Kunst statt Kommerz: Chefboicani über sein Video für Yung Hurn, US-Connections & die Faszination für Tyler, the Creator

Rap ist allerspätestens dieses Jahr endgültig im Mainstream angekommen. Anfang des Jahres überholte Capital Bra einen Rekord der Beatles, Hiphop gehört zu den meist gestreamten Genres in Deutschland und in den aktuellen Top 10 der deutschen Single-Charts sind neun Hiphop-Tracks platziert

Wer im musikalischen Mainstream unterwegs ist, will meistens vor allem eines: ordentlich Scheine kassieren. Da Zeit bekanntlich Geld ist, soll alles im besten Fall auch noch möglichst schnell passieren. 

Die Arbeit an einem Track hört nicht auf, sobald Rapper*innen ihre Lyrics aufgenommen haben. Ein künstlerisches Gesamtwerk ist mehr als nur eine Tonspur und erfordert den Einsatz von vielen Beteiligten. 

An den Texten schreiben oft gleich mehrere Leute. Außerdem müssen Beats produziert, Tracks abgemischt, Cover-Artworks designt und Musikvideos gedreht werden. Drohende Deadlines zwingen die Involvierten zügig zu sein und können den Willen zu kreativen Umsetzungen senken. 

Insbesondere Musikvideos können so zu lieblosen Auftragsarbeiten werden, die als austauschbare Massenware auf YouTube landen. Ausgewählte Luxus-Karren, (viele) leicht bekleidete Frauen und noch ein paar Hochglanz-Aufnahmen von einer Drohne. Zack, fertig: langweiliges 0815-Hiphop-Video. An Budget fehlt es nicht, an Kreativität jedoch häufig schon.

Chefboicani macht es gegen den Trend

Der gerade mal 17-jährige Videograf Chefboicani aus Wien, bildet mit seinen Musikvideos eine Ausnahme zum Trend. Das schafft er, indem er einen eigenen künstlerischeren Ansatz findet, der es ihm ermöglicht, die Stimmung eines Tracks stilsicher und authentisch in einem Video darzustellen. Dabei gilt vor allem: Aus wenig viel machen. 

Chefboicani gehört zu der Generation, die intensiv mit YouTube aufgewachsen ist. Für einige Teenager mit gewisser Vorliebe für Videospiele ist das Aufbau-Spiel "Minecraft" ein beliebter Zeitvertreib, um Langeweile abzubauen. Wie bei wirklich allem im Leben gibt es natürlich auch zu dem Spiel eine unzählige Menge an Videos auf YouTube. 

Es ist also nicht schwer vorstellbar, dass Chefboicani in seinen Anfängen keine Musikvideos für Künstler*innen, sondern Intros und Animationen für Minecraft-YouTuber*innen produziert hat.

"Ich glaube, ich war einer der Einzigen, der in diesen Intro-Videos Rap-Songs verwendet hat. Das hat in mir die Idee geweckt, Musikvideos zu gestalten." 

Chefboicani über Rapper aus Wien

Heute fertigt er keine Intros mehr für YouTuber*innen an, sondern erstellt Cover-Artworks, entwirft Merchandise und produziert Musikvideos für Rapper*innen, mit denen er cool ist. Allen voran für Leute aus seiner "Dumbkoif"-Crew, wie Iloveakim und Künstlern von Sport Records, wie Jonny5. Außerdem besucht er eine Schule für Berufe der visuellen Kommunikation und Medientechnik in Wien.

"Bei Leuten wie Akim oder Jonny ist es so, dass sie sich mit einem Song bei mir melden. Oft hat Jonny schon eine Idee, die wir gemeinsam ausarbeiten. Hinterher tobe ich mich dann in der Post-Production aus und meistens findet er es dann auch cool."

Bei der Zusammenarbeit mit Iloveakim liefe es anders, da sie eh dieselbe ästhetische Vorstellung teilen würden. Als große Inspiration, die seinen Style prägt, nennt Chefboicani vor allem eine Person:

"Einige der wenigen Künstler, die mich wirklich inspirieren, ist Tyler, the Creator. Seine Videos haben mich auch endgültig dazu bewegt, selber Musikvideos zu produzieren."

Die Parallelen zu Tylers kreativem Schaffen fallen besonders bei dem Track „Ganzen Tag im Zimmer“ von Iloveakim auf. Der Song selbst erinnert stark an die Lieder auf Tylers ersten Alben "Bastard" und "Goblin", aber auch das Video knüpft an den Stil von Tyler an. Chefboicani sagt, es sei sein Traum für ihn gemeinsam mit Tyler etwas zu kreieren.

Das Video mit Yung Hurn war ein Tag vor Release fertig

Sein bisher größtes Video hat Chefboicani für Yung Hurn produziert. Der Song "Cabrio" hat aktuell fast zwei Millionen Aufrufe.

Nachdem er eng mit Jonny5 zusammengearbeitet hat und sich ein Portfolio an Videos und Cover-Artworks aufgebaut hat, sei Yung Hurn auf ihn aufmerksam geworden. Als ein gemeinsames Video ein Jahr lang nicht zustande kam, lief plötzlich alles ganz spontan.

 "Das Video habe ich einen Tag vor dem Release der Single fertiggestellt."

An dem Video wird deutlich, wie gut eine minimalistische Herangehensweise funktionieren kann. Für ein erfolgreiches Video braucht es manchmal nur ein paar Aufnahmen und kreative Ideen in der Postproduktion.

Chefboicani sagt, er habe sich gewundert, dass das Video von den Leuten so gefeiert wurde, obwohl es relativ einfach gemacht ist. Trotzdem habe er den Stress einer knapp bemessenen Deadline gefühlt.

Aus Verzweiflung schrieb Chefboicani Rapper*innen auf Instagram an

Ein Werk, das deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen hat, ist sein animiertes Video für den US-Rapper Reese Laflare zum Track "Nostylist". Bevor das Video entstanden ist, sei er verzweifelt gewesen. Er fand keine Rapper in seiner Umgebung, mit denen er arbeiten wollte. Aus dieser Lage heraus, fing er an, Rapper*innen auf Instagram anzuschreiben.

"Ich dachte mir: Was kann schon schieflaufen? Gar nichts. Am Ende hat es sich tatsächlich gelohnt. Unter anderem hat mir Reese Laflare für ein Musikvideo zugesagt. Sowas macht eben das Internet möglich." 

An der Produktion saß er freiwillig und ohne Bezahlung drei Monate lang. Es war sein erstes Musikvideo und dazu noch für einen Künstler aus den USA, den er persönlich feiert. Er sagt, er habe so lange durchhalten können, weil er wollte, dass sein erstes Musikvideo so gut wie möglich wird. Das war ihm wichtig, damit er darauf aufbauen konnte.

Für das Video bekam er Props von Rappern aus Wien. Die waren überrascht, dass er zwar schon mit einen relativ bekannten US-Rapper, aber nicht mit einem deutschen Künstler gearbeitet hatte.

Reese Laflare erwähnte Chefboicani gegenüber dem amerikanischen Musikmagazin The Fader in einem kurzen Artikel zum Video.

Chefboicani ist kein Fan von Auftragsarbeit

Generell nimmt Chefboicani eher selten Aufträge an und dann auch nur von Künstler*innen, hinter denen er wirklich steht. Es gebe sonst nur einen Grund Aufträge anzunehmen: Geld. Die Auftragsarbeit identifiziert er auch als Grund für die Vielzahl an sehr ähnlichen Videos im Rap-Kosmos:

"Die Videos sind teilweise von Leuten produziert, die zwar heftiges Equipment haben und ihren Job schon jahrelang verfolgen, aber nicht hinter der Musik stehen und es nur für das Geld machen."

Chefboicani motivieren aber andere Sachen. Das kreative Ausprobieren und die Möglichkeit, Leute mit coolen Inhalten zu begeistern und zu inspirieren. Er sei nicht für seine frühere Kunst bezahlt worden und produziere immer noch Videos für lau.

"Wenn man versucht immer auf Krampf irgendwelche Aufträge anzunehmen, kann es leicht sein, dass man hinterher in einem Teufelskreis steckt. Die Leute buchen dich dann, aber wollen immer das Gleiche, was du zuvor gemacht hast. Deswegen versuche ich nur Aufträge anzunehmen, bei denen ich eine andere Seite von mir zeigen kann. Ich will zum Beispiel nicht für Leute wie Money Boy Videos produzieren, weil sie eine Ästhetik haben, die irgendwie immer dieselbe ist."

Wenn Chefboicani über die Künstler*innen spricht, mit denen er in Zukunft etwas machen möchte, zeigt sich sein Wunsch, sich in neue Richtungen zu entfalten. Mit Gringo und Xatar zählt er zwei Rapper auf, die es schaffen Straßenrap mit komödiantischen Elementen zu kombinieren. Dieser Stil eröffnet ihm Möglichkeiten für neue Ansätze, die er noch nicht probiert hat.

Der Videograf habe wohl auch schon Anfragen von Universal und Def Jam bekommen. Es sei aber teilweise schwierig, mit solchen großen Labels zu arbeiten – inklusive nerviger Umständen, wie Verträge oder Deadlines. 

Chefboicani glaubt, dass die Industrie immer noch Videografen unterschätzt. Eigentlich ist es nicht gerade üblich, dass die Produzent*innen vom Video namentlich im Titel erwähnt werden. Chefboicani taucht dort jedoch relativ häufig auf. Das komme daher, dass er mit den meisten der Künstler*innen, mit denen er arbeite, gleichzeitig auch befreundet sei.

"Wenn ich für die Leute ein Musikvideo mache und für die ganze Creative Direction verantwortlich bin, ist es selbstverständlich, dass sie mir auch Credits geben und mich zum Beispiel in den Titel schreiben."

Chefboicani will seine Marke "Dumbkoif" etablieren

Neben seinem Dasein als Videograf und Creative Director konzentriert er sich außerdem darauf, seine Marke "Dumbkoif" aufzubauen. Die Marke soll das zusammenfassen, wofür er und seine Homies stehen.

"Dummköpfe sind meistens Leute, die Sachen riskieren, nicht lange drüber nachdenken und was Neues machen wollen. Und das passt genau richtig zu uns. Außerdem ist es ein lustiges Wort."

Passende Klamotten gibt es auf jeden Fall schon, die sollen irgendwann auch zum Kauf erhältlich sein. Vielleicht schafft es Chefboicani, seinen Künstlernamen und seine Marke in ein bekanntes Siegel zu verwandeln, das für Qualität steht. Bisher ist er auf jeden Fall auf einem guten Weg dorthin. 

Kategorie

Groove Attack by Hiphop.de