Taugt Deutschrap nur zum Antihelden? (Kommentar)

Seit der Reanimation des deutschen Sprechgesangs durch die Sensationsalben XOXO und Zum Glück in die Zukunft dominiert dieser beinahe im Wochentakt die deutschen Album-Charts und sammelte so viele Nummer-1-Platzierungen, dass letztere gar mit der Zeit an Bedeutung für die entsprechenden Künstler einbüßten. In deutschen Massenmedien fand dieser außergewöhnliche Erfolg nur in Ausnahmefällen und dann zumeist recht uninspiriert Erwähnung. Am gestrigen Donnerstag erschien nun eine Ausgabe des Sterns, die sich dem Siegeszug deutschsprachiger Musik widmete, und zu diesem Zweck Helene Fischer, Andreas Bourani, Xavier Naidoo, Sarah Connor, Herbert Grönemeyer und Andreas Gabalier abbildete. Für einen deutschen Rapper war scheinbar erneut kein Platz. Zeit, sich zu dieser Problematik zu äußern.

Schwarzer Anzug, weißes Hemd und ein ausdrucksloser, beinahe gefühlskalter Blick - so zierte Bushido am 18. April 2013 das Stern-Cover. „Die Wahrheit über einen deutschen Popstar und seine kriminellen Freunde“ wollte das Blatt herausgefunden haben und sorgte so deutschlandweit für Diskussionen an Stammtischen, Pausenhöfen und der heimischen Wohnzimmer-Couch.

Wieder einmal konnte das deutsche Spießbürgertum teils rassistische Vorurteile, teils Abneigungen gegen eine Musikrichtung, die sie nicht verstehen, kanalisieren und auf dem Rücken des Integrations-Bambi-Gewinners abladen.  

In der Folge wurde der Begriff "Stern-Cover" zu einem Synonym für die gesellschaftliche Ablehnung und Vorverurteilung Bushidos und so auch zu einem festen Bestandteil in dessen Musik. Erneut hatte es Deutschrap nur mit Hilfe eines handfesten Skandals auf das Cover einer renommierten deutschen Zeitschrift geschafft.

Zwei Jahre später folgte, nachdem Xatar, Bushido, K.I.Z. und viele mehr innerhalb der deutschen Massenmedien für unterschiedlichste Skandalgeschichten herangezogen wurden, nun das in der Einleitung erwähnte Stern-Cover.

Ob Xavier Naidoo, Andreas Bourani oder Helene Fischer – Musik aus Deutschland und auf Deutsch ist wieder gefragt. Der...

Posted by stern on Donnerstag, 9. Juli 2015

 

Noch unverständlicher ist die Abwesenheit deutscher Sprechsänger auf diesem vor dem Hintergrund, dass jüngst von zehn deutschsprachigen Top-10-Platzierungen vier Plätze von Deutschrappern eingenommen wurden. Unter anderem beanspruchte KC Rebell mit seinem Album Fata Morgana die Pole Position für sich.

 


 

Es scheint, als könnte Deutschrap auch in Zeiten, in denen unsere Szene Erfolg nach Erfolg feiert und kompromissloser Straßenrap ebenso an der Spitze der Charts stattfindet wie melodiöser, pop-orientierter Rap, dennoch nur mit Hilfe von Skandalen das Cover renommierter Zeitschriften zieren.

Ein bewährtes Feindbild verkauft sich eben nach wie vor besser als ehrlicher Respekt für bis dato geächtete Künstler.  

Marc Schleichert

Autoreninfo

Marc Schleichert ist seit Anfang 2014 ein Teil von Hiphop.de und leitet hier den Textinterview-Bereich. In dieser Funktion spricht er regelmäßig sowohl mit hungrigen Newcomern als auch mit alteingesessenen Künstlern.