Wir haben Fler, Sido & mehr gefragt: Ist Rap tot?

Ist Hiphop eigentlich schon (wieder) tot? Die aktuelle (Untergangs-)Stimmung in und der Diskurs über die Szene erinnern ein wenig an das Ende der 2000er-Jahre. Damals mussten Labels wie Optik Records schließen und finanzielle Probleme gehörten im Deutschrap zur Tagesordnung. Und auch künstlerisch schien sich Rap auf eine Sackgasse zuzubewegen. Jetzt, etwa 15 Jahre später, fühlt es sich zumindest ähnlich an. Nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Nachdem 2023 auffällig wenig Hiphop-Alben auf Platz eins der Billboard-Charts landen konnten, fingen zahlreiche Medien-Outlets und Content Creator erneut an, das Ende von Hiphop zu prophezeien. 

Linst man in die zahlreichen Artikel, YouTube-Abhandlungen und Reddit-Beiträge zu dem Thema, erhält man abgesehen vom Chart-(Miss-)erfolg noch weitere Indikatoren für diese doch recht düstere Prognose. So gab es in den letzten paar Jahren immer weniger Rapper, die es geschafft haben, sich mit den Top-Acts zu messen. Artists wie Drake, Travis Scott, Kendrick Lamar, J. Cole oder Kanye West gelten in den USA schon seit vielen Jahren als die Besten. Es gab wenig Raum für Wandel oder frischen Wind an der Spitze – auch wenn kleinere Acts durch virale Trends einfacher als zuvor ihren ersten (oder einzigen) Hit schaffen können.

Hiphop: Bedeutet eine fortschreitende Kommerzialisierung das Ende?

Und dann wäre da noch das große K-Wort: Kommerzialisierung. Mit steigender Profitabilität wird Hiphop immer Mainstream-freundlicher. Und das prangern gerade Old-Heads schon seit Jahren an – denn die einstige Message, für die Hiphop bekannt war, ist in den Top-Hits kaum noch zu sehen. Gleichzeitig lässt sich so gut mit Rappern verkaufen, wie noch nie – das haben internationale und nationale Produkt-Kollaborationen gezeigt. Ein starker Kontrast zu den 90ern, als Sell-Out noch eine Beleidigung war und Authentizität über allem stand.

Das alles gilt natürlich eher für US-Rap als für Deutschrap, aber wir alle wissen: Was in den USA popkulturell passiert, wird in Deutschland früher oder später folgen.

Also: Haben wir den Höhepunkt des Genres inzwischen erreicht? Ist Hiphop in Zukunft auf dem absteigenden Ast? Oder ist das alles nur heiße Luft? Statt eine große Abhandlung zu schreiben, haben wir einfach mal die OGs, Experten und Stars der Szene gefragt, was sie davon halten, dass andauernd das Ende von Hiphop prophezeit wird. Dafür haben wir ihnen die drei folgenden Fragen gestellt: 

  1. Ist Hiphop tot?
  2. Was wäre ein Indikator dafür, dass Hiphop auf dem Abstieg ist?
  3. Was wünschst du dir für die Zukunft von Hiphop?

Hier seht ihr die Antworten:

Sido

Natürlich mussten wir erst mal bei den OGs der Deutschrap-Welt nachfragen. Und wer weiß da mehr als Sido, der schon seit Jahrzehnten in der obersten Liga der Szene mitspielt? Jedenfalls hält Siggi von der Frage, ob Rap tot ist, recht wenig. Immerhin ist es schon das "dritte Mal" in seiner Karriere, dass das Thema aufkommt. Für ihn heißt das, dass die Frage mit "Nein" zu beantworten ist. Er glaubt außerdem, dass Menschen den Untergang von Hiphop nur deshalb prophezeien, weil es nicht mehr das meistgestreamte Genre ist. Das hätte für ihn aber noch lange nicht den Tod des Genres zu bedeuten. Gut ist es aber auch nicht unbedingt:

"Ich denke, die Leute sagen das, weil Hiphop nicht mehr die meistgestreamte Musikrichtung ist. Das heißt aber nicht, dass Hiphop tot ist. Die anderen Genres waren ja vorher auch nicht tot. Nur langweiliger. Kann bedeuten, dass Hiphop langweilig geworden ist."

Für die Zukunft von Hiphop wünscht sich die Deutschrap-Legende übrigens "Mehr Text. Weniger Kopien".

Money Boy

Als ein Innovator der Szene hat sich Money Boy unseren Fragen angenommen und seine Sicht auf die Dinge geteilt. Auf die erste Frage, ob Hiphop tot sei, antwortet er zunächst mit der Gegenfrage "How? Ich bin noch alive, oder?". Dann geht er noch mal genauer auf das Thema ein. Er ist der Meinung, der Tod des Hiphops sei ein "erfundenes Thema": 

"Die Musik und die Artists sind so dope wie nie zuvor und Hiphop generiert Milliarden von Dollar, wovon jedes Jahr einige Millionen an mich gehen."

Laut Money Boy ist die Szene also am Florieren (genauso wie sein Konto). Anders sähe es aus, wenn "man keine coolen G's in Germany und den USA mehr sieht, die Hiphop Murrsic aus ihren whips blasten".

Aber wer nur fünf Minuten auf die Straße geht, weiß, dass das nicht der Fall ist. Hiphop ist also - zumindest wenn man nach M Beezy get - alive and well. Denn Rap-Musik hört man sicherlich aus allen möglichen Autos.

Für die Zukunft von Hiphop hofft Money Boy übrigens auf mehr Geld und mehr Erfolg – für sich.

Lugatti

Auch in Richtung New Wave haben wir gehorcht und konnten hier mit Kölns very own Lugatti sprechen. Er ebenfalls ist der Meinung, dass Hiphop nicht tot ist. Vor allem, wegen der vielen krassen Leute, die die Fahne für das Genre hochhalten. Zwar findet er, dass die Kommerzialisierung von Rap, insbesondere die Mainstream Wave, die im Radio läuft, dem Genre schadet – allerdings gab es das schon immer, so Lugatti.

Er geht dabei außerdem darauf ein, dass schon vor "20 Jahren" der Tod von Hiphop prognostiziert wurde. Er erinnert sich hier an das Nas-Album "Hiphop is Dead" zurück. Lugattis Theorie: Hiphop entwickelt sich immer weiter – manche Leute mögen dann zwar für sich selbst mit dem Genre abschließen. Aber Hiphop lebe weiter.

Allerdings sieht er in der Form, wie die Musikindustrie heute funktioniert, einige kritische Aspekte. Vor allem die neue, kurze Länge von Songs hebt er hervor: "Lieder sind nur noch 1:20 min lang und komplett für TikTok gemacht".

"Man merkt, dass viel mehr Blutsauger (Manager, Labels etc.) ihre Finger im Spiel haben und dass es viel mehr Künstler gibt, die Musik nicht aus Liebe machen, sondern weil sie damit gut Geld verdienen können. Jeder soll sein Hak kriegen, aber es ist sehr traurig, dass das alles negative Auswirkungen auf Hiphop in der Form hat, in der wir es kennen und lieben."

Der Zukunft von Rap sieht Lugatti positiv entgegen. Auch wenn er sich wünscht, dass "alles so wär wie noch vor paar Jahren", will er gleichzeitig ja Akzeptanz von seinen Fans, wenn er mal etwas Neues ausprobiert. Deshalb akzeptiere er selbst, dass Hiphop sich weiterentwickelt.

Kitty Kat

Kitty Kat sieht die Entwicklung von Hiphop nicht so positiv wie ihre Vorredner. Laut ihr hänge das Genre nämlich an der "Sauerstoffmaschine". Grund dafür ist vor allem der Verlust der Essenz von Hiphop. Vor allem geht es der Rapperin dabei um die Prinzipien des Oldschool-Raps:

"Der typische Rhythmus, Flow und die Technik der 90er gehen langsam verloren."

Dementsprechend wünscht sich Kitty Kat für die Zukunft vor allem mehr "Punchlines". 

Fler

Wer Flers Interviews verfolgt, weiß: die Berliner Legende spricht ohnehin sehr gerne über die Entwicklung von Hiphop. Für unser Thema hat er sich deshalb direkt in ein Telefonat gesetzt und erklärt, dass Hiphop seiner Meinung nach auf jeden Fall tot ist. Nicht, weil die Jugend keine Lust auf Hiphop hätte – das Genre ist immerhin mainstreamiger denn je. Sondern, weil der Zugang zur Kultur anders ist, als noch vor zehn Jahren:

"Wenn man irgendwas mit Hiphop zu tun haben wollte, musste man da durch mehrere Instanzen gehen. Du musstest dich beweisen. [...] Bis du dich irgendwo hinstellst und sagst, ich bin ein Rapper oder ein Sprüher, hast du einfach 'ne Menge gemacht. Heutzutage sind die Leute erst im Musikbusiness und sind dann danach die Künstler."

Fler sieht dabei den heutzutage vergleichsweise einfachen Zugang zur Hiphop-Welt als Grund für den Verfall des Genres. Er findet nämlich, dass nur "weil jemand einen Song rausbringt", diese Person noch lange kein Rapper sei. Viele der neuen Artists fänden nämlich nur noch im Internet statt, nicht auf der Straße. Das widerspreche den Grundstrukturen von Hiphop.

Dementsprechend ist der größte Indikator für den Tod von Hiphop, dass es "jeder machen kann". Und von diesen vielen Leuten gäbe es laut Fler einige, die Rap gar nicht verkörpern oder leben würden und die Musik eher als Projekt sehen. Hier liege auch der Unterschied zwischen Rap und Pop: Pop kann jeder machen, aber um in der Hiphop-Szene überhaupt akzeptiert zu sein, müsse man sich Mühe geben. Leute, die mit dem Pop-Prinzip Erfolg im Hiphop haben, würden das Genre kaputt machen.

Für die Zukunft von Rap wünscht sich Fler in erster Linie, dass wieder Artists peilen, was "Delivery und Flow wirklich bedeutet". Viele hätten aktuell nämlich keine Skills. Aber so viel könne man sich da gar nicht wünschen, merkt Fler an. Denn laut ihm sei der Zug für Hiphop "abgefahren":

"Die einzige Erfahrung, die ich gemacht habe, ist, dass sich die Spreu vom Weizen trennt, wenn's kein Geld gibt, so wie jetzt gerade."

Toxik

Für dieses Thema mussten wir natürlich auch unseren Herausgeber Tobias Kargoll, a.k.a. Toxik fragen, wie er die Entwicklung von Hiphop wahrnimmt. Toxik sieht viele Aspekte der Kommerzialisierung kritisch – Hiphop sei aber lange nicht tot. Immerhin ist Rap eins "der meistgehörten Musikgenres; es gibt mehr Rapper*innen als je zuvor". Andere Aspekte der Kultur, wie Streetart, Streetwear oder Breaking seien ebenfalls auf ihrem Höhepunkt:

"Wenn überhaupt, ist Hiphop auf dem Höhepunkt. Die Gefahr liegt darin, dass es von einem Höhepunkt nur bergab geht. Hoffentlich sind wir also nur auf dem bisherigen Höhepunkt. Selbst wenn es wieder mal ein Stück bergab geht: Manchmal hilft das dabei, dass eine Kultur Schrott loswird und sich neu sortiert."

Allerdings sieht Toxik in dem aktuellen Stand von Hiphop auch einige Gefahren. Denn mit fortschreitender Popularität könne Hiphop seine Identität verlieren:

"Hiphop als Subkultur sollte eigene Regeln haben. Eigene Wege, sich auszudrücken, zu feiern, zusammenzukommen, den Lebensunterhalt zu bestreiten. [...] Wir können mit großen Konzernen zusammenarbeiten und gerne das ganze Land übernehmen. Aber wir sollten uns nicht anpassen und nicht zulassen, dass die Musikindustrie, die Modeindustrie oder die Werbung unsere Kultur übernehmen."

Immerhin ginge die Industrie nicht nachhaltig mit Kultur um – obwohl sie von ihr lebe. Dafür nennt er ein Beispiel: "Heute kann man einem hübschen Schauspieler mit schöner Stimme Songs schreiben, die mit dem richtigen Plugin so gut klingen, dass der echte Rapper keinen Wettbewerbsvorteil mehr hat". So würden Leute, die tatsächlich Hiphop leben, rausfallen. Und wenn der besagte Schauspieler die Kultur außerdem nicht fühlt, dann ginge die Essenz verloren.

"Poprap" sei dabei allerdings kein Problem für Toxik, vorausgesetzt Hiphop steckt drin: "Rapper wie Makko oder t-low haben Hiphop-DNA. Viele andere haben die nicht, aber ich bezweifele, dass Pop Rap zerstören wird, weil der 'echte Rapper' mehr mitbringt, als der Schauspieler: eine authentische Geschichte zum Beispiel."

Für die Zukunft von Hiphop wünscht sich Toxik vor allem, dass die Kultur ein Lebensstil bleibt und nicht zu einem seelenlosen Produkt wird. Dem sieht er positiv gegenüber: "Ich glaube, dass das klappt, weil Menschen bei allem Kommerz die Kultur um die Musik herum zu schätzen wissen."

Übrigens bedeutet Veränderung nicht den Tod von Hiphop, so Toxik:

"Der Hiphop von gestern ist alt. Der Hiphop von heute hat gerade erst begonnen."

Tom Hengst

Als weiteren Vertreter der New Wave haben wir auch bei Tom Hengst nachgefragt. Für ihn sieht die Sache recht unkompliziert aus. "Nein", Hiphop ist nicht tot. Darüber hinaus sei Veränderung wichtig, findet der Hamburger. Denn würde sich nichts weiterentwickeln, sei das ein Zeichen für den Tod von Hiphop. Für die Zukunft wünscht sich Tom Hengst vor allem appreciation:

"Hiphop soll wertgeschätzt werden."

Laas

Wenn es nach Laas geht, dann ist Hiphop nicht tot – aber in ausgewählten Momenten fühle es sich so an:

"Ich habe das Gefühl, niemand denkt und fühlt ähnlich wie ich, wenn es um das Thema Hiphop geht. Weder im Underground noch im Mainstream scheinen die Dinge, welche mich an Hiphop faszinieren, eine Rolle zu spielen. Ich habe in diesen Momenten das Gefühl, Hiphop ist tot."

Allerdings bedeutet dieses Gefühl für Laas nicht, dass Hiphop tatsächlich tot ist. Denn wer sucht, der findet auch: "Ich suche nach dem, was mich fasziniert. Manchmal muss ich länger suchen, um im Underground Rapper wie z. B. aktuell King Kolera aus Hamburg zu finden."

All diese Dinge seien für Laas definitiv Hiphop – und würden, vorausgesetzt er sucht, auch den Weg zu ihm finden. 

Dabei spielt vor allem die Definition von Hiphop bei Laas eine Rolle. Denn für ihn ist Hiphop nicht einfach nur ein Musikgenre: "Hiphop hieß immer schon selbst aktiv werden, anstatt darauf zu warten, dass das Glück vom Himmel fällt. Hiphop ist niemand Fremdes, dessen Schicksal ich nicht beeinflussen kann. Ich bin Hiphop."

Für Laas ist Hiphop also vor allem eine intrinsische Einstellung, die vor allem auch abhängig von ihm selbst ist. Aktuell habe er wieder angefangen, Graffitis zu malen, erzählt er – das, was ihn vor so vielen Jahren mit dieser Kultur in Berührung gebracht hat. Er schreibe und recorde jeden Tag Lyrics.

Und auch Newcomer würden ihm täglich auf Social Media ihre Lines und Videos schicken. Auch sie haben den Traum, gehört zu werden – genau wie Laas:

"Sie alle sind aktiv daran beteiligt, diese Kultur auf ewig am Leben zu erhalten. Die anfangs, auch von mir selbst, aufgestellte Hypothese ‘HipHop ist tot‘, ist meiner Meinung nach also schlicht falsch. Zum Glück."

Simon von Deutschrap ideal

Für Simon ist die Antwort auf die Frage, ob Hiphop tot ist, ganz klar "Definitiv nicht!". Es gebe heutzutage immer mehr Artists und vor allem immer mehr Sicht­bar­keit für Deut­schrap und Hiphop als Ganzes.

"Hiphop findet in immer mehr Communitys statt, die zuvor wenig oder keine Berührung damit hatten."

Das habe allerdings nicht nur positive Seiten. Der Deutschrap ideal Moderator merkt hier an, dass der Musikmarkt aktuell mit Rapsongs geflutet werde und diese längst nicht alle hochqualitativ sind: "natürlich, bei über hundert Songs, die jede Woche veröf­fent­licht werden, nicht alle gut sind in meinen Augen".

Trotzdem sehe Simon einen Vorteil an der hohen Menge an Relases. Es gebe immerhin krasse Talente, die aus der besagten Masse herausstechen würden.

"Solange es außerdem Leute wie uns gibt, die Liebe für diese Kultur haben und sich dafür einsetzen und mehr Kriterien für einen guten Song anlegen als die Höhe seiner Streamingzahl, wird Hiphop immer leben. Ich glaub' sogar, dass Deutschrap und Hiphop nicht wieder weggehen."

Für Simon wäre ein Indikator, dass das Genre stirbt, wenn bei allen Releases eine Verbindung zu den Wurzeln und zum Kern von Rap fehlt: "Wenn fresh sein keine Relevanz mehr hätte. Wenn Sneaker out wären."

Für die Zukunft von Rap wünscht sich Simon vor allem "mehr nice 16er und geile Bars". Gleichzeitig findet er, dass man das Ganze auch größer denken kann, denn Simon ist der Überzeugung "Hiphop makes the world a better place". Deshalb wünsche er sich folgendes:

"[...] dass die Kultur weiter zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft heranwächst, Vorurteile abbaut, Brücken schlägt und wir alle voneinander noch mehr lernen, menschlich profitieren und wachsen können."

Taktloss

Schließlich haben wir es uns nicht nehmen lassen, auch bei einem Urgestein der Deutschrap-Szene nachzuhaken. Also sind wir bei niemandem Geringeres als Taktloss in die DMs geslided. Seine Antworten zu unseren drei Fragen fielen allerdings recht kurz aus:

Dann hätten wir das ja geklärt.

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