Kurzfilme für die Kunst: Die Amis sind uns wieder einen Schritt voraus

Wie die Butter zum Brot gehört zu einer Single auch ein Musikvideo. Dabei ist es gar nicht mehr so entscheidend, wann so ein Clip erscheint. Lil Nas X, Post Malone oder zuletzt Roddy Ricch haben sich wenig darum geschert, ob die Songs "Old Town Road", "Rockstar" oder "The Box" schon pünktlich zum Release visualisiert waren.

Wichtig ist jedoch der Umstand, dass keiner auf einen Clip verzichten wollte. Die Kraft von Bildern und Geschichten ist weiterhin ungebrochen. Wenn es sich um das ganz große Entertainment dreht, ist uns Amerika meist noch einen Schritt voraus. Zusätzlich zu Musikvideos droppen US-Artists in letzter Zeit wieder häufiger Kurzfilme, welche den künstlerischen Ansatz einer Platte erweitern und vertiefen.

Der Trend geht zum Kurzfilm

Viele Rapper kündigen zwar auch hierzulande mit der nächsten Single einen Movie an, aber auf Kinoniveau sind diese Arbeiten meist nicht. Oftmals steckt nicht mehr dahinter als eine Abwandlung eines gewöhnlichen Musikclips. Das heißt: Der Song wird irgendwie vor wechselnden Kulissen performt und in der Nachbearbeitung kommen ein paar Effekte hinzu. Daran ist überhaupt nichts auszusetzen. Doch im Zuge des immensen Wettbewerbes um Aufmerksamkeit ragt man so kaum aus der Allgemeinheit heraus.

Amerikanische Künstler sind genauso begabt darin, exakt solche Musikvideos en masse herzustellen. Auch jenseits des Atlantiks strotzt nicht jeder Videoschnipsel vor Innovation. Dennoch ist durchaus ein Trend erkennbar. Das Musikvideo bleibt als Tool bestehen, aber wird um weiteres Bildmaterial ergänzt, das keinen konkreten Song promotet. Künstler, die sich um Budgetfragen eher keine Sorgen machen müssen, veröffentlichen hochwertige filmische Werke, in denen sie die Hauptrolle spielen.

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After Hours Short... Link in Bio

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Auf diesem Level ist das beileibe kein neues Phänomen. Drake hat mit "Please Forgive Me" und "Jungle" schon zwei Werke dieser Kategorie in seiner Vita stehen. Ebenso hat Kendrick Lamar seine Songs "U" und "For Sale" in den Kurzfilm "God Is Gangsta" überführt. An dieser Stelle sollen die französischen Superstars PNL nicht unerwähnt bleiben, welche zum Album "Dans La Légende" drei zusammenhängende Kurzfilme auf das Videoportal deines Vertrauens gebracht haben.

Travis Scott, The Weeknd & Lil Uzi Vert liefern Movies

Dass solche cineastischen Ausflüge auch als solche begriffen werden sollen, verdeutlicht oftmals der Soundtrack. Aktuelle Hits spielen in den Werken selbst nämlich eine untergeordnete Rolle. Eine wirkliche Verbindung zwischen Lil Uzi Verts neuer Single "That Way" und dem Kurzfilm "Baby Pluto" zu seinem Album "Eternal Atake" gibt es nicht. Ja, der Track "Futsal Shuffle 2020" klingt kurz an, aber da ist der Film schon so gut wie beim Abspann.

Short film for Eternal Atake "BabyPluto"

Short film for Eternal Atake "BabyPluto" Gibson Hazard Connect with Lil Uzi Vert: https://twitter.com/LILUZIVERT https://www.instagram.com/liluzivert/ htt...

Ähnlich verhält es sich mit The Weeknd, der zu seinem Album "After Hours" einen gleichnamigen Streifen releaste. Die unverkennbare Stimme des RnB-Stars ist darin nicht präsent. Stattdessen bleibt die Musik instrumental. Die Story ist zudem eingebettet in eine größere Geschichte, die offenbar noch nicht auserzählt ist. Es beginnt mit The Weeknds Auftritt in einer Late Night Show, den er dort tatsächlich absolviert hat und mündet in mutmaßlicher Gewalt, die sich hinter einer Fahrstuhltür abspielt. Dazu trägt der Sänger den gleichen roten Anzug, welchen er in sämtlichen Musikvideos und auf allen Artworks präsentiert. Seine schauspielerische Einlage ist hier Teil eines weitreichenden Puzzles.

The Weeknd - After Hours (Short Film)

Official short film for The Weeknd's 'After Hours' album - pre-order everywhere now: http://theweeknd.co/afterhoursYD Subscribe to The Weeknd on YouTube: ht...

Wie seine beiden Kollegen hat auch Travis Scott einen Movie herausgebracht. Zur Veröffentlichung von "JACKBOYS" liefert La Flame ein düsteres Porträt seiner Clique. Zwischen Autos und Gewalt ist dabei wenig Handlung zu erkennen. Trotzdem fügt der Film dem "JACKBOYS"-Kosmos eine ästhetische Komponente hinzu, die sich allein über Musikvideos kaum herstellen ließe. Die Brutalität und Regellosigkeit des Gang-Lifes wird durch Bilder ausformuliert.

"JACKBOYS": Travis Scott releast Kurzfilm

Von Michael Rubach am 21.02.2020 - 15:03 Die zweite Season im zweiten Kapitel von Fortnite hat kürzlich begonnen. Dabei liefert das Game nicht nur einen neuen Battle Pass und vielen neue Features. Auch Travis Scott scheint in den Überlegungen von Epic Games vorgekommen zu sein. Das legt der Quellcode nahe, den aufmerksame User durchstöbert haben.

Die Auskopplungen "Gang Gang" und "GATTI" bedienen nebenher wieder klassische Performance-Aspekte.

Warum dieser Aufwand?

Was sollen diese sicher nicht billigen Späße, wenn man es auch einfach lassen könnte? Für keinen der genannten Artists wäre es ein Problem, simple Musikvideos zu drehen, die ohne zusätzliches Kopfzerbrechen von statten gingen. Am Beispiel von Travis Scott zeigt sich zudem, dass ziemlich gewöhnliche Performance-Videos sogar ein Vielfaches an Aufrufen erzielen.

Die aufwendigen Filme fügen der Welt, die der Künstler durch seine Musik aufmacht, jedoch etwas sehr Konkretes hinzu. Die Artists können so viel klarer herausstellen, was ihre künstlerische Vision ist. Zwangsläufig schießen bei Titeln wie "Eternal Atake" oder "After Hours" Bilder in den Kopf. Die dazugehörigen Filme geben eine grobe Anleitung, in welchem Rahmen die Kunst aus Sicht des Kunstschaffenden eigentlich stattfindet.

Die Projekte erreichen dadurch ein höheres Maß an Komplexität und letztendlich auch einen Mehrwert, an dem man sich als Fan abarbeiten kann. Natürlich verfolgt so ein Aufriss einen klaren Selbstzweck. Alle obigen Titel sind schlussendlich Werbung für ein Release und sollen eine Käuferschicht ansprechen. Aber genau das tun Musikvideos ebenso – nur viel direkter. Dazu kommt, dass nahezu jeder, der ein Mikrofon halten kann, solche Videos ins Internet stellt.

Wenn Capital Bra und Samra durch die Berliner Straßen springen, ist das ziemlich einfach nachzuahmen. Eine Landung einer fremden Spezies, ein manisch wirkender Weeknd, der von einer unsichtbaren Macht durch die U-Bahn geschleudert wird oder eine rasante Gewaltorgie der "JACKBOYS" bieten genau das nicht an. Es sind eigenständige Kunstwerke, die das Konventionelle bei Weitem übersteigen.

Auch Künstler hierzulande wählten diesen Weg schon. Xatar und Haftbefehl haben das Filmische bei ihrem "Coup" vielleicht ein bisschen übertrieben. Die halbstündige Gangsterposse war zudem eher wie ein Snippet mit vielen Knalleffekten konzipiert. Hier scheint das Ende der Machbarkeit nicht erreicht.

Wie es gehen kann, zeigt Seros "Confessional". Allerdings ist hier der Track selbst trotz der beeindruckenden filmischen Umsetzung durchaus noch im Vordergrund. Marterias und Specters Epos "Antimarteria", das im Zuge des Albums "Roswell" das Licht der Welt erblickte, ist kein Kurzfilm, sondern ein ausproduziertes Projekt, das einfach alles vorgibt und schon fast drei Jahre auf dem Buckel hat. Die Zeit scheint aktuell reifer denn je für verkürztes Kino.

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