Wie Trippie Redd und Playboi Carti eine neue Rage-Wave prägen

Mit "Miss the Rage" liefern Trippie Redd und Playboi Carti den Soundtrack für alle, die Musik als Live-Erlebnis vermissen. Für alle, die sich endlich mal wieder von Moshpit zu Moshpit übers Festivalgelände hangeln wollen. Für alle, die eben genau das vermissen, was durch die anhaltende Corona-Pandemie lange nicht möglich gewesen ist: Einfach mal gepflegt auszurasten.

Anfang Mai konnte "Miss the Rage" seinen offiziellen Release feiern. Der Track dient als Lead-Single zu Trippie Redds kommendem Album "Trip at Knight" und hat schon lange vor offizieller Veröffentlichung durch Leaks und Hörproben einen massiven Hype ausgelöst. Grund dafür ist vor allem das herausstechende Instrumental des Songs. Quer durchs Internet verteilt finden sich nun immer häufiger sogenannte "Rage Beats", die von Producern nach dem soundtechnischen Vorbild von "Miss the Rage" gebaut werden. Trippie Redd und Playboi Carti sind aber bei Weitem nicht die ersten Rapper, die den Rage-Begriff in ihre Kunst einfließen lassen. Geben die beiden mit ihrem Track nun also vor, wie "Rage" im Hiphop zu klingen hat? Und könnte man sogar so weit gehen und sagen, dass sie damit aktuell ein neues, eigenes Subgenre etablieren?

"Miss the Rage", das Corona-Baby

Im Musikvideo zu "Miss the Rage" lassen die beiden Rapper ihre gesammelte Energie raus, die sich im letzten Jahr durch fehlende Live-Auftritte angestaut hat. Noch bevor Trippie Redd (jetzt auf Apple Music streamen) zum ersten Mal in die Hook einsteigt, fliegt schon das erste Auto in die Luft. Carti zeigt seine Skills im Werfen von Molotow-Cocktails. Der Songtitel verspricht also nicht zu viel.

Im Interview mit dem XXL-Magazin erklärt Trippie Redd sein Rage-Motto genauer und schildert, dass die Umstände der Corona-Pandemie ihn dazu bewegt haben, den Song zu recorden:

"Verdammt, ich war eingesperrt. Auf Festivals bin ich einer von denen, die einfach alles rauslassen. Ich bin bereit dazu, meine Bühnenpräsenz zurückzuerlangen. Ich habe diese Sche*ße satt. Ich habe es satt, den ganzen Tag zuhause zu sitzen, weil das alles ist, was ich gemacht habe."

("Sh*t, I been locked away. I'm one of them people that's at the festivals, I come out going crazy out the rips. I'm ready to get back to my stage presence. I'm tired of this sh*t. I'm tired of sitting in the house 'cause that's all I been doing.")

Der Rage aus der Perspektive einer notgedrungenen und coronagetriebenen Rap-Generation – das ist ein neuer Take, ein neuer Sound zu einem alten Begriff. Schon lange vor "Miss the Rage" haben andere Rapper Musik aufbauend auf diesem Ausdruck produziert.

Rage und seine Identitätskrise im Hiphop

Als absoluter Vorreiter der Rage-Ästhetik dürfte Kid Cudi gelten. Auf seinem Album "Man on the Moon 2: The Legend of Mr. Rager" (2010) führt er die Persona des "Mr. Rager" in seine musikalische Welt ein und erschafft damit eine eher introspektive und düstere Sicht auf diesen Begriff. Das Alter Ego kann als Personifikation seines Drogenmissbrauchs interpretiert werden. "Mr. Rager" ist sein innerer Dämon, wenn man so will.

Die Musik von Kid Cudi hatte einen großen Einfluss auf Travis Scott, der den Rage ebenso als elementaren Part seiner Künstlerfigur versteht. Seine Begriffsdefinition ist der von Trippie Redd und Playboi Carti aber schon deutlich näher – die Liveshows von La Flame sind dafür bekannt, eine massive Energie zu verströmen. Eine Energie, die so stark ist, dass er sich schon wegen Anstiftung eines Aufstands vor Gericht verantworten musste, nachdem er das Publikum auf einem seiner Konzerte aufforderte, die Bühne zu stürmen. So lebt Travis seinen Rage aus – seine Fanbase trägt den dazu passenden Titel der "Rager".

Letztlich finden sich auch bei anderen Artists Elemente wieder, die in eine "Rage"-Richtung gehen, diese aber nicht explizit als solche benannt werden. Als Beispiel lässt sich hier die Wave rund um XXXTentacion, Ski Mask the Slump God & Co anführen, die schon so einige Tracks mit aggressiven, übersteuerten und teilweise ungemischten Voicelines droppten. "Look at Me" von X dient als Paradebeispiel dieser Rage-Bewegung.

Die Begrifflichkeit findet sich also quer durch die Szene verteilt wieder. In einem jüngst erschienenen Pitchfork-Artikel wird diskutiert, ob der Rage im Hiphop Opfer einer gewissen Kommerzialisierung geworden ist. Ob sich Trippie Redd und Playboi Carti dieser unterstellten Kommerzialisierung bewusst waren, als sie an "Miss the Rage" gearbeitet haben, ist fraglich. Ganz ohne Frage kann man aber sagen, dass ihr Track dem Rage-Begriff im Hiphop ein neues, womöglich wegweisendes Gesicht gegeben hat.

So klingt Rage nach Trippie Redd und Playboi Carti

Der Song geht zwar gut rein, tatsächlich klingt die Studioversion im ersten Augenblick aber weniger aggressiv, als es der Rage-Begriff implizieren mag. Was man auf dem Track hört, ist eine logische und konsequente Fortführung des Sounds, den man von den beiden sowieso schon kennt. Gerade zu manchen "Whole Lotta Red"-Instrumentals besteht eine gewisse Ähnlichkeit – und trotzdem klingt es irgendwie anders. Frischer. Neuer.

Für die Produktion ist Loesoe verantwortlich. Der Beat lässt sich am ehesten als Hybrid-Genre aus EDM und Trap klassifizieren: Während die Melodie durch die kräftigen und gleitenden Synthie-Klänge eher der EDM-Sparte zuzuordnen ist, erinnert das Drumpattern an ganz klassische Trap-Songs. Für den extra Bounce wird die 808-Kick natürlich bis zur Übersteuerung verstärkt. Der YouTube-Channel J. Rent hat die Formel geknackt und in einem Video erklärt, wie er einen Song nach diesem Schema produzieren würde.

J. Rent ist aber lange nicht der einzige Producer, der sich auf den Sound stürzt. Auf YouTube und SoundCloud tummeln sich nun etliche Type Beats und dazugehörige Tutorials, die den Rage-Sound einfangen wollen. Auch 1:1-Remakes des Originals finden sich auf YouTube. Fun Fact: Die Hauptmelodie von "Miss the Rage" ist nichts weiter als ein Loop aus dem kostenlosen Cymatics Odyssey EDM Sample Pack. Der Producer Loesoe hat den entsprechenden Loop für "Miss the Rage" einfach nur reversed. Da das Cymatics-Kit komplett lizenzfrei ist, kann der Beat auch ohne Copyright Claims reproduziert werden.

Im Grunde lässt sich der Beat also in wenigen Minuten zusammenbauen. Trotz der Einfachheit trifft der Klang des Instrumentals offenbar den Zeitgeist. Im Internet wird bereits darüber diskutiert, dass dieses (vorsichtig betitelte) Subgenre einzig und allein von den Producern gecarried wird - die Instrumentals sind nun mal das Aushängeschild der neuen Rage-Wave.

Abseits der Big Names kriegen Producer im Hiphop oftmals nicht die Credits, die sie verdienen. Vielleicht setzt ein solches Subgenre, das sich größtenteils durch die Produktion abhebt, ein richtiges und wichtiges Zeichen zugunsten der Producer.

Diese Rapper könnten den Sound weiter nach vorne bringen

Ob sich dieser Sound langfristig als eigenes Subgenre etablieren kann oder ob der Song nur einen kleinen Hype ausgelöst hat, der genauso schnell endet, wie er angefangen hat, bleibt abzuwarten. Gut einreihen in die neue Rage-Wave würde sich jedenfalls Lil Uzi Vert, der in der Vergangenheit bereits einige Songs mit Playboi Carti releast hat. Mit Songs wie "20 Min" hat Uzi auf jeden Fall schon ein paar Tracks in seiner Diskografie, die dem neuen Rage-Klang stark ähneln. Pi'erre Bourne, der durch seine Produktionen für Carti und Uzi bekannt geworden ist und erst kürzlich sein neues Album "The Life of Pi'erre 5" releaste, sollte sich ebenso als affin für diesen Sound erweisen.

Weiter beobachten sollte man darüber hinaus Rapper wie Mario Judah oder SoFaygo. Mario Judah hatte schon kurz nach Veröffentlichung der ersten Hörprobe von "Miss the Rage" seine eigene Interpretation des Songs auf dem Instrumental gedroppt. Da das Cymatics-Sample wie erwähnt lizenzfrei ist, konnte er seine Version sogar auf Spotify releasen. Newcomer SoFaygo hat hingegen schon im Dezember letzten Jahres Pionierarbeit geleistet: "Off The Map" klang schon nach Rage-Sound, bevor der Hypetrain überhaupt losgefahren ist.

Kategorie
Genre

Groove Attack by Hiphop.de