Für die Familie: Wie die KMN Gang deutschen Straßenrap übernimmt

Die KMN Gang kommt derzeit vermutlich aus dem Feiern nicht mehr raus. Auf den YouTube-Hype der Crew folgte schließlich eine goldene Schallplatte und jüngst eine Top 3 Platzierung des Zuna Albums Mele 7. Ein Ende der Erfolgssträhne ist derzeit nicht in Sicht. Um die Erfolge und die Inhalte der Gang nachvollziehen zu können, ist es wichtig, zu sehen, wo die Anfänge ebendieser liegen. Denn die Geschichte der Jungs beginnt lange vor goldenen Platten und Charterfolgen. Am Anfang stand ein Dresdner Problembezirk.

Armut 95 Prozent / Deshalb drücken Jungs Tonnen

Azet kam aus dem von Krieg und Elend gebeutelten Kosovo nach Deutschland und fand sich schließlich im Dresdner Elendsviertel Prohlis wieder. Hier bilden triste, tiefgraue Plattenbauten den Horizont und lassen keinen Platz für große Träume. Viele Bewohner des Viertels sind drogenabhängig. Andere handeln mit Rauschgift, um perspektivisch das Viertel verlassen zu können. Immer mehr greift hier die Droge Crystal Meth um sich und packt Perspektivlose mit ihren gierigen Klauen. In der Grundschule lernt Azet hier Nash kennen, dessen Eltern aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet waren. Ein Schicksal, das die Jungs verbindet und die beiden zu Freunden werden lässt. Die Schulzeit der Jungs verläuft keinesfalls problemlos. Insbesondere Azet, dessen Vater nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt ist, wird immer wieder Opfer von offenem Rassismus. 

Einige Jahre später, ungefähr im Jahre 2008, bildeten die beiden die Crew Ghetto Stars und hofften, so erzählten sie im Jahr 2016 der Juice, auf den gemeinsamen Durchbruch. Ein verwahrlostes Abrisshaus ohne fließendes Wasser, auf dessen Hof sich alte Autos stapelten, bildete die Basis des Camps. Größer konnte die Diskrepanz der Ziele und der Realität der Jungs kaum sein. Ein Streit entzweite die Jugendfreunde schließlich und die großen Karriereträume der Jungs schienen ausgeträumt.

2010 fanden Nash und Azet wieder zusammen und gründeten die Gruppe KMN – drei Buchstaben, die Gerüchten zufolge für "Küss meine Nikes" stehen könnten. Zu einer Mixtape-Releaseparty der Jungs kam dann schließlich Zuna, der mit Nashs Bruder "geschäftlich" verbunden war. Nach anfänglichen Bedenken wurde er schließlich ein Mitglied der Gang, die zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich klassischen Straßenrap auf rumpelnden, bushido-beeinflussten Beats praktizierte. Über die Jahre entwickelte sich der Sound der Jungs weiter, hin zu melancholisch-selbstbewussten Straßenballaden, die ihre oft tragische Botschaft hinter hittigen Melodien und selbstbewussten Ansagen verstecken. 

Der Track F*ck the Police bedeutete schließlich den Durchbruch der Crew und statt Anerkennung aus ihrer eigenen Stadt, folgten nun bundesweite Respektsbekundungen. Die folgenden EPs Fast Life und Richtung Paradies bedeuteten für Azet und Zuna jeweils den Solodurchbruch. Der erst 2016 zur Gang gestoßene Miami Yacine sicherte sich aus dem Stand mit seiner ersten Single Kokaina eine goldene Schallplatte und die Musikvideos der Jungs knacken noch am Veröffentlichungstag easy die Eine-Million-Klicks-Marke. Die KMN Gang bildet mittlerweile einen festen Bestandteil in der Beletage des deutschen Straßenrap. Zeit, sich mit den Erfolgsgeheimnissen der vier Künstler auseinanderzusetzen.

Fast Life, du wirst hören, dass hier Straße drinsteckt

Von den angesprochenen rumpelnden Straßenrap-Instrumentals klassischer Prägung hat die KMN Gang sich mittlerweile losgesagt. Ganz im Stile des französischen Brüderpaars PNL brechen die Jungs mit festgefahrenen Songstrukturen und verknüpfen innerhalb ihrer Parts melodische Vocoder-Passagen mit straighten Rap-Vocals. Düstere Straßenthematiken wie Rauschgifthandel, Körperverletzung bis hin zum Mord werden in eingängige, autotunelastige Gesangspassagen verpackt und erzeugen so einen krassen Bruch zwischen der Vortragsweise und den geschilderten Szenarien. Aus den wütenden, ausschließlich gerappten Gangsterraptracks der Crew haben sich düstere Straßenballaden im modernen Soundgewand nach französischem Vorbild entwickelt. Thematiken, die auf bestimmte Hörergruppen eher abschreckend wirken, wirken plötzlich nicht mehr bedrohlich und bleiben durch die eingängigen Melodien im Kopf. Es ist kein Zufall, dass Miami Yacine jüngst mit einem Song über Kokainschmuggel im Radio landete und so schließlich eine goldene Schallplatte abstauben konnte. Ein musikalisches Vorbild der Gruppe ist der albanische Rapper Noizy, der gekonnt Rap mit Pop-Einflüssen und Dancehall-Elementen praktiziert und es so zu Weltruhm schaffte.

Mit diesem Rezept leiteten bereits PNL eine Trendwende im französischen Straßenrap ein und ebneten international Straßenrappern in aller Herren Länder den Weg. Ebenso wie die Brüder aus dem berüchtigten Pariser Banlieue reduziert die KMN Gang ihre medialen Auftritte auf ein Minimum. Persönliche Geschichten und Schicksale erzählen sie in ihren Songs, nicht in Interviews. Dieser Mangel an Informationen schafft Mysterien und Spekulationen. Welche der Straßengeschichten in den Tracks sind wahr, was wurde beschönigt und was ist fiktiv?

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Die KMN Gang mischt gerade mächtig das Deutschrap-Game auf. Mach' Platz da!

Denn - zumindest das steht fest - die Jungs wissen, wovon sie sprechen. Azet sitzt immer wieder im Gefängnis, soll innerhalb von zehn Monaten mit sieben Kilo Marihuana gehandelt haben, und auch Nash verbrachte bereits Zeit hinter schwedischen Gardinen. In ihren Songs glorifizieren sie die eigenen Gefängnisaufenthalte allerdings nicht, sondern sprechen über das Leid, das sie über ihre Eltern bringen und über die Schattenseiten krimineller Machenschaften. Man hört den Texten der Gang an, dass diese, bei allen Überzeichnungen, einen wahren Kern besitzen. 

Das angesprochene Problemviertel Prohlis bietet dabei nicht nur Inspiration für die Storys, die die Jungs in ihren Texten erzählen. Hier entstehen auch die meisten Videos der Gang, häufig auf einem Dach, unweit von Azets Zuhause. Er hat die Plattenbausiedlung nie verlassen. Ein Drehbuch oder einen detaillierten Drehplan gibt es nie. Die Jungs möchten sich keinen Kopf mehr machen, treffen Entscheidungen aus dem Bauch heraus und legen Wert auf das Gefühl, das das Video vermitteln soll. Das trifft auch auf die Musik der KMN Gang zu. Dem vielzitierten Vibe, wird alles andere untergeordnet. So entstand die EP Fast Life beispielsweise innerhalb von lediglich zwei Wochen. Nichts ist verkopft, alles entsteht aus dem Bauch heraus und fängt deshalb authentisch Stimmungen und Gefühlswelten ein. Die musikalischen Einflüsse der Crew erstrecken sich dabei von französischem Trap, über Dancehall, bis hin zu klassischer Popmusik. Für die Instrumentals der Fast Life-EP zeigen sich unterem Sott und M3 verantwortlich, die bereits maßgeblich den Sound des 385i-/Azzlackz-Camps beeinflussten. 

Bei all dem Hype um die Jungs sorgt die Gang allerdings immer wieder für Kontroversen und polarisiert, wie kaum ein anderes Movement im deutschen Straßenrap-Sektor. So finden sich bei den Top-10-Platzierungen und goldenen Schallplatten auch immer wieder einiges an Kritik in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke. Grund genug, sich näher mit den wiederkehrenden Kritikpunkten zu beschäftigen.

Zu viele Probleme und er sticht frontal zu

Zentrum der Kontroversen ist häufig Azet. Dieser soll während einer Auseinandersetzung in einer Diskothek einem Mann in den Rücken gestochen und sich anschließend mit dem Messer den Fluchtweg freigefuchtelt haben. Die Hintergründe der Tat sind unklar, da das Opfer bei einem Motorrad-Unfall ums Leben kam, bevor es nähere Angaben zur Tat machen konnte. Zudem kokettiert Azet in Songtexten damit, in eine Schießerei am Möbel Boss in Prohlis verwickelt gewesen zu sein. Nähere Angaben hierzu finden sich nicht. Hinzu kommen die angesprochenen Rauschgiftdelikte. Das alles brachte Azet nicht nur einen Gefängnisaufenthalt ein, sondern sorgte auch für kritische Stimmen im Netz, die die Musik der Jungs aufgrund der kriminellen Vergangenheit der Gang boykottieren. Eine Problematik, mit der sich Gangsterrap seit seiner Entstehung auseinandersetzen muss.

Diese Straftaten gehören zu einer Vergangenheit, von der die Gang sich lossagen möchte. So gibt Zuna beispielsweise in einem seiner wenigen Interviews an, er habe sich jahrelang auf der Straße gemessen und müsse niemandem mehr etwas beweisen. Künstler, die das Knastleben glorifizieren, könne er nicht ernst nehmen. Da erscheint es paradox, dass einige Kritiker der Gang mangelnde Realness unterstellen, weil diese nicht die offene Konfrontation mit einem potenziell schwerkriminellen Familienclan sucht. 

Musik bietet den Jungs die Möglichkeit, solch kriminelle Pflaster zu verlassen und sich eine Perspektive fernab von Drogenkriminalität, Messerstechereien und Schießereien aufzubauen. Eine Perspektive, jenseits des Dresdner Problembezirks Prohlis und seiner kriminellen Sogwirkung. Eine Perspektive, abseits von regelmäßigen Gefängnisaufenthalten und eine Perspektive, die den Eltern der Jungs keine Tränen in die Augen treibt. Passend dazu forderte der Richter Azet im Rahmen der Urteilsverkündung auf, sein Leben endlich in den Griff zu bekommen. Es scheint, als sei er auf den besten Weg dorthin. 

Marc Schleichert

Autoreninfo

Marc Schleichert ist seit Anfang 2014 ein Teil von Hiphop.de und leitet hier den Textinterview-Bereich. In dieser Funktion spricht er regelmäßig sowohl mit hungrigen Newcomern als auch mit alteingesessenen Künstlern.
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