Flüchtlingskind, Goldräuber und Labelboss: Xatar im Portrait

Als Giwar Hajabi am 24. Dezember 1981 im Iran geboren wurde, deutete wenig daraufhin, dass er knapp 37 Jahre später einen Erfahrungsschatz gesammelt haben sollte, der Stoff für mindestens zwei Hollywood-Streifen bietet. Heute veröffentlicht er seine Platte "Alles oder Nix 2" und ist den meisten als Xatar bekannt. Er ist der Rapper, der einen Goldraub durchzog, ein Album im Knast aufnahm, ein Waisenhaus im Irak baute und aus einem Akademikerhaushalt stammt.

Xatar ist also Künstler und Verbrecher in einer Person. Im Gespräch mit der Zeit erkennt er einen wesentlichen Begriff, der beide Erwerbstätigkeiten verbindet: Freiheit. Als Giwar Hajabi habe er sich nie so frei gefühlt, wie zu jener Zeit, als er die Straße mit Drogen versorgte. Das Gefühl, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein, habe er erst als Musiker wieder entdeckt. Nun rappt er über die kriminellen Geschäfte, die ihn mehrmals in diverse Zellen gebracht haben, in denen er Elend, Folter und Tod sehen und spüren musste. Ein Stück Freiheit, das in letzter Konsequenz zu Texten führt, die außerhalb des Rapkosmos Diskussionen anregen. Den Rapper Xatar interssieren solche Debatten nicht. Wer seine Musik wegen der Inhalte nicht hören wolle, der habe keine Ahnung vom Leben. Wenn es dem Geschäftsmann Giwar Hajabi allerdings verboten werde, diese Kunst in Deutschland zu verkaufen, dann wird es aus seiner Sicht ernst. Wegen solcher Einschränkungen der (Kunst-)Freiheit verließen seine Eltern 1985 den Iran. Das hat den Sohn geprägt.

"In Deutschland zur Kartoffel geworden"

Beide Eltern waren Akademiker - die Mutter verdiente ihr Geld als Lehrerin, der Vater war Musiker und Dirigent. Und sie waren Kurden. Nach der islamischen Revolution mussten sie in den Irak fliehen. Auch dort litten sie unter den Übergriffen des Saddam Hussein-Regimes auf die kurdische Minderheit und landeten mit ihrem kleinen Sohn Giwar im Gefängnis. Nach unerträglicher Folter gelang es der Familie 1985 nach Bonn zu gelangen. Schließlich landeten sie als Asylbewerber in einer Hochhaussiedlung am Brüser Berg in Bonn. 

Bonn war damals noch Hauptstadt. In der neuen Siedlung der Hajabis trafen wohlhabende Diplomatenfamilien auf sozial schwache Familien. Eine Mischung, die den heutigen Labelboss enorm prägen sollte. Denn schnell stellte der Junge fest, dass die Grenzen weniger zwischen arm und reich, sondern zwischen deutsch und nicht deutsch verliefen. Selbst als er es als nahezu einziger Migrant auf das Gymnasium schaffte, fand er keinen Anschluss an die deutschen Kids. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler sahen ihn ihm immer nur den "Asi-Kanaken". Es ist zudem Rassismus von Lehrkräften, seinem Basketball-Coach und der Polizei, den Xatar als Kind ertragen musste. Er verinnerlichte die Stereotype so sehr, dass er mit Mitte 20 in einem Londoner Hörsaal saß, während seine Statistik-Professorin vorne vollverschleiert sprach. Der Bonner konnte es nicht fassen, blickte sich nach links und rechts um, nur um zu realisieren, dass er der einzige war, der das befremdlich fand. "Ich bin in Deutschland echt zu einer Kartoffel geworden", dachte er sich. 

"Ich habe ihnen den Asi-Kanaken gegeben"

Bereits als Jugendlicher realisierte Giwar, dass er unter den Deutschen niemals anerkannt werden würde. Er versuchte also das zu geben, was die Deutschen von ihm erwarteten: den "Asi-Kanaken". Gewalt gehörte schnell zum Alltag. Aus Kleinkriminalität wurde ein Business. Es ging neben Geld vor allem um Anerkennung in einer von Männern geprägten Welt aus Gewalt und Machtspielchen. Bereits als Schüler bewohnte er eine eigene Wohnung, die zeitgleich als Depot für den Stoff diente, mit dem er Geld verdiente. Nach der zehnten Klasse sagte ihm die Rektorin seiner Schule in Bonn, dass er das Abitur niemals schaffen werde. Xatar beschloss nach Köln zu ziehen. Dort wohnte sein Vater mittlerweile. Die Eltern hatten sich getrennt. Xatar machte sein Abitur und kam erstmals intensiv mit der Hiphop-Kultur in Verbindung. 

Die Geburt von Alles oder Nix

Dass es zur beschriebenen Szene in einem Londoner Hörsaal kam, verdankte Xatar einem Schicksalsschlag. Der Bruder eines Freundes sagte bei der Polizei aus, um für sich Strafmilderung zu erreichen - der Paragraf 31. Xatar setzte sich nach London ab und konnte dort studieren, weil kein internationaler Haftbefehl vorlag. Es war die Begegnung mit einem seiner Professoren, die zur Labelgründung von Alles oder Nix führte. Xatar kehrte nach Deutschland zurück, wurde freigesprochen und stampfte ein Label aus dem Boden, das ihn bestens charakterisiert.

Dass Rapper xy Straße ist, klingt so dermaßen abgedroschen, dass man es nicht mehr lesen möchte. Xatar ist auch viel mehr als Straße. Xatar hat einen Goldraub durchgezogen, ist über Moskau in den Irak geflohen, wurde dort in der Wüste monatelang in einem Foltergefängnis verprügelt. Bis er nach Deutschland  überführt und zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, um dann vier Jahre lang hinter Gittern zu sitzen. Um Xatar herum sind Dinge passiert, die sich niemand vorstellen möchte. Und dennoch sind es sein Labelname und das Logo, die vielleicht am meisten über den Menschen erzählen. 

Nach seiner Zeit in London erzählte Xatar seiner Mutter von den Plänen, Labelchef zu werden. Nicht unbedingt das, was sich eine Mutter wünscht, nachdem ihr Sohn erst soeben nach einem Drogenprozess freigesprochen wurde. Doch sie wusste, wie ihr Sohn tickte und gab das Go: "Zieh es durch. Alles oder Nix". Das bedeutete Giwar soviel, dass er nicht mehr lange nach einem Namen suchen musste. Er meldete eine GmbH an und war Labelboss. Als der Labelboss wenige Tage später am Brüser Berg abhing, ging es um einen Freund, der im Knat saß. Er hatte bei einem Einbruch einen Tresor entwedet, in dem einiges an Wert gebunkert war. Niemand wusste jedoch, wo der Tresor war. Als ein kleiner Junge auf kindlich, ehrliche Weise erzählte, wie traurig es doch sei, dass er das Geld immer noch in seinen Händen hielt, damit aber nichts machen konnte, weil sie in Ketten lagen, realisierte Giwar, dass nichts den Hustle der Jungs von der Straße so gut beschrieb. Sie stürzten sich in die Kriminalität, um Geld zu machen und gut leben zu können. Wenn das dann aber im Knast endet, dann brachte all das Geld nichts mehr. Ein ständiges Spiel mit der Gefahr - oder auf Kurdisch: Xatar.  

Zurück auf die Straße

Doch wer einmal viel Geld in der Unterwelt verdient hat, dem fällt es schwer, mit weniger auszukommen. Obwohl er sich auf seine Musik und das Label konzentrieren wollte, bewegten ihn finanzielle Engpässe dazu, wieder ein wenig Bares reinzuholen, um das Label auf den Beinen zu halten. Xatars Debütalbum "Alles oder Nix" wurde zwar 70.000 mal verkauft, was für einen Newcomer damals beachtlich war, die Einnahmen konnten aber natürlich nicht an die bisherigen Einkommen des Brüser Berg Babas herankommen. Und so häufte Xatar Schulden an. Nach einer Party in Hugh Hefner Playboy Mansion landete er in einem US-Knast und musste sich die 50.000 Dollar Kaution leihen. Da er bereits vorher wegen eines misslungenen Kokain-Deals in der Kreide stand, entschloss sich Xatar zu dem spektakulären Goldraub. Der Rest ist Geschichte: Folter im irakischen Gefängnis und vier Jahre im deutschen Knast obendrauf. Der Aufenthalt sollte sein Leben verändern. Denn Giwar Hajabi ist nicht nur ein begnadeter Rapper und Gangster, sondern auch ein Geschäftsmann von Welt. Aus dem Knast heraus trommelte er sein Label wieder zusammen, entwickelte die Idee eines Knast-Tapes und brachte "415" raus. Der Titel spielte auf seine seine Gefangenennummer im Knast an, aus dem heraus er den Release seines Albums natürlich kaum verfolgen konnte. Die erste Auskopplung "Interpol.com" war ein Erfolg, der auch der legendären Idee basierte, einfach andere Rapper das Video zum Track performen zu lassen:

XATAR - INTERPOL.COM (Official Video) Produziert von MAESTRO

XATAR "ALLES ODER NIX II" OUT NOW ! JETZT ÜBERALL ERHÄLTLICH: Hier die Box bestellen: http://umg.lnk.to/xatar_allesodernixII Folge XATAR auf Facebook: http://www.facebook.com/XATAR.allesodernixrecords Das offizielle Video zum Track "Interpol.com" aus dem neuem Album "Nr. 415" von XATAR, welches ab dem 27.4.2012 überall im Handel erhältlich ist.

Seitdem ist viel passiert. Deutschprachiger Rap ist mitten im Mainstream angekommen. Xatar hat zwei weitere Solo-Alben und eine Platte mit Haftbefehl rausgebracht und AON hat sich im deutschsprachigen Rapzirkus einen festen Platz gesichert. Der Baba alles Babas ist eine der interessantesten Figuren der Szene. Seine Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass es Rassismus in Deutschland nicht erst seit ein paar Wochen und in einigen ostdeutschen Städten gibt. Xatar ist in Bonn aufgewachsen, musste sich nach einer Flucht aus der Heimat immer wieder mit Rassismus auseinandersetzen. Er erfuhr ihn als Kind bereits am eigenen Leib und zog daraus seine Konsequenzen. Er schlug sich immer wieder durch, machte seine eigenen Geschäfte abseits der Regeln und Normen der Gesellschaft. Nach den üblichen Regeln spielen - das hatte er erkannt - war als Migrant deutlich schwieriger.

Dennoch hat Xatars Weg nichts Revolutionäres. Der Junge vom Brüser Berg wollte seit er Teenie war einfach die gleichen Statussymbole haben, die scheinbar bürgerlichen Schichten vorenthalten waren. Er bekam sie. Auf die eigene Weise. Wer das in Lines verpackt und auf Beats gerappt hören möchte, dem sei das Werk Xatars ans Herz gelegt. "Alles oder Nix 2" heißt das aktuelle Album des Mannes, der um die Welt gereist ist und sich dennoch als Rheinländer bezeichnet. Hier kannst du es hören:

ALLES ODER NIX II

ALLES ODER NIX II, an album by XATAR on Spotify

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Groove Attack by Hiphop.de