Hiphop.de diskutiert: Ist "CLA$$IC" Kunst oder kann das weg?

CLA$$IC ist mittlerweile seit etwa zwei Wochen zu hören. Die Meinung gehen auseinander – manche hassen es, viele lieben es. 

Ein Umstand, den Bushido seit King Of Kingz, seinem ersten Mal auf Platte vor fast 15 Jahren, bestens kennt.

Sein frischster und bisher zugleich erfolgreichster Schützling Shindy kann auf zwei Nummer-1-Soloalben, mehrere Goldplaketten an der Wohnzimmerwand und einem landesweiten Skandal ohne Grund zurückblicken. Der perfekte Zeitpunkt, um deutschem Rap eine dicke Backpfeife zu verpassen, dachten sich die beiden ersgutenjungs.

Die Reaktionen innerhalb der Hiphop.de-Redaktion könnten verschiedener nicht sein: Diskussionen zwischen Meisterwerk und Mülltonne sorgen für hitzige Gemüter. Jonas Lindemann und Aria Nejati sprechen über CLA$$IC.

Aria: Ich muss ja sagen, dass ich bisher keinen Gefallen an Shindys Soloprojekten gefunden habe. Die textliche Arroganz hat kreative Pointen zu Genüge, aber soundtechnisch löst er sich für mich zu wenig von seinen Vorbildern. Das ist mir als Genießer amerikanischen Hiphops immer übel aufgestoßen, weil ich die Originale kenne. Bushido ist ja ohnehin ein sehr starrer Künstler und das ist auch gut so. Dementsprechend auch die grundsätzliche Erwartungshaltung, mit der ich an die ersguterjunge-Kollabo herangegangen bin. Die Ankündigung, dass man sich an Jay Z und Kanye West orientiert habe, war für mich das Todesurteil für CLA$$IC. Ich höre hier nur Watch The Throne raus.

Jonas: Da bin ich das genaue Gegenteil. Shindy hat sich seit den ersten Kay One-Features über NWA bis hin zu FVCKB!TCHESGETMON€¥ zu einem meiner absoluten Lieblingsrapper entwickelt. Er bietet mir aktuell das beste Gesamtpaket. Mein großer Vorteil ist hierbei der zweite Punkt, der mich von dir grundlegend unterscheidet: Ich höre keinen US-Rap. Ich kann mit Deutschrap einfach viel mehr anfangen, das ist schlichtweg Geschmackssache. Ich weiß, dass Shindy auf FBGM ganze Songkonstrukte übernommen hat, kenne (mittlerweile) die Originaltracks und es stört mich nicht. Mir gibt die deutsche Version einfach mehr. Ich hab auch Kumpels, die beides hören und beides feiern. Bushido fand ich immer okay, nicht schlecht, aber auch nicht überkrass – bis Sonny Black. Das kann ich nach wie vor durchhören. CCN 3 war leider nicht ganz so stark. Bezüglich CLA$$IC war ich dann etwas skeptisch. Die bisherigen Features wie Sterne, AMG und dergleichen waren zwar immer top, aber es sollte ja etwas ganz Neues werden und dann auch noch auf Albumlänge. Jetzt ist die Platte draußen und alle Zweifel sind beseitigt. Wenn Kollegah mit dem Zuhältertape Vol. 4 nicht ans ZHT 3 anschließen kann, wovon ich leider ausgehe, ist CLA$$IC mein persönliches Album des Jahres.

Aria: Ich tue mich wirklich schwer, das Album als solches musikalisch zu bewerten, weil es mich in jeder Phase an etwas schon Dagewesenes erinnert. Jegliche ästhetische Werkzeuge wie Querverweise auf Givenchy-Rottweiler-Shirts, verzerrte Synthesizer oder drei Minuten lang Bars hin- und herschießen ohne Hook sind Dinge, die Yeezy und Hova seit ein paar Jährchen hinter sich gelassen haben. Dazu fehlt mir schlichtweg der Antrieb bei CLA$$IC, seine offensichtliche Blaupause übertreffen zu wollen. Die plumpen Bläser, zum Beispiel auf Megalomanie, werden gern als Stilmittel betitelt. Für mich sind die Details zu lieblos. Ich hätte mir die Herangehensweise gewünscht, mit der das Alles Oder Nix-Produzententeam an Baba Aller Babas gefeilt hat. Das war dieses Jahr soundtechnisch die Messlatte für mich, weil jede Kleinigkeit aufeinander abgestimmt war.

Jonas: Das mit Yeezy oder ähnlichem erübrigt sich bei mir wie gesagt. Die Kritik an den Produktionen selbst kann ich kaum nachvollziehen, da das auch eine Komponente des Albums ist, die viele Kritiker als positiv auffassen à la "Geile Beats, ansonsten Müll". Ich weiß nicht, ob meine Ohren derart ungeschult sind oder unsere Geschmäcker auch hier wieder krass auseinander driften. Die einzigen Beats, die ich nicht ganz so cool wie den Rest finde, sind die von Gravitation, da ich Marteria nicht sonderlich feiere und man seinen Einfluss deutlich raushört, und das Ist alles-Instrumental, welches stilistisch etwas aus dem Albumrahmen fällt und mich zudem an Meine Mannschaft von Olexesh, Ćelo & Abdï erinnert, die bekanntlich was ganz anderes machen. Da ich Shindy das ewige Suchen nach Samples einigermaßen abkaufe, denk ich auch nicht, dass die Liebe zum Detail fehlt. Für mich haben Bu, Shindy, Djorkaeff und Beatzarre stark abgeliefert.

"Hängengeblieben in doppelter Hinsicht"... auf der nächsten Seite...

Aria: Beim Marteria-Track bin ich ganz bei dir. Du kannst die Snare nicht aus einem dreiminütigen Song rausdrehen, das ohnehin nur aus Sampleschnipseln besteht. Kopfschmerz vorprogrammiert. Mein Interesse ist ironischerweise erst dann richtig geweckt, wenn Sonny aus dem Käfig gelassen wird und aufhört, Modemarken zu droppen, die er vor ein paar Monaten noch nicht aussprechen konnte. Und endlich eine Snare, die richtig schön in die Fresse klatscht. Warum nochmal haben die beiden nicht einfach Carlo Cokxxx N*tten neu aufgesetzt? Ah richtig, man wollte wie eine WTT-Persiflage klingen. Der "freshste Motherfucker, den Bushido je signte", braucht für sein Haute Couture-Braggadocio gar keine nervig-schmetternden Trompeten und seltsam-experimentelle Arrangements. Auf Verlieren Hassen genügen lediglich Drums und simple Keys, um mir Hot 16 gegen den Kopf zu hämmern – mein Verständnis von "classic". Grundsätzlich amüsiert mich das Album textlich deutlich eher als musikalisch. Obwohl der Tonfall seiner Idole auch hier allgegenwärtig ist, lässt Shindy die Einflüsse deutlich eleganter einfließen als bei den Beats.

Jonas: Ich denke, es ist sich jeder einig, dass Shindy auf dem Album wesentlich mehr glänzen kann als Bushido - schließlich hatte er früher nie die Möglichkeit dazu. Übrigens einer meiner Lieblingstracks der Platte. Viele der Beats hätte Bushido solo wohl niemals gepickt. Trotz einiger Holprigkeiten finde ich jedoch, dass er sich besser eingefügt hat, als ich erwartet hatte. Eine runde Sache. Shindy ist für mich textlich und flowtechnisch durchweg on point. Sorry, aber ich habe nichts auszusetzen. Besonders herausstechend finde ich den Part auf - von dir bereits erwähnt - Verlieren Hassen.  Ein CCN mit Shindy hat Bushido, meiner Meinung nach berechtigterweise, schon mehrfach als nicht in Erwägung zu ziehend erklärt. Linetechnisch sind bei mir vor allem die "Benz/Gruppenzwang"-Zeile, das "Bonny & Clyde/Molly & Mike"-Ding und "in Jogginghose overdressed" hängeblieben. Den Vogel schießt aber Bushido ab: "Und ich f*cke deine Mutter, weil die Missgeburt sich f*cken lässt." Das ballert auch nur bei Sonny oder bei Farid. Hängengeblieben in doppelter Hinsicht.

Aria: In der direkten Gegenüberstellung mit seinem Mentor sticht Shindy sehr stark hervor, das sehe ich auch so. Das wird Bushido auch sicher recht sein, nicht umsonst überlässt er Shindy überwiegend die zweite Strophe. Als Fazit kann ich abschließend lediglich auf Die Prinzen verweisen. Spaß beiseite. Auf Glänzen und Verlieren Hassen merke ich, was mit diesem Album möglich gewesen wäre. Ich wünschte mir eine dunklere, konsequentere Herangehensweise an CLA$$IC. Watch The Throne ist eben zu Watch The Throne geworden, weil es nicht nachzumachen ist. Der Versuch, der hier stattfindet, ist für meine Ohren zum Scheitern verurteilt. Bushido besitzt trotz seines Pionierstatus für deutschen Rap nicht die Ausstrahlung und das einmalige Gespür für das richtige Wort im richtigen Takt wie Jay Z. Shindy ist hierzulande noch lange nicht auf Yeezys God-Level angekommen, um aus einem Topf voller unterschiedlicher Geschmäcker eine delikate Suppe zu kochen. Wenn er sich von seinen Helden und dem State Of The Art der amerikanischen Blogs löst, wird er demnächst auch endlich Trends setzen, die nicht nur ins Deutsche übersetzt wurden. Darauf freue ich mich. Den Ehrgeiz und die Hingabe bringt Mr. Nicht-Mehr-Nice-Guy ganz offensichtlich mit. Mit sechs Stellen hinter dem Komma lässt es sich auch angenehmer arbeiten.

Jonas: Wie bereits eingangs erwähnt, wird CLA$$IC wohl mein persönliches Album des Jahres und mir noch lange Freude bereiten. Klassiker-Anspruch erfüllt. Deine Kritik kann ich natürlich trotzdem nachvollziehen, insbesondere, dass Bushido auf den ersten Blick eigentlich nicht geschaffen ist für eine solche Art Album und Sound. Auf seine kommenden, hoffentlich wieder durchweg asozialen Soloprojekte freue ich mich dementsprechend auch. Bei Shindy bin ich echt gespannt, welchen Weg er noch einschlagen wird und welche Dimensionen das Ganze erreicht. Man muss sich immer wieder mal vor Augen halten, dass den vor drei Jahren fast keine Sau kannte. Für seine Kritiker, wie du zum Beispiel, wünsche ich mir ebenfalls, dass er es noch zu einer komplett allein stehenden Marke schafft, statt nur als "deutscher Drake" zu gelten. Dass er es kann, hat er mit NWA eigentlich schon bewiesen. Die ganze Biting-Diskussion fing schließlich soweit ich weiß erst mit FBGM an. Wie dem auch sei, ich bin gespannt auf kommende Projekte beider Künstler - und ebenso gespannt auf weitere von Shindy gerappte Luxusmarken, die ich nach dem Hören googlen muss.

Jonas Lindemann und Aria Nejati

Autoreninfo

Jonas Lindemann ist seit 2014 Teil des Hiphop.de-Teams. Sein absoluter Themenschwerpunkt liegt auf deutschem Rap, insbesondere Beefgeschichten. Aria Nejati ist Chef des US-Ressorts auf Hiphop.de und sprach schon mit Größen wie 50 Cent, Ice Cube und Ludacris.
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