Formeln für die Ewigkeit: 5 Wege, um mit Rap zu altern

Das Älterwerden gehört zum Leben dazu. Auch Rapper können der Zeit nicht davon laufen. Der Unterschied zum Otto-Normal-Bürger besteht darin, dass man ihnen beim Reifeprozess zusehen kann. Musiker stehen seit dem ersten noch so kleinen Untergrundhit im Fokus einer wachsenden Öffentlichkeit. Fünf MCs, deren Karrieren einen steilen Verlauf genommen haben, dienen im Folgenden als Anschauungsmaterial für den Umgang mit dem unaufhaltsamen Faktor Zeit. Es sind Beispiele für Änderungen, die einsetzen, wenn die Sturm und Drang-Phase überwunden ist.

Alle hier genannten traten um die 2000er ins Scheinwerferlicht und haben wirklich alles mitbekommen – den Tod des Musikfernsehens, die Smartphone-Ära, den Übergang ins Streaming-Universum. Viele Fans von Heute waren zu Beginn ihres Werdegangs noch nicht einmal auf der Welt. Um nicht die gesamte Biografie nachzuerzählen, dienen erste Erfolge und letzte Veröffentlichungen als grobe Anhaltspunkte.

Azad - Eine Vision, zwei Soundbilder


Wenn sich Rap-Fans über Klassiker des deutschen Straßenraps unterhalten, wird das Gespräch irgendwann auf "Leben" von Azad kommen. Die Sturmmasken, die harten Ansagen aus der Nordweststadt – das war neu, das war anders. "Napalm" legt die Musiklandschaft tatsächlich in Brand. Auf Beats, die knochentrocken aus den Boxen kriechen, hagelt es auf dem Folgealbum "Leben" Battle-Strophen, die das Game hierzulande so nicht gehört hat. Die "Ein Mann Armee" packt auf sein Debütalbum einen neun (!) minütigen Disstrack gegen das damalige Feindbild Samy Deluxe und macht Frankfurter Härte salonfähig.

Heute brennt der Asphalt immer noch. Stellenweise sogar ganze Häuserfassaden wie im Video zu "Nach vorn". Das Einer-Gegen-Alle-Ding hat der Bozz aufrechterhalten. Sein letztes Album "NXTLVL" bewegt sich musikalisch auf einem völlig anderen Terrain. Statt Gang Starr-Samples und Premo-artigen Cuts nutzt Azad die Freiheiten von Trap und die Vorzüge von Autotune. "Conor McGregor" vertritt im Kern genau die Attitude, die sich auf "Leben" ausbreitet. Die Art und Weise wie der Track konzipiert ist, weicht aber stark ab.

Der Bozz ist mit der Zeit gegangen und drückt nur noch einen Bruchteil der Silben in den Takt. Eine verfremdete Gesangshook von Calo rundet das moderne Gesamtbild ab. Das Düstere umgibt die Faust des Nordwestens weiterhin. In den Schatten der 2018er-Hochhaussiedlungen lassen sich problemlos Scheine statt Battle-Opfer stapeln. Diese musikalische Neuerfindung funktioniert überraschend reibungslos. Der Gegenwind gegenüber der Evolution des Azad-Sounds bleibt überschaubar und bezeugt vielmehr, wie anpassungsfähig der Rap des Frankfurters ist.

Sido – Aus dem Märkischen für die Mehrheit


Sidos Einstieg in den Musikmarkt gleicht einem Geniestreich. Die Maske, die Attitude, das Blockpanorama  mit Augenzwinkern in "Mein Block" – Aggro Berlin gelingt ein Marketing-Coup sondergleichen. Nach etlichen Ohrwürmern und Auszeichnungen ist der Gold- und Platinrapper doch recht Nahe bei diesen Ursprüngen geblieben. Der Junge aus dem Märkischen Viertel sagt und rappt weiterhin, wie ihm die Berliner Schnauze gewachsen ist.

Dazu zählen auch seit jeher eingängigere Nummern. Die gab es früher in Gestalt von "Carmen" und dem legendären "*rschf*cksong" bereits in einer Zeit, in der sich niemand ausmalen konnte, dass Rap mal so übernimmt. Der Anteil schmutziger Anekdoten ist bei den großen Charterfolgen gestrichen worden, aber der einzigartige Charme ist doch ein ständiger Begleiter der Tracks. "Bilder im Kopf" oder "Astronaut" funktionieren auch deswegen, weil Sido es schafft, mit einfachen Worten den Hörer von sich einzunehmen.

Dabei hat sich Sido nachweislich dem Radio geöffnet. Er hat sich zudem nicht nur privat häuslich arrangiert, sondern zieht auch musikalisch die gepflegtere Inszenierung vor. Die Maske kommt zwar noch hier und da zum Vorschein, aber leuchtet nun, wie es sich für das "Das goldene Album" gehört. Neben all den kalkulierten Ausflügen in den Pop-Bereich rappt Sido aber weitgehend in dem Style des Rappers, dem einst Toast und Ketchup den Magen füllen mussten. Ihm scheint sehr bewusst, wie alles angefangen hat und er bedient trotzdem oder gerade deswegen jegliche Spielart von Rap. Straßen-Stories, Aufarbeitung der eigenen Biografie oder Medienkritik trägt der Berliner mit einer humorigen Leichtigkeit vor, die man sich nicht antrainieren kann.

Curse - Von Nas zum Nass


Curse Karriereweg ist seit Neuestem vom Element Wasser gerahmt. Alles begann mit dem Album "Feuerwasser" und mündet in der Gegenwart mit "Die Farbe von Wasser". Der Unterschied im Umgang mit dem Nass liegt auf der Hand. Wo ersterer Titel noch ein Synonym für Alkohol ist und mit den Gegensätzen der Elemente spielt, kommt die zweite Variante weniger eindeutig daher und legt Wert auf Interpretationsspielraum.

Der Anspruch des Mindeners an sein Debütalbum ist ein Transfer des New York-Sounds nach Deutschland. Das für viele beste Album aller Zeiten "Illmatic" von Nas gilt als Vorbild. Um einen derartigen Klassiker erschaffen zu können, muss Grundsätzliches geklärt werden. Also startet der junge Curse mit "10 Rapgesetzen". Das heißt: Rap über Rap runtergebrochen auf zehn kurz vorgetragene Punkte. Daneben stehen Tracks, die das Gesamtpaket von Curse abbilden. Eher deepere Songs über den seelischen Zustand sind genauso Bestandteil des Werks wie Representer.

Zeitsprung zu "Die Farbe von Wasser": 18 Jahre später sieht die Welt tatsächlich nur ein bisschen anders aus. Rap muss niemandem mehr erklärt werden. Die Experimente um das letzte Album "Uns" liegen hinter dem Mann, der zwischenzeitlich das Musikerleben unterbrochen hat, um eine Ausbildung als systemischer Coach zu absolvieren. Die neue Gelassenheit kehrt in den Sound ein und entwirft einen Curse, der sich auf seine Grundtugenden besinnt. Das bedeutet nicht Ex-Freundinnen zu thematisieren, sondern das richtige Verhältnis zwischen bloßem Spaß am Rap und Tracks mit Aussage herzustellen. 

Dazu erfüllt sich das Urgestein Feature-Träume, erzählt reflektiert und liefert mit einer Routine ab, die mit einem hohen Maß an Erfahrung möglich ist. Jeder Song wirkt dabei durchdacht und geizt nicht mit den Skills eines Curse, der seine Mitte gefunden hat. Auch wenn es keine Ansagen mehr über korrekten Rap gibt, hat "Die Farbe von Wasser" doch die Essenz des Erstlings aufgegriffen. Es beweist, dass ein Erwachsenwerden mit der eigenen Musik nicht automatisch an verkrampften Versuchen dem Zeitgeist hinterherzuhecheln enden muss.

Samy Deluxe - Weniger Weed, mehr Politik


Mit Tropf, DJ Dynamite und jeder Menge Hamburger-Hänger-Mentalität stößt Samy Deluxe die Tür in das Musikbusiness auf. Ausschweifender Talk vom Kiffen, bis dato fast unheimlich saubere Flows und Reime genügen, um etwas vollkommen Neues für das deutsche Gehör zu platzieren. Aus dem Schoß der Mongo Clikke tönt dieser entspannte Sound, der technisch einwandfreien Rap präsentiert, ohne auch nur eine Spur angestrengt zu wirken. Locker flockig bietet Samy die "Ladies und Gentlemen" zum Tanz oder setzt die "Grüne Brille" beim Amsterdam-Trip auf. Das "Deluxe Soundsystem" macht vor allem Spaß.

Samy übersieht trotz geröteter Augen dabei keineswegs das, was um ihn herum passiert. Wofür "Weck mich auf" auf seinem Soloalbum "Samy Deluxe" schon den Grundstein legt, ist heute präsenter denn je. Das politische Bewusstsein und die Thematisierung der eigenen gesellschaftlichen Rolle finden vermehrt in der Musik des Hamburgers statt. Ein Nena-Feature, das "Haus am Mehr" und die Songwerdung der extrem bürokratischen Formulierung "Mitbürger mit Migrationshintergrund" oder kurz "Mimimi" verstärken diesen Eindruck. Dennoch wirken manche Tunes noch weitaus weniger verkopft als in seinen Anfangstagen. Auf der einen Seite scheint das Profil politisch geschärft. Auf der anderen Seite ist der Rapper Samy Deluxe offen wie nie und fördert in seiner Kunstwerkstadt aufstrebende Talente.

Als Figur zwischen diesen Extremen entpuppt sich mitunter Herr Sorge. Der Charakter mit der eingebauten Weltuntergangsgarantie wurde belächelt, aber hat gewissermaßen die Freiheit der heutigen Soundsetzung vorweggenommen. Gedanken über die Ungereimtheiten auf dem Planeten mit ordentlich Autotune haben sich bis jetzt nicht durchsetzen können. Der reine Wickeda MC mit Spliff auf Halbmast wird trotzdem wohl so schnell nicht zurückkommen. Zu wichtig scheint Team Deluxe die Rolle als Teacher. Ein YouTube-Format aus seinem Restaurant auf der Schanze dokumentiert dieses Anliegen. Mit der Erneuerung der Sendung Yo! MTV Raps, die im Fernsehen der grauen Vorzeit den realen Hiphop vorstellte, ist eine Haltung verknüpft. Statt Abfeiern des Drogen-Lifestyles feiert Samy seine Liebe zur Kultur und sucht zudem die Aufmerksamkeit derer, die mehr mit der Sache verwurzelt sind.

Kool Savas - Wenn man der Beste ist, ist es normal, dass man der Beste ist

Kool Savas muss niemandem mehr etwas beweisen. Wer schon in den Genuss gekommen ist, KKS live performen zu sehen, der weiß, dass dort ein Ausnahmekönner am Mic steht. Nach Gruppenaktivitäten mit M.O.R. und Westberlin Maskulin Ende der Neunziger versucht sich Savas als Solo-MC. Als er 24 Jahre alt ist und die Doppelsingle "LMS/Schwule Rapper" in die Szene knallt, ist die Welt schlagartig eine andere. Endlich harter Battle-Rap auf Deutsch, der hörbar und unendlich krass geflowed aus dem Discman pumpt. Schimpfwörter und sexuelle Begriffe werden anno 2000 noch außerhalb eines Battle-Kontextes wahrgenommen, weil eine Vielzahl der Medien und Medienvertreter überhaupt nicht für diesen Teil der Kultur sensibilisiert erscheint.

Der Berliner spricht mit expliziten Begriffen über explizite Dinge und hat spürbar Bock diesen Bogen weiterzuspannen. Als die gleichnamige Single zum Album "Der Beste Tag meines Lebens" Premiere feiert, wird deutlich, dass der Ex-Westberlin Maskulin-MC auch total anders kann. Ohne Zeigefinger oder einen Auftritt als Moralprediger erklärt Savas, wie man sich als junger Mensch der Zukunft entgegenstellt.

Das letzte Studioalbum "Märtyrer" packt bereits Pop-Sternchen Tim Bendzko auf das "Intro". Das Release "Gespaltene Persönlichkeit" mit Xavier Naidoo zwei Jahre zuvor als "Xavas", zementiert ebenso die musikalische Öffnung des früheren reinen Battle-MCs. Musikalisch bewegt sich die Formation aber nicht so weit weg von Songs, die Savas schon mit Unterstützung von Moe Mitchell rausgebracht hat. Die deftigeren Angriffe hört man immer noch hier und da, aber sie bleiben weniger hängen, weil heute jeder Mal zu Schimpfworten greift. Die Pop-Schiene scheint es Savas ein bisschen angetan zu haben. Auf einem Feature-Part bei einem Track mit Rea Garvey tritt er als Kritiker der oberflächlichen Social Media-Blase auf.

Hinter diesen Ausflügen ins Radio steht aber weiterhin der John Bello-Instinkt. Das Mixtape "Essahdamus" hat nichts mit Konsens gemein, sondern bietet Rap für Fans von Rap. Mit R.A. The Rugged Man, der seinen Part teilweise auf Deutsch raushaut und der Curse-Referenz in der Hook von "Wahre Liebe", holt man sicher keine typischen The Voice-Fans hinter dem Sofa hervor. Dafür stärkt Savas demonstrativ sein Image als Rapper, der es mit seiner Kultur ernst meint und trotz aller Bereitschaft zum großen Pop noch nicht übersättigt vom straighten Rap wirkt.

Fazit

Jeder der hier kurz angerissenen Wege ist natürlich um einiges vielschichtiger. Was die fünf Rapstars eint, ist der ständige Drang zur Veränderung. Keiner hat sich auf seiner Anfangszeit ausgeruht und es bei dem Rezept belassen, das einmal zum Erfolg geführt hat. Die Herangehensweise an die Fortschreibung der eigenen Musikgeschichte ist unterschiedlich. Von der Rückbesinnung auf alte Tugenden, über eine stärkere Gewichtung der politischen Note bis zum Schritt heraus aus dem Altbekannten, scheint alles möglich.

Was die erfolgreichen Karrieren verbindet, ist, dass sich alle MCs mehr geöffnet haben  – sei es inhaltlich oder musikalisch. Jeder hat es geschafft, im Gespräch zu bleiben, ohne durch größere Skandale für Aufmerksamkeit sorgen zu müssen. Der jugendliche Tatendrang und die Verspieltheit innerhalb der Kunst des Raps ist wohl keinem dieser reiferen Artists abzusprechen. Mit diesem Wissen um die eigenen Stärke rückt die Versenkung in weite Ferne.

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