Haftbefehl polarisiert & genau darum wird "DWA" das beste Album 2020

Haftbefehl bringt am 5. Juni endlich sein neues Album raus. Es heißt "Das Weisse Album" und wir warten alle schon sehr, sehr lange darauf. Nach der Ankündigung und den ersten Auskopplungen mussten wir uns sogar noch ein bisschen länger gedulden, weil die Platte verschoben wurde. Aber jetzt ist es fast so weit: Haftbefehl steht kurz davor, mit "DWA" das wahrscheinlich beste und vielleicht auch wichtigste Album des Jahres 2020 zu veröffentlichen.

Ein Haftbefehl-Album ist immer etwas Besonderes, aber jetzt erst recht

Haftbefehl ließ uns lange hängen und zittern. Eine gefühlte Ewigkeit ist es her, dass sein letztes Solo-Release "Unzensiert" erschienen ist. Das letzte richtige Haftbefehl-Album liegt sogar noch länger zurück. Allein schon wegen der Wartezeit, den vielen kleinen Teasern und Ankündigungen nimmt "Das Weisse Album" eine Ausnahmestellung ein.

Aber Qualität verpflichtet auch: Es gibt wohl kaum einen Rapper, auf den sich alle so einfach einigen konnten. "Russisch Roulette" war ein dermaßen einflussreiches Album, dass es quasi sofort zum Kult avanciert ist – ein echter Instant Classic auf Albumlänge. So etwas kommt mittlerweile so gut wie gar nicht mehr vor. Von einzelnen Ausnahmen wie OG Keemo vielleicht abgesehen. Aber "Das Weisse Album" macht schon jetzt den Eindruck, dasselbe Niveau zu erreichen.

Die Erwartungen könnten also kaum höher sein: Der Vorgänger war überragend, seitdem ist eine Ewigkeit vergangen und alle hoffen, dass wir es hier mit dem nächsten großen Wurf zu tun bekommen.

Wenn Haftbefehl etwas macht, gucken alle hin

"Keiner rockt den Laden so wie Babo H": Was Haftbefehl tut, ist immer spannend. Nur die wenigsten Rapper nehmen eine ähnliche Vorreiterstellung für den modernen deutschsprachigen Rap ein. Viele haben das geprägt, was heute abgeht, aber keiner so wie Haftbefehl. Dass er sich seit Jahren aus dem Gröbsten rausgehalten hat, verstärkt Hafti Abis Onkel-Status nur noch mehr.

Aber wenn sich jemand wie Haftbefehl aus dem Olymp herab begibt, um wieder unter den Normalsterblichen mitzumischen, ist ihm die Aufmerksamkeit der ganzen Szene gewiss. Das liegt vor allem auch daran, dass wir es hier mit einem echten Innovator zu tun haben. Oder, anders ausgedrückt: Haftbefehl hat schon immer einen F*ck darauf gegeben, was andere machen oder denken.

Stattdessen zieht er gnadenlos das durch, was ihm in den Sinn kommt und was er für gut und richtig hält. Auch wenn das manchmal vielleicht einfach nur darin besteht, "einfach reinzuschreien" und eins gegen eins gegen den Beat zu kämpfen, der so laut wie nur irgend möglich gedreht ist. Wer macht sonst solche Moves? Vor allem aber: Wer kann es sich leisten und wirkt dabei auch noch souverän?

Haftbefehl - Das Weisse Album

Am 5 Juni, 2020 - 00:00 erscheint Haftbefehl - Das Weisse Album.

Haftbefehl polarisiert schon immer & das macht große Künstler aus

Egal, ob es um die Reimtechnik, die Beatauswahl, den Release-Zeitpunkt oder Featuregäste geht: Haftbefehl polarisiert. Entweder liebst du ihn, oder du hasst ihn. Wie bei den meisten wichtigen, großen und prägenden Künstlern gibt es da kaum etwas dazwischen. Wer nichts mit Haftbefehl anfangen kann, wird ihn wohl auch nicht mehr lieben lernen.

Wer seine Art, Musik, Perspektive, die Herangehensweise, die Sprache und seinen Humor liebt, tut das in der Regel aber bedingungslos. Darum fiebern alle diesem Album entgegen. Genau darum ist es letztlich auch völlig egal, ob irgendwer belastend findet, dass Haftbefehl als ersten Feature-Gast einfach mal Shirin David ankündigt. Was Hafti macht, ist oft unerwartet, überraschend und ungewöhnlich. Plus: Es ist ihm schlicht scheißegal, was ihr davon haltet.

Das Ergebnis ist sowieso über so gut wie jeden Zweifel erhaben. Haftbefehl macht einfach, was er will, und das ganz offensichtlich ohne Rücksicht auf Verluste, teilweise sogar "ohne Moral". Genau darum wirkt es aber auch immer so spannend: Wir sind vielleicht alle stutzig geworden und haben uns gewundert, wie "Conan x Xenia" wird – hören wollten wir den Song aber definitiv alle.

Niemand beherrscht Storytelling so direkt und unverstellt wie Haftbefehl

Wer nicht genau hinhört oder nicht darüber nachdenkt, hält Haftbefehls Texte vielleicht für stumpf oder einfach nur asozial. Aber wer das tut, verkennt den Künstler hinter den teils natürlich erschreckend harten Inhalten wahrscheinlich auf übelste Art und Weise. Dass wir so lange auf "Das Weisse Album" warten mussten, liegt nämlich wohl auch daran, dass sich dieser Rapper den Kopf darüber zerbricht, was genau er rappt – und wie.

"Jeder Satz ist wahr:" Natürlich wissen wir nicht, ob sich die Dinge genau so zugetragen haben, wie sie Haftbefehl rappt. Aber es gibt keinen, der es schafft, diese Storys genau so zu erzählen. Wir bekommen hier Einblicke in eine Welt, die gleichermaßen abschreckt und fasziniert. Manche Hörer finden sich darin wieder, andere sind vielleicht einfach nur erschüttert. Beides ist gut und eine nicht zu verachtende künstlerische Leistung.

Willkommen zurück, Baba Haft

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"Woher das Geld kommt, ist doch scheißegal": Wenn Hafti seine Ticker-Storys auspackt, läuft es uns oft eiskalt den Rücken runter. Einerseits, weil das wirklich krasse Geschichten voller Gewalt sind und sich darin tiefe Abgründe auftun. Andererseits, weil uns diese Musik es ermöglicht, diese Perspektive einzunehmen und zu erkennen, was Menschen dazu zwingt, sich dieser Welt hinzugeben.

Wir können in Haftbefehls Musik die Wut, das Leid, die Bitterkeit und Härte dieser Gesellschaft spüren. Wir bekommen die Gelegenheit, nachzufühlen, wie kacke es sein muss, zum Dealen gezwungen werden, weil uns ein rassistisches, kapitalistisches System unten halten will. Und wir verstehen im Idealfall ein bisschen besser, wie das Menschen derart formt und sogar zum Äußersten treiben kann.

Haftbefehl mag mittlerweile vielleicht andere Probleme haben. Aber dass er die Straße nicht vergessen hat und in diesem Album mehr Gedanken und Herzblut stecken, als viele vielleicht auf den ersten Blick bemerken, manifestiert sich nicht nur in der Platte selbst, sondern auch im Drumherum. Besonderer Respekt gebührt ihm dafür, dass er die ersten Augenblicke des "RADW"-Videos den Opfern des rassistischen Terror-Anschlags von Hanau widmet.

Producer Bazzazzian harmoniert perfekt mit Haftbefehl

Haftbefehl ist aber nicht nur textlich und inhaltlich für ungewöhnliche Ausdrücke, Perspektiven und Experimente zu haben. Auch musikalisch wirkt es immer absolut spannend, neuartig und beeindruckend, was beim Zusammenspiel mit den Produzenten herauskommt. In Bazzazzian hat Haftbefehl jemanden gefunden, der ihm gewachsen ist.

Das klingt manchmal einfach nur brutal und brachial, wie es zum Beispiel bei "RADW" oder "Conan x Xenia" der Fall ist. Aber Bazzazzian beherrscht nicht nur absolute Monster von Beats, sondern auch die leiseren, ruhigeren Töne. Das wird zum Beispiel bei den ebenfalls schon ausgekoppelten "1999"-Parts deutlich. Hier geben die Produktionen einem nachdenklicheren Haftbefehl Raum, um zu singen.

Womit wir wieder bei den unerwarteten Dingen und Überraschungen angelangt wären. Dass Haftbefehl auf seinem neuen Album auch immer mal wieder melodiös wird ("Bolon") und sogar singt, hätten wohl die wenigsten erwartet. Im Zusammenspiel mit den Produktionen von Bazzazzian wirkt das aber nie seltsam oder fehl am Platz, ganz im Gegenteil.

Die beiden Künstler ergänzen sich zu einer Art Symbiose, die ihresgleichen sucht. Hafti Abi und Bazzazzian liefern ein weiteres Beispiel dafür, dass aus der Kombination von einem Produzenten und einem Rapper oft einfach grandiose Kunst entstehen kann. Wenn die Chemie stimmt und beide so perfekt miteinander harmonieren, wie es hier offensichtlich der Fall ist.

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