Deftones & Hiphop: Eine unerzählte Liebesgeschichte
Deftones

Eine der beständigsten Metalbands und Hiphop: Wie passt das zusammen? Sehr gut. Nur die Ausmaße hat bisher niemand so richtig festgehalten. Dabei haben sich die Wege der Deftones und Hiphop schon unzählige Male gekreuzt. Das ist auch kein zufälliges Crossover, sondern vielmehr eine fast schon 40-jährige Geschichte gegenseitiger Wertschätzung. Die Formation aus Kalifornien schafft es, die Brücke von Ice Cube zu Opiums Destroy Lonely zu schlagen. Es geht von Cypress Hill zu Trippie Redd; von Future zurück zu den Beastie Boys. Und selbst popkulturelle Großereignisse wie "Breaking Bad" und "American Psycho" spielen neuerdings in diesem Kosmos eine Rolle.

Definiere: Deftones

Man könnte direkt eine epische Diskussion darüber starten, in welcher Genre-Schublade die Deftones zu Hause sind. Um alle vorhandenen Einflüsse irgendwie abzubilden, haben sich die meisten Publikationen auf ein "Alternative" vor dem Metal geeinigt. Vielleicht ist es auch diese Undefinierbarkeit, die die Band zu einem Phänomen macht, das weit über eine einzelne Subkultur hinausreicht.

1988 - 1998: So cool sein wie Def Jam

Für die Chronologie: Die Deftones gründen sich Ende der Achtziger in Sacramento. Die Nähe zum Hiphop beginnt schon bei der Namensgebung. Gitarrist Stephen Carpenter leitet das mal in einem Interview Mitte der Neunziger so her: Die noch im Aufbau befindliche Gruppe sollte einen möglichst "coolen Namen" bekommen. Er habe die Musik aus den Fünfzigern gefühlt. Bands aus dieser Ära hätten oft ein Tones mit sich geführt. Parallel dazu habe er viel LL Cool J, Public Enemy und generell Def Jam-Mucke gehört. Die Silbe Def sei letztlich das gesuchte coole Element geworden. Der daran anknüpfende Verweis auf den Sound der fünfziger Jahre mache deutlich, dass es bei den Deftones nicht nur eine Gangart gibt.

Die Gründungsmitglieder der Deftones gehen zwar nicht aus der Hiphop-Kultur hervor, aber aus einer benachbarten Subkultur: Die Liebe zum Skaten verbindet. Sänger Camillo Wong 'Chino' Moreno ist zudem als Neun- oder Zehnjähriger vom Breaken fasziniert. Eine gewisse Verbindung zum Hiphop ist dem Debütalbum aus dem Jahr 1995 auch anzuhören. "Adrenaline" hat diverse Songs, die in weiten Teilen nach dem Klingen, was man irgendwann als Nu Metal bezeichnen würde. 

Dieser ziemlich formelhafte Sound aus - mal mehr, mal weniger - gerappten Parts und prägnanten Riffs löst sich mit Nachfolge-Album an vielen Ecken auf. Die Deftones sind eigentlich schon 1997 nicht mehr in der Schublade, in die sie teilweise bis heute gesteckt werden. "Around The Fur" eröffnet eine verträumte, brachiale, rauschhafte, verstörende und mitunter romantische Welt. Es wird zeitig klar, dass die Deftones sich in ihrem eigenen Genre bewegen. Abseits dessen zelebriert man mit Pionieren des Nu Metal-Sounds den Hiphop aus den frühen Neunzigern. Auf dem zweiten Korn-Album "Life Is Peachy" (1996) gibt sich Chino Moreno etwa für ein Cover von Ice Cubes "Wicked" die Ehre.

1999 - 2009: Nu Metal dominiert, Deftones galoppieren davon

Ende der Neunziger beginnen die Aufnahmen zum Opus Magnum der Band – für manche gilt "White Pony" sogar als das beste Album aller Zeiten. Hier stößt mit Frank Delgado ein DJ als festes Bandmitglied hinzu. Er hat seine Wurzeln wiederum in einer Hiphop-Formation aus Sacramento. Aufreizende Scratches à la Limp Bizkits DJ Lethal liefert er nicht, dafür eher subtil eingewobene Soundflächen und Effekte.

Zur "White Pony"-Zeit ist zugleich die Nu Metal-Ära auf ihrem Peak. Genre-Könige wie Limp Bizkit können mit "Chocolate Starfish And The Hot Dog Flavored Water" an den immensen Erfolg von "Significant Other" anknüpfen. Linkin Park stehen in den Startlöchern und veröffentlichen ihr Debüt "Hybrid Theory". In dieser Gemengelage forciert das Label der Deftones eine Hitsingle, die da mithalten soll. Der Plan für den kommerziellen Siegeszug: Gerappte Parts und eine eingängige Hook. Dafür wird sich am epochalen "White Pony"-Closer "Pink Maggit" bedient. Die daraus resultierende Single "Back To School" ist schließlich genau dieser am Reißbrett entworfene Rap-Rock-Song und trägt wohl auch dazu bei, dass der Nu Metal-Stempel nie ganz verblasst. 

Rückblickend bewertet Chino Moreno die Veröffentlichung von "Back To School" als "Fehler". Er sei ein "Idiot" gewesen, als er sich zu dem Track habe hinreißen lassen. Denn die eigentliche Motivation für diesen Song liegt offenbar im Ego des Frontmanns begründet. Seine damalige Haltung fasst er so zusammen: "Ich werde diesen W*chsern zeigen, wie einfach es ist, eine Hit-Single zu produzieren." Der Track läuft letztlich auf MTV, hat ein aufwendig produziertes Video, aber geht nicht komplett durch die Decke. Funfact: Gerappt werden in dieser Phase nicht nur die "Back To School"-Parts, sondern auch mal casual nebenher. Bei einem Promogig für einen Radiosender etwa gibt es im Hinterhof einen Freestyle zu Eminems "Kill You", bevor das charakteristische Riff ertönt.

Limp Bizkit-Frontmann Fred Durst ist übrigens eine Art Day One-Fan der Deftones. Durch mehrere Erwähnungen der Band auf Songs oder gemeinsame Touren in den Neunzigern mag ebenfalls der Eindruck entstanden sein, dass hier innige Nu Metal-Bros unterwegs sind. Und wo eh gerade Eminem eingeworfen wurde: Fred Durst trägt seine Liebe für die Gruppe aus Sacramento auch öffentlich neben Slim Shady zur Schau.

Um die Jahrtausendwende herum ist nicht nur Nu Metal der heiße Scheiß, es droppt ebenso der Cypress Hill-Evergreen "Rock Superstar". Der Intro-Talk mit knappen Infos über all diese Haie in der Musikindustrie stammt dabei von Deftones-Sänger Chino. Ein paar Jahre später erscheint mit "Black Moon" ein Kollabosong von den Deftones mit B-Real. Die Connection zu Cypress Hill besteht bis in die Gegenwart.

Auf der extrem düsteren Platte "Deftones" erzeugt der Song "Lucky You" einen gesteigerten Trip-Hop-artigen Vibe, der auch schon auf "White Pony" und dem Track "Teenager" Einzug hält. "Lucky You" ist ebenso auf dem Soundtrack zu "Matrix Reloaded" vertreten. Dort taucht außerdem die Band Team Sleep auf. Ein Nebenprojekt von Deftones-Sänger Chino, bei dem es deutlich mehr ins Elektronische geht und mit DJ Crook einen bis heute aktiven Beatmaker auffährt.

An dem fünften Studioalbum "Saturday Night Wrist" wäre die Band beinahe zerbrochen. Es tut sich nicht nur mit dem Titel der Vorabsingle ein Loch in der Erde auf, das alles zu verschlungen droht. "Hole In The Earth" ist ein Track, der mitunter für die junge Generation von US-Rapstars eine immense Bedeutung hat – mehr dazu später in der Timeline.

2008 ereignet sich ein schwerer Schicksalsschlag, der bis heute nachhallt. Der schon früh in der Bandgeschichte dazugestoßene Bassist Chi Cheng fällt nach einem Autounfall ins Koma und stirbt schließlich einige Jahre später. Die Produktion des Albums "Eros" kommt zum Erliegen. Ein Album, dessen Tracktitel sich gerüchteweise an Namen von Stripperinnen ausgerichtet haben sollen. Ein Gedanke wie ein Gucci Mane-Tape. Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass zwischen der Trap-Kultur und den Deftones größere Schnittmengen bestehen.

2010 -2020: Warum es mit Future passt

Mit neuem Bassisten kehren die Defones samt "Diamond Eyes" (2010) zurück. Kurz danach vertieft sich Chino Moreno in das Nebenprojekt Crosses. Erneut geht es ins Elektronische. Ein okkulter Touch ist auch nicht von der Hand zu weisen. Vor allem auf dem zweiten Album "Goodnight, God Bless, I Love U, Delete" (2023) spielt sich das Ganze mehr und mehr um Drum-Loops und Samples ab. 

Wo es im US-Rap abseitiger wird, findet man schon länger Gefallen an den Deftones. Strange Music-Gründer Tech N9ne holt sich Stephen Carpenter und Chino Moreno beispielweise auf "If I Could" (2011).

Die Deftones selbst haben keine Berührungsängste mit den kommerziellen Facetten von Rap. Beim Warm-Up für Shows laufen Trap-Banger von Ace Hood oder Rick Ross. Auf den Alben kommen diese Einflüsse höchstens über das Level der dort freigesetzten Energie zum Vorschein. Chino Moreno unternimmt dafür permanent Ausflüge in die Rapwelt. Zwischen weiteren Deftones-Alben schlägt er zum Beispiel bei Linkin Parks Mike Shinoda und Machine Gun Kelly für "Lift Off" auf. 

Die generelle Offenheit für Hiphop wird vor dem Hintergrund des eigenen Festival-Line-Ups deutlich. Zum Startschuss von Dia De Los Deftones im Jahr 2018 sind Future und Doja Cat unter den angekündigten Acts. Freddie Gibbs und Megan Thee Stallion folgen bei nachfolgenden Ausgaben. Allesamt nicht gerade die Artists, die man bei einem Festival einer Metal-Formation vermuten würde.

Doch die Deftones und eine Figur wie Future haben weit mehr Überschneidungen, als es auf den ersten Blick wirken mag. Beide Sound-Welten versprühen eine dunkle Melancholie. Was einen da so in den Bann zieht, ist gar nicht so leicht zu greifen. Viel funktioniert über Emotionen. Einzelne Sounds, Nuancen bei der Betonung, gekonnte technische Verfremdung – all das dient einem künstlerischen Ziel. Viel erscheint aus dem Moment heraus entstanden. Was Hendrix vor dem Setting eines Codein-getränkten Traplifes ausbreitet, findet seine Entsprechungen im Deftones-Universum. Auch hier wird sich betäubt, in den Schmerz gestürzt und bis zur Unverständlichkeit entladen. 

Artists einer Soundcloud-Generation um XXXTentacion erkennen das früh. Dort vermischt sich ebenso rohe Gewalt mit einer für alle ersichtlichen Verletzlichkeit. Ski Mask The Slump God setzt schon 2018 bei "Child's Play" auf ein Deftones-Sample. Moshpits haben sich hier eh längst über den Rockbereich hinaus etabliert.

Gitarrist Stephen Carpenter lebt derweil immer mal wieder zwei seiner Leidenschaften unter anderem im Stoner-Podcast von B-Real ("The Smokebox") aus: Kiffen und einen abstrusen Blick auf die Welt einnehmen. Das führt dazu, dass er sich 2020 öffentlich als "Flacherdler" zu erkennen gibt. Mit dieser Einstellung wäre er auch in manchen Rap-Bubbles nicht alleine.

Neben dem bisher letzten Studioalbum "Ohms" Ende 2020 geht zum 20-jährigen "White Pony"-Jubiläum die "Black Stallion"-Variante an den Start. Der Opener "Feiticeira" erfährt dabei ein Makeover von einem der Wegbereiter des frühen A$AP-Sounds: Clams Casino. Eine Remix gibt es auch für die "Ohms"-Single "Ceremony". Das Rap-Duo WHOKILLEDXIX versucht sich an einer "Ceremonial Version" und lässt kaum einen Stein auf einem anderen. Raus kommt eine Art The Prodigy-Gedächtnissound.

2021 - Gegenwart: Ragen mit den Deftones Girls

Vor ein paar Jahren erleben die Deftones plötzlich einen ungeahnten Popularitätsschub. Die Generation TikTok findet Gefallen an dem so breit gefächerten Sound der Band. Kurze Videos, die gerne mit "Deftones Got Me Like" eingeleitet werden, erobern die Timelines. Die emotionale Achterbahnfahrt, welche die Deftones-Diskografie mit sich bringt, lässt sich mit derartigen Memes gut einfangen. Das Gefühl zu einzelnen Tracks wird beispielsweise mit Szenen aus "Breaking Bad" oder "American Psycho" untermalt.

Dazu formieren sich die Deftones Girls. Wer danach auf TikTok sucht, stößt auf mehr als 30 Millionen Postings. Gemeint sind zumeist junge Frauen, die sich in Goth-Outfits schmeißen, Deftones hören und vielleicht nicht das leichteste Beziehungsleben versprechen. Dass die Musik der Band zum Teil unter der Bezeichnung Horny Metal kursiert, beflügelt dabei sicherlich die Fantasie. Die Memes, die Girls, die neugewonnene Strahlkraft der Gruppe: Das bleibt Reaction-YouTubern nicht verborgen – darunter auch solche mit Hiphop-Background. So entstehen beispielsweise zahlreiche Videos, die über die Behauptung "Rapper hört das erste Mal Deftones" funktionieren.

Zu Beginn dieses Content-Sturms fällt außerdem ein Twitter/X-Post von einem der größten Popkünstler des Planeten. RnB-Starboy The Weeknd erklärt, dass die Band eine "große Inspiration" in seiner Trilogie-Ära (2011) gewesen sei. Diese gespenstische Stimmung zwischen frisch portionierten Lines auf Glastischen und der Aussicht auf abgestumpfte Dauervögelei – ja, das passt.

Auch auf Produktions-Ebene schlägt vermehrt durch, dass die Deftones eine eigene Magie mitbringen. 2022 sagt Pvlace bei Puls: "Jetzt grade ist ganz oben auf der Liste: Deftones. Das wird grade durchgehauen  aber vollkommen."

Was in manchen Ecken Atlantas gekocht wird, steht besonders unter Einfluss der Deftones. Destroy Lonely aus Playboi Cartis Opium-Kollektiv schreibt der Band gar einen lebensverändernden Impact zu:

"Das hat mein verdammtes Leben verändert: Das erste Mal, als ich 'Hole In The Earth' hörte.

Der US-Rapper ist auch ein bisschen durch den Wind, als Apple Musics Zane Lowe plötzlich Chino Moreno zum Interview dazuschaltet. Der verteilt zudem Props dafür, dass Destroy Lonely und Co. ihre Fanbase auf die Deftones aufmerksam machen.

@zanelowe Destroy Lonely is also a big Deftones fan so i had to put Chino live on air this morning to say whats up #destroylonely #deftones #music #fans #fyp ♬ original sound - Zane Lowe

Auf Destroy Lonelys "SWGKSKOOL" wird der Deftones-Track "Beauty School" gesampled. Die New Wave aus Atlanta ist nah dran an den inzwischen älteren Herren aus Sacramento. Der erst 20-jährige Hardrock bedient sich an der Deftones-Single "Change (In the House of Flies)" – dem zumindest gemessen an Spotify-Streams größten Hit der Band. Doch nicht alles wird durchgewunken. 2024 nutzt Nettspend - ein Teenager, den die New York Times einer "Post-Post-Rage"-Phase zuordnet - ein Sample des Songs "Entombed" für seinen eigenen Track "That One Song". Offenkundig ohne Absprache. Das Ganze ist auf den offiziellen Kanälen schnell wieder verschwunden.

Ebenfalls bemerkenswert: Anlässlich der Feier von 50 Jahren Hiphop gibt es von Trippie Redd wiederum in der New York Times einen Shoutout an Chino Moreno: "Ich liebe Chino von den Deftones. Er geht in seinem Gesang total auf. Es wirkt, als müsste man bestimmte Bewegungen und gewisse Gesichtsausdrücke annehmen, um bestimmte Töne zu treffen. Manchmal wechselt er einfach von einer Melodie zum Atmen, und es klingt so einheitlich, als wären Melodie und Atmung eins. Für mich klingt das einfach außergewöhnlich." Aus Trippie Redds Fantum resultiert bereits 2021 die Kollabo "Geronimo".

Ein Rapper der Sorte JPEGMAFIA ist natürlich ebenfalls mit den Deftones vertraut. Er modelt sogar 2023 für eine Kollabo der Band mit Designer Marc Jacobs.

Sänger Chino Moreno hat zwar eigentlich keine Ambitionen mehr zu rappen (weil: zu viele Wörter), aber hin und wieder übermannt es ihn. Zusammen mit EL-P von Run The Jewels bringt er bei "Big Youth" den Beastie Boys-Flavour im Rahmen seines Nebenprojektes Crosses zurück. Das sei zumindest der Gedanke dahinter gewesen, wie er bei Kerrang! erzählt. Und auch Gitarrist Stephen Carpenter bleibt nicht untätig. Er und unter anderem Cypress Hill-Schlagzeuger Eric Bobo veröffentlichen als Sol Invicto gemeinsam Musik.

Ein neues Album der Deftones soll auf dem Weg sein. Wer sich Fotos der Arena-Tour in Nord-Amerika anschaut, erkennt deutlich, dass die Band ein auffällig junge Crowd anzieht. Dort stehen viele der Deftones Girls in den vorderen Reihen. Mitunter Teenager, die nicht auf der Welt gewesen sind, als die Band begonnen hat, ihr eigenes Stück Musikgeschichte zu schreiben. Sobald sich dieses Publikum auf die volle Deftones-Experience einlässt, landet es an einem Punkt vollkommener musikalischer Offenheit. Hier verschließt man sich keinem Stil, arbeitet miteinander, remixt und zollt über Generationen hinweg Respekt. Das ist das schon mehr als romantisch – und vor allem ganz viel Hiphop.

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