Das Geheimrezept: Drake vor "Views From The 6"

Es ist kaum zu glauben: Ein kanadischer Teenie-Serien-Schauspieler wird Jahre später einer der wichtigsten Rap-Künstler der Welt. Mit dem vollen Programm: Disstracks, die Karrieren beenden könnten; Affären mit den größten weiblichen Stars; Hits nach Hits nach Hits... und natürlich: Einem heißen Album, das mal wieder den unkonventionellen Weg nach draußen findet.

Wir wissen mittlerweile gar nicht mehr, das wievielte sogenannte Studioalbum Drakes uns erwartet. Zählen If You're Reading This und What A Time To Be Alive nun weiterhin als Mixtape? Es ist auch vollkommen egal. Views From The 6 steht vor der Türschwelle, es hält nochmal kurz inne und lässt den Lemonade-Hype abklingen – und dann kann es losgehen. Tracklist und Cover stehen bereits. Wir gucken indes kurz zurück auf Drakes musikalischen Werdegang bis hierhin...

Schritt 1: Vorbereitung

Oft und gerne belächelt man die Disney-Kinder wie Selena Gomez oder Miley Cyrus. Fakt ist, dass Drake während seiner ersten Mixtapes noch in der siebten Staffel der kanadischen Jugendserie Degrassi mitspielte. 2006, mit 19 Jahren, brachte er Room For Improvement. Ein Jahr später Comeback Season, was bereits großen Anklang fand. Mit So Far Gone hatte es dann auch bei den großen Plattenfirmen geklingelt: 2009 entschied sich Drizzy dank Lil Waynes Überzeugungskünste für die Labelheimat Young Money/Cash Money Records unter Birdman.

Degrassi war Geschichte. Man beachte schon so früh in der musikalischen Karriere die Widersprüche, die gerne und immer wieder beim Kanadier gesucht werden: Als Teenie-Actor das Mixtape-Game auf den Kopf zu stellen ist alles andere als selbstverständlich – und eine wichtige Vorbereitung.

Schritt 2: Grundstein

Thank Me Later zählte definitiv zu den am heißesten erwarteten Alben 2010. Von Gastbeiträgen wie Alicia Keys, Jay Z, T.I. und Jeezy auf dem Debütalbum kann man sonst nur träumen. Weezy als Wingman ist sicher kein Nachteil und die Vorabhits Best I Ever Had und Over taten ihr Übriges.

Allgegenwärtige Vorurteile der Hiphop-Szene gegenüber emotionale, persönliche, "softe" Themen standen dem jungen Drake zunächst nicht im Weg. Sicher auch hilfreich, dass ein gewisser Kanye West gerade das Singen als Rapper mit 808s & Heartbreak salonfähig gemacht hatte. Nicht umsonst stammt die eingängige Produktion für Find Your Love aus seiner Feder. Mit knapp 500.000 Einheiten in der ersten Woche krachte Drake deutlich auf Platz Eins der Charts...

Schritt 3: Fokus

Erfolg schön und gut, doch ganz so zufrieden war Drizzy dann doch nicht mit seinem Debüt. Die Zeit bis Take Care nahm er sich, um gemeinsam mit Hausproduzent 40 punktuelle Schwächen auszuloten. Auf Headlines betrat Drake auch endlich die Competition als MC. Auf Lord Knows und Underground Kings lieferte er raptechnisch seine bis dato Bestleistungen ab.

Mit dem Titeltrack Take Care und Rihanna an der Seite gelang ihm andererseits einer dieser globalen Hits, die er gleichermaßen jagt wie die Anerkennung in der Szene. Auf Marvins Room gibt es außerdem die selbstverständliche Dosis Herzschmerz. Nicht zu vergessen: Das jahrelang so lästige Jugendwort "YOLO" findet seinen Anfang auf diesem Album...

Headlines von Drake auf tape.tv.

Schritt 4: Weiterentwicklung

Mit Take Care räumte Drake selbst Nas aus dem Weg und schnappte sich den Grammy. Vielleicht ein Grund, weswegen die Flughöhe allmählich gesteigert wurde. Nothing Was The Same stand zu seinem Namen und präsentierte einen Drake, der sich von seinen Erfolgsrezepten zu einem Großteil trennte.

Statt einem emotionalem Intro gibt es sechs Minuten lang lyrische Ansagen. Mit Started From The Bottom und Worst Behaviour testet der Kanadier seine soundästhetischen Grenzen aus: Harte Drums und mutige Ansagen funktionieren sehr gut. Das Michael Jackson-getriebene Hold On We're Going Home wird außerdem zu seiner zehnten Platin-Single. Die Gefühlskirmes scheint durchgespielt. Zeit für einen Richtungswechsel?

Schritt 5: Verlagerung

2014 hat Drake akribisch genutzt, um an seiner musikalischen Umstrukturierung zu arbeiten. Erste Ergebnisse: Trophies und natürlich 0 To 100 – ein Song, das ein ganzes Genre wieder etablierte. Düstere Piano-Samples, scheppernde Trap-Drums, Selbstbewusstsein on a trillion. Klingt fast wie Mobb Deep 20 Jahre später.

Nachdem sich sein Mentor Weezy offensichtlich großen Problemen mit Labelchef Birdman konfrontiert sah, fühlte sich auch Drake nicht mehr so wohl bei Cash Money. Während auf Views From The 6 gewartet wurde, lud Drizzy ein ganzes Mixtape auf Soundcloud hoch. Unglücklich, da vertraglich ein Eigentor. Also warf er das Tape doch auf den Markt.

If You're Reading This It's Too Late zerschmetterte jegliche Verkaufserwartungen, lief monatelang hoch und runter in Clubs, Stores, auf der Straße und wäre wohl die Platte des Jahres, wenn ihm Kendrick Lamar keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Keine Spur von poppigen Hits oder global tanzbaren Balladen, auf If You're Reading This zieht Drake seinen kompromisslosen Film gnadenlos durch. Weil er Drake ist, spielen ihn auch die Radios.

Als ob es nix wäre, legt er mit Kollege Future wenige Monate später noch das Kollaboprojekt What A Time To Be Alive nach. Nebenbei klatscht er Meek Mill mit Back To Back so derart aus dem Rap-Geschäft, dass man schon fast vergisst, was der ursprüngliche Vorwurf war: Eine ganze Menge dessen, was wir von Drake abgefeiert haben, stammte wohl nicht aus seiner eigenen Feder. Könnte dem Mann, der innerhalb eines Kalenderjahres zwei Mal auf der 1 der Albumcharts war aber nicht egaler sein. Drake hat den Hype-Code geknackt.

Schritt 6: Views

"I took a break from Views, now it's back to that..." – aber zu was genau? Zunächst stürmte er mit Hotline Bling in alter Manier (fast) an die Spitze der Hitlisten, darauf gab's mit Summer Sixteen und Pop Style die erwarteten Ansagen, mit One Dance (und nicht zu vergessen Rihannas Work) wiederum karibische Tanzvibes. Was Drakes konkrete Intention für Views From The 6 ist, wird sich wohl erst zu Release enthüllen. Schafft er es, weltweit funktionierende Chartstürmer mit heimatbezogenem Trap zu vereinbaren? 

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