Review: Prinz Pi – Kompass ohne Norden
Kaum jemand ist so lange dabei wie Prinz Pi . Von ersten Untergrundbewegungen aus dem Royal Bunker über eine Zusammenarbeit mit verschiedensten Labels und sogar Universal scheint der Berliner Rapper mit der ausgeprägten Liebe zur handwerklichen Tüftelei an altem Studioequipment nun mit Keine Liebe Records seit einigen Jahren die für ihn perfekte Basis gefunden zu haben. Über das von ihm selbst mitgegründete Label erschien nun der von vielen lang erwartete Nachfolger des letzten Erfolgsalbums Rebell ohne Grund, welches sich Anfang 2011 auf Platz neun der Charts positionieren konnte. Kompass ohne Norden heißt dieses Werk – und der Name ist Programm. Bereits auf dem Opener Fähnchen im Wind sagt Prinz Pi , er laufe " schon so lange, doch weiß nicht, wohin " und " warte(t), dass sein Leben beginnt ". Orientierungslosigkeit seit der Jugend und die Suche nach dem Sinn des Lebens sind Schwerpunkte des gesamten Albums. Er verpackt seine eigenen Erfahrungen in Texte, die auf einer zweiten Ebene als beobachtende Analyse der Gesellschaft verstanden werden können. Durchaus finden sich hierbei auch immer wieder kritische Anmerkungen, aber deutlich dezenter und oft nicht so direkt wie noch bei früheren Alben. " Unsere smarten Handys machten aus Beziehungen/ Chats, Textmessages und Touchscreen-Berührungen/ Wir haben verlernt zu warten/ Wir wollen Ergebnisse/ " – Prinz Pi auf Moderne Zeiten Die kritischsten Töne werden auf Rost (Abwanderung von Unternehmen, Macht der Investoren und Kapitalismus), Säulen der Gesellschaft (festgefahrene Lebensentwürfe), Schiefe Pyramiden (ein Rundumschlag) und Dumm (Einfachheit und Naivität der Menschen) getroffen. Gerade letzterer Song (auf der Premium Edition enthalten) vermittelt eine depressive Grundstimmung, die bereits auf Schwarze Wolke intensiver behandelt wird. Auch Die letzte Ex erzählt von zu viel Druck und dem Wunsch, sich an einem ruhigen Ort eine Auszeit genehmigen zu können: " Mein Akku geht aus, mein Kredit ist verbraucht ". Dieser Song setzt die Bonnies Ranch -Reihe fort, die sich seit vielen Jahren durch die Alben von Prinz Pi zieht. Die Reflexion der Jugend und des Erwachsenwerdens findet in mehreren Songs statt. Besonders eindringlich geschieht dies auf Frühstücksclub der toten Dichter , wo Prinz Pi über Rollen in der Schulzeit spricht: " Wenn du jedes Mal alleine sitzt/ und vom ersten bis zum letzten Jahr Scheiße frisst/ ". Ein Aufruf, sich nicht niedermachen zu lassen und seinen Weg trotz aller Gegenwehr weiter zu verfolgen. Eine ähnliche Schlussfolgerung ergibt sich aus dem schon länger bekannten Unser Platz : " Doch das ist nur unser Platz und hier gibt es nur Platz für uns! ". Durch solche Texte wird deutlich, dass der Interpret immer wieder einen anderen Weg als die meisten Menschen seiner Umgebung eingeschlagen hat. Individualität ist das Stichwort. Auf dem Titeltrack Kompass ohne Norden führt Prinz Pi aus, wie sich das Leben nach dem Abitur entwickeln kann und beschreibt, welche Erlebnisse einen treffen können, kehrt man in seine alte Heimatstadt zurück. Es geht um geplatzte Träume, zerbrochene Beziehungen und eine ungewisse Zukunft. Hier ist also wieder Orientierungslosigkeit zu hören: " So treibe ich verloren in ein unbekanntes Morgen " ( Kompass ohne Norden ). Asoziale Kontakte setzt zuvor gesetzte Kritikpunkte und analytische Befunde fort und betrauert den Verfall alter Freundschaften: " Wie sich halt immer die Wege trennen, nur unsere nicht/ Dachte ich, bis dann der nächste aus der Rufliste verschwunden ist/ ". Auch das Thema Liebe wird – wie bereits beim Vorgänger-Album – in verschiedener Form behandelt. Glück kann dabei als klassischer Liebessong angesehen werden, inklusive Eingeständnis, dass schon viele Fehler in Beziehungen gemacht wurden. Dieses wird in Ende Blut, alles Blut – einem der emotionalsten Songs des Albums – zum zentralen Thema: " Wir verletzen Menschen die uns lieben, lieben Menschen die uns verletzen " – Prinz Pi auf Ende Blut, alles Blut Jugend, Orientierungslosigkeit, Liebe und die für Prinz Pi typische Gesellschaftskritik werden in sehr ausgereifter sprachlicher Form dargestellt. Eindringliche, emotionale Wortwahl und immer wieder Bezüge zur eigenen Geschichte des Künstlers lassen die Texte lebensnah erscheinen und bieten stets genügend Interpretationsspielraum für den Hörer. Melancholische Verarbeitung und ehrliche Einblicke in die Gedankenwelt erzeugen eine Spannung und berühren gleichzeitig. Doch sind es nicht nur die Texte, die Kompass ohne Norden zu einem guten Album machen. Vielmehr ist es das Zusammenspiel mit der musikalischen Untermalung. Dieses Mal hat Prinz Pi den schon zuvor eingeschlagenen Weg, harmonischer und musikalischer zu werden, in dem fast zwei Jahre dauernden Prozess wesentlich weiter entwickelt. Bei nahezu jedem Song kann man sich vorstellen, wie ihn eine Band gerade im Studio einspielt. Auch, wenn in Wirklichkeit viel mit alten Geräten produziert wurde. Ein derart roter Sound-Faden ist aktuell typisch für die großen und erfolgreichen Rap-Alben im Lande. Prinz Pi und Matthias Millhoff als Hauptverantwortliche für die Musik bilden hier ein kongeniales Duo. Um noch näher auf den Sound einzugehen: Klavierklänge sind auf Kompass ohne Norden immer wieder zu finden. So wird fast jedes Lied von einem Pianostück eingeleitet oder aber zumindest immer wieder intensiv begleitet. In der Verbindung mit eindringlichen Drums, ausgewählten Streicherklängen und einer intensiven Liebe zum Detail wird ein rundes Klangbild erzeugt, wie es tatsächlich Vorbildcharakter für zukünftige Alben haben könnte. Allerdings halten sich die – zugegebenermaßen exzellent – ausproduzierten Songs insgesamt so sehr an ein bestimmtes Grundkonzept, dass man sich an manchen Stellen eine Abwechslung herbeisehnen möchte. Doch dieser Gedanke vergeht schnell wieder, lässt man sich erst einmal auf die durchdachte Text- und Soundvision des Künstlers ein. Die Liebe zur Musik thematisiert Prinz Pi auf einigen Songs. So zählt er beispielsweise seine Lieblingsbands auf: " Ich trag' nur Shirts von alten Bands – Stones , Beatles und Ramones " ( Glück ) oder verweist auf den Einfluss der Musik von Bob Dylan für ihn in Kompass ohne Norden . Musik als Passion führte auch zum einzigen Feature. Mit Casper zusammen wird auf 100x eine Hommage für die Bedeutung von Musik geschaffen, während beide Rapper im Rückblick feststellen, dass vergangene Zeiten doch – anders als damals wahrgenommen – sehr angenehm waren: " Doch im Rückblick war es über-gut, wunderbar/ Ein Song spielte den ganzen Tag hundert Mal/ ".

Fazit:

Kompass ohne Norden stellt das konsequenteste Album von Prinz Pi dar. Auf bewegenden Texten vor einem harmonisch-musikalischen Hintergrund wird aus einer reifen, reflektierenden Sicht auf die eigene Geschichte geblickt, wobei immer wieder gesamtgesellschaftliche Bezüge hergestellt werden. Somit hört man nicht nur Geschichten, sondern bekommt zugleich eine punktgenaue Gesellschaftsanalyse präsentiert, die ohne erhobenen Zeigefinger daher kommt. Vielmehr werden Denkanstöße für die eigene Reflexion gegeben und der ein oder andere wird beginnen, einige Dinge zu hinterfragen. Dieser politische und gesellschaftliche Aspekt unterscheidet Prinz Pi von vielen anderen. Ihm hört man gerne zu und lässt sich auf viele der angesprochenen Punkte ein. Durch das perfekte Zusammenspiel von Text, Vortrag und der musikalischen Untermalung ist ein Album entstanden, welches jeden Rap-Liebhaber überzeugen sollte und genau dem Zeitgeist entspricht, dabei allerdings gleichzeitig einen zeitlosen Charakter aufweist. Auch, wenn der Sound vielleicht hier einmal zu weich erscheint oder dort die Frechheit des "alten" Prinz Porno s vermisst wird, gehört dieses Album in jede Plattensammlung, denn man spürt noch immer diesen Hunger bei Prinz Pi , auch wenn manche ihm diesen aufgrund seiner zum Teil poppigen Soundatmosphäre und Vortragsweise abschreiben wollen.

Punkte:

9 von 10

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