Money Boy ist der einflussreichste Deutschrapper der 2010er Jahre – No Cap (Meinung)

Die erste richtige Erinnerung an Money Boy verschwimmt mit einer vernebelten Silvesternacht. 2010 liegt in den Endzügen und das Video zu "Dreh den Swag auf" läuft auf einem Laptop. Alle, die hinschauen, lachen über die Performance des Hünen mit den weitgeschnittenen Klamotten. Nicht weil irgendeine Pointe zünden würde. Nein. Money Boy sorgt für Gelächter, da er auf die Anwesenden wie ein peinlicher Idiot wirkt. Die Sprache, der Style, der Rap – eine zwei Meter große Irritation auf seinem Segway. Gute zehn Jahre später dürfte sich der Spott über Mr. Money in Grenzen halten. Ob die Realkeeper-Fraktion es wahrhaben will oder nicht: Der Wiener hat Deutschrap in eine neue Ära geführt.

Money Boy bringt Trap nach Deutschland

2010 ist das Jahr, in dem Nate57 "Stress aufm Kiez" releast, JAW seinen "Täter Opfer Ausgleich" vornimmt und Haftbefehl Deutschland mit seinem Debüt "Azzlack Stereotyp" konfrontiert. Im Großen und Ganzen macht Deutschrap einen düsteren und wütenden Eindruck. Marteria liefert mit "Zum Glück in die Zukunft" das kommerziell erfolgreiche Gegengewicht. Doch auch der Rostocker verschreibt sich einem klassischen Rapansatz. So einen wie Money Boy hatte hierzulande bisher kaum jemand gesehen oder gehört.

Der Boy übernahm einfach radikal den Inhalt und den Aufbau von amerikanischer Trap-Musik. Jener Stilrichtung, die heute nicht mehr wegzudenken ist und in allen möglichen Facetten existiert. Ob die Deutschrapgemeinde für diesen Stilwechsel bereit war, interessierte Money Boy nicht. Sein erstes Tape "Swagger Rap" ist eine Ansammlung von bewusst schiefem Gesang, ziemlich stumpfen Lines, verrückten Adlibs und Markenfetischismus.

Der "Boy der am Block chillt" zeichnet sich als Typ aus, der "über Kleidung, Geld und Frauen rappt". Dieses thematische Dreigestirn lässt sich heute in fast jedem Track nachweisen, der in die Modus Mio rutscht. Dennoch hat Money Boy deutschen Rap nach einer Dürreperiode sicherlich nicht zurück in den Mainstream geführt. Hier sind ganz andere Charaktere wie Cro, Casper oder der schon angeklungene Marteria die Zugpferde gewesen. Auch im Hinblick auf den heutigen Straßen- oder Gangstarap erscheint Haftbefehl deutlich als der prägende Kopf. Was Capital Bra beim Übergang in die Streaming-Ära veranstaltet hat, ist darüber hinaus eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die von außen betrachtet eine viel größere Strahlkraft besitzt. Doch Money Boy hat es vollbracht, einer Generation die Angst davor zu nehmen, sich vollständig auszuleben. Das Werk von Künstlern wie Yung Hurn, LGoony oder auch negatiiv OG, Edo Saiya und Lil Lano baut auf dem auf, was Money Boy für die hiesige Popkultur geleistet hat.

Dafür importierte er eine komplette Ästhetik aus den Staaten und zeigte bei der Durchsetzung seiner Vision einen extrem langen Atem. Um seine Inspiration machte Money Boy nie einen Hehl. "Dreh den Swag auf" orientiert sich sehr geradlinig an Soulja Boys "Turn Your Swag On". Mixtape-Namen von Chief Keef übersetzte der Boy einfach ins Deutsche. Aus "Finally Rich" wurde "Endlich Reich". Beim Release vom "Back from The Dead" fiel sogar die Übersetzung weg. Generell Mixtapes: Eine Art Vorbildcharakter hatte für Money Boy die Herangehensweise von Gucci Mane oder Lil Wayne.

Beezy möchte der Produktivität von Weezy und Co offenkundig in kaum etwas nachstehen. Money Boy hat so viele Tapes rausgebracht, dass selbst auf Discogs die Katalogpflege eingestellt wurde. Wenn man es martialisch ausdrücken will: Der Wiener Rapper trat nicht leise durch eine Tür, sondern sprengte sich den Weg frei. Wie 2013 aus einem Interview mit The Gap hervorgeht, handelte es sich dabei um eine Methode. Diese funktioniert so:

"Das Internet überfluten, viel Material rausbringen."

Authentisch erschien diese permanente Erzählung vom amerikanischen Lifestyle der Südstaaten vor allem in der Anfangsphase kaum. Die österreichische Hauptstadt Wien mit all ihren Prunkbauten ist nunmal kein bedrohliches Viertel in Atlanta. Sobald Money Boy die Gefahren der Street aufführte und davon erzählte, dass er in seiner Hood Packs flippt und Crack pusht, war das absurd und wirkte unweigerlich komisch.

Die amerikanische Trap-Kultur - so viel lässt sich heute sagen - nimmt Mbeezy absolut ernst. In den letzten Jahren ist er immer wieder zu den Orten gereist, von denen er früher nur aus sicherer Entfernung gerappt hat. Auch das ist ein wenig stellvertretend für den Werdegang und die Einstellung des Boys. Er fabuliert so lange davon, an den Blocks zu hustlen, bis er tatsächlich dort angekommen ist und sich seine Getränke aus dem Grocery Store holt.

Die weitreichenden Ausführungen über Designer-Klamotten sind ebenso keine hohlen Phrasen mehr (falls sie es je überhaupt waren). Durch jede Menge Clubshows, innovatives Merchandise (handbemalte Double Cups) und den Übergang ins Streaming-Zeitalter dürfte ein nicht mehr einzudämmender Cashflow entstanden sein. 2011 brachte ihn ein geklautes Gucci-Bandana bei einer Clubshow noch sichtlich aus der Fassung. Heute ist man geneigt zu glauben, dass Money Boy um einiges reifer und reicher reagieren würde.

Money Boy reizt die Möglichkeiten von Social Media aus

Wie schafft es ein vermeintlicher Joke, sich über eine komplette Dekade zu halten? Money Boy war sich für nichts zu Schade und rieb sich an diversen Punkten seiner Karriere regelrecht auf. Auch wenn es aktuell ruhiger bei Mbeezy geworden ist, gibt es kaum einen Künstler, der so viele kuriose Momente für die Ewigkeit hervorgerufen hat. Das beginnt bei den unzähligen Skandalen und Skandälchen, die mit seinem Namen in Verbindung stehen.

Ein Twitter-Grind frei von jeglicher Ethik und Moral brachte dem Österreicher Unmengen an Schlagzeilen ein. Noch in Generationen wird man sich von dem Joiz-Interview erzählen, das Money Boy sichtlich angeheitert führte und die Moderatorin als überfordertes Häufchen Elend zurück ließ. Wenn Money Boy und Saft in einem Satz zusammenfallen, ist für Kenner der Deutschrap-Bubble klar: "Frag‘ nicht was für Saft! Einfach Orangensaft." Es ist dieses eine Getränk, das er gerne mal in Hotels verschüttet. Apropos verschütten: Die Orsons wissen von einem allzu zu großzügigen Boy zu berichten, der ihnen und einem Splash!-Auftritt für immer nachhängen wird. Um Money Boy ranken sich noch viele weitere solche Episoden, die ihn des Öfteren auch in ein zweifelhaftes Licht rückten. Mbeezy war nie zu bändigen und bewertete 2014 auch schon mal für den kurzen Lachkick die Glieder seiner Rap-Kollegen.

Diese Form von Humor ist so schräg, dass ein Anecken vorprogrammiert ist. Der Konsum von Substanzen mag bei der einen oder anderen Aktion eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der Hate gegen Money Boy ist wohl einkalkuliert. Immer wieder gab es Disstracks und Anfeindungen. In einem legendären Rant auf dem Splash! 2015 führte Damion Davis über knapp drei Minuten aus, warum er den Wiener für "hydro giga wack" hält.

Money Boy hat aber auch einen weniger kontroversen Weg gefunden, sich als Person zu vermarkten. Er liefert einfach eine durch und durch stabile Performance als Kochshow-Host ab. Die Notification Gang weiß, dass es lit wird, sobald in der "Traphouse Kitchen" die Herdplatten glühen. Ausflüge in die Welt eines Sportreporters meisterte der glühende Basketballfan mit einer massiven Souveränität. NBA-Stars charmant nach ihren Vorstellungen von einer flachen Erde zu befragen, kann so sicher nicht jeder.

Die legendären Hood Reports wirken inzwischen reichlich albern – aber sind doch ein Indikator dafür, dass Money Boy die Wirkungsweisen von YouTube und Social Media schon sehr viel früher verstanden hat, als eine Menge anderer Artists. Mit einem Best-Of von Money Boy-Tweets ließen sich ganze Abende füllen. Die unzähligen Blogs, YouTube-Formate, Freestyles und Social-Media-Perlen dokumentieren ein gewaltiges Sendungsbewusstsein. In seinem ersten Track hat Money Boy eigentlich schon ein bis heute für ihn geltendes Prinzip vorweggenommen.

"Ching, Chang, Chung, ich bin nicht dumm / Die Kette macht Bling, die Kasse macht Ching"

Über die Jahre hat sich Money Boy zudem immer wieder selbst neu erfunden. So wollte er eine Zeit lang YSL Know Plug genannt werden. Auch mit dem Alias Pineapple The Fruit Dude spielte der Boy. Er verformte sich und Sprache so, wie es ihm in den Kram passte. Heutige Ausdrucksweisen gehen sowohl in der Alltagssprache als auch im Deutschrap auf den Boy zurück.

Die Sprache des Boys ist die Sprache der Zeit

Swag (2011), Yolo (2012), Gönn dir! (2014), fly sein (2015), I bims (2017): Die (stets leicht verzögerte) Auswahl zum Jugendwort des Jahres ist wie aus dem Kosmos von Money Boy entrissen. Was zunächst oft ironisch eingesetzt wurde, hat sich in den Sprachschatz eingenistet. Swag ist zehn Jahre nach "Swagger Rap" fester Bestandteil der Kultur. Dabei sind es nicht nur Worte oder Wendungen, die Money Boy im deutschen Sprachraum zur Popularität verholfen hat. Rückstände von einer bewusst unsauberen Grammatik und verzerrter Rechtschreibung stehen bis heute vor allem auf Twitter an der Tagesordnung.

Haftbefehl ist mit seinem Kanackis noch ein ähnlicher Einfluss auf die Wortwahl mehrerer Generationen zuzuschreiben. Dieses ständige Neudenken von Sprache ist eine Leistung, die einen gewissen Intellekt erfordert. An dieser Stelle kommen wir zum Punkt, der jahrelang an Money Boy klebte, wie ein lästiges Kaugummi unter Versace-Slippern. Meint der das alles so? Ist er ein wandelndes Uni-Projekt?

Eine gefühlte Ewigkeit wurde versucht, Money Boy zu entschlüsseln – auch von Hiphop.de. Die Vermutung drängte sich auf, dass das alles nur ein großer Bluff sein kann. Wie sich schließlich herausstellen sollte, hat Sebastian Meisinger ja einen Magister und eine Diplomarbeit über "Gangsta-Rap in Deutschland" geschrieben. Der Trugschluss: Wer einen Studienabschluss besitzt, muss über einen geheimen Masterplan verfügen. Doch den gibt es nicht. Money Boy zeigte sich von diesem Herumgestocher in seiner Vita zumindest äußerlich nie sonderlich beeindruckt.

10 Jahre "Swagger Rap": Money Boy gebührt Respekt

Heute ist von der Skepsis kaum noch etwas übrig. Money Boy hat entgegen allen Widerständen eine beachtliche Karriere aus dem Boden gestampft. Selbst das Argument, dass er keine Skills besitzen würde, ist nach all den Jahren untauglich. Der Boy kann rappen – und zwar was, wie und worüber er will. Der thematischen Mischung aus "Kleidung, Geld und Frauen" bedient er sich weiterhin. Money Boy ist inzwischen aber in der Lage, solche Inhalte viel versierter zu verpacken. Flow und Punchlines sitzen besser denn je.

Politisch korrekt ist er mit dem Alter nicht geworden. Eine latente Homofeindlichkeit scheint immer wieder in den Lyrics durch. Auch dass der Boy im "Rap Up 2019" betont, einen "F*ck auf unser Klima" zu geben, zeugt nicht von einer sonderlich aufgeklärten Haltung. Die ungeschriebenen Gesetze der Trap verlangen vielleicht für alle Zeiten nach ein bisschen Kontroverse.

Es haben sich aber ebenso spürbare Veränderungen eingschlichen: Das Output-Level wurde merklich nach unten gefahren. Inzwischen setzt Money Boy mehr auf Qualität als Quantität. Das Internet sieht sich nicht mehr den Fluten von Tapes und Tracks ausgesetzt. Auch die Social-Media-Kanäle bekommen deutlich weniger Futter. Vielleicht ist der 39-Jährige ein bisschen müde geworden. Nach einem Jahrzehnt im Game mit allerlei exzessiven Turnup-Momenten wäre eine Verschnaufpause nachvollziehbar.

Vom Gespött zur geschichtsträchtigen Figur – dass soll ihm erstmal wer nachmachen. Wenn Silvester 2020 ein Track von Money Boy aus den Boxen knallt, bleibt hysterisches Gelache wahrscheinlich aus. Trap ist in den Mainstream geschwappt. Mit "Monte Carlo" hat Mbeezy sogar einen lupenreinen Hit gelandet, der keinen Insider-Humor bedient, sondern problemlos und ironiefrei in allen möglichen Playlists stattfinden kann. Das Video dazu kommt von MacDuke – einem Video-Künstler, der sonst Songs von Shindy, Kalim oder Ufo361 visualisiert. Die Verpackung seines stets drippenden Produktes misst Money Boy sichtbar einen höheren Stellenwert bei.

Auf dem 2020 releasten Album "Dripolympics" sind mit "Drip Drop" (4,5 Millionen Streams auf Spotify) und "Benny Blanco" (5,7 Millionen Streams auf Spotify) zwei weitere Songs, die durch ihre Qualität hervorstechen. Wer darüber hinaus wissen will, welche Beats den aktuellen Ami-Flavour aufgreifen, muss einfach nur dem Output des Boys nachspüren. So nahe an den Soundbildern der kommenden US-Acts orientiert sich kaum ein anderer Szenevertreter. Auch Kollegen erkennen die Lebensleistung des wohl ersten deutschsprachigen Vollblut-Trappers immer häufiger an.



Egal, wie es für den Wiener in den nächsten Jahren weiter läuft: Er hat wichtige Pionierarbeit geleistet, sich nicht unterkriegen lassen und die Regeln des Spiels für immer verändert. Ya dig?

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