Was Kendrick Lamar zu einem der größten Rapper aller Zeiten macht

Kendrick Lamar Duckworth wird am 17. Juni 1987 in Compton, Kalifornien geboren. Seine Heimatstadt gehört bis heute zu den gefährlichsten Städten der USA mit einer um das Achtfache höheren Mordrate im Vergleich zum Landesdurchschnitt. Ein Zustand, der hauptsächlich der hohen Anzahl an kriminellen Banden zuzuschreiben ist. Teil von ihnen war auch Kendricks Vater. Diese Vergangenheit zeigt sich bis heute als prägend für seine musikalische Karriere. 

"I am a sinner, who is probably gonna sin again" (B*tch Don't Kill My Vibe), so heißt es auf Kendricks Aftermath-Debüt. Eine ziemlich ungewöhnliche Line für einen Rapper aus dem von Gangs beherrschten Compton. Dass dieser Kendrick Lamar auch sonst nicht wirklich dem üblichen Rap-Klischee aus Übersee entspricht, beweist bereits seine Platte im Jahr 2012: Good kid, m.A.A.d city.

Über 12 Tracks hinweg wurden wir Zeuge von "money, weed and alcohol" und auch die ein oder andere Dame soll Kendrick den Kopf verdreht haben. Es ist, als habe Compton einen Weg durch die Boxen vor das innere Auge gefunden. Uns erwartet dabei aber keine Glorifizierung von Drogen, Geld oder übermäßigem Frauen-Verschleiß. Vielmehr nimmt uns Kendrick mit auf eine Reise durch seine Heimat Compton. Eine Stadt, die ihn zwar nicht unbedingt positiv prägte, die er aber dennoch bis heute noch nicht ganz verlassen wollte.

Von den Kindheitstagen in Compton City bis heute ist viel passiert. Kendrick verließ sein Nest, sicherte sich nach der ein oder anderen Eigenproduktion zunächst einen Vertrag bei Top Dawg Entertainment und fand sich wenig später in Dr. Dres Booth wieder - den ersten Major-Deal in der Tasche.

Was zu Beginn nur unterschwellig durchdrang, wurde bis kurz vor der Veröffentlichung seines dritten Albums To Pimp A Butterfly immer deutlicher: Der Junge ist ein Ausnahmetalent und Vergleiche mit Rap-Legende 2Pac werden nicht umsonst immer lauter – K.Dot ist nicht nur Rapper, sondern auch eine moralische Instanz. Er hat sich nach anfänglichen Bedenken mit seiner Vorbildrolle für junge Afroamerikaner angefreundet und füllt diese aus wie derzeit kaum ein Anderer.

Darauf bildet K.Dot sich allerdings nichts ein. Es geht nicht um die dicken Goldketten. Er bleibt bei Cap und Jeans. Wir hören von keinen Skandalen oder Partyexzessen. Stattdessen gibt er die Verlobung mit seiner Highschool-Liebe bekannt, mit der er schon über 10 Jahre liiert ist und lässt sich gleich zwei mal taufen – einmal im Video zu B*tch Don’t Kill My Vibe und einmal ganz in echt. 

Wer erst jetzt auf musikalische Spurensuche geht, findet unveröffentlichte Tracks des noch jüngeren Kendricks, in denen er sich ganz gezielt an die Hilfe Gottes wendet. Auf einem dieser Songs, Jesus Christhören wir den Jungen aus Compton noch genau so, wie die Stadt ihn formte: fast hoffnungslos in Anbetracht der verheerenden Zustände der kriminellen Stadt, aber gleichzeitig auch dankbar für all den Segen, der ihm im Gegensatz zu vielen seiner Freunde widerfahren ist.

Zahllose Fans sollen Kendrick genau deswegen täglich kontaktieren und bedanken sich für seine Tracks. Die Songs sollen ihnen neuen Lebensmut gegeben haben. Jugendliche aus den Ghettos Amerikas, die teilweise schon mehrere Suizidversuche hinter sich haben, feiern nun Kendrick als Beispiel des klassischen American Dreams. Als einer von denen, die es raus geschafft haben; raus aus Compton. 

Trotz allem Erfolg ist es stets der Kontakt zu seinen Fans aus der Heimat, der ihn immer wieder zurück zur Realität zwingt: „Es reißt mich immer wieder zurück in die Realität. Fernab von dem, was ich mittlerweile tue. Weg von den Frauen, den Autos und dem Geld. Das ist alles nicht so wichtig, wenn du jemanden triffst, der immer noch in der Scheiße steckt."

Zu dieser Zeit verstärkt sich nicht nur Kendricks Bewusstsein über seine Vorbildfunktion, sondern auch seine auffallende Christlichkeit. Zu Halloween verkleidet er sich kurzerhand als Jesus, gesteht in Interviews seinen Glauben an die Apokalypse und spricht immer wieder davon, dass er mit einem höheren Auftrag gesandt worden sei. Tracks über Gewalt, Hass und Drogen mögen sich vielleicht im Zuge des Gangsta-Rap-Trends verkaufen, wer aber selbst von den Straßen kommt, möchte davon nichts hören, so Kendrick.

Diese Jugendlichen, zu denen er auch einst selbst zählte, fliehen vor Ängsten und teils starken Depressionen und finden offensichtlich in K.Dot ein Sprachrohr: "Die Kids leben nach meiner Musik!" – Er bezeichnet sich als Gefäß Gottes, denn er sammle dessen Worte und erfülle seinen Auftrag als eine Art Prediger. Vorerst vollenden sollte diesen Auftrag To Pimp A Butterfly.

Während wir drei Jahre zuvor noch auf eine Reise durch die Straßen Comptons mitgenommen wurden, erlebten wir hier den Kendrick der Jetztzeit. Auch wenn er auf dem Weg ist, Ängste und Depression hinter sich zu lassen, ist er nicht weniger verwirrt und unsicher, denn die Abkehr von seiner Heimat brachte auch neue Schwierigkeiten mit sich. Zwischen Erfolg und einem höheren Auftrag, neuen Möglichkeiten und gleichzeitig neuen Verführungen. Er selbst sehe sich noch immer als Kid aus Compton, das plötzlich mit all diesen neuen Eindrücken zurecht kommen und immer wieder mit einem schlechten Gewissen auf die zurückblicken muss, die die Stadt nicht hinter sich lassen konnten.

So schafft es Kendrick zwar raus aus dem Ghetto, aber das Ghetto schafft es nicht aus seinem Kopf. Vielleicht ist es aber auch gerade das, was Kritiker jetzt schon so weit bringt, Kendrick auf eine Ebene mit 2Pac, Biggie oder Nas zu stellen. Seine Fans streamen To Pimp A Butterfly stolze 9.6 Millionen Mal – und das allein am ersten Erscheinungstag. Damit stellt Kendrick nicht nur einen völlig neuen Rekord auf, sondern beweist einmal mehr, dass es einen Weg weg von den Streets daheim in Compton gibt.

Kendrick, der schon vor seinem Celebrity-Status an einen Ausweg aus der Misere mit oder ohne Gottes Hilfe glaubte, übernimmt nun die Vorbild-Rolle, die nicht nur in seiner Heimat so dringend gebraucht wird. Ein Mann, der vielleicht an vermeintliche Apokalypsen glaubt und uns an Halloween womöglich einmal im Jesus-Dress begegnet, der aber gleichzeitig einer Generation auch mehr zu bieten hat als leeres Gangster-Gehabe. Dem Namen seines Erfolgsalbums macht er damit alle Ehre: Von der Gosse an die Spitze, von der Raupe zum Schmetterling. To pimp a butterfly.

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