Hype ohne Grund? Damsos "Lithopédion" unter der Lupe

Ein Jahr nach der jetzt schon legendären Platinscheibe "Ipséité" liefert uns 92i-Signing Damso letzten Freitag einen weiteren Epos. "Lithopédion" – zu deutsch "Steinkind", ein abgestorbener, versteinerter Fötus im Mutterleibe – ist der Name der neuen Platte. Dems sorgte zuletzt aufgrund von Sexismus-Vorwürfen für Wirbel, hielt sich aber auch abgesehen von diesen Schlagzeilen hartnäckig in aller Munde. Der Belgier erschuf sich über die letzten paar Jahre durch sein Auftreten, seine Art und hauptsächlich seine Musik einen unglaublichen Status weit über die Landesgrenze hinaus.

Ganz ähnlich wie King Kendrick Lamar in den Staaten ist Damso in der französischsprachigen Szene dafür bekannt, ein Perfektionist zu sein und kein Wort zufällig zu platzieren. Die treffende Art und Weise, mit welcher der 26-Jährige seine Message lyrisch verpackt, ist unvergleichlich. Hält Dems den hohen Erwartungen auch auf dem neuen Langspieler stand? Jeder neue Output wird von seinen Fans und Kritikern bis ins Detail geprüft. Für Damso gilt es nun, mit "Lithopédion" sein Standing in der Szene zu bestätigen.

Gold, Platin, Charts-Dominanz: Booba-Signing Damso erobert grade Rap-Frankreich

Sein erstes Album ging Gold, der kürzlich erschienene Nachfolger erreichte jetzt Platinstatus. Innerhalb von nur einem Monat wurde das Release über 100 Millionen Mal auf Spotify gestreamt und konnte sich in vier der ersten sechs Verkaufswochen auf dem ersten Platz der Charts halten, was bei Rapalben höchst selten vorkommt.

Die Singles

"Ipséité": William Kalubi, wie Damso mit bürgerlichem Namen heißt, veröffentlicht genau ein Jahr nach dem Album "Ipséité" die erste gleichnamige Single des neuen Epos. Der Song fungiert auf "Lithopédion" gewissermaßen als Bonustrack. Dieser Geniestreich beinhaltet alles, was Damso ausmacht. Ein melodiöses eingängiges Instrumental, der gewohnt leichtfüssige Flow, welcher zeitweise in ein unbeschwertes Trällern übergeht, und die harten Lyrics ergeben die einzigartige Mische, die Damso wie kein Zweiter draufhat.

“Maman, j'ai fait mon premier million.“

”Mama ich habe meine erste Million verdient.”

"Smog": Mit "Smog" bekommen wir dann auch etwas fürs Auge. In gewohnt düsterer Manier präsentiert sich Damso in einem schwer fassbaren Video. Die mysteriöse Aura, die das Flowmonster umgibt, verdichtet sich zu einer Nebelwand. Je mehr wir von Brüssels “enfant terrible” zu Gesicht bekommen und denken zu wissen, desto stärker hebt er sich von uns ab. Der Smog, von welchem die Rede ist, könnte genau dieses düstere nebulöse Universum “Nwaar” beschreiben, durch welches Dems watet. Folgendes kann man trotz all der Ungewissheit sagen: "Smog" entspricht flowtechnisch zu hundert Prozent dem Damso, den seine Fans kennen und lieben.

“C'est toujours Dems, négro, qu'importe, c'est toujours Dems.”

“Es ist immer noch Dems, egal was passiert, es ist immer noch Dems.”

Damso - Smog

Damso - Smog Nouvel album "Lithopédion" disponible partout le 15 juin En précommande ici : https://damso.lnk.to/Lithopedion Best of Damso https://goo.gl/45BnLB Subscribe here: https://goo.gl/AR5wte Clip Réalisé par Matthias Delabarre & Frédéric De Pontcharra (M+F) Produit par French Lab Agency Prod : Pyroman Stylisme : http://www.drône.fr http://www.humanwithattitude.com https://isakinparis.com https://www.smets.lu "Lithopédion Tour" :

Spätestens nach diesem Brett war der Hype real ...

Lithopédion

"Lithopédion" ist das dritte Studioalbum. Am 15. Juni erschien das 18 Track starke Werk. Nach dem dritten Opus in zwei Jahren, zahlreichen Auszeichnungen und gebrochenen Rekorden scheint der Hunger des gebürtigen Belgiers vorerst gestillt zu sein. Dies scheint uns Boobas Schützling zumindest vermitteln zu wollen.

“Marquer l’histoire et passer à autre chose”

“Die Geschichte prägen und sich anderen Dingen zuwenden”

Gut möglich, dass Damso vor einer größeren Pause in seiner steilen Karriere steht. Inwiefern er mit "Lithopédion" der eigenen Einschätzung, die Geschichte zu prägen, gerecht wird, versuchen wir anhand unserer Albumfavoriten herauszufinden.

Das Genie

Ein Meisterwerk mit einem weiteren Meisterwerk zu toppen, das schaffen die wenigsten Musiker, geschweige denn Rapper. Wenn wir ehrlich sind, konnten die musikalischen Erwartungen nach "Ipséité" und Hits wie "O. Macarena" kaum erfüllt oder gar getoppt werden. "Lithopédion" ist schwere Kost.

Es mag durchaus sein, dass es als Gesamtwerk nicht mit der Leichtigkeit seines Vorgängers mithalten kann. Doch was dahinter steckt, ist tiefer und durchdachter, als das meiste, das Rap Français je zu Gesicht bekommen hat. Aus anfänglich kritischen und enttäuschten Tweets entwickeln sich mit jeder Stunde, in welcher der versteinerte Fötus "Lithopédion" seine Wirkung entfaltet, positivere und erstaunte Meinungen. Einerseits liegt dies an der Message, den harten Worten und den Fakten, mit denen sich die frankophone Gesellschaft konfrontiert sieht. Andererseits enthält der Epos Flowvariationen, Stilmittel und Beats, welche sich selbst geübte Raphörer nicht gewohnt sind. Dems liefert uns ein einzigartiges Werk, welches es zuerst zu verstehen gilt. Lyrisch sowie musikalisch.

Lithopédion

Lithopédion, an album by Damso on Spotify

"Julien": Das Instrumental begrüßt den Hörer mit einer Leichtigkeit, Unbeschwertheit und einem Kopfnicker-Rhythmus, wie man es kaum von Damso kennt. Wenn die tiefe Stimme einsetzt, hören wir die Geschichte von Julien. Julien ist jedermann, der französische Max Mustermann sozusagen. 

In dem Song fasst er ein Thema an, bei dem man auch schnell ins Fettnäpfchen treten könnte. Damso konfrontiert uns, in Form von Juliens Vorlieben, mit Problemen der Pädophilie. Julien sieht sich von der Gesellschaft nicht verstanden und stellt fest, dass lediglich ein anderer Julien ihn verstehen könnte. Im zweiten Part tritt dann ein kurzes Gespräch mit einer Frau ein. Sie auf die Frage, was ihr Name sei: “Je m'appelle Julien”.

An diesem Punkt des Song fühlt der Hörer sich vor den Kopf gestoßen und auf frischer Tat ertappt. Jeder hatte das Bild eines Mannes im Kopf. Doch Damso zeigt uns auf subtile Art und Weise, dass Julien jeder/jede sein kann. Er verlangt von der Gesellschaft, den Blickwinkel auf derartig emotional aufgeladene Themen zu erweitern, Vorurteile und Dogmen zu hinterfragen. Die Pädophilie dient hier als konkretes Beispiel mit konkreten Folgen und gleichzeitig als Vorlage für Damsos philosophische Fragestellung am Ende des Tracks. Wessen Schuld ist es, wenn jemand unter einer falschen Neigung leidet, einem Fehler der Natur, für den es kein Gegenmittel und kaum Chancen auf Heilung, geschweige denn Akzeptanz gibt?

Ein Tanz auf Messers Schneide, den Damso mit diesem Thema wagt. Doch seine nachdenklichen Worte treffen einen geschickten Tonfall. Das Ganze in einem solch atmosphärischen Track zu verpacken und dem Hörer gleichwohl seine womöglich falschen Weltansichten so anschaulich aufzuzeigen, ist eine hohe Kunst.

"Feu de bois": Melodie setzt ein. “Oh ba-ba-baby”. Damso, Abriss. Frühestens 30 Sekunden später holt der Zuhörer das erste Mal Luft. Damso fliegt über den Beat und spielt mit den Worten wie jemand, der die Sprache und ihre Kraft kennt und liebt.

“Creux de joie, que de rois, fée des bois /Fais de moi ce qu'on a fait de toi

Sur le toit, sûr de toi, tu t'y crois / C'est déjà ce qu'on a fait de moi”

Ein poetischer Meisterstreich der Assonanz (vokalischer Halbreim). Dies bedeutet, dass sich in nebeneinander stehenden Wörtern ein Gleichklang der Selbstlaute befindet ("joie", "rois", "bois" e.t.c.). Hier sind dies vorwiegend die Laute "oi" und "eu" (dt: ua/ö). Darin verpackt Damso ein verstricktes Liebesgefecht, welches ihm einiges abzuverlangen scheint. Lyrisch, aber besonders technisch ein Highlight auf dem Album, das eine andere Stärke des Belgiers auf eindrucksvolle Weise demonstriert. Damso absolut in seinem Element.

Ein würdiger Nachfolger?

Damso ist der Streaming-König, auch Streamso genannt. In Frankreichs Spotify-Charts belegt 92is Belgier mit den 17 Anspielstationen der LP mal eben Platz 1 bis 17. "Lithopédion" ist kein One-Night-Stand. Das Album braucht seine Zeit und Aufmerksamkeit, um vollständig zu gedeihen. Doch die Streaming-Zahlen machen klar, dass die französische Rapwelt dafür bereit ist – die Vorgänger haben den Hörern ein gewisses Vertrauen in Damsos Schaffen gegeben.

Wie groß der Erfolg sein wird und ob es mit den Verkäufen von "Ipséité" mithalten kann, wird sich zeigen. Für die Vielzahl an beteiligten Produzenten (einzig Benjay lieferte mehr als ein Instrumental, "Festival de Rêves" & "60 Années") bleibt der sphärische Sound über Albumlänge überraschend homogen, auch wenn Damso mehr Ausreißer zulässt als noch auf dem Vorgänger. "Aux paradis" etwa bedient sich bei Garage und House, "Julien" klingt, als würde Dr. Dre auf Christine and the Queens treffen, "Silence" kommt ganz ohne Kicks, Snares und Bässe, "Même issue" versprüht westafrikanischen Flair und man meint, elektronische Einflüsse unterschiedlicher Jahrzehnte immer wieder aufblitzen zu hören. Im Gesamtpaket bleibt jedoch Trap mit Pop- oder Dancehall- und Afropop-Einflüssen das, wonach sich das Album im Nachhinein anfühlt.

In jedem Fall gelingt es Dems mit seinen Skills als Erzähler, als Rapper, als Sänger und als Reimakrobat, die Rapwelt ein weiteres Mal auf den Kopf zu stellen und sich von der Seele zu rappen, was ihn beschäftigt. Und natürlich drückt er damit der Geschichte ein weiteres mal seinen Stempel auf. Bleibt nur zu hoffen, dass er der Szene nun nicht allzu lange fern bleibt. Denn der Hunger seiner Hörer nach neuem Output wird nach dieser Platte nicht kleiner.

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