2Pac, Eazy-E und Biggie rotieren kollektiv in ihren Särgen wie Gyros, wenn es nach einigen Raphörern geht. Afrobeats, Autotune, Trap – immer noch Trigger für viele. Savas-Memes können dir ein Lied davon singen und das tun sie auch regelmäßig in Facebook-Kommentarspalten. Dabei könnte man sich auch einfach aufs Positive fokussieren. Davon gibt es nämlich auch einiges für die Fans, die in eine monogame Liebe für Sound der 90er verfallen sind – und das teilweise von Rappern, die in diesem goldenen Jahrzehnt geboren wurden.
Haze' "Zwielicht LP" lässt NY-Sound hochleben
"Die Zwielicht LP" des Karlsruher Rappers Haze etwa will mit Trends nichts zu tun haben, ohne dabei irgendwelche aktuellen Entwicklungen zu verurteilen. Dreckige Samples kriechen aus den Boxen, Basslines lassen das Brustbein vibrieren und Drums klatschen gegen den Nacken, wenn Zeko (kroatisch für Hase) auf 45 Minuten Stories aus dem Zwielicht erzählt. Prodigy und Havoc wären stolz.
Auch Haze' ältere Songs verfolgen diese Linie schon seit Jahren. Während er sich klar von den Helden der East Coast inspirieren lässt, sorgt man rund 300 Kilometer weiter im Norden dafür, dass der G-Funk ins Deutschraps Jetzt seinen Platz hat. Xatar und SSIO zum Beispiel lassen immer wieder R&B- und Hiphop-Einflüsse aus den 90ern in ihren Songs erkennen, schrecken aber auch nicht vor Neuem zurück und haben so einen Stil mit Wiedererkennungswert entwickelt. Noch deutlich näher an Dre, Nate, Daz und Snoop ist allerdings der Stolberger Cashmo. Seine beiden Alben von 2017 projizieren wie von alleine Bilder von Lowridern, Weed, Hennessy und Pool-Parties auf die Netzhaut. Unter Fans hat sich längst der Adelstitel "Deutscher Nate Dogg" etabliert.
Cashmo – der "deutsche Nate Dogg"
Anfang Januar gab es dann erneut ein Lebenszeichen des Karlsruhers, der auch auf Französisch rappt und Sefyu zu seinen Inspirationen zählt. "KAWGA" kommt mit einem herrlich rumpeligen Klimper-Beat von Dasaesch und Henny-Flow à la Wu-Tang '97. Bei der Talentschmiede Beefhaus könnte er dieses Jahr sein erstes Release veröffentlichen – und das sollte man im Auge behalten:
Aber Karlsruhe ist nicht das einzige Enklave auf Deutschraps Landkarte, auf der sich immer mehr Chart-Hits ausbreiten. Einer, der seine Gegend explizit zum "gallischen Dorf" erklärt, ist Shacke One aka der H*rensohnzerstampfer. In Nordberlin geht man die Dinge allerdings deutlicher funkiger an. Eigentlich kein Wunder, wenn jemand mit dem Künstlernamen Achim Funk dein Album produziert.
Bei Shacke One lebt Berliner Battlerap
Im Gegensatz zu Haze und Ulysse ist bei Shacki und der Mördertruppe, passend zum Sound, auch die ganze Attitude spürbar positiver. Es geht um wacke Rapper, Graffiti, Kopulieren in diversen Varianten, Trips durch den Ostblock, Saufen und Halligalli. Klassische Boombap-Elemente werden mit Funk-, Jazz- und 80s-Anleihen zum Nordberlin-Sound gepimpt und mit furztrockenen und unterhaltsamen Punchlines garniert.
Das Gesampaket, das aus einem anderen Jahrzehnt stammen könnte, wird auch visuell in den Videos umgesetzt. Keine Special Effects, alles echt und direkt. Sein Album von 2017 gibt es hier).
Ein weiterer Kandidat, den man im Auge behalten sollte, ist Kwam.E. Der Hamburger kann an der Seite von Ace Tee Ende 2016 erstmals auf sich aufmerksam machen, als der gemeinsame Song "Bist du down?" sogar in den USA Hörer für das 90s Revival begeistert. Auf der Kollabo-EP "Tee Time" steht zwar eher die Künstlerin im Fokus, aber er gibt dann mit der EP "What Da Phunk" sein Solodebüt.
"#ESISKWAM" von diesem Release holt quasi aus dem Stand auf Kwam.Es zuvor jungfräulichem YouTube-Kanal schnell über 100.000 Views. Ähnlich wie bei Haze ist die größte Inspirationsquelle der 90er-Jahre-Rap aus New York sein – hier allerdings eher ein gewisser Clan aus Staten Island als die Queensbridge Murderers. Gut für Kwam: Seine variable Stimme hat einen hohen Wiedererkennungswert und man spürt, wie sehr er die Flows fühlt.
Die Tatsache, dass Liebe für alte und neue Schule sich nicht gegenseitig ausschließen, verkörpert die Berliner Crew BHZ. Aus ihrem Hoodparadies heraus haben die Jungs zwar hauptsächlich turnup-taugliches Material veröffentlicht. "Schliesse die Augen" klingt aber weniger nach Travis Scott als nach den Fugees.
Ein diffuses Summen schwebt durch den Beat, während Bummtschack-Drums für altbewährtes Hiphop-Feeling sorgen. Dazu stellen Longus Mongus, Ion Miles, Dead Dawg und Monk unter Beweis, wie gut sie auch diese ältere Rap-Disziplin beherrschen.
Ein Großteil der Vertreter in dieser Liste dürfte nicht mal 30 sein und damit als nicht aktiver Hörer die 90er live miterlebt haben. Trotzdem vereint die Liebe für diesen "echten" Rap, wie manche es gerne nennen, alle Aufgelisteten. Sicher gibt es noch etliche weitere Rapperinnen und Rapper hierzulande, die ähnlich fresh den Sound aus einer anderen Ära nachempfinden. Was klar geworden sein sollte: Lasst Pac, Eazy und Prodigy in Frieden ruhen. Es gibt keinen Grund, sich im Grabe umzudrehen.
Das Wort "zeitlos" wird im Rapkontext aus gutem Grund genutzt, wenn man über die goldene Ära spricht. Hiphop kann sich weiterentwickeln und sich trotzdem treu bleiben. Auch die jüngste Generation arbeitet daran. Skrrrrt!