Wenn Eminem & Kanye West sich einig sind: Justin Vernons Sonderstellung im US-Rap

Wenn Justin Vernon um sein licht gewordenes Haar ein Bandana bindet, sieht er aus wie einer dieser Typen, die fast menschenleere verqualmte Bars im Nirgendwo bespielen. Äußerlich lässt kaum etwas darauf schließen, dass sich hinter dem Frontmann der Folk-Band Bon Iver einer der einflussreichsten Musiker der Gegenwart verbirgt.

So einflussreich sogar, dass einige der schillerndsten US-Rapper, Vernon regelrecht verehren. Kanye West etwa bezeichnet ihn 2016 in einem BBC-Interview als seinen "favourite living artist". Er liebe Justin so wie Kanye nur Kanye lieben würde – das bedeutet ein Maximum an Wertschätzung.

Doch nicht nur Kanye ist von den Fähigkeiten des Musikers aus Wisconsin restlos überzeugt. Vernon begleitet viele aufstrebende Künstler, als diese noch keine Superstars sind. Seine Stimme oder das, was davon übrig bleibt, befindet sich sowohl auf wegweisenden Releases als auch auf Megasellern der jüngsten Vergangenheit. Dennoch geistert sein Name eher unter dem Radar herum.

Der Folksänger mit Autotune & Vocoder

Zunächst: Die Vocal Performance von Justin Vernon ist einzigartig. Ohne jeglichen Effekt würde sie sich für die intimsten Lagerfeuer-Hymnen eignen. So lässt sich der wohl bekannteste Bon Iver-Song "Skinny Love" problemlos unter jede traurige Filmszene der Welt legen. Doch Justin Vernon ist niemand, der sich auf einem Erfolgsschema ausruht und beliebigen Kuschel-Folk produziert. Schon auf der Bon Iver-Debütplatte "For Emma, Forever Ago" experimentiert er mit Hall und der Vervielfachung seines markanten Falsett-Gesangs. 2009 ist auf dem Track "Woods" Autotune zu hören. Jener Effekt, der Rap heutzutage beherrscht. Folk-Artists würde man den Einsatz der Software jedoch wohl kaum auf Anhieb zuschreiben. Der besagte Song ist es schließlich auch, der Kanye auf Vernon aufmerksam werden lässt.

Diese generelle Bereitschaft sich ständig aus der eigenen Komfortzone herauszubewegen, trifft bei anderen Freigeistern auf Gehör. Als Travis Scott noch nicht der stadienfüllende Rage-Gott war, arbeitet er mit Justin Vernon zusammen. Seine verfremdete Stimme leitet den Track "Naked" auf Travis Debüt-Tape "Owl Pharaoh" ein. Ebenfalls ist Vernon bereits an Lizzos Seite, als diese keine Nummer-1-Hits abliefert, sondern auf den großen Durchbruch wartet. Er singt mit dem Vocoder verzerrte Passagen auf dem Song "Bother" – dabei ist kaum erkennbar, dass es sich um einen Beitrag von Vernon handelt. Lizzo macht auf Twitter klar, wer auf dem Song auftaucht.

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That's me singing and Justin Vernon on vocoder. https://t.co/S39054wGXO

Die persönliche Faszination des Sängers für sein Gegenüber scheint ausschlaggebend. Der Status des jeweiligen Artists wird zur Nebensache. Das Vernon am Ende auf Kanye Wests vielleicht bestem Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy", dem grenzenpushenden Meilenstein "Yeezus" sowie "Watch The Throne" gelandet ist – geschenkt. Starproducer Mike Dean erklärt im Anschluss an die "Yeezus"-Sessions im Online-Magazin Pitchfork, warum gerade dieser Typ, im Kanye-Kosmos stattfindet.

"Justin Vernon ist einer derjenigen, zu denen Kanye immer gehen wird. Er passt in keine Genregrenzen – du weißt nie, ob er wie die Bee Gees oder etwas verrückt Verzerrtes singen wird. Und du verstehst die Hälfte der Zeit, was er sagt. Er ist ein bisschen wie Michael McDonald, so als er hätte er Murmeln in seinem Mund. Es geht um die Emotion."

Justin Vernon liebt Rapmusik

Neben diversen Projekten und Kollaborationen hat Vernon auch eine eigene Rapband. Diese nennt sich Jason Feathers und releast 2014 ein komplettes Album namens "De Oro". Dort ist Vernon jedoch nicht beim Spitten zu hören. Er agiert mehr so, wie er es üblicherweise bei seinen vielen Projekten zu tun pflegt: Vernon singt mal hektisch, mal entrückt, mal effektbeladen. Die Rolle des MCs fällt Astronautalis zu. Ein eher unbekannter Rapper aus Minneapolis, der seit 2003 aktiv ist.

Der unscheinbare Sound-Fetischist Vernon liebt viele Facetten an Rap. Die Songwriting-Ebene, aber einfach auch den Vibe, den diese Musik hervorbringen kann. Zwischen nischigem Untergrund-Künstlern und großen kommerziell ausgerichteten Produktionen trennt er nicht. In einem Beitrag im Rolling Stone sagt Vernon, dass er in seinem Leben keine Strophe so oft gehört habe, wie die von Lauryn Hill auf den Fugees-Song "Family Business". Gleichzeitig drückt er dort seine Bewunderung für die Geschwindigkeit eines Busta Rhymes aus. Er könne es nicht fassen, dass es der US-Rapper hinbekommt, seine "Worte in so ein rhythmisches Schema zu packen." Der Part von Nicki Minaj auf "Monster" sei für Vernon einfach nur "unglaublich".

Justin Vernon distanziert sich von Eminem & Kanye West

Bei aller Offenheit und der ausgeprägten Sympathie für das Genre Rap zeigt Vernon auch klare Kante, wenn ihm etwas nicht in den Kram passt. Egal wie groß und schillernd der Kollabopartner ist – es geht ihm um das Endprodukt. Mit dem Inhalt von Eminems "Kamikaze"-Track "Fall" kann er nicht so viel anfangen. Er sei kein Fan der Message, die das Stück transportiere. Des Weiteren habe er um Änderungen im Song gebeten.

blobtower on Twitter

Was not in the studio for the Eminem track... came from a session with BJ Burton and Mike Will. Not a fan of the message, it's tired. Asked them to change the track, wouldn't do it. Thanks for listening to BRM https://t.co/E0wmt732ty

Diesem Anliegen kommt aber niemand nach. Dass er seinen Ärger darüber derart in die Öffentlichkeit getragen hat, bereut er ein Jahr später in einem Interview mit Apple Music’s Zane Lowe. In dem besagten Song droppt Eminem unter anderem homophobe Disslines gegen Tyler, The Creator. Inzwischen bewertet Eminem diese Passage als kritisch.

Vernon lässt in seinem Tweet geradezu beiläufig fallen, dass er für den Song nicht mit Eminem im Studio war und von einer Session mit Mike Will käme. Wie muss man sich das eigentlich vorstellen, wenn ein Dude, der hauptberuflich zarte Indie-Hymnen arrangiert, im Studio mit Größen des US-Raps abhängt? Wohl ungefähr so, wie es Rick Ross in seinem Memoir "Hurricanes" rückblickend beschreibt. Bei der Aufnahme von "Monster" sei er einem ihm unbekannten "hippy motherf*cker" begegnet. Dieser habe im Studio abgehangen und irgendwas in einem kleinen Nebenraum getan. Schließlich seien einige Joints gemeinsam geraucht worden. Kenntnis von der Aufgabe oder Rolle seines Smoking-Partner hatte Rick Ross zu keinem Zeitpunkt.

"Während der Zeit, die wir zusammen beim Arbeiten verbrachten, hatte ich keine Ahnung, wer er war und ich dachte nicht, dass ich danach fragen sollte. Ich hatte keinen Zweifel, dass jemand, den Kanye hierher geflogen hatte, aus gutem Grund hier war."

2019 fühlt Vernon den künstlerischen Vibe von Kanye nicht mehr, wie er bei Pitchfork erzählt. Das hängt auch mit dessen Nähe zu Donald Trump zusammen. Freunde seien sie trotzdem noch. Vernons musikalischer Arm reicht dennoch weiterhin in den aktuellen US-Rap hinein. Auf "The Big Day" von Chance The Rapper ist er vertreten und liefert verhuschte Background-Vocals. Anfang 2020 spielt Justin Vernon eine Tour mit seiner Band Bon Iver. In riesigen Locations, die zum Teil kaum seine prominenten Kollabopartner füllen würden. Vermutlich trägt er dabei ein Bandana und intoniert ergreifende Songs für Menschen, die noch nie einen kompletten Kanye West-Song gehört haben.

Thank you, beautiful Raleigh, for helping us close out the tour so perfectly. And to amazing @feistmusic for joining us! [ @grahamtlbrtfoto]

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