Review: Manuellsen – M.Bilal Souledition
Deutschrapper gibt es in allen Facetten und Formen: Meistens mit Boxerschnitt und aufgepumpten Muskeln und nun auch immer öfter mit Brusttattoo und V-Neck drüber. Es gibt Ausländer und Deutsche, Große und Kleine, manche stehen knapp vor dem Hungerstod, andere haben schwere Knochen und kreisrunde McDonaldsköpfe. Aber in erster Linie gibt es auf musikalischer Ebene betrachtet talentierte und weniger talentierte Rapper. Aus der zweiten Gruppe könnte ich jetzt zig Beispiele nennen, aber das würde den Rahmen sprengen, deswegen beziehe ich mich nur auf die erste Gruppe. Hier gibt es Multitalente wie Raf 3.0 oder Tua , die produktionstechnisch selbst einen Timbaland oder einen Swizz Beatz an die Wand spielen. Daneben gibt es dann Musiker wie Jonesmann , der Rap weitestgehend den Rücken zugekehrt hat und sich mittlerweile unter seinem gebürtigen Namen verstärkt dem Gesang widmet. Auch Manuellsen hatte ein kurzes gesangliches Gastspiel als Braheem , allerdings ist das Geschichte und Schnee von gestern. Dass er ein unfassbarer Sänger ist, zeigt nicht nur sein Status als Gasthooksänger Nummer 1, auch seine eigenen Lieder überzeugen auf ganzer Linie. Vorhang auf für M.Bilal Souledition . Das Album beginnt mit einer melancholischen Klaviermelodie und einem Manuellsen , der voller Soul in der Stimme und klanglich äußerst ausdrucksstark über dieses Intro singt, bis sich die musikalische Untermalung schlagartig in einen Synthie-lastigen Clubtrack ändert. Dieser Wechsel zeigt sehr gut die weitere Richtung an, in die das Album geht. Produziert wurde das Album in erster Linie von Juhdee , allerdings haben auch Zinobeats oder die Bouncebrothas , Phrequincy und M3 Beats beigesteuert, die zusammen ein sehr futuristisches und in sich stimmiges Klangbild erzeugen. Inhaltlich ist auf jeden Fall das stärkere Geschlecht dominant, denn fast jeder Track behandelt das Thema Frauen, so beispielsweise auch Farben . Minimalistische Drums treffen hier auf mit viel Hall unterlegte Claps und chromatische Snare-Fill-Ins, die man besonders aus dem Dirty-South-Bereich kennt. Produziert wurde dieses Lied von Juhdee , der deutschen Antwort auf Scott Storch . Manuellsen s Text ist eine Liebeserklärung, die das Thema Farben aufgreift und dieses Leitmotiv gekonnt mit den emotionalen Zugeständnissen vereint. So spricht er beispielsweise davon, dass das Lächeln einer Frau für ihn Gold und ihr Wesen grün wie die Hoffnung sei. Sehr schön sind auch die leichten Rockelemente in der Hook, die den minimalistischen Teil aus dem Verse kontrastieren. Auch Zu wem gehörst du geht beattechnisch in eine ähnliche Richtung, denn auch hier dominieren minimalistische Drums und weite Synthie-Klangflächen im Verse und knallende Live-Drums, offene Hi-Hats und E-Gitarren in der Hook. Manuellsen selbst singt routiniert und makellos, seine Stimme passt auf den Beat wie die Faust aufs Auge. Seine Art zu singen fesselt ungemein, es berührt geradezu emotional. Inhaltlich stellt der Track auf Ebene des Albums eine Innovation dar, denn es geht hier gesellschaftskritisch zu. Soziale Gruppen werden angesprochen und die existenzielle Frage " Zu wem gehört du? " gestellt. Gerade in Verbindung mit dem Video ist das Ergebnis affektiv und pathetisch, es berührt einfach. Leider werden hier zwar soziale Missstände angerissen, allerdings geht Manuellsen so gut wie gar nicht ins Detail. Es werden keine Lösungsvorschläge gegeben, er beschränkt sich quasi nur auf die Wiedergabe längst bekannter Tatsachen. Was nicht mal negativ gemeint ist, denn so ein bedeutungsschweres Thema hätte auf diesem Album eh nichts nichts verloren, denn hier stehen andere Themen im Fokus. Dieser Track erfüllt hier voll und ganz seine Bestimmung, es regt als letzter Track des Albums zum Nachdenken an.Neben diesen eher gefühlvollen Liedern gibt es dann aber auch typische Clubsongs wie beispielsweise Fliegen und Yeahiyeah , die sich durch schwere 808-Drums, mehr beats per minute und dem dezenten Gebrauch von Autotune auszeichnen. Musikalisch dominieren auch hier wieder Synthies und es wird schnell klar, in welche Richtung das Ganze gehen soll, nämlich straight in den Club. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das auch problemlos funktionieren kann, da der Sound sehr an den aktuellen Zeitgeist angelehnt ist, sauber produziert wurde und perfekt mit dem Gesang harmoniert. Auch die Featureparts von Nazar auf Fliegen und Juhdee in der Hook von Yeahiyeah überzeugen auf ganzer Linie. Ansonsten gibt's natürlich auch langsamere RnB-Tracks wie zum Beispiel Nachtschicht 2.5 , Denk nach oder Mann aus Gold . Manuellsen s Text auf Nachtschicht 2.5 spielt sich inhaltlich auf verschiedenen Ebenen ab. So hört sich das beim Durchskippen schon sehr nach versautem Sextalk an mit Phrasen wie " Ich komm in dir " oder " Ich will, dass es tiefer geht ", aber wer schon die Vorgänger kennt, weiß, dass es sich hier nur um Metaphern handelt und sich alles um Autos und die nächtliche Cityrunde dreht. Denk nach , auf dem er die Liebe seiner Freundin hinterfragt, und Mann aus Gold , was wiederum eine Erklärung über die soziale Rolle des Mannes darstellt, sind besonders gefühlvoll gesungen. Hier dreht Manuellsen richtig auf und zeigt, dass er gesangstechnisch im deutschen RnB-Bereich die absolute Nummer 1 ist. Wie auch auf dem gesamten Album besticht sein Gesang hier durch griffige Melodien, die sich sehr schnell einprägen und Ohrwurmfaktor des Grauens haben. Zudem hört man sehr gut die auf die Melodie eingepassten gesungenen Harmonien heraus, wenn Manuellsen eine Zeile zum Beispiel eine Terz höher wiederholt, dadurch wirkt das Ergebnis hochprofessionell. Freunde sein mit Kee Rush , von dem man auch endlich nach Jahren wieder einen sehr dopen Part hört, und Tage des Regens sind inhaltlich sehr ähnlich, denn auf beiden Tracks geht es um die negativen Seiten einer Beziehung, also um Beziehungskrisen, Streitereien und das Anzweifeln der Gefühle. Schön ist auch, dass Manuellsen wert auf Metaphern legt: " Mich interessiert nur der Weg, nicht der Verkehr " als Umschreibung dafür, dass er an einer Frau als Person interessiert ist, nicht nur am Sex. Einen Schritt weiter geht Giftig mit dem Mann der Stunde MoTrip , denn hier wird die beendete Beziehung als giftig wie eine Kapsel Zyankali bezeichnet. Der Beat klingt mit seinen leichten Boombap-Einflüssen ein wenig so, als hätten sich J.Dilla und Kanye West im Studio mit Ryan Leslie getroffen. Sehr geile Sache, das. Auch MoTrip zeigt sich von seiner besten Seite – und bei Gelegenheit auch gerne mal ungefragt seinen Johannes. Wie es jetzt der 0815-Otto sagen würde: Leider geil. Auf M.Bilal Souledition sind auch schnellere RnB-Nummern zu finden, nämlich Paradies , das eine gelungene Adaption von Phil Collins ' Überhit Another Day in Paradise darstellt, und Sternenstaub . Paradies beschränkt sich auf Storytelling und so werden zwei Geschichten erzählt von einem Mädchen, das vor ihrem gewalttätigen Vater auf die Straße flieht, und einem Mann, der alleine die Heimat und seine Familie verlässt und sich einsam und isoliert fühlt. Beattechnisch sind beide Tracks wieder mal unfassbar gut produziert. Gerade Sternenstaub hätte sich auch problemlos auf einem aktuellen Usher -Album finden können. Aber Manuellsen wäre nicht Manuellsen , wenn er nicht auch die härtere Gangart wählen würde und so finden sich mit Versteck dich , das einen richtig krassen Animus -Part vorweisen kann, und Messerstich mit einem... naja... ziemlich unnötigen Vlacho -Feature auf dem Album. Produziert wurde Versteck dich von Zinobeats , einem aufstrebendem Jungproduzenten, den ich das erste Mal auf einem Track von Kurdo gehört hab und der hier sehr gute Arbeit geleistet hat. Inhaltlich geht es darum, dass Taten zu Konsequenzen führen und einer verlogenen Ex nahe gelegt wird, sich erst mal zu verstecken, bevor Schlimmeres passiert. Naja, Ruhrpottromantik eben. Noch härter fällt Messerstich aus. Hier wird im Notfall nicht mal vor Mord zurückgeschreckt, wenn es keinen Ausweg gibt. Inhaltlich steht der Text aber irgendwie in Widerspruch mit dem Gesang, denn die herzzerreißende Hook kontrastiert den harten Text, was schon etwas absurd wirkt und auch Vlacho selbst kann nicht wirklich überzeugen. Es gibt einfach zu viele Parallelen zu Haftbefehl und auch textlich führen schlichte Reime und ein holpriger Flow zu einem geminderten Hörgenuss. Nichtsdestotrotz wurde der Beat von den Bounce Brothas perfekt produziert, wenigstens diese machen hier alles richtig. Klanglich orientiert sich das Album an The Weeknd , Frank Ocean oder auch RnB-Sänger wie Trey Songz oder Usher und dennoch ist das Produkt von Manuellsen hier etwas komplett Eigenes. In den USA wäre das Album definitiv durch die Decke gegangen, im konservativen Deutschland muss Manuellsen erst einmal Pionierarbeit leisten und das braucht eben seine  Zeit, da es so was hier bisher noch nicht gab. Was mir zudem sehr gut gefällt, sind die gesprochenen Addlips zwischen den Lines, hier kommt dann doch der Rapper in Manuellsen heraus. Auch das ist komplett neuartig, so etwas kenn ich nicht mal von amerikanischen Produktionen. Charakteristisch für das Album ist die Technik zu reimen wie im Deutschrap, sprich mehrsilbige Reime, nur auf gesungener Ebene. Sänger konzentrieren sich im Popbereich eigentlich eher auf einsilbige Paarreime. Alles in allem lässt sich sagen, dass Manuellsen mit sehr viel Herzblut ein komplett neuartiges und futuristisches Soundkonzept erfunden hat, dass perfekt in den Club passt oder zuhause beim Chillen laufen kann. M.Bilal Souledition sprengt musikalische Grenzen und schlägt einen neuen Weg ein. Ich bin gespannt wie Rainer Calmund s Gürtel, wie es jetzt weitergehen wird. Von mir gibt's für dieses Album 9 von 10 möglichen Punkten.

Wertung: 9 von 10

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