Die außergewöhnlichsten Deutschrap-Promophasen (2013-2016)

Hate it or love it – mal mehr, mal weniger ausgeklügelte Promophasen gehören mittlerweile zur deutschen Rapszene. Man kann diese Entwicklung verteufeln oder man nimmt sie hin und macht das Beste aus den Gegebenheiten.

Häufig läuft das Vorgeplänkel zu einem Album nach dem immer gleichen Muster ab: Titel, Release Date, Cover, Tracklist und Feature-Gäste werden nach und nach verraten. Es gibt YouTube-Blogs, es gibt Interviews, es gibt tatsächlich auch neue Musik und Videos. Je nachdem, wie gut die Musik und wie charismatisch der Künstler ist, kann das auch alles spaßig und unterhaltsam sein. In vergangener Zeit sind jedoch einige Promophasen besonders im Gedächtnis hängengeblieben. Die Amis ziehen dieses etwas andere Promophasen-Game schon länger und ziemlich erfolgreich durch – frag mal bei Jay Z, Kanye West, Rihanna, Drake oder Beyoncé nach!

Haftbefehl & Xatar

Das jüngste Beispiel ist Der Holland Job von Coup. Nachdem Haftbefehl und Xatar aus der TV-Show Studio Amani geflüchtet waren und ihre Social-Media-Accounts offline genommen wurden, konnten die meisten den Braten schon riechen: Da kommt ein Kollaboalbum.

Danach wurden mehr oder weniger mysteriöse Clips ins Internet gestreut und irgendwann kam die offizielle Ankündigung. Außerdem sollte es einen 30-minütigen Kurzfilm zum Album geben:

Am Ende wirkte das Ganze sehr wie am Reißbrett konstruiert, aber unterhaltsamer als die meisten Promophasen war es allemal. Der Film Der Holland Job hielt einiger Lacher bereit und hob das Deutschrap-Video-Game auf ein neues Level. Aber wer weiß, ob die beiden nicht mit straighten Musikvideos und ihrer ohnehin starken Mucke besser gefahren wären als mit dem Kreuzfahrtsschiff.

Wir schauen zurück auf die letzten Jahre. Wer hat Eindruck hinterlassen?

Haftbefehl - Unzensiert

Bleiben wir doch gleich beim Babo. Ende September wurde bekannt, dass Sido und Haftbefehl am 17. Dezember beim Soundclash in Essen gegeneinander antreten sollten. Siggis neue Platte VI war zu diesem Zeitpunkt etwas mehr als drei Wochen alt.

Hafts letzter offizieller Output war das Album Russisch Roulette, das Kritiker und Fans gleichermaßen überzeugen konnte – beim Hiphop.de Award 2014 ließ die Platte sogar die Releases von Kool Savas und Kollegah hinter sich (Gewinner im Überblick). Bei so einem großen Soundclash wollte man aber nicht ohne neue Ware aufkreuzen und dann kam die wohl glücklichste Fügung des Schicksals seit es Deutschrap-Promophasen gibt...

Jan Böhmermann veröffentlichte am 26. November den viel diskutierten Song Ich hab Polizei. Wer sich alles dazu äußerte und wie sehr die Nummer in der Szene polarisierte, kannst du dir hier noch mal vor Augen führen. Nur fünf Tage später, am 1. Dezember, kommt Haftbefehl plötzlich mit CopKKKilla um die Ecke. "Du hast Polizei? - Ich kille Polizei!", scheint die Message zu sein. Innerhalb von nur fünf Tagen soll Haftbefehl mit seinem Team diesen Song aufgenommen und ein Video produziert haben? Wohl kaum.

Alles könnte abgesprochen gewesen sein, vermuten nicht wenige. Die Deutschrap-Illuminaten haben sicher ihre Hände im Spiel. Nicht ganz. Das Release musste verschoben werden, wie Haftis Manager Erfan Bolourchi uns im Interview verriet. Der zuständige Produzent Bazzazian sagte gegenüber Toxik (hier komplettes Interview abchecken):

CopKKKilla wollten wir sowieso als erstes Video veröffentlichen, aber Ich hab Polizei kam perfekt. Und nein, das war nicht abgesprochen. [...] Als Ice-T damals Cop Killer veröffentlicht hat, gab's ein riesiges Palaver. Deshalb hatte ich auch bei uns viel Kritik erwartet. Dann wurde aber nur noch darüber diskutiert, ob CopKKKilla eine Antwort an Böhmermann sein soll.

Die Aufmerksamkeit war riesig. Als dann einen Tag vor dem Soundclash Depressionen im Ghetto erschien, konnten wir den Braten praktisch riechen. Unzensiert erschien in der Nacht, in der der Soundclash stattfand. Vielleicht war es schon ein geheimes Vorzeichen, dass der Offenbacher dort mit seinem Bonner Kollegen Xatar CopKKKilla performte.

Wohl auch aufgrund der unkonventionellen Promophase sprang am Ende nur Platz 56 in den Charts für Unzensiert heraus. Musikalisch und promotechnisch hat das Release trotzdem einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Gzuz - Ebbe & Flut

2015 war pures Gold für die Zahl!

Die 187-Jungs starteten mit der bislang besten Charts-Platzierung der Crew-Geschichte (Der Sampler 3 - Platz #2) in das Jahr. Es folgten Obststand (#5) und eben Ebbe & Flut (#2), die den Hype zementieren und letzten Endes sogar zur ECHO-Preisverleihung führen sollten.

Lange wurde auch hier das Release Date zurückgehalten, um dann mit einer regelrechten Sturmflut zu zeigen, was bei 187 aktuell so möglich war. Vorab wurde u.a. der Titeltrack veröffentlicht, der symbolisch für den aktuellen Erfolg verstanden werden kann: Man tut, worauf man Bock hat. Hanybal und Xatar als Features? Juckt, lass einfach "Gzuz ft. ??? - Ebbe & Flut" schreiben. Straßenrap-Koalition IZ DA:

Gzuz' erstes Solo-Album stand vor der Haustür. Etwa zwei Jahre nach der Haftentlassung des Hamburgers war endlich die Flut da. Eine kleine Headline-Chronik des Hypes im vergangenen Oktober:

- 7. Oktober: Endlich! Gzuz gibt Release Date von "Ebbe & Flut" bekannt

- 9. Oktober (Release Day): Gzuz, Maxwell & Sa4 reißen den Media Markt ab (Video)

- 11. Oktober: Gzuz erobert aus dem Nichts die Amazon-Bestsellerliste

- 13. Oktober: Mitternachts: Gzuz und Bonez bringen Jamaika-Video zu "9mm"

- 16. Oktober: Die Charts sind da: So steigen Gzuz, Selfmade & Fard ein

Am Ende sollte nur die geballte Kaufkraft der Fans von Kollegah, Genetikk, den 257ers und Favorite die erste #1 für 187 verhindern. Allerdings hatte man auch nicht Monate lang überall Vorbestell-Links platziert, sondern erst zwei Tage vor Release.

Der nächste Kollege hat seine Promo stilvoll komprimiert...

Lakmann - Aus dem Schoß der Psychose

Ahhhhhh, die Wörter "Lakmann" und "Promophase" beißen sich einfach. Das passt nicht. Das fühlt sich nicht richtig an. In einem Interview mit der Juice hatte Laki auch erklärt, was genau ihn an dem ganzen Promoten stört und wo es vermutlich hinführen wird.

Irgendwie sollte man den Fans aber schon mitteilen, wenn ein neues Album ansteht. Selbst ist der Lakmann und so hat er sich anlässlich der neuen Platte Aus dem Schoß der Psychose dazu entschieden, das Ganze kurzerhand auf dem Pott durchzuziehen. Augen zu und durch. Sie sehen die vielleicht beste Promophase aller Zeiten:

Yeah! Mein Name ist Lakmann One und ich kack grade 'nen dicken Haufen auf all die ganze Industrie und Scheiße hier. Und da hab' ich mir gedacht, wenn ich das schon mal mache, dann mache ich das richtig und setz' einen obendrauf und hau' dann mal meine Promo fürs Album mit durch. Dann sind wir damit auch schon fertig.

Noch weniger Promo gab es beim nächsten Rapper...

Sierra Kidd - FSOD

Gzuz und Haftbefehl hatten unkonventionelle Promophasen. Das Release Date wurde sehr kurzfristig bekannt. Trotzdem hatte man gerade einen dicken Hype oder eine sich verselbstständigende Diskussion zum richtigen Song zur richtigen Zeit im Rücken.

Sierra Kidd hatte nichts außer seinem fertigen Mixtape FSOD. Anfang 2015 gründete er mit gerade mal 18 Lenzen sein eigenes Label Teamfucksleep. Hier und da wurde zu verstehen gegeben, dass man an einem neuen Projekt arbeite, aber das ist ja nicht unüblich bei Rappern.

Am 24. September (Donnerstag) kam dann ein Move, der spätestens seit heute auch Nicht-Sierra-Kidd-Fans bekannt vorkommt: Facebook, Twitter, YouTubealles down! Einen Tag später war das Tape online. In den iTunes-Charts sprang immerhin Platz 8 für Kidd heraus. Sehr respektabel für das erste Mixtape beim eigenen Label, das zwei Tage nach dem 19. Geburtstag und ohne Promo erschienen ist!

Die beste Werbung für FSOD gab es wohl im Nachhinein, als Kool Savas sich überraschend als Fan von Fan von dir outete:

Die nächste Crew hat eine Art "Konzept-Promo" salonfähig gemacht – ohne dabei peinlich zu werden...

K.I.Z. - Hurra die Welt geht unter

Erst sollte die Welt am 3. Juli 2015 untergehen. Nach erneutem Studium des uralten Taka-Tuka-Kalenders wurde die Rap-Apokalypse jedoch auf den 10. Juli vertagt. Das Splash! wurde wider Erwarten zu einer Release Party sondergleichen. Einen detaillierten Augenzeugenbericht zur gelungenen Überraschung kannst du hier lesen.

Die Promophase ging los mit einem mysteriösen Bomben-Countdown, der am 24. April endete. Ok, Countdowns sind jetzt keine große Promo-Revolution. Mit dem Platzen der Bombe wurden dann direkt der Titel des neuen Albums sowie das (vorläufige) Release Date und das Cover veröffentlicht. Normaler Move.

Am gleichen Mittag ging aber dann das Kannibalenlied online, das einige Fans erst mal rätselnd hinterlassen haben dürfte. Was geht denn jetzt schon wieder mit den Typen ab?

Die Kriegsrhetorik, die Weltuntergangspropaganda (K.I.Z. werden ja seit jeher "von führenden Kriegsverbrechern empfohlen") und die schwarzen Anzüge mit orangenen Highlights sollten bis zur immer noch andauernden Tour als serienmäßige Ausstattung des zölibatären Klosterschülers von heute durchsetzen.

Auf Videobotschaften im Sehr-Oldschool-Look folgten die Songs Boom Boom Boom und Hurra die Welt geht unter, die wohl auch in einigen Jahren noch eine Rolle spielen werden, wenn man über Deutschrap 2015 spricht. Für den Titelsong des Albums sowie Tareks Line (Flüchtlinge, Partyboote und so) aus Boom Boom Boom gab es neue goldene Plastikmedaillen von Hiphop.de für den Kaminsims.

Hier hat einfach alles gepasst. Die Jungs fühlen sich merklich wohl in ihren Rollen und das hat sich auch kommerziell ausgezahlt. Gold für Hurra die Welt geht unter. So war es dann auch kein Problem, sich für das Video zu Verrückt nach dir eine eigene kleine Promophase – wenn man es denn so nennen will – zu genehmigen.

Jetzt kommen wir zu so einem richtigen Revoluzzer...

Kollegah - King

Doubletime-Rap revolutioniert. Punchline-Rap revolutioniert. Deutschrap an sich revolutioniert. Last but not least: Promophasen revolutioniert!

Was Kollegah vor dem Release von King an Promo abfackelte, geht auf keine Kuhhaut. Er und sein fleißiges Team haben alle Register gezogen und sollten am Ende mit Gold nach weniger als 24 Stunden belohnt werden. Platin gab's nach knapp vier Wochen und inzwischen ist King bei Dreifach-Gold angelangt. Wenn wir Kollegah Glauben schenken, geht sogar eine neue ECHO-Kategorie auf seine Kappe. Das könnte auch ein Ergebnis dieser exzessiven Promophase sein.

Über ein halbes Jahr dauerte es von der Ankündigung am 4. November 2013 (im Zuge des Freetracks von Ruhe vor dem Sturm, – das erste Video über Bosshaft TV) bis zur Veröffentlichung am 9. Mai 2014. In dieser Zeit wurde regelmäßig Bosshaft Latenight bei YouTube ausgestrahlt, es gingen zig Blogs vom Pumpen und Konzerten oder Aktionen mit Fans online, in der Lyrik Lounge gab es immer wieder Zeilen aus neuen Perspektiven (z.B. aus der Sicht von Rooz) und der ein oder andere Song erblickte auch das Licht der Welt.

Dabei kann man von dem ganzen Promophasen-Wahnsinn halten, was man will – Dinger wie Armageddon sind schlicht und ergreifend saufett:

Angefeuert wurde alles von einer Debatte darum, wer denn nun der King of Rap sei. Unsere Umfrage ergab damals: Kool Savas ist und bleibt der deutsche Rap-Monarch.

In Zahlen: Stolze 90 (!) Videos gingen in den 186 Tage bei Bosshaft TV online. Da sind die Musikvideos, die über den Selfmade-Kanal erschienen, nicht mit eingerechnet. Drei Awards beim Webvideopreis 2014 gab es für all die Mühe. Der absolute Overkill. Definitiv eine außergewöhnliche Promophase.

Einen haben wir noch...

Weekend - Musik für die die nicht so gerne denken

Zu Weekends zweitem Chimperator-Release gab es neben einem Titel für die, die nicht so gerne Kommas benutzen, auch eine Promophase für die, die Promophasen ziemlich nervig finden.

Man beschränkte sich aufs Wesentliche und das geht mittlerweile schon als "außergewöhnlich" durch: Titel, Cover, Tracklist und Features am 31. August. Der Song Sicher nicht mit 3Plusss und Fatoni am 2. September. Snippet am 8. September. Album pünktlich zu 9/11. Fertig.

Platz 45 in den Charts ist im aktuellen Deutschrap-Geschehen wahrlich keine Glanzleistung, aber dieser Kontrast zu anderen Releases ist beim Gegenentwurf zu Deutschrap-QVC-Promophasen auch beabsichtigt.

Schlusswort

Im Prinzip sollen ja auch keine Verkaufszahlen und Charts-Platzierungen im Gedächtnis bleiben sondern die Musik und die Kreativität der Künstler. Das sollte eigentlich klar sein, aber man findet immer wieder Kommentare im Internet, die einen der Selbstverständlichkeit dieser Tatsache zweifeln lassen. Was soll's...

Mit der Promophase haben die Rapper heutzutage ein Tool zur Hand, das man – wie anfangs erwähnt – hassen und als diabolisches Werkzeug des Kapitalismus verteufeln kann (legitim!) ODER man nimmt es an, spielt mit seinen neuen Möglichkeiten und tobt sich im Rahmen dieser kreativ aus (ebenso legitim!). Beide Standpunkte werden in der Szene vertreten und das ist auch richtig so. Wo kämen wir hin, wenn Rapper sich nicht mehr über andere Rapper aufregen könnten!?

Jetzt erwarten wir erst mal gespannt, was in den kommenden Tagen von Haftbefehl und Xatar auf uns zukommt. Eine leise Vermutung hatten wir schon gestern Mittag geäußert.

Zum Schluss gibt's den normalsten Promo-Move der letzten Jahre: mega cute Tier-Babies mit einem Snippet unterlegt. Audio88 & Yassin, ok.

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