Autotune im Rap – kann denn keiner mehr richtig singen?

Wie so vieles in dieser Welt unterliegt der Sound des Hiphop einem stetigen Wandel. Während in den Anfangsjahren besonders unverfälschte, trockene Vocals auf bodenständigen Oldschool Beats hohen Anklang fanden (und natürlich auch weiterhin finden), ist der heute gängige Sound kaum mehr mit diesem Credo zu vereinbaren.

Die seit einigen Jahren beliebte Spielart des Trap bewegt sich zumeist nicht mehr im klassischen Tempo zwischen 80 und 90 bpm (beats per minute), sondern vermittelt in Bereichen um etwa 70 bpm einen ganz anderen Vibe. Wir wollen aber gar nicht lange über Sinn und Unsinn verschiedener Subgenres diskutieren.

Fakt ist, dass Hiphop, zumindest global betrachtet, über die Jahre melodischer geworden ist. Es scheint, als würden Artists generell vermehrt singen. "Das kann ja heutzutage jeder", werden viele schreien, "mithilfe von Autotune". Ob sie nun gute Sängerinnen und Sänger sind oder nicht, scheint dank dieses berühmt-berüchtigten Effekts keine Rolle mehr zu spielen. Oder vielleicht doch? Fangen wir von ganz vorne an.

Was genau ist eigentlich Autotune?

Hinter dem Wort Autotune (oder Auto-Tune) verbirgt sich ein digitales Plug-in, das zur Tonhöhenkorrektur von Audiosignalen, also zum Beispiel Vocals, eingesetzt wird. Schiefe Töne in gesungenen Parts können durch dieses Plug-in somit nachträglich begradigt werden. Seinen Namen verdankt der beliebte Effekt der ersten Software, die eine präzise automatische Tonhöhenkorrektur möglich machte: Antares Auto-Tune erschien 1997 erstmals auf dem Markt und wurde fortan weltweit im Vocal Processing eingesetzt.

Natürlich gab und gibt es bis heute viele Nachahmer. So ziemlich jede DAW (Digital Audio Workstation) hält ein integriertes Pitch Correction Feature bereit. Auch auf deutscher Seite hat sich eine Korrektur-Software einen Namen machen können – Melodyne hat massig Liebhaber und wird ebenso vielfältig in der Musikproduktion verwandt.

Wichtig für den Autotune-Einsatz bei Vocals ist, dass die sogenannte Pitch Correction automatisch und möglichst in Echtzeit verarbeitet. Schließlich sollen Verzögerungen (Latenz) vermieden werden, um den Flow des Künstlers zu erhalten. Solche Tonhöhenänderungen, die unanhängig von einer Tempoänderung sind, sind in dieser Qualität erst seit Beginn der digitalen Musikproduktion möglich. Man bezeichnet sie auch als Pitch Shifting.

Bei Autotune ist dieser Vorgang automatisiert – eingespeiste Signale werden digital verarbeitet und erst das korrigierte Signal wird hörbar gemacht. Das Plug-in arbeitet hierbei anhand von Skalen (Tonleitern): Ein gesungener Ton wird in Sekundenbruchteilen analysiert und an den nächstgelegenen Halbton der gewählten Skala angepasst.

Wer sich nun beschwert, dass gerade heutzutage eine große Bandbreite an Artists nicht mehr singen könne und daher zu Autotune greifen müsse, sollte in Zukunft besser hinhören. Bei Autotune lassen sich verschiedenste Parameter einstellen. Es wird seit Jahrzehnten in Studioaufnahmen so nuanciert verwendet, dass es selbst geübten Ohren schwer fällt, es herauszuhören.So lassen sich beispielsweise Korrekturgeschwindigkeit und -intensität genauestens einstellen, wie auch der zu korrigierende Bereich (z. B. eine für den Künstler schwer erreichbare Oktave).

Autotune im Hiphop

Autotune kann jedoch auch anders. Bei zu großen, für die Software nicht mehr verarbeitbaren, Tonsprüngen entstehen sogenannte Glitches (Störgeräusche), die Vocals unnatürlich und mechanisch klingen lassen. Man begann, mit dem Effekt bewusst die Stimmfarbe zu manipulieren und riss die Korrekturgeschwindigkeit sogar mit Absicht zu 100 % auf, um Klangartefakte wie Glitches zu erzeugen. Einen der ersten Einsätze von Autotune als Vocal Effect hört man in "Believe" von Cher aus dem dem Jahr 1998.

Im Rap Game wurde der Effekt besonders durch den Rapper T-Pain bekannt, der damit bereits 2003 experimentierte. Was in den Folgejahren noch als der "T-Pain Effect" verschrien war, sollte anschließend selbst bei Größen wie Snoop Dogg, Kanye West oder Lil Wayne großen Anklang finden. Der erst so verhasste robotische Effekt sollte sich nach und nach als Stilmittel etablieren.

Snoop Dogg - Sensual Seduction

Best of Snoop Dogg: https://goo.gl/SSRjw6 Subscribe here: https://goo.gl/Fckccu Music video by Snoop Dogg performing Sensual Seduction. (C) 2007 Doggy Style/Geffen Records

Travis Scott - BUTTERFLY EFFECT

"Butterfly Effect" available at iTunes http://smarturl.it/ButterflyEffect_iT Apple Music http://smarturl.it/BufferflyEffect_AM Spotify http://smarturl.it/BufferflyEffect_Sptf Video Director: BRTHR Video Producer: Laure Salgon Executive Producer: Sara Greco https://twitter.com/trvisxx https://instagram.com/travisscott/ https://www.facebook.com/travisscottlaflame (C) 2017 Epic Records, a division of Sony Music Entertainment

Heute ist das Plug-in fester Bestandteil des Trap-Repertoires. Gerade Rapper wie Quavo oder Travis Scott erreichen ihren typischen Vocal Sound durch Einsatz eines ganzen Effekt-Cocktails, in dem ein schnell arbeitendes Autotune die Hauptzutat darstellt.

Natürlich möchte man meinen, dass durch diesen Effekt nun viele Nichtmusiker ihre Chance wittern, doch noch in eine große Gesangskarriere zu starten. Es mag sie geben. Ein gewollt künstlich klingendes Autotune spiegelt in der Regel aber auch nicht den Anspruch eines Künstlers wider, großartige Gesangsfähigkeiten zu beweisen. Autotune ist dann einfach ein Effekt wie der Verzerrer bei einer Gitarre.

Zudem muss man, wie viele Artists unserer Zeit anschaulich beweisen, kein begnadeter Sänger sein, um die Vibes zu transportieren, die Hiphop heute so prägen. Sieht man von der (stimmlichen) Melodieführung ab, geht es im Hiphop ja noch immer um einiges mehr – Technik und Lyrics.

Herr Sorge - Fröhliche Weltuntergangsmusik (Video Edit)

Freetrack "Fröhliche Weltuntergangsmusik" auf Facebook downloaden: http://bitly.com/herrsorge http://www.herrsorge.de http://www.facebook.com/herrsorge

Im deutschen Rap Game probierten selbst Edeltechniker wie Samy Deluxe (als Herr Sorge) schon den Effekt aus. Kollegah hatte den Effekt nach "Bossaura" (2011) bei seriösen Projekten zwar zunächst wieder außen vor gelassen, layert aber auf seinem aktuellen Album "Monument" wieder Autotune-Spuren unter seine Rap Parts.

KOLLEGAH - Dear Lord (Produced by Araabmuzik)

►Dear Lord - Jetzt Auf Spotify streamen! https://spoti.fi/2Noz9PN ►Monument - Jetzt auf Amazon vorbestellen! https://amzn.to/2zVG7DB ► Das ist Alpha - Die 10 Boss Gebote auf Amazon vorbestellen!

Wer Angst um echte Gesangs-Skills im Hiphop hat, darf aber eher beruhigt sein. Generell entscheidet sich auf der Bühne schnell, wer sein Handwerk als Rapper und Sänger versteht und wer nicht. Antares Audio Technologies und viele weitere Firmen bieten auch für den Live-Gebrauch Produkte an, die eine Tonhöhenkorrektur auf der Stage ermöglichen. Leider gestaltet sich die Echtzeitverarbeitung immer noch schwierig und funktioniert während der Show nicht so einwandfrei wie im Studio.

Viele Rapper arbeiten daher mit Voll- oder Halb-Playback – oder können tatsächlich singen! Guter Gesang und geübter Umgang mit der Software sind jedenfalls sehr dienlich für den Live-Einsatz von Autotune. Und selbst wenn das Playback im Hintergrund läuft und das Autotune nicht perfekt korrigiert: Wer gesehen hat, wie Artists à la Travis Scott auf der Bühne abreißen, den sollte das wenig stören.

"FIVE, FOUR ... TAKE OOOOFF!!!"

Travis Scott - Butterfly Effect | LIVE | OAF2017 (CRAZY)

Travis Scott - goosebumps | LIVE | OAF2017: https://www.youtube.com/watch?v=gANeLBnW-wc&index=6&list=PLXEkshdsn9v6Pddf0Ol7uQkwywIdXPULt&t=0s Openair Frauenfeld 2017, Switzerland https://travisscott.com || http://www.openair-frauenfeld.ch

Wer zuletzt noch wissen möchte, wie man das Plug-in anwendet, kann es sich übrigens hier anschauen:

Geliebt & gehasst: Sinch demonstriert den Auto-Tune-Effekt mit Cubase VariAudio

✔ THE PRODUCER NETWORK: https://bit.ly/2MX1VD8 ► MIXING-TIPPS: https://bit.ly/2tuv14M Geliebt, gehasst und mittlerweile omnipräsent: Auto-Tune ist als Effekt schon lange nicht mehr aus der Rapwelt wegzudenken. In diesem Video zeigt der Hamburger Produzent Sinch (Kool Savas, MoTrip, Estikay u.v.m.), wie man das Tool bei Cubase AudiVario einsetzt und was dabei mit der Stimme passiert.