Review: Antihelden – Piratensender

Was ist Rap? Rap ist laut Afrob " sozialer Aufstieg " und " kein Spass ". Unser aller Freund Max Herre definiert es so: " Rap hört man nicht nur, man fühlt es körperlich ". Für Megaloh ist Rap eine " Cypher in der U-Bahn mit der Beatbox ", MoTrip macht Rap, damit wir uns " an ihn erinnern ". Heutzutage will aber jeder und seine Mutter rappen. Das Ganze geht teilweise schon so weit, dass Kool Savas allen Ernstes fragen muss: " Warum rappst du? ". Andere Vertreter des deutschen Sprechgesangs sagen, dass Rap a) " nichts für dich " ( Alboz ), b) " Gift " ( Liquit Walker ), c) " Sünde " ( Dr. Knarf ) oder d) " meine Schwester " (?) ( Beatfabrik ) sei. Nun gut, wer hätte auch gedacht, dass es da eine einheitliche Meinung gäbe? Seit den Antihelden aber, das sind Abroo und SirQLate (ehemals Dra-Q ), gibt es " endlich wieder Rapshit [...], zwei-Turntables-und-ein-Mic-Shit, Rhymes und ein Bleistift ". Obwohl das Video zu 1 zu der 2 schon seit 2010 draußen ist und vom Vorgängerrelease Kein Happy End stammt, verspricht das neue Mixtape Piratensender ( auf Amazon vorbestellen ), das am 19. April erscheint, nun ähnlichen Hardcoreshit zum Kopfnicken. Wir haben reingehört – kleiner Spoiler vorab: absoluter Geheimtipp!

" Eure Deutschrap-Gangster-Stories über Kugeln und Banken/ Sind wie die Mondlandung – alle nur im Studio entstanden/ Antihelden – immer noch alles im Griff wie Schweizer Taschenmesser/ Und euer Sound wirkt um Klassen schwächer /“ – Abroo auf Totenkopfflagge

Gleich zu Beginn: Der Liederfluss wird durch immer wiederkehrende Skits gebrochen. Im ersten Moment eine geile Idee, unterstreichen sie doch das Konzept des Radiosenders, allerdings werden sie beim dauerhaften Hörgenuss doch schnell nervig. Da sie aber auf der Vinyl beispielsweise gar nicht vorhanden sind und man heutzutage Musik eh auf dem mp3-Player hört, kann man diese problemlos aus der Playlist verbannen und zurück bleiben 15 Tracks – 15 druckvolle Tracks, die auch das letzte Staubkorn aus den Boxen jagen.

Schon im Intro versprechen die Antihelden " echte Mucke vom Herzen " und bringen diese technisch versiert an den Hörer. Schnell wird klar: Abroo und SirQLate sind nicht zufrieden mit dem deutschen Rapgame und das lassen sie uns auch wissen. Auf einem Boombap-Beat vom Feinsten, inklusive zerhacktem Vocalsample, kriegen all die " Zombies da draussen " im Bud Spencer -Style auf die Backen, schnöder Mainstreamrap wird verteufelt. Aber es gibt ja noch Hoffnung: " Du willst keine Banger mit Drogen, die in Bentleys posen?/ Dann zieh die Antenne nach oben und schalte ein/ ". Auch Tracks wie Das neue Anders , Die letzten unserer Art , der gegen Plattenfirmen und " Koksegos " schießt, Totenkopfflagge , der auf einem bösen Brecher von 7inch mit tiefen Bläsern und  offenen HiHats daherkommt, Hände ( Shuko !) oder Toota featuring Louieville Sluggah und Mars gehen inhaltlich in eine ähnliche Richtung. Die Antihelden sehen " kein Talent bei den Stars " und haben nichts für seichten, berechneten Radiorap übrig: Ihre " Lieder sind wie Hände, Plattenfirmen sind die Handschellen ". Um auch mal einen Vergleich heranzuziehen: Wären die Antihelden ein Hamster und ihre Beats ein Laufrad, dann hätte das Rad ein tiefer gelegtes Gewindefahrwerk, glänzende Chromfelgen und Breitreifen. Mindestens. Das Ganze findet weit weg von der Dorfdisco von umme Ecke statt, Plastiksynthies und musikalischen Einheitsbrei sucht man hier vergebens. Gerade Hände (ein Shuko -Brett in feinster Styles P -Manier mit Klavier, stampfenden Snares und Vocalsample in der Hook), Totenkopfflagge und Toota , das mich dank des Beats ein wenig in die glorreiche Zeit von quietschebunten 5XL-Ts und Vogelgeräuschen zurückversetzt – ein Remix mit Cam'ron -Feature wäre mein feuchter Traum! –, sind mega. Und die beiden Antihelden überzeugen gleichermaßen, bringen ihre Raps on point, technisch stark, routiniert und mit Mehrfachreimen.

" Ich bin ein Antiheld, schwarzer Hoodie, Hose in den Timbs/ Schmeiße Rapper von der Stage und mir Drogen in die Drinks/ In meiner Wohnung stinkt's nach leeren Dosen und Shrimps/ Doch ich recycle – ziehe die Kondome auf links/ " – Abroo auf WTF

WTF ist übrigens mein Lieblingstrack. Wieder mal fetter Boombap mit knallender Snare und Vocalsample. SirQLate tobt sich mit ellenlangen Reimketten aus, in der Hook gibt's Cuts aufs Haus und Abroo legt mit seinem Part nochmal einen drauf. Diese Mischung aus Arroganz, Battlerap, Humor und technischer Raffinesse: köstlich. Auch Headtrick und Mortis One (Guter!) überzeugen – aber warum zur Hölle wird Laas Unltd. hier mal wieder von Headtrick in einem negativen Zusammenhang erwähnt? Wers dieser Laas ist doch schon längst Schnee von gestern. Und ist Laas dissen mittlerweile nicht auch schon Mainstream, was ja hier auf dem Release generell verteufelt wird? Macht ja leider Gottes fast jeder. Zu unrecht. Außerdem: Steht Laas nicht auch für die junge alte Rapschule? Aber lassen wir das. Von Antihelden -Seite aus hege man keinen Groll gegen Laas , wie mir Q persönlich mitteilte. Mit John Rambo Flow featuring Rasco gibt’s einen Track, der vorab als Singleauskopplung ausgesucht wurde, beattechnisch aber leider einen absoluten, und auf Piratensender einzigartigen, Fehlgriff darstellt – aber das mag wohl Geschmacksache sein.

Etwas inhaltliche Abwechslung bieten Thementracks wie beispielsweise In the Night featuring RA the Rugged Man , Morlockk Dilemma und JAW sowie Totschweigen featuring Kamikaze . Gerade hier fällt wieder mal auf, wie sehr doch Q s tiefe, dumpfe Stimme die von Abroo ergänzt. Wären ihre Stimmen ein Promipärchen, dann sicher David Beckham und seine Victoria (no homo!) – sie passen einfach perfekt zusammen. Inhaltlich geht es im erstgenannten Track um Dinge, die in der Nacht passieren. Cuts in der Hook, gute Featureparts, ein knallender Beat – alles richtig gemacht. Totschweigen hingegen kommt eine ganze Ecke ernsthafter daher.  " Durchgezechte Partynächte, Komasaufen, Drogenrausch ": Kamikaze und die Antihelden packen den berühmten Curse 'schen Zeigefinger aus und kritisieren den Wandel der Jugend. Auch hier gibt es (mal wieder) Medienkritik, zudem wird ein sehr negatives Bild des deutschen Nachwuchses gezeichnet. Rumf$@€erei, der TV als Vaterersatz, keine Bildung und Kinder, die dadurch fast schon zu Zombies werden? Trifft sicherlich auf einige zu, allerdings läuft im Großen und Ganzen in Deutschland doch schon sehr viel richtig, was hier nicht erwähnt wird. Wie auch auf vielen anderen Tracks fällt der Ton hier also eher mürrisch und leicht verbittert aus.

" Nichts wird die Zunge zügeln/ Wohin es auch immer geht, ich fliege mit Lungenflügeln/ Und es hat 'nen praktischen Grund/ Solange kein Weed drin ist, nehm' ich kein Blatt vor den Mund/ " – SirQLate auf Tag der Veteranen

Was die Antihelden besonders gut können, sind pointierte Punchlines. Durch das gesamte Release hauen sie immer wieder mal eine nach der anderen raus und regen zum Schmunzeln an. Aber dafür stehen Abroo und SirQLate ja nicht erst seit Piratensender . Auf Tag der Veteranen  gibt sich Rap-Legende Kool G Rap aus Übersee die Ehre, während Abroo hier in Deutschland " Platten, Pornos und Bewerbungsabsagen " sammelt. Tracks wie Instinkt featuring Mortis One und Zeit zu beginnen featuring Nekst86 sind nochmal gelungene Tracks, die zeigen, wie viel Liebe alle Beteiligten für Rap haben und mit wie viel Ehrgeiz sie bei der Sache sind. Sehr schöne Lieder. Außerdem sind die Antihelden oldschool. Wie oldschool?  So oldschool, dass Autotune auf Spuren im Schnee als " dieser T- Pain -Effekt " beschrieben wird. Inhaltlich dreht es sich um die Hassliebe zu Rap – geht es nach Abroo und Q , war früher eben doch alles besser. Da gab es zumindest auch keinen Hipsterhype – Berliner Urgesteine werden das fühlen.

Fazit:

Mit Piratensender gelingt den Antihelden ein sehr straightes, in sich stimmiges und überzeugendes Release. Die beiden machen Rap – also R-A-P, mit knallenden Snares, Boombap-Beats, DJ-Cuts und ohne Autotune, gesungene Hooks oder Mainstreameinstellung. Leider geht bei all der Antihaltung auch der Spaß etwas flöten – der Grundtenor des Albums fällt immer wieder mal leicht deprimiert und verbittert aus. Etwas weniger Kritik an der Musiklandschaft und der Gesellschaft, etwas mehr Themenvielfalt, Humor und Leichtfüßigkeit und schon wäre das Release nicht mehr ganz so schwere Kost. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau, sonst passt von der Delivery über die Technik bis hin zu den Beats, die hier übrigens aus der ersten Produzentenliga ( Shuko, Mecstreem , Mortis One , Snowgoons , 7inch und viele mehr) kommen, alles. Abroo und Q machen Rap von Erwachsenen für Erwachsene – ohne Rücksicht auf Verluste. Piratenmusik eben. Wer echten Rap ohne Plastik, Glitzer und faken Images sucht, wird hellauf begeistert sein. Piratensender jedenfalls läuft bei mir seit Wochen auf Heavy Rotation, ich ziehe an dieser Stelle respektvoll die imaginäre Augenklappe vor den beiden – verzeiht mir meine Unverfrorenheit – liebenswürdigen Brummbären.

Punkte:

7 von 10

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