus seinen Battles gegen Szenegrößen wie Yarambo, Bong Teggy, Finch Asozial, Nedal Nib oder Robscure kennen, hat nämlich auch auf Tracks mächtig etwas drauf.

Die erste Auskopplung aus der am 2. Oktober erscheinenden "Spiegelreflex EP" mit Contrabeatz setzt sich mit drei zentralen Elementen eines Lebenswegs auseinander, der eigentlich zum empathisch nacherzählt wird, um fiktiv sein zu können. Clep thematisiert seinen inneren Druck, seinen blinden Passagier. Er rappt über seinen Ehrgeiz als mäßig talentierter Fußballer, eine Tiefphase als Methkonsument, die seine Rap-Leidenschaft nicht brechen konnte, und die Krebserkranung seiner Mutter.

Musikalisch wurde das Ganze von Contrabeatz mit einer bedrückenden, fast zerreißenden Atmosphäre sowie den passenden Vocal Edits nahezu perfekt in Szene gesetzt. Hört es und zeigt Liebe!

Assim – Mushak (prod. Accent Beats)

"Das hier ist kein Profil, ich bin echt / keine Maske, ich bin nicht perfekt / kein Gucci, kein Louis Vuitton, nur mein Herz – das ist Rap"

Der Kölner Assim liebt und lebt seine Kunst. Das spürt man! In seinem aktuellen Song "Mushak (Bete die Crowd an)" beweist er, dass er einen eigenen Rapstil besitzt und rasante Flowpassagen zu bieten hat. Auch im Video kann man sehen, dass die Gesamtästhetik seines Schaffens wichtig ist, etwa wenn ihm in eindrücklichen Bildern mit der eigenen Goldkette die Luft abgeschnürt wird.

Hier zählen andere Werte als die Zahlen auf dem Konto und das wird in den Zeilen und in den Visuals deutlich.

Vandalismus – Uzi Walker Daniel (prod. Polybius²)

Zwischen Selbstzweifeln und Ablehnung für die schillernde Fassade der Gesellschaft hat sich Destory Degenhardt auch beim ersten Sonb unter dem neuen Künstlernamen Vandalismus ein zentrales Element seine Kunst bewahrt: die Destruktivität.

Was die Reimtechnik, die Klang- und Bildsprache angeht, ist "Uzi Walker Daniel" aber alles andere als Selbstzerstörung. Im Beat, im Text und im Video von Haruo Takimoto und Yuriko Otani stecken offenkundig jede Menge Liebe für die kleinen Dinge, die man als Belohnung bekommt, wenn man Kunst nicht als Massenware konsumiert. Der Song ist die erste Auskopplung aus dem kommenden Album "Freunde lügen nicht", das am 15. November erscheinen wird.

Mehr ungehypte Tipps aus unserer Redaktion findest du auf der Themenseite zu dieser Artikelreihe

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