Kunstfreiheit ist auch für Rapper keine Einladung zum Sexismus

Es ist ein komischer Reflex, den wohl jeder von uns kennt. Innerhalb der Szene gibt es Spannungen, Abneigungen und Kleinkriege. Man teilt aus und steckt ein. Wenn jedoch Kritik von außen kommt, sind sich auf einmal alle einig und wollen Rap verteidigen. Rapper fordern selbst in den hirnrissigsten Situationen, dass die Rapmedien sie gegen den Druck von außen verteidigen müssten. Wir müssten denen da draußen erklären, was Rap überhaupt ist und wofür er steht.

Wofür Rap nicht steht: frauenfeindliche Lyrics. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Sexismus schon viel zu lange seinen festen Platz in unserer Lieblingsmusik hat. Etwas Dummes wird nicht besser, nur weil man es schon lange aushält. Kunstfreiheit schön und gut. Aber wenn du dumme Kunst machst, dann machst du eben dumme Kunst.

Deshalb ist es gut, dass das Thema wieder auf den Tisch kommt. Die Intensität ist grade bedrückend, aber notwendig, um Bewegung in eine Szene zu bringen, die oft konservativer ist, als man es sich wünschen würde.

Im Zentrum der aktuellen Debatte steht Fler. Zugegebenermaßen: Seine Line zählt zu den weniger schockierenden im Video der #unhatewomen-Kampagne. Und allein, dass ich das schreibe, ist symptomatisch und entlarvend zugleich. Frauen machen auf frauenfeindliche Texte aufmerksam und der Rapfan legt sich schon beim peripheren Lesen der Headline die ersten Relativierungsversuche im Hinterkopf zurecht. Was Schwachsinn ist.

Zu Terre Des Femmes, den Initiatoren der Kapmagne, muss allerdings angemerkt werden: Von ihrem Einsatz für Verbote von Kopftüchern für Kinder oder von Prostitution möchten wir uns ausdrücklich distanzieren. Für die aktuelle Thematik spielt das allerdings kaum ein Rolle.

Zurück zum Thema: Dass man Zeilen oftmals einordnen und manches relativieren kann, müssen wir niemanden erklären. Auch das muss jeder 2020 verstanden haben. Fler rückt aber gar nicht primär durch seine Zeile in den Fokus, sondern durch seine Reaktion auf das Video. Dass er mit seiner Wortwahl gerne über das Ziel hinausschießt, ist keine Neuigkeit. Drastische Worte und Ausdrucksformen sind tatsächlich Hiphop. Kopfgelder auf Menschen auszusetzen, die nachvollziehbare Kritik an dir haben, ist es nicht. Das ist auch nicht lustig, sondern schlichtweg gefährlich.

Dann schaltet Shahak Shapira sich ein und mit Hilfe der in diesem Fall sehr unglücklich agierenden Kollegen von 16bars driftet der Diskurs ab. Plötzlich geht es um Shapira und um Sympathien. Es ist komplett scheißegal, ob wir den Kerl jetzt cool finden oder nicht. Er steht für das Richtige in dieser Sache, Fler für das Falsche.

Heute versucht er, seine Line schönzureden: "Die Bezeichnung Hoe [gilt] im Rap-Jargon für das pe[r]fekte Schönheits-Ideal", schreibt er auf Instagram. Einfach nein. Es ist ein abwertender Begriff für eine Frau. War es 1997 und ist es auch 2020 noch.

Muss man wirklich darauf hinweisen, dass es bescheuert ist, sexistische Lines zu rappen? Dass "Bitch", "Hoe" und "Schlampe" kein hiphop-kulturelles Gut sind, sondern meistens – auch hier darf man den Kontext nicht außer Acht lassen – schlichtweg Herabwürdigungen von Frauen? Muss man explizit erwähnen, in welchem Maße es gegen moralische Grundprinzipien verstößt, wenn man eigenmächtig ein Kopfgeld auf Menschen aussetzt, die einen kritisieren? Einfach weil man es sich leisten kann? Dass es bescheuert ist, jemanden zu bedrohen, der die Stimmen und Ängste einer Gruppe sichtbar machen möchte? Dass das eher das Gegenteil von dem ist, was wir unter Hiphop verstehen?

Die traurige Antwort, die sich in den letzten Tagen mal wieder herauskristallisiert hat, lautet: anscheinend ja.

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