Haftbefehl: Was ist ein "Azzlack Stereotyp" 2021?

Haftbefehls Offenbach ist wohl das Offenbach, das ganz Deutschland kennt. Er hat die Stadt am Main nicht nur für die Deutschrap-Szene, sondern auch für die breite Öffentlichkeit auf die Karte gesetzt – und auf Azzlack Stereotyp (2010) ein ganz bestimmtes Bild gezeichnet, das bis heute prägend für die Stadt ist. Natürlich hat sich seither trotzdem so einiges verändert, von der Mieterstruktur bis hin zu den Gebäuden. Auf Grundlage der Lyrics seines Debütalbums, will ich 11 Jahre später noch einmal die Frage stellen: Was ist ein "Azzlack Stereotyp" – und hat er sich gemeinsam mit der Stadt verändert?

Haftbefehl fängt den Offenbacher Lifestyle ein wie kein anderer

Als ich vor rund sechs Jahren nach Offenbach kam, war das lange nach Haftbefehls Durchbruch – eigentlich sogar ziemlich genau auf dem vorerst kommerziellen Höhepunkt seiner damals noch jungen Karriere, wenn man so will. Ich bin wohl irgendwann zwischen "Russisch Roulette" und "Unzensiert" nach Offenbach gezogen, da genoss Baba Haft hier bereits Legendenstatus und ich fing an, mich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Stadt richtig wohlzufühlen. Seltsam, oder? Denn das Bild, das Medien – und auch Haftbefehl in seinen Lyrics – bis dahin von Offenbach gezeichnet hatten, war nicht unbedingt heimelig:  

"Die Knarre, sie glänzt / Mein Messer, es glänzt / Frisch aus dem Berber / Die Fresse, sie glänzt"

Klingt jetzt nicht unbedingt nach einer Einladung. Dennoch schafft Baba Haft mit "Glänzen" den bis dato beinahe unmöglichen Spagat zwischen Gangsta-Rap und Witz. Denn der Vergleich zwischen glänzender Knarre, glänzendem Messer und der glänzenden Fresse ist eine satirische Glanzleistung, die mit den Gegensätzen hart und zart arbeitet (get it? Scharfes Messer, zarte Haut) und genauso gegensätzlich zeigt sich auch Offenbach selbst. Vielleicht sind diese Lines aus "Glänzen" sogar ein paar der authentischsten, die jemals über diese Stadt geschrieben wurden. 

Freitagabends am Marktplatz werden diese vermeintlichen Widersprüche fast schon zu einem Ritual: Gefühlt ganz Offenbach geht vorm Wochenende zum Berber und lässt sich, neben den obligatorischen Seiten auf Null, fresh machen für den Club. Das Resultat: "Die Fresse, sie glänzt", und das buchstäblich. Schließt das glänzende Messer in der Tasche nicht aus und das das war auch schon 2010 so. 

Was der Song also macht – und was Haftbefehl (jetzt auf Apple Music streamen) seither immer wieder hinbekommt – ist es, ein Lebensgefühl einzufangen. Er hat damals einfach pure Offenbacher Straße in seine Songs gepackt und das sowohl über seine unreine Art zu reimen und die Mehrsprachigkeit seiner Texte als auch die schlichten Beats. Mitrappen können allerdings nicht nur Offenbacher ( / Frankfurter / Hessen), sondern beinahe das ganze Land. Und das unter anderem aufgrund Haftis dritten "Halt die Fresse"-Videos für AggroTV, in dem er "Glänzen" performte und dafür "HDF"-Gold holte. 

 

"Azzlack Stereotyp": Von Blockromantik zum Abriss der B-Ebene 

Aber neben witzigen Messer-Fresse-Vergleichen, die einem das Offenbacher Straßengeschehen bildlich vor Augen rufen, gab es auf "Azzlack Stereotyp" auch viele städtebauliche Referenzen. Auch diese prägen bis heute stark die Außenwahrnehmung von Offenbach – bis ich hier ankam, dachte ich tatsächlich auch, dass mich eine einzige Plattenbausiedlung erwarten würden. In der Realität aber ist das Stadtbild relativ divers und es gibt auch viele Altbauten.

Aber klar, in Außenbezirken, aber auch nahe in der Innenstadt gibt es einige Blocks – unter anderem den Mainpark im Mathildenviertel, in dem Haftbefehl selbst aufgewachsen ist. Was vielen bis heute nicht bewusst sein mag: Beim Mainpark handelt es sich keineswegs um einen hübsche Grünanlage am Main, sondern um einen Zusammenschluss von Hochhäusern, der – immerhin soviel ist wahr – in unmittelbarer Nähe zum Fluss liegt. In "Azzlacks sterben jung" rappt Haftbefehl:

"Nur Beton und Asphalt, mattgraue Blocks / Hass und Gewalt in den Plattenbaublocks"

Ein Mitglied auf Genius bemerkt hierzu: "Die triste Stimmung der Menschen wird durch die Farblosigkeit der Großstadtarchitektur untermalt." Und damit hat er vollkommen recht. Haftbefehl nutzt die Architektur der Stadt und insbesondere der Mainpark-Blocks seit Anfang seiner Karriere, um die häufig durchaus prekäre Situation der Anwohner zu schildern und fängt somit auch die Schattenseiten des Gangstertums mit ein. 2013 sagt er in einem Interview mit Toxik für Hiphop.de:

"Meine Schule war halt vom Markplatz so 100-200 Meter. Da war halt die kriminelle Szene am Marktplatz, McDonald’s, Kentucky Fried Chicken. Da waren die ganzen Motherf*cker."

Und tatsächlich: Der Offenbacher Marktplatz inklusive der gleichnamigen S-Bahn-Station und der B-Ebene war schon immer berühmt-berüchtigt. Und trotz dessen, dass wohl gerade ein Haftbefehl ein zwiegespaltenes Verhältnis zu diesem Ort und seinen kriminellen Anfängen haben muss, ist es recht krass, dass die B-Ebene nun abgerissen wurde. Damit schwinden bei vielen Offenbachern sowohl negative, als auch positive Erinnerungen. Und auch die Beton- und Asphalt-"Ästhetik", wenn man sie so bezeichnen möchte, verschwindet nach und nach aus dem Stadtbild. 

2021: Was ist denn nun ein Azzlack Stereotyp? 

Trotz der Veränderungen der Architektur und des sehr persönlich geprägten Bildes, das Haftbefehl 2011 durch "Azzlack Stereotyp" von der Stadt am Main zeichnet: Sein Einfluss bleibt bis heute klar ersichtlich. "Im Park kannst du nachts meine Tracks und Parts hör'n / Gangster rappen mir nach aufm Ghettoblaster" aus dem Track "Gestern Gallus / Heute Charts" ist zum Beispiel eine Line, die damals wie heute die Offenbacher Realität widerspiegelt. Baba Haft ist und bleibt ein Held der Stadt und im Sommer kommt es immer noch vor, dass man aus 2 von 10 Autos "Sommernacht in Offenbach" oder einen anderen Song von seinem Debütalbum zu hören bekommt.

Und damit ist wohl auch die Leitfrage des Artikels beantwortet, was eigentlich den "Azzlack Stereotyp" im Jahr 2021 ausmacht. Ganz ehrlich: Wahrscheinlich macht der auch 11 Jahre später noch "Schnapp mit Drugs, ob mit Yayo ob Weed" und ist "breit von Natur aus, braucht kein Steroid" – oder er fühlt sich zumindest so, wenn er Haftbefehls Songs nachts auf voller Lautstärke pumpt. Die Stadt rund um den "Azzlack Stereotyp" mag sich zwar mit der Zeit im Erscheinungsbild verändert haben, vielleicht hat er auch sein eigenes Erscheinungsbild etwas verändert, aber im Kern ist er der Gleiche geblieben. Und so wird er wohl auch in Zukunft noch freitagabends mit "glänzender Fresse" aus dem Berber steppen, für einen Döner kurz Halt bei Ye Babam Ye machen, Sommernächte in Offenbach verbringen oder davon träumen, dass er eines Tages vom Gallus in die Charts kommt. 

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