RIN dürfte es grade schwer haben, zu kapieren, was um ihn herum passiert. Überfüllte Konzerte von Frauenfeld über Köln bis nach Berlin. Sein Debütalbum Eros hat schon vor der Veröffentlichung veritable Hits zu bieten und einen Platz auf den Bestenlisten am Ende des Jahres reserviert. Sogar Leute, die gar nicht mehr daran geglaubt hatten, irgendwann wieder deutschsprachigen Rap feiern zu können, werden Fans.
"Ich hätte keinen Bock drauf, nirgends mehr entspannt hingehen zu können, ohne dass dich alle erkennen", sagte er den Kollegen von Noisey 2016. Der Zug fährt grade ab. Der Hype ist real.
Was hat der Kerl, was die Anderen nicht haben? Und wie verlief der Weg zum Hype? Anhand von fünf wegweisenden und symbolischen Songs zeichnen wir die bisherige Karriere des Jungen aus dem beschaulichen Bietigheim nach. Baby!
"Herr" - Schon 2013 eine ehrliche Haut
Nein, RIN rappt nicht erst seit Don't Like. Gemeinsam mit seinem guten Freund Caz, den man aus dem VBT oder von dem ein oder anderen eigenen Release kennen kann, macht er schon länger Musik. Auch Bausa zählt schon seit Jahren zum engeren Kreis – man kennt sich eben, wenn man in einem 40.000-Seelen-Örtchen lebt und eine Leidenschaft teilt.
Ende 2013 erschien über Caz' Soundcloud-Account der Song Herr. Nicht RINs erster Song und auch keiner, der zum Durchbruch verholfen hat. Dafür kann man hier schon Elemente fühlen, die ihm bis heute wichtig für seine Musik sind. Zum Beispiel die Maxime: "Style & Message > Technik". Oder Ehrlichkeit.
Während der reanimierte Straßenrap in den 2010er-Jahren immer mehr harte Jungs hervorbringt, die teils ungeachtet ihrer tatsächlichen Lebensumstände über den Hustle in den Streets und kiloweise Rauschgift rappen, kommt RIN mit solchen Passagen:
"Glaubte an nix mehr, bemerkte mein Leid / zu viel Angst vor dem Tod, mein Herz war aus Stein / mein Glaube zu klein und der Geist voller Qual'n / der Weg in den Himmel ist steinig und schmal"
Wer die relativ raren Interviews mit oder Features über RIN gelesen hat, weiß, dass das keine Phrasendrescherei ist. Hier spricht ein junger Kerl aus seinem Herzen über die Angst vor dem Tod, seinen Glauben und sich selbst. Schon hier die wabert die detailverliebte Atmosphäre einer Session mit den Bros bis in die frühen Morgenstunden aus den Boxen – jedoch deutlich melancholischer als bei den meisten aktuellen Songs. Allerdings: auch im liebes- und (vermutlich) gin-trunkenen Genuschel der Eros-Auskopplung Ich will dass du mich brauchst steckt mehr persönliche Offenbarung als die sehr reduzierten Lyrics erstmal vermuten lassen.
Im Gegensatz zu den früheren RIN-Überbleibseln auf Caz' Kanal hat Herr schon einen eigenständigeren Flow, der stark mit Melodie experimentiert. Und dann ist da noch diese irgendwie hypnotisierende Komponente mit dem gewissen A$AP-Swag-Faktor. In den folgenden Jahren sollte dieser Faktor immer mehr mit dem ganz eigenen Charakter multipliziert werden. Das Produkt könnte nächste Woche sogar Casper alt aussehen lassen. Aber wir bleiben erstmal in der Vergangenheit ...
"Ljubav/Beichtstuhl" - Das erste Video
Rund anderthalb Jahre später, im Juli 2015, hat RIN dann die "Eier" für sein erstes eigenes Musikvideo, wie er BB21 (Interview lesen) Anfang 2016 erklärt. Mit Bulldog-Cap, obligatorischer Fluppe und Braids betritt er in verspulter VHS-Optik die Tanzfläche im Club namens Deutschrap. Und wie das in Clubs nun mal ist, sehen die regelmäßigen Besucher genauer hin, wenn plötzlich dieser Fashion Killa auftaucht.
Falk Schacht kennt den Club seit Jahrzehnten. Er zählt zu den ersten, die den Clip teilen. Damit habe er den Stein ins Rollen gebracht, zieht RIN später sein Fazit. Noch am gleichen Tag wurde er vom Produzenten The Breed angeschrieben, der unter anderem regelmäßig das AON-Team mit Qualitätsware versorgt. In kurzer Zeit stellten die beiden eine EP auf die Beine, die jedoch nicht ganz fertig wurde. Breed und RIN hatten unterschiedliche Vorstellungen, aber die Tür zum Deutschrap-Kosmos stand auf einmal offen – nach nur einem Video.
Auch hier breitet RIN großflächig seine Gedanken- und Gefühlswelt vor den Hörern aus, indem er von den Widersprüchem erzählt, mit denen viele Leute aus seiner Generation sich konfrontiert sehen. Es geht um einen Konflikt, den auch Hafti Abi uns 2014 näher gebracht hat: Engel im Herz, Teufel im Kopf.
"Wir ki*fen und ki*fen, der Kopf bleibt leer / Wir fressen, wir f**ken, der Kopf bleibt leer / Der Teufel is' drin, bleibt oftmals Herr / Es wird größer und größer, mein Loch im Herz [...] Egal was du sagst, mein Gott bleibt Herr / Ich verdiene den Tod – wann stoppt mein Herz?"
Die neue Generation in den USA mit teils selbstzerstörerische Acts wie XXXTentacion, die $uicideboy$ oder Lil Uzi Vert machte sich zu dieser Zeit auf den Weg, aus dem Untergrund die Welt zu erobern. Ob es Zufall ist, dass zwei Jahre später – parallel zu deren Hypes in Übersee – bei uns ein RIN durch die Decke geht?
"Don't Like" – Und alle sind jetzt down mit ihm
Jau. Am 3. März 2016 erscheint RINs erstes Release, die Genesis EP. Der Rollout erfolgt mit den neuen Homies des Live from Earth-Kollektivs, zu dem 2016 einige der spannendsten Newcomer zählen. LGoony, Crack Ignaz und Yung Hurn etwa representen eine neue Garde, zu der auch RIN gehört.
Zu großen Teilen besteht das Release aus den nachdenklichen Lyrics – oft mit dem Thema Liebe im Fokus – und den verträumt-modernen Beats, die Ljubav und Beichtstuhl bereits vermuten ließen. Auch die erste Auskopplung Error reiht sich zunächst in den Style ein.
Dann kommt Don't Like mit Geschichten von den Jungs, subkulturellen Referenzen von Gosha Rubchinskiy bis Chief Keef und einem Lex Luger-Beat, der sich als Grundlage für eine echte Turnup-Hymne herausstellt. Wer hätte nach dem ersten Video im Jahr zuvor gedacht, dass RIN grade durch seine Partytauglichkeit den endgültigen Durchbruch schaffen sollte?
Die Lyrics eignen sich hervorragend dazu, von einem im gleichen Rhythmus durch den Club titschenden Mob gen Decke gebrüllt zu werden. Das wissen wir inzwischen. Die Adlibs aus Don't Like und Zeilen ("Es ist Donnerstag, ich kauf mir Supreme") haben Kultpotenzial. Schon jetzt haben er und seine Kollegen wie Yung Hurn Lines für neue Songs aufgegriffen und verändert.
Mit seiner hohen Fashion-Affinität kann RIN zudem eine Nische besetzen, in der hierzulande noch Platz ist. Die Karten liegen seit Don't Like auf dem Tisch.
"Bianco" – Der Sche!ß ist weiß
Im kurzen Intermezzo mit den Jungs von Live from Earth entstand Bianco mit Yung Hurn. Der von Glückshormonen getränkte Sommerhit aus Lex Lugers Beat-Manufaktur ist bis heute das meistgeklickte Video für beide Artists. Ob man feiert oder nicht, hängt nur marginal damit zusammen, wie sehr man sich mit dem Konsumverhalten der beiden identifizieren kann.
Das Ding geht einfach extrem gut ins Ohr und setzt dabei kaum auf die klassichen Tugenden des Sprechgesangs. Die Amis haben Lil Uzi Vert und Lil Yachty, wir haben RIN und Yung Hurn. Natürlich sind die Jungs nicht miteinander gleichzusetzen, aber sie stehen für eine neue Generation von Rappern, die mit den Konventionen des Genres bricht. Bianco hat gezeigt, was damit möglich ist.
Der Fokus beim Sprechgesang verschiebt sich immer mehr Richtung Gesang – ein Blick in die Kommentarspalten zeigt, wie große Probleme die "klassischen" Rap-Fans mit dieser Entwicklung haben. Aber die Welle ist nicht mehr aufzuhalten und holt auch pop-affinere Gruppen in den Rap-Kosmos.
RINs unmittelbar bevorstehendes Debütalbum Eros hat die Chance, diesen "neuen" Rap endgültig in die Wahrnehmung des Mainstreams zu zementieren, wie der nächste Song bereits gezeigt hat ...
"Bros" – Mit den Jungs an die Spitze
Supreme-Umhängetasche, Marlboro-Overload, Lowlife-Romantik mit den Bros und Shawty ist auch dabei. RIN to the fullest!
All das, was den Jungen aus Bietigheim ausmacht, hat offenbar auch Selfmade-Boss Elvir Omerbegovic erkannt. Bis jetzt hat er nur RIN beim seinem neuen Label Divisionunter Vertrag genommen.
Auch die vorigen Auskopplungen aus dem Debütalbum Eros waren schon ordentlich eingeschlagen: Besonders die partytauglicheren Nummern laufen rauf und runter. Aber Bros ist schon zu einer Hymne mutiert.
Hundertausende von RINs Altersgenossen können diesen Film nachvollziehen: Ohne konkreten Plan, aber mit Gin bewaffnet, durch die Gegend ziehen. Es ist nicht wirklich wichtig, was passiert oder wo es passiert ("Wir chillen auf Treppen, Bruder, und nicht auf 'ner Gala"). Es ist wichtig, mit wem es passiert – mit den Bros. RIN greift in seinen Texten vieles auf, das die Kinder der 90er und mittlerweile schon der frühen 2000er-Jahre beschäftigt, aber am spürbarsten ist das alles, wenn die Liebe zu den Homies wie hier ganz subtil durch das Alltägliche vermittelt wird. Darin erkennt man sich wieder.
Passenderweise hat RINs langjähriger Freund Minhtendo den Beat beigesteuert, der diese Freude am Einfachen einfängt. Die beiden und ihre Jungs hängen teilweise schon seit 15 Jahren miteinander rum und RIN braucht dieses Umfeld:
"So blöd es vielleicht klingt, aber diese Jungs sind wie meine Brüder. Die waren für mich da von Tag Eins an. Egal ob ich arm oder reich war, ob’s um Mucke ging oder ob ich gerade ein guter oder ein schlechter Mensch war", sagte er 2016 im Noisey-Interview. Bei RINs früheren Texten hatte man das Gefühl, dass er sich wie ein schlechterer Mensch fühlte. Heute klingen seine Lyrics und seine Texte anders. Die Nachdenklichkeit ist an vielen Stellen geblieben, aber Optimismus und Dankbarkeit nehmen eine größere Rolle ein.
Ein Ausblick?
Diese ganze Mischung aus subkulturellem, urbanem Zeitgeist, modernen Rap-Strömungen und dem lyrischen sowie musikalischen Gespür RINs haben zu einem Hype geführt, für den man aktuell kaum eine Zukunft prognostizieren kann. Eros könnte Deutschrap endgültig auf den Kopf stellen.
Waren es vor einigen Jahren Cro und Casper, die mit ihren stilistischen Neuerungen Rap in Deutschland für den Mainstream wiederbelebt hatten, könnte RIN jetzt ebendiesem Casper in den Charts gefährlich werden. Nicht, dass das etwas über die Qualität der Musik aussagen würde. Es ist aber schon beachtlich, dass man diese Möglichkeit überhaupt in Betracht ziehen kann, nachdem Cas' letzte Alben über 200.000 Einheiten absetzen konnten.
Deutschsprachiger Rap verändert sich und das ist gut so – nur so kann er frisch und relevant bleiben in der schnellen Welt des 21. Jahrhunderts. RIN ist eins der Gesichter dieser Veränderung. Wohin der Weg führt? Nach oben scheint es aktuell kein Limit zu geben. To be continued ...
Bis zum Kollabieren: RINs Frauenfeld-Gig war die absolute Härte
Die Bezeichnung "Turnup" hat in den letzten Jahren oft ihre Rolle übertrieben, aber es gibt immer wieder Konzerte, die die Daseinsberechtigung dieses geflügelten Wortes untermauern. Am vergangenen Wochenende haben zahlreiche Rap-Anhänger im deutschsprachigen Raum vielleicht ihren Abriss des Jahres zelebriert: Das Splash!