Shirin David, badmómzjay & Hava: Wie Rapperinnen durch ihre Musik zu neuer Stärke finden

Im Mai 2019 kam Shirin Davids Single ”Fliegst du mit?“ raus, im Juli 2020 “Weiss” von Hava und im September 2020 dann ”Supernova” von badmómzjay. Die Songs haben nicht nur gemeinsam, dass sie von drei der bekanntesten Künstlerinnen aus dem Rapkosmos kommen. Sie eint darüber hinaus auch die Thematik: Alle drei verarbeiten hier nämlich, dass ihre Väter ihre Familien früh verlassen haben. Statt diese Songs ‚undercover‘ als Albumtracks herauszubringen, haben sich die Künstlerinnen dafür entschieden, sie als Singles inklusive Musikvideos zu droppen – und so machen sie das Zeigen von Schwäche zu ihrer Stärke.

Facetten von Weiblichkeit im deutschen Rap

Im Hiphop kursiert nicht nur ein – bis vor einiger Zeit noch sehr starres – Männlichkeitsbild, sondern auch eine ganz klare Vorstellung von Weiblichkeit. Bislang zeigten sich deutsche Rapperinnen in erster Linie stark und bisweilen sehr sexy. Und während sich diese Art der Selbstdarstellung zwar als effektiv erwies und ihnen den Weg an die Spitze des deutschen Rap ebnete, dürfen Frauen inzwischen beides sein: stark und schwach. Mit ihren Songs über das Verlassenwerden vom Vater drücken sie nicht nur ihren Schmerz über den Verlust aus, sondern feiern gleichzeitig die Stärke ihrer Mütter, die sie alleine aufgezogen haben. Gerade dass sie die Songs als Videosingles herausgebracht haben, zeigt, wie wichtig es ihnen ist, dass diese Thematik gesehen wird – unter anderem als weitere Facette von Weiblichkeit. 

Havas Song “Weiss“ ist zugleich der Titelsong zum Album

In ihren Song ”Weiss” steigt Hava mit “'98 gebor'n, meine Mama und ich / Nur mein Bruder war da, mein Vater nicht“ ein. Diese Lines eröffnen zudem ihr Debütalbum. Obwohl der Track also auch von ihrer Familiengeschichte handelt, wird sie während des Songs nicht wesentlich expliziter. Havas Songtext arbeitet nach den Eröffnungszeilen nämlich in erster Linie mit Metaphern:

“Graue Wolken, doch ich seh' die Sonne / Durch den Nebel strahlen, ein Schein / Und die Augen leuchten, auch in dunklen Zeiten / Hilft die Hoffnung mich zu befreien“

Verschleiert durch Sinnbilder beschreibt sie, dass sie durch verschiedene Erlebnisse im Verlauf ihres Lebens an Stärke gewonnen hat. Dazu zählt auch der Weggang ihres Vaters. Im Interviewformat “Brust Raus“ auf YouTube spricht Hava über die Bedeutung ihrer Musik für sie selbst und ihre Familie: 

“Es bedeutet mir sehr viel und ich würde auch sagen, dass das zum größten Teil meine Motivation ist, dass ich meiner Familie unter die Arme greifen kann. Auch weil ich weiß, wie es ist, wenn man nicht so viel hat und man verzweifelt ist, dass man gerade diese Rechnung nicht mehr zahlen kann und nicht weiter weiß.“ 

Außerdem geht es in dem Interview um das Standing von Frauen im Deutschrap: Noch immer drehen sich viele von den Kommentaren auf Havas Instagram-Profil nicht um ihre Musik, sondern um ihr Aussehen oder darum, wie sie ihre Religion auslebt. Gerade deswegen ist das Self-Empowerment weiblicher Künstlerinnen in Rap besonders wichtig – und dazu gehört auch, dass sie sich negative Erlebnisse zu eigen machen. Das Medium Rap bietet hier die Plattform, gehört zu werden und eine vermeintliche Schwäche in Stärke umzuwandeln.

badmómzjay mit Liebeslied für ihre Mutter 

Mit ”Supernova” schreibt auch badmómzjay gar keinen Diss an ihren Vater. Wie jemand auf YouTube bemerkt, ist der Song vielmehr ein Liebeslied für ihre Mama, die außerdem gegen Ende des zugehörigen Musikvideos einen kurzen Auftritt hat. 

“Spotlight an, aber ich seh' dich nicht / Auch wenn Mama immer sagt, dass du mir ähnlich bist / Schon okay, nein, du fehlst mir nicht / Wie sollst du fehlen, wenn du nicht Teil von meinem Leben bist?“

badmómzjay beschreibt mit diesen Zeilen, dass das Aufwachsen ohne Vaterfigur zwar hart war, sie aber gestärkt aus der Situation hervorgeht. Ihre Vorbilder haben alle drei Rapperinnen in ihren Müttern gefunden – und stehen nun selbst als Vorbilder einer ganzen Generation von heranwachsenden Frauen in der Öffentlichkeit. 

Im Interview mit World Wide Wohnzimmer sagt sie zu dem Song:

“Das ist einfach etwas, das ich verarbeiten wollte und worüber ich im Allgemeinen schon immer mal reden wollte. Viele haben den selben Struggle. Das liegt mir sehr am Herzen. Ich bin ohne meinen Vater aufgewachsen seitdem ich klein bin und ich habe versucht, so ein bisschen damit abzuschließen. Ein bisschen an ihn gerichtet so: ‚Yo, ich war ohne dich, aber bin trotzdem stark.'“

Shirin David wendet sich mit “Fliegst du mit“ direkt an ihren Vater 

Shirin David, die bis “Fliegst du mit?“ nur Songs wie “Gib ihm” und ”ICE” gedroppt hatte, wurde von Presse und Fans für diesen sehr persönlichen Song gefeiert. Inzwischen weiß man: Zu ihr gehören nicht nur Sexappeal und Flex Rap, sondern auch eine verletzliche Seite, die sie letztlich als Künstlerin vervollständigt. Sie ist diejenige, die in ihrem Song um den Weggang ihres Vater am meisten ins Detail geht. Im Songtext spricht sie ihren Vater direkt an:

“Ich bau' mein Paradies auch ohne deine Steine / Du hast mich nie gelehrt zu fliegen, doch ich gleite / Werd ein Teil der Reise oder lass es bleiben / Doch lass es für immer sein, wie immer du entscheidest / Fliegst du mit?“

Sie macht klar: Sie hat gelernt, ohne ihren Vater klarzukommen. Dennoch wünscht sie sich von ihm eine gewisse Bestängigkeit. Im Spotify-Podcast “Podkinski“ mit Moderatorin Palina Rojinski verrät Shirin im Mai 2019: “Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich habe es jetzt verarbeitet. […] Es ist irgendwie noch nicht durch, aber das lässt der Song ja auch offen mit der Frage danach, ob er mitfliegt.“ Darüber, ob das inzwischen anders aussieht, kann nur spekuliert werden. Der nachhaltige Impact ihres Songs war der Rapperin allerdings schon damals bewusst:

“Ich weiß auch, dass es vor allem viele Mädchen gibt, die ohne Papa groß geworden sind, und was es mit ihnen macht. Und was dir da wirklich fehlt. Und ich hätte mir wirklich gewünscht, dass mein Vater einfach nur da gewesen wäre und gesagt hätte ‘Ey, ich bin stolz auf dich’. […] Es bewegt jeden, der einfach ohne Papa aufgewachsen ist.“

Und mit 16 Millionen Klicks auf das Musikvideo zu “Fliegst du mit“ und über 25 Millionen Aufrufen des Songs auf Spotify, kann der Track trotz der deeperen Thematik durchaus mit Shirins anderen Auskopplungen mithalten.

Alle drei und ihre Songs, die das Verlassenwerden von ihren Vätern behandeln, stehen natürlich nur sinnbildlich für die immer breiter werdende Definition davon, was Frauen im Rap-Game “dürfen“. Viele weitere weibliche Künstlerinnen im Rap-Game sprechen in ihrer Musik über persönliche Thematiken und legen damit ihre vermeintlichen Schwächen offen. Es handelt sich dabei aber nicht um einen Widerspruch zu ihrem Auftreten als starke Frauen. Im Gegenteil: Für sie bedeutet es Self-Empowerment durch Rap.

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