Deichkind: Befehl von ganz unten (Review)
"Du und Deichkind, ihr habt was gemeinsam und zwar Scheiße..." ( Kool Savas im Track Fehdehandschuh von Creutzfeld & Jakob ). Die haben die drei Jungs aber nicht nur im Kopf, sie prügeln sie auch ganz ordentlich - im Volksmund "auf die Kacke hauen" genannt. Was dabei auffällt: Im Gegensatz zu einigen Hiphop-Puristen, haben die Kinder vom Deich zwischen den Zeilen was zu sagen. War schon auf der letzten Platte ein "Hoch auf die internationale Getränkequalität" frohlockt worden, so wird natürlich auch auf Befehl von ganz unten dem Partythron gehuldigt. Aber immer dabei: ein kleiner Hauch Feier-Sozialismus. Vor der Theke sind wir alle gleich! Der Barmann ist der neue Türsteher und mit diesen Schuhen solltest du dieses Meeting lieber nicht nüchtern erleben! Tracks wie die Single Bück dich hoch oder Pferd aus Glas strotzen nur so voller Sozial- und Kapitalismuskritik.

Deichkind haben einen eigenwilligen Humor, das zeigt auch das Intro der Platte, an dem Menschen, die sich gerne Alufolie zu Hüten formen um ihre Synapsen abhörsicher zu machen, ihre helle, wenn nicht gar grelle Freude haben könnten. Viel zu plakativ, sein Album nach einer angeblich mystischen Zahl zu benennen. Eine satte Pyramide auf dem Cover reicht. Das Intro lässt erahnen, dass man sich das mal rückwärts anhören könnte. Falschrum abgespielt kommt mir das Intro spanisch vor. Also den Spanier Kid Simius angerufen, vorgespielt: stimmt. Alles Weitere darf jeder selber deuten, wir sind ja hier nicht im Schulunterricht.
99 Bierkanister : Alleine dafür, Sklavenhändler, Haider und Klum in einem Atemzug zu nennen, sollte Deichkind der Bundesverdienstorden verliehen werden. Am Band, mit Lorbeerkranz und Trallala! Das ist kein Dadaismus , das ist lyrisches Kunstwerkbasteln aus dem Mülleimer der Gesellschaft.

Eines kann man den Jungs nicht vorwerfen: jemals unnötig abgehoben zu sein. Und das, obwohl sie die Hallen füllen, von denen andere Acts mit feuchten Hosen träumen. Der Befehl kommt von ganz unten - und das ist Programm, ohne dabei ins aufgesetzte, lächerlich Ordinäre abzudriften. "Schläuche und Randale, Konfettisturm und Plastik - das passiert nicht aus Versehen, wir machen das mit Absicht!"


"Der Bassist von Das Bo " aka Porky und Ferris haben Deichkind gut getan. Philipp als Gründungsmitglied hält das Ding zusammen. Aber Deichkind ist längst mehr als eine gewöhnliche Band. Während Manche 23 Dohlen hinterherjagen oder mit Oli Dietrich Country machen, bleibt Deichkind sich treu - Leider Geil : Ein gerapptes Lied ohne einen Reim und auch sonst gewöhnungsbedürftig aber kann man mal machen. Die Debatte, wie viel Hiphop die Drei sind, will ich nicht aufmachen. Da verweise ich gern auf mein uraltes Interview mit Porky , Ferris und Phillipp von vor ein paar Jahren ( Feature: Remmidemmi im Gespräch - Arbeit nervt! --> ab Minute 17:00).

Klar, ein Track wie Der Mond ist nicht gerappt, schließt sich nahtlos an Luftbahn vom Vorgängeralbum Arbeit nervt an. Auch dafür gibt es Abnehmer in der Deichkind -Anhängerschaft. Kann man mögen, muss man nicht. Mir persönlich tut es nicht weh. Bei Luftbahn denkt man als Musikmensch, der die Band ein paar Jahre kennt zwangsläufig an den Verlust von Sebi Hackert . Der Produzent starb plötzlich und unerwartet im Februar 2009. Da auch vorher schon alle Mitglieder am Sound bastelten, hat sich dieser nicht wirklich verändert. Die Entscheidung der Band, weiter zu machen, darf an dieser Stelle honoriert werden. Das Original ist halt immer noch besser als jeder zweifelhafte Elektro-Rap-Abklatsch.

Das unterstreicht dann auch der letzte Track der Platte, der brachial mit Slime -Feature daherkommt. Man erfährt die Packgewohnheiten einer der krassesten Livebands des Landes. Außerdem unterstreichen die Drei damit wieder, dass Schubladen nicht ihr Ding sind. Bewertung: 4 von 6
Fazit: Generell muss man die Pioniere des Elektro-Raps mögen, um auch diese Platte zu feiern. Alleine für den Mut, den sie damals bewiesen haben, den Spott, den sie eingesteckt haben (14. Platz beim Bundesvision Songcontest ) und dass sich dennoch treu geblieben sind, hat Respekt verdient. Mit ihrem Werdegang haben Deichkind Acts wie den Atzen den Weg geebnet. Langsam aber sicher ist sie auch mal vorbei, die Zeit, in der Hiphopper von Deichkind nur Illegale Fans sein konnte. Wer sich nicht zu schade für eine ultra-brachiale Abriss-Party ist, der wird auch dieses Album lieben. Wer gerne sozialkritische Zwischentöne hört, ohne dass sie plakativ mit erhobenem Zeigefinger und Akustik-Gitarrenriffs vorgetragen werden, der wird das Album mögen. Dieses Album verprellt keine alten Fans, die nach dem zweiten Album nicht ausgestiegen sind. Wer ausgefeilte Rapskills sucht, der darf sich auf das Solo-Album von Ferris MC freuen, mit dem der Rapper in diesem Jahr vielleicht schon um die Ecke kommt ( News: Ferris MC: Mortal Comeback ).  

Groove Attack by Hiphop.de