Sun Diego: Vom gehassten Autotune-Rapper zum Battle-King SpongeBozz

Der rappende Schwamm ist zurzeit in aller Munde. Ein erwachsener Mann im SpongeBob-Kostüm mit Bekanntheit aus einem Video-Battle-Turnier chartet auf die Eins, taucht knapp anderthalb Jahre musikalisch unter und zelebriert dann ein episches, 27-minütiges Comeback, auf dem mal eben die halbe Rap-Szene ihr Fett wegbekommt.

Mittlerweile hat das Rätselraten, wer sich hinter der aufgenähten Sonnenbrille verbirgt, offenbar ein Ende. Alle Zeichen sprechen dafür, dass der Rapper Sun Diego seit 2013 in die Rolle des rappenden Schwamms geschlüpft ist. Einige werden weder die gesamte Karriere Sun Diegos noch SpongeBozz' mitverfolgt haben und nun ziemlich ratlose Blicke in die Kommentarspalte unter Started From The Bottom/Apocalyptic Infinity werfen.

Hier also nochmal zum Nachlesen die wichtigsten Schritte auf dem Weg von Osnabrück nach Bikini Bottom.

Moneyrain Entertainment

Erstmal die Hard Facts über Sun Diego: Er ist am 17. März 1989 geboren, heißt mit bürgerlichem Namen Dimitri Chpakov und seine Wurzeln liegen in Russland und Kasachstan. Der Osnabrücker begann seine Rap-Karriere wie so viele Mitte der 2000er in der Reimliga Battle Arena (RBA). An den Online Battles nahm Sun Diego unter Pseudonymen wie Capri_Sonne, Ninetyniner, Lego_Stein, Bombali oder Drachenzunge teil.

Neben den Rap Battles machte er sich an die Produktion eigenständiger Tracks, die er auf Plattformen wie YouTube und MySpace ins Internet stellte. Dabei änderte er seinen Künstlernamen leicht ab zu St. Diego. Heraus kamen Songs wie Sie wollen St. Diego und Elfenlied. Bereits in diesen frühen Aufnahmen werden die Fähigkeiten Sun Diegos in Sachen Reimstrukturen und Doubletime deutlich. Vom Style her unterscheiden sich die Tracks teils gewaltig.

2008 gründete Sun Diego mit seinem damals guten Freund John Webber das Independent Label Moneyrain Entertainment. Die beiden verbinden russische Wurzeln und so nahmen sie einige Freetracks auf, die dann von Fans 2008 zum Ruski Tape zusammengestellt wurden (hier anhören). Bis auf wenige Lieder sind die Tracks dabei auf Russisch gerappt. Der Rapper Juri wurde kurze Zeit später gesignt. Auch er ist russischer Abstammung.

Moneyrain Entertainment hebt ab

Lass es schneien, schmeiß Kokain vom Dach

Diese Lines stammen aus dem Intro des ersten Labelsamplers Moneyrain Entertainment Volume 1 und spiegeln gut den Vibe wider, den die Osnabrücker mit ihrer Mucke vermitteln wollten. Rap über Drogen, übers Feiern, über Frauen, über Luxus. Das Ganze gespickt mit poppigen Sounds, gesungenen Hooks und einer Menge Stimm-Modulation made by Autotune. Auf den Tracks Stripclub und The Business gibt es sogar ein Kollegah-Feature zu hören. Zu dieser Zusammenarbeit später mehr.

Der Sampler erschien 2012 und wenig später legten die Moneyrain-Gründer mit einem Re-Release in Form der Soldiers Edition nach (hier anhören). Passend dazu gab es die erste Videoauskopplung MoneyrainSoldiers Pt.2. Die Soldiers Edition wurde wie schon der Vorgänger ausschließlich vom Produzenten Team Sunset Mafia mit Beats bestückt.

Neben MoneyrainSoldiers Pt.2 stellte Moneyrain Empire einen der neuen Tracks des Re-Releases dar. Der Solosong von Sun Diego ist mit bald 2,5 Millionen Klicks bis heute das mit Abstand erfolgreichste Video auf dem YouTube-Kanal des Labels. Darin spittet Diego abermals starke Doubletime-Parts und singt die Hook.

Der große Durchbruch für Moneyrain Entertainment blieb jedoch aus. Um das Thema an dieser Stelle abzuschließen: Es kam zum Zerwürfnis zwischen Juri und Webber und schließlich auch zwischen Webber und Sun Diego, da Webber ihm vorwarf, sich auf die Seite von Juri zu stellen, statt auf jene seines alten Freundes. Die bis heute von allen Seiten unterschiedlich dargestellte Angelegenheit gipfelte bis dato in einem Disstrack von John Webber (hier anhören) und einer Antwort Juris auf Santiago Bernabéu ab 2:26 Minuten (hier anhören).

Was Kollegah mit der ganzen Sache zu tun hat, erfährst du im Folgenden.

Kollegah

Laut Kollegah kennen er und Sun Diego sich bereits seit 2005. Wie der ein oder andere Kollegah-Kenner nun bereits kombiniert hat, kam der Erstkontakt innerhalb der RBA zustande, denn auch Kollegah war in seiner Anfangszeit als Rapper dort sehr aktiv.

Nach und nach gehörten Sun Diego und auch John Webber zum engeren Kreis des Düsseldorfers. Zur ersten Zusammenarbeit kam es 2008 auf Kollegahs Album Kollegah. Dort sprachen Webber und Diego das russische Intro auf Kokamusik ein. Die erste musikalische Kooperation stand im darauffolgenden Jahr an.

Sun Diego nahm gemeinsam mit Kollegah den Track G's sterben jung für den zweiten Selfmade Records-Sampler Chronik II auf. Darauf zeigte er wie gewohnt eine Mischung aus Rap und Autotune-lastiger Gesangshook. Im Selfmade Records-Buch zum Labelsampler Chronik III aus dem Jahr 2015 findet Kollegah immer noch lobende Worte für die von B-Case produzierte Kollabo:

Den Song mag ich bis heute sehr.

Ebenfalls 2009 setzten Kolle und Diego ihr musikalisches Schaffen in Form von Rotlichtmassaker fort. Der Song des dritten Zuhältertapes folgt einem ähnlichen Muster wie G's sterben jung, doch ist er rap-lastiger und besticht durch Doubletime-Parts. Produzent war abermals B-Case.

2011 kam es dann zur berühmten Zusammenarbeit der beiden damaligen Freunde für Kollegahs Album Bossaura. Den entscheidenen Anstoß dazu gab Selfmade Records-Chef Elvir Omerbegovic (hier nachlesen). Sun Diego beschrieb die Studioarbeit in einem gemeinsamen Interview mit Kollegah für Falk Schachts Mixery Raw Deluxe nach 7:10 Minuten wie folgt:

Wir haben unsere Beats zusammen gepickt und auch zusammen Themen überlegt. Und ich hab' ihm geholfen, die Hooks so melodiös zu verfassen. Also die Texte hat er dann selber geschrieben. Ich hab ihm nur einen Push gegeben, die Melodien zu finden.

Auf Nachfrage Schachts erklärten die beiden jedoch, dass sowohl Inhalte als auch Melodien zu etwa gleichen Teilen von Kolle und Diego stammen würden. Sie hätten eben die gesamte Zeit gemeinsam im Studio in Osnabrück verbracht.

Das in Montenegro gedrehte Video zu Jetlag steht wohl exemplarisch für Segen und Fluch der Kollaboration. Gewohnte Representer-Lines vom selbsternannten Boss auf clubtauglichem Instrumental, gepaart mit Autotune-Hook. Bossaura entpuppte sich zwar als das bis dato bestverkaufte Kollegah-Album, doch wurde es von Fans und Kritikern größtenteils stark kritisiert.

Kollegah versuchte zwar das Projekt in Interviews immer wieder zu verteidigen, doch es brach eine wahre Hate-Welle besonders über Sun Diego herein. In einem Interview mit Visa Vie während der Bossaura Tour kam zur Sprache, dass sogar Facebook-Gruppen gegen den Einfluss Sun Diegos auf Kollegahs zukünftige Musik gegründet wurden (hier ab Minute 9:47 nachhören).

Besonders angestachelt wurde der Hate durch den YouTuber JuliensBlog, der Bossaura und Sun Diego in Form einer seiner Rap-Analysen stark verunglimpfte. Sun Diego reagierte mit dem Disstrack Nobody auf dem Sampler Moneyrain Entertainment Volume 1 (hier downloaden), doch zog sich schließlich 2012, aufgrund der nicht abebbenden Flut der Negativität, aus der Öffentlichkeit zurück.

Sein letztes Lebenszeichen gab er am 27. Dezember 2014 als letzter Part auf dem Kollabo-Track Moneyrain Empire 2.0 mit John Webber und Juri von sich.

Next Stop: Wie man ein Mysterium kreiert.

SpongeBozz

Am 24. März 2013 veröffentlichte Julien (von JuliensBlog) ein Qualifikationsvideo zur damaligen Ausgabe seines Battle-Turniers auf dem JuliensBlogBattle-Kanal. Darin disst ihn ein rappender Schwamm im schwarzen Benz, der von Planktonweed und Glockschüssen redet. Lyrische Skills und sauber gespittete Doubletime-Parts sind vorhanden, doch viele sind irritiert von der quäkigen, gepitchten Stimme.

HÄHÄÄ! SpongeBozz Gunshot! Straight aus dem Bikini-Ghetto, du Schw*nzlutscher! Jetzt mal ohne übertriebenes Panzerfaustgelaber, du Hu'ensohn! 

HÄHÄÄ!

Und doch schwang sich der Rapper im SpongeBob-Gewand binnen kürzester Zeit zum Favoriten des Turniers auf und entfachte eine nicht enden wollende Flut von Analyse-Videos, die seine vermeintliche Identität unter dem Kostüm aufgedeckt haben wollten. SpongeBozz, wie er sich nennt, zerpflückte seine Battle-Gegner förmlich mit gut gereimten Vergleichen, dem Ausnutzen jeglicher Angriffsfläche, einer Prise Humor und ein paar gut präsentierten Lügengeschichten.

Schließlich stand der Schwamm als "Battle-King" an der Spitze des JBB. Seine Videos sind bis heute millionenfach geklickt. Auch den folgenden JuliensBlogContest, in dem neben Rap auch andere Musikrichtungen zum Tragen kamen, konnte SpongeBozz für sich entscheiden.

2014 fand erneut ein JuliensBlogBattle statt. Als amtierender "Battle-King" wurde SpongeBozz die Ehre zuteil, gegen den diesjährigen Sieger im "King-Finale" anzutreten. Dieser Gegner war Gio, gegen den der Schwamm bereits 2013 im Finale angetreten war. Mit seiner über 30-minütigen Hinrunde machte SpongeBozz eine Rückrunde überflüssig, da Gio schlicht aufgab.

Die Runde ist in mehrere Teile untergliedert, die jeweils auf einen bestimmten Punkt von Gios Angriffsfläche zugeschnitten sind. Das Video wurde bis heute bald 19 Millionen mal geklickt und von einigen in den Kommentaren als einer der stärksten Disstracks der Deutschrap-Geschichte gefeiert. Dem Phänomen SpongeBozz haben wir uns an anderer Stelle ausführlicher gewidmet (hier nachlesen).

Dennoch gab SpongeBozz anschließend seinen Rückzug aus Battle-Turnieren bekannt und verfolgte lieber die Arbeiten an seinem Debütalbum namens Planktonweed Tape. Dieses sollte ursprünglich eine EP werden, wurde aber schließlich ein vollständiges Album samt Deluxe Box. Das Album wurde mehrere Male verschoben, sollte schließlich am 20. März 2015 auf den Markt kommen, doch wurde dann aufgrund gesundheitlicher Probleme SpongeBozz' auf den finalen Termin am 17. April verschoben.

Dank einer treuen, im JBB aufgebauten Fanbase schaffte es der Rapper im Schwammkostüm nicht nur mutmaßlich 20.000 Boxen abzusetzen, sondern auch den Sprung auf Platz 1 der Albumcharts in Deutschland und Österreich. Bereits kurze Zeit nach Release wurde bekannt, dass das Planktonweed Tape indiziert werden sollte. Dazu trugen wohl vor allem die gehäuften Polizei-feindlichen Parolen à la A.C.A.B. bei. Die endgültige Verbannung vom Musikmarkt durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) erfolgte am 30. September 2015.

Neben Fler, der sich dazu via Instagram äußerte, wird auf dem Tape auch Kollegah gedisst. Unter anderem in der folgenden Line ab 2:00 Minuten auf dem Track Planktonweed:

Ich kann Kollegahs Angstschweiß riechen

Der Gangsterschwamm, vor dem selbst Platin-Rapper Schwanz einziehen

Die Vorgeschichte zu diesem Diss wird im nächsten Abschnitt erklärt.

Erneut Kollegah

Aufgrund des kleinen entfachten Hypes um den rappenden Schwamm begannen sich immer mehr Rapper in Interviews über das Phänomen zu äußern. Neben unter anderem MoTrip (hier nachlesen) gab auch Kollegah seinen Senf zur Diskussion. Bereits 2013 machte er sich in einem Interview mit TV Strassensound über SpongeBozz lustig, indem er auf die Frage, ob er selbst hinter der Maske stecke, mit verstellter Stimme antwortete. Die Stelle findest du ab 15:00 Minuten:

In einem Juice-Interview während der King-Promophase 2014 gab er an, er wisse, dass sein alter Kumpel Sun Diego sich hinter der Maskierung verberge. Außerdem ließ er durchblicken, was er von dessen scheinbarer Zweit-Identität halte:

Der arme Sun Diego: Er könnte einfach diese Autotune-Scheiße weglassen, geilen Battlerap machen und noch dazu mal zwei Monate pumpen gehen, damit er nach dem aussieht, über was er rappt. Stattdessen zieht er sich ein SpongeBozz-Kostüm an, dreht teure Videos, rappt krass, aber für was? Für nix.

Außerdem sprach Kollegah von "Business-Moves", die Diego gebracht hätte, die ihr "Verhältnis gef*ckt" hätten. Mit der negativen Rezeption von Bossaura hätte die ganze Sache nichts zu tun. Genaueres verriet Kollegah aber bis heute nicht in einem Interview. Dennoch schien das Verhältnis der beiden nicht hasserfüllt:

Ich bin auch nicht nachtragend. Ich verstehe, dass er keine Ahnung vom Business hat und damals ganz neu war. Persönlich mag ich ihn sehr, wir waren Freunde. Von daher möchte ich auch kein schlechtes Wort über ihn verlieren.

Kurze Zeit später tauchte im Internet ein Clip von einem Kollegah-Konzert der King Tour auf, in dem Kolle auf der Bühne über SpongeBozz sprach und ihn erneut als Sun Diego "enttarnte". Das Video wurde mittlerweile von YouTube genommen. SpongeBozz reagierte auf Kollegah schließlich mit Sticheleien und Battle-Ansagen auf seiner Facebook-Page. Mit dem "Hab mehr erwartet"-Post unten bezieht er sich dabei auf die Preview zu Kollegahs Song Red Light District Anthem, die am selben Tag erschien.

SpongeBOZZ - HÄHÄÄ! Hmpf... hab mehr erwartet , whack. | Facebook

HÄHÄÄ! Hmpf... hab mehr erwartet , whack.

SpongeBOZZ - Große Worte, Kolle! Diss mich, wenn du dich... | Facebook

Große Worte, Kolle! Diss mich, wenn du dich traust...

Den vorläufigen Höhepunkt der Sticheleien stellte schließlich eine Line gegen Sun Diego/ SpongeBozz auf Kollegahs Zuhältertape Vol. 4-Track Genozid dar. Gerappt wird die Zeile ab 5:32 Minuten:

Sun Diego war für Rap zu schüchtern und zu androgyn

Heute disst er sein Idol und trägt dabei ein Schwammkostüm

Tze, ganz schön süß

Wie sich auf einmal jeder hier zum King aufschwing’n will wie meine Lambotüren

Auf Facebook reagierte SpongeBozz dann mit einer Aktion, die man heute durchaus als Vorboten für seine homophoben Sticheleien gegen Kollegah verstehen kann, die ja auch in SFTB/ Apocalyptic Infinitiy nicht zu kurz kommen. 2016 tauchte er dann nahezu vollständig ab, nur um in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar 2017 sein Comeback zu feiern und Kollegah mehrere Minuten zu widmen – plus Ankündigung eines weiteren 1000 Bars langen Disstracks.

Zuvor hatte er bereits durch Änderung seines Facebook-Profilbilds auf sein am 17. März erscheinendes Doppelalbum Started From The Bottom/ KrabbenCoke Tape aufmerksam gemacht. Wie schon sein Debüt erscheint das Album über SpongeBozz' eigenes Label Bikini Bottom Mafia. Auf dem Label hat er bislang eine stattliche Anzahl an Rappern um sich versammelt, die größtenteils aus dem Dunstkreis des JBB stammen. Namentlich sind das Sun Diegos alter bekannter Juri, Johnny Diggson, Deamon und Scenzah. Die SpongeBozz-Beats werden fast ausschließlich von Digital Drama produziert. Die Videos stammen von Venom Pictures.

Die Rap-Szene darf in jedem Fall gespannt sein, was sie für 2017 von der BBM-Crew zu erwarten hat.

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