Vom Atzen zum Militärsprecher
Berlin Crime hat mehr als einen bekannten Namen in der deutschen Rap Welt hervorgebracht. Frauenarzt und Manny Marc , MC Bogy , MC Basstard , MOK und Tony D haben allesamt Wurzeln in der Berliner Writer Crew, die einst im RTLII Hartz IV TV mit den Worten "bei ihren Streifzügen tragen sie Waffen und schrecken nicht davor sie abzufeuern" [sic] charakterisiert wurde. Ein anderer echter Atze ist heute Sprecher der israelischen Armee. Und er hat ein Buch geschrieben. Wir sprachen mit ihm und holten ein Statement von MC Basstard über die alte Zeit ein. Arye Sharuz Shalicar wuchs als Sohn jüdischer Deutsch-Perser in Berlin auf. Über den Iran wusste er so wenig wie über das Judentum, nach der Schule spielte er mit seinem besten Freund Sahin Fußball. Dann zog er von Spandau in den Wedding. Rein äußerlich schien hier jeder wie er zu sein. Ihm fiel auf, dass alle "Nachbarn schwarze Haare und dunkle Haut hatten" . Da viele der Jungs in seinem Alter Goldketten trugen, kramte er seine aus der Schublade und trug sie stolz zur Schule. Was ein Davidsstern ist und wieso der einen von anderen unterscheiden soll, wusste er damals noch nicht. Merkte er dann aber. Wedding war schon in den Neunzigern ein Auffanglager für Menschen aus aller Welt, die vor schlechten Lebensbedingungen geflohen waren. In einem Land, dass sich nicht grade als neue Heimat aufdrängte, in einer Gegend mit Menschen aus allerlei Kulturen, die oft keinerlei Perspektive für sich sahen, definierten sich viele Kids über ihre Abstammung. Manche hatten offensichtlich auch gelernt, dass es zu ihrer nationalen Identität gehören würde, Juden zu hassen. In seinem Buch Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude beschreibt Aro , wie er versuchte im Wedding dazuzugehören und immer wieder mit Judenfeindlichkeit konfrontiert war. Er beschreibt, wie er sich jahrelang nicht über Nationalität oder Religion identifizierte, aber trotzdem oft auf das Letztere reduziert wurde. Er beschreibt, wie er sich später doch mit seiner Abstammung auseinandersetzte, begann, sich vor allem als Jude zu fühlen und Deutschland verließ, um in Israel zu leben. Er studierte, leistete seinen Grundwehrdienst ab und heute ist er israelischer Militärsprecher für Europa, Lateinamerika und Asien. Was in seinem Buch und den vielen Zeitungsartikeln nicht erwähnt wird, ist Aro s Zeit als Writer und Rapper. Um dazu zu gehören, begann Aro mit dem Malen. Er sprühte sich seinen Weg in Straßengangs und die Graffiti Crew ASP und wurde Gründungsmitglied von Berlin Crime . Sein Leben bestand aus Bombings, Tagging und Randale. Er kam in der Schule nicht mehr klar, landete wegen Graffiti im Knast, er stach jemanden ab. Er war aber auch mit Frauenarzt im Studio, nahm den Song Echte Atzen (von Der Untergrundkönig ) auf oder schrie Skits auf CDs von Arzt ( BC ) und Manny Marc ( Doberman Demotape Part 1 ).

Du beschreibst in deinem Buch, dass du als Neuankömmling im Wedding zuerst wenig Freunde hattest. Dass du Jude warst hat es dir dann noch weiter erschwert. Du hast dann angefangen zu malen, um dir Respekt zu verschaffen. Bist du so dann auch zu Berlin Crime gekommen?
Ja, ich habe mir durch die ganzen Tags einen Namen gemacht. Ich beschreibe ja in dem Buch auch, wie ich dadurch die Black Panthers kennengelernt habe und angefangen habe, auch für sie zu sprühen. Zu genau der Zeit war ich auch bei ASP , meiner ersten Sprüher Crew, die später Teil von Berlin Crime wurde.

Wie eng befreundet warst du denn mit den Berlin Crime Mitgliedern, die man heute durch Rap kennt?

Frauenarzt , Manny Marc , Bogy , Jope all diese Jungs, waren immer wirklich enge Freunde von mir. Basstard war wie ein kleiner Bruder für mich. Ich hab immer auf ihn aufgepasst damals. Wir waren der harte Kern von BC . Ich war ja von Anfang an dabei. Berlin Crime entstand damals als Zusammenschluss verschiedener kleinerer Crews. MOK oder auch Tony D kamen dann später dazu, das war schon eher eine Generation nach mir. Tony D war damals mit Basstard befreundet, die sind so eine Altersklasse. "Alle waren Araber, Kurden, Bosnier oder Türken. Alle waren entweder bei den »Kolonie Boys« oder Mitglieder der anderen Weddinger Jugendgangs, der »Streetfighters«, der »Black Panthers«, »Kangals« oder von»TNF«. Täglich saßen wir mit bis zu 50 Jugendlichen in der Mitte des Schwimmbads auf mehreren riesigen Decken, mit mehreren bis zum Anschlag aufgedrehten Kassettenrekordern, aus denen Hip-Hop- oder Breakdance-Musik schallte, und spielten Karten und Fußball. Einige von den Jungs waren ziemlich gute Breakdancer. Sie wurden oft aufgefordert zu tanzen, während der Rest zum Beat klatschte und einen riesigen Kreis um die Tänzer bildete. Jeden Tag lernte ich neue Leute kennen. [...] Ich dachte darüber nach, wie man in so eine Gang hineinkam. Husseyn zu fragen traute ich mich nicht. Er hätte mich wahrscheinlich ausgelacht. So beschloss ich meinen eigenen Weg einzuschlagen, wie schon viele andere vor mir, um auf mich aufmerksam zu machen. Ich fing an zu sprühen. Das nächste halbe Jahr wanderte ich fast jede Nacht alleine auf den Straßen Weddings umher und sprühte meinen Namen auf alles, was mir in den Weg kam. Bald fragten sich alle, wer dieser verrückte ARON1 [Name leicht geändert, Anm.d.Red.] war, der alles zusprühte. Im Winter fing ich dann an mich wie ein Gang-Mitglied zu kleiden, schwarze Diesel, schwarze Reebok-Running-Schuhe und eine schwarze Leder- oder Bomberjacke. So passte ich sehr gut ins Bild des Standard-Weddingers. Ich ließ mir auch einen Pullover bedrucken, mit ARON1 auf der Brust und der Zahl 65 auf der Seite. Die Rückseite blieb noch frei. Wenn ich gefragt wurde, ob ich ARON1 sei, bejahte ich voller Stolz und erntete Respekt für meine Weddinger Fat-Cap-Tags."
(Auszug aus dem Buch Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude )

Bis heute kann man sich reißerische TV Berichte über Berlin Crime auf YouTube ansehen. Wie falsch ist der Eindruck, den solche Berichte vermitteln?
Der Eindruck ist eigentlich richtig. Das war schon so wie es da gezeigt wird.

Laut Buch hast du dir einen Namen gemacht, indem du am helllichten Tag auf belebten Straßen gemalt hast, nicht durch den ausgefallensten Style der Stadt.
Ja, absolut. Graffiti war bei mir immer mehr Vandalismus als große Kunst. Bei Berlin Crime gab es aber beides, die Bomber ebenso wie die künstlerischen Typen. Wir waren ja eine sehr große Crew mit mehr als 100 Mitgliedern die Deutschlandweit unterwegs waren. Da gabs auch Leute die richtig was drauf hatten. Aber eben auch viel Gewalt und Sachbeschädigung.

Zu Graffiti kam dann Rap dazu. Dass du heute Pressesprecher der  israelischen Armee bist, Basstard und Bogy Underground Heroen, Tony D ehemaliger Aggro Star und Frauenarzt und Manny Marc die Charts regieren, ist natürlich eine krasse Geschichte.  
Ich freue mich für sie! Es ist krass was für Erfolg sie heute haben, das war natürlich früher nicht abzusehen. Aber wir haben nach wie vor Kontakt und verstehen uns sehr gut, auch wenn wir andere Wege gegangen sind.

Du bist auf Manny Marcs Doberman Demotape Part 1 und Frauenarzts BC in den Intros und Outros zu hören. Und rappst auf dem Track Echte Atzen von Frauenarzts Album Der Untergrundkönig .
Ja. Damals war auch geplant, dass ich ein Album mache. Die Intros und Outros sollten der Anfang sein. Aber ich war nie wirklich jemand, der gerne Texte geschrieben hat. Ein Rapper ist einfach nicht aus mir geworden.

Über deine Gang Zeit bei den Black Panthers und Kolonie Boys steht einiges in deinem Buch, Berlin Crime besprichst du nicht. Was war der größte Unterschied zwischen Berlin Crime und den Straßengangs, in denen du warst? Kann man das, was du über andere Gangs schreibst, übertragen?

Das war einfach nicht das Thema des Buches, es ist ja kein Graffiti Buch. Das wäre vielen wahrscheinlich viel zu sehr ins Detail gegangen. Bei den Weddinger Straßengangs war Sprühen nebensächlich. Da ging es nicht um Vandalismus und schon gar nicht um Kunst, sondern um Respekt, Cool-sein und in seinem Bezirk den dicken Mann machen. Das war eine rein lokale Sache, jede Straße im Wedding war voll von solchen Typen. Und die meisten Gangs waren muslimisch - arabisch, kurdisch, palästinensisch, libanesisch. Bei den Graffiti Gangs war das ganz anders, die waren immer kunterbunt. Da gabs Türken, Araber, Deutsche, Spanier Engländer, Griechen,... und einen Juden - ganz egal. Da hat niemand drüber geredet, das war völlig uninteressant.  Bei Berlin Crime gabs Alles. Arzt ist Halb-Venezolaner oder so- Da haben wir gar nicht drüber gesprochen. So gesehen, ist das schon eine Erfolgsgeschichte des Graffitis: Da zählte nicht deine Herkunft, sondern das Malen, was für ein Typ du bist und echte Freundschaft. Andererseits ging es bei uns natürlich auch viel um harten Vandalismus. Und auch bei den Black Panthers hatte ich wenig Probleme durch meine Religion. Das war eine türkische Gang und die meisten Türken waren sehr cool mit mir.

"Wir kreisten sie ein, damit sie keine Gelegenheit zur Flucht hatten. Ohne groß zu reden, schoss einer von uns einem von ihnen mit der Gaspistole aus ca. 20 Zentimetern Entfernung ins Ohr. Der schrie auf und rannte weg. 15 von uns, mich eingeschlossen, verfolgten ihn. Der Rest nahm sich die anderen Jungs der Streetfighters vor. Leute blieben entsetzt stehen und Autos hielten an. Der Leopoldplatz war eine der belebtesten Kreuzungen Weddings und wurde nun Schauplatz einer Verfolgungsjagd wie im Kino. Nach mehreren 100 Metern ging dem Verfolgten offensichtlichdie Luft aus. Er blieb stehen, nahm die Hände in die Höhe und meinte, dass es doch nur Spaß gewesen sei und sie sich entschuldigen würden. Aber das half ihm nichts. Er wurdezu Boden geschlagen und von allen mit schweren Tritten zusammengetreten. Ich befand mich mittendrin und sollte derjenige sein, der ihm den Rest gab. Ich zog mein Messerund stieß es dem Opfer zwei- bis dreimal in den Oberschenkel und in den Rücken. Fast leblos lag der Türke auf dem Bordstein. [...] Ich war jetzt wie ein Mitglied der Kolonie Boys und gehörte zu denjenigen im Wedding, die was zu sagen hatten." (Der Verletzte überlebte, Anm.d.Red.) (Auszug aus dem Buch Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude )

Glaubst du Rap und Graffiti sind für jemanden, der heute 15 ist, ein guter Weg, eine Hilfe?
Och... Na ja... Das ist schwierig. Ich habe mich am Ende zum Guten entwickelt, aber es hätte auch anders kommen können: Ich hätte auch für lange Zeit in den Knast gehen- oder getötet werden können. Es gab Situationen, in denen es gefährlich war. Ich wünsche das keinen jungen Mann. Es gab auch aus der Sprüherszene viele im Wedding, die im Knast gelandet- oder auch gestorben sind. Das war ja fast Alltag. Es ist okay, wenn Jugendliche Breakdance machen und vielleicht auch mal hier und da ein Tag setzen. Aber man darf auch da nicht zu weit reindriften, sonst versaut man sich sein Leben.
Graffiti funktioniert ja auch meist ohne Gewalt. Wenn du an einen Jugendlichen denkst, der heute so ist, wie du damals warst: Welche Stelle in deinem Buch sollte er lesen?
Ich denke die in Kreuzberg, die zeigt, wie schnell man wegen irgendwelchem Quatsch sterben kann. Das war damals sehr knapp, ich hätte leicht ein Messer in den Kopf bekommen können. Ich glaube das zeigt, dass man für Quatsch sterben kann. Und die Geschichte zeigt, was es wirklich heißt, Gang Mitglied zu sein: Dass man in einer Gang keine wirklichen, hundertprozentigen Freunde findet. Hätte dieser Abend nicht genauso laufen können, wenn du kein Jude wärst?
Vielleicht, aber als sie mich im Stich gelassen haben und auch an der Zeit nach dem Abend habe ich deutlich gemerkt, dass ich nie wirklich dazu gehört habe. Es gab ja auch vorher Judenwitze und dumme Sprüche. Da habe ich dann mitgelacht, auch wenn es sicherlich nicht immer freundschaftlich gemeint war.  Solange ich cool mit ihnen war, war ich den Weddinger und der Rest wurde verdrängt. Als ich dann von ihnen im Stich gelassen wurde, war ich plötzlich wieder der dreckige Jude.

Du beschreibst in deinem Buch sehr oft wie Freundschaften kaputt gingen, als dein Gegenüber herausfand, dass du Jude bist. Hast du die Geschichte auch mal andersrum erlebt? Dass jemand antisemtisch war und seine Einstellung geändert hat, weil er dich kennengelernt hat?

Gute Frage. Ich kann mich nicht dran erinnern, dass das mal passiert wäre. Auch wenn es traurig ist, das so zu sagen, aber ich glaube nicht, dass je jemand zu mir gekommen ist und gesagt hätte, er hätte durch mich seine Einstellung gegenüber Juden geändert. Wenn überhaupt haben Leute mich da einfach ausgeklammert: "Juden sind kacke aber Aro ist ja kein Jude, der ist ja Iraner, der ist mit uns im Wedding" .  Manchmal stand ich neben ihnen, wenn sie Judenwitze gerissen haben oder über Israel hergezogen sind, ohne dass sie daran gedacht haben, dass ich auch Jude bin. Das war das Maximum.
"Man fragte mich, ob ich einen Einzelkampf haben wollte. Ich wusste genau, dass man mir mitten im Kampf ein Messer in den Rücken stechen würde, und sagte ab. Da forderten auch die Weddinger mich zum Einzelkampf auf, obwohl sie genau wussten, wie das enden würde. Plötzlich war ich nur noch von Feinden umgeben. [...] [A]uf dem Heimweg machten mir alle schwere Vorwürfe. Ich allein sei schuld an dieser Blamage. Es sei die größte, die die Weddinger je erlebt hätten. Ich sagte, ich hätte keine Lust Selbstmord zu begehen, indem ich in Kreuzberg in einen Einzelkampf ging. »Was ist dir wichtiger, die Ehre des Wedding oder dein Leben. Du bist kein Weddinger mehr, ich will dich in den Straßen Weddings nicht mehr sehen«, sagte einer aus der Koloniestraße, der sich vorher vor Angst fast in die Hosen gemacht hatte. [...] Viele sahen mich gar nicht mehr an. Manche wechselten die Straßenseite, wenn sie mich kommen sahen. Andere sagten »Verräter« und »Jude« zu mir."
(Auszug aus dem Buch Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude )
Du hast nach dem Abend in Kreuzberg dein altes Leben beendet. Du hast dich stärker mit dem Judentum beschäftigt und bist schließlich nach Israel gezogen. Bist du dadurch, dass du unter Moslems aufgewachsen bist, eher als andere Israelis in der Lage, beide Seiten des Nahost Konflikts zu sehen?
Ich glaube schon, ich habe ja nicht nur schlechte Erfahrungen gemacht. Ich spreche in dem Buch ja auch von meinen muslimischen Freunde, die mir gezeigt haben, dass es auch anders geht. Wenn man gut und böse kennenlernt, ist es leichter zu verstehen, dass es mehr moderate- als terroristisch eingestellte Menschen gibt.

Du hast lange Zeit deines Lebens versucht dich nicht über deine Abstammung zu definieren, sondern andere Sachen in den Mittelpunkt zu stellen. Dass du Writer warst und dass du aus dem Wedding kamst hat dich ausgemacht, aber nicht deine persischen Wurzeln oder deine Religion. Von Belin Crime hast du erzählt, dass das gut funktioniert hat. Hast du den Ansatz inzwischen aufgegeben? Muss man sich am Ende doch über ethnische Herkunft definieren?
In bestimmten Gegenden geht es einfach nicht anders. Grade in Problembezirken geht es viel um "Nationalität" und "Ethnie" und "Rasse". Das ist da sehr zentral. Im Spandau, wo ich als kleiner Junge gelebt habe, ging es gar nicht um diese Themen. Da ging es für mich um Fußball und Freundschaft, egal welche Sprache der andere Zuhause sprach. Aber in den problematischen Gegenden sind die Menschen irgendwie so eingestellt, dass für sie ein Mensch durch seine Herkunft bestimmt wird. Das kann man so schnell nicht ändern.

Und wie kann man es auf lange Sicht ändern? Die Überbetonung der Herkunft kann einem Identität und Zusammengehörigkeit geben, aber sie schafft auch Abgrenzung zu anderen und oft Feindschaft.
So lange man Zuhause die falsche Erziehung bekommt und an Spinner glaubt die Propaganda verbreiten, solange ist es sehr schwierig das durchzubringen. Man muss den Dialog mit moderaten Leuten suchen, die bereit sind die andere Seite zu verstehen. Ich habe sehr viele kennengelernt, die schon mit 15 total überzeugt waren, die Wahrheit zu kennen. Es gibt eine ganze Menge radikale Leute auf der Welt, die kann man leider nicht so leicht ändern.

Heute definierst du dich auch über deine Herkunft. Ist es etwas Gutes oder etwas Schlechtes sich über seine Herkunft zu definieren, statt über persönliche Charaktereigenschaften, eigene Ansichten oder eine Subkultur, die man sich ausgesucht hat?
Viele verstehen nicht, wieso mich meine Eltern ohne Nationalitäten-Denken oder religiöse Identität erzogen haben - ich denke sie haben das Richtige getan. Sie haben das gemacht um mich von Hass und Vorurteilen fernzuhalten. Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mir keine Vorurteile beigebracht haben. Viele andere Eltern übertragen ihre fanatischen Einstellungen auf ihre Kinder. Wie kann es sonst sein, dass ich mit 14 neben einem muslimischen Inder sitze, der mir sagt: "alle Juden müssen verrecken" ? Woher soll diese Ansicht kommen? Das ist dumme Propaganda, die an ihn weitergeleitet wurde. Und plötzlich war sein bester Freund nicht mehr relevant für ihn. Das ist doch krank. "Auf dem Höhepunkt meines Gangster-Daseins verkaufte ich Gras, ging fast jeden Abend raus, um zu sprühen, hatte jedes Wochenende Schlägereien mit anderen Gruppen und plante Überfälle und Einbrüche. Meine Eltern wussten nicht mehr aus noch ein. Entweder wurde ich von der Polizei nach Hause gebracht, oder ich kam ohne polizeiliche Begleitung, hatte aber stattdessen eine riesige Wunde am Kopf oder im Gesicht. Mein Vater warf mich zweimal aus dem Hause und schrie mir nach, ich sei nicht mehr sein Sohn. Beide Male kam ich wegen meiner Mutter zurück. Ich wusste, wie weh ihr das alles tat. Ich sah, wie sehr sie litt, weil unsere Familie wegen mir langsam zerbrach, und weil sie mit ansehen musste, wie ich mich in Richtung Knast bewegte."
(Auszug aus dem Buch Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude )
Was ist heute dein besserer Weg? Die Herkunft der Vorfahren als Teil der eigenen Persönlichkeit nehmen, aber darauf achten, dass einen das nicht von Menschen anderer Abstammung trennt?
Ich habe auch heute als bekennender Jude und Israeli kein Problem damit, mit Menschen anderer Religionen und Nationalitäten gut klar zu kommen. Ich bin noch der gleiche Mensch, den die Jungs von Berlin Crime , die Freunde aus Spandau oder die aus dem Wedding von früher kennen. Ich freunde mich mit jedem an, der cool mit mir ist, egal wo er herkommt. Ich finde es sogar interessanter, Leute aus ganz anderen Kulturkreisen kennenzulernen. Aber es gibt auch religiöse Fanatiker mit denen man nicht sprechen kann. Das habe ich erfahren und das erfahren auch andere in solchen Bezirken.

Über die Zeit, in der du zum bekennenden Juden wurdest, schreibst du: "Plötzlich drehte sich mein Leben wieder ganz um meine jüdische Identität. Wie schon während meiner Jugendjahre, doch um 180 Grad gewendet." Hattest du anschließend die gleichen Beweggründe dafür, zur israelischen Armee zu wollen, wie damals im Wedding, als du in eine Gang wolltest?
Ich glaube nicht. In Israel ist das eine Institutionen über die man als jemand, der neu im Land ist und die Sprache kaum kann, in die Gesellschaft kommt. Den Grundwehrdienst zu machen hat mir geholfen Freunde zu finden, darum ging es. Dann ging es doch auch um Zugehörigkeit, wie früher im Wedding. Du wolltest ja in einer Gang sein um ein echter Weddinger zu werden.
Ich bin in Israel aber nie ausgeschlossen worden, im Gegenteil zu der Zeit im Wedding bevor ich in einer Gang war. Ich konnte mich vom ersten Tag an zugehörig fühlen. Das war auch der Grund, warum ich nach Israel wollte und nicht nach Los Angeles oder Paris. In Israel hat man mich nie als Fremden angesehen - erst wenn ich angefangen habe zu sprechen. Und auch dann wurde meine Herkunft aus dem Iran und Deutschland positiv aufgefasst.

Hattest du nie ein Problem damit, Soldat zu werden? Du bist unter Muslimen aufgewachsen, hättest du in einem Gefecht mit Libanesen oder Palästinensern nicht das Gefühl gehabt, als würdest du auf Leute schießen, die im Wedding deine Freunde hätten sein können?
Jemand, der den Terror gegen Israel unterstützt, hätte sicherlich nicht mein Freund sein können. Ich hatte nie viele arabische Freund und die, die ich hatte, haben sich gegen mich gewendet, sobald es einen Grund gab. Der einzige wirkliche arabische Freund war Hüsseyn. Aber es gibt eben auch Leute wie ihn und ich bin froh, dass ich das Glück hatte, so jemanden kennenzulernen.

Vom Wedding ging es nicht direkt nach Israel, du hast auch in Deutschland den Grundwehrdienst abgeleistet und zu der Zeit keine Probleme mit Ausgrenzung gehabt. Du bist in Deutschland geboren und aufgewachsen, auch vom Selbstverständnis her Deutscher zu sein, war nie eine Option für dich?

Nein, alleine wegen meinem Aussehen nicht. Ich bin hier geboren und groß geworden, ich hatte kein anderes Land. Aber ich wurde nie als Deutscher gesehen. Bis heute ist es so, dass man als etwas anderes gesehen wird, auch wenn man hier groß wurde. Das ist auch okay, das ist überall so.

Wie siehst du denn als ehemaliger Berliner die Integrationsdebatte, die es zurzeit in Deutschland gibt?

Die finde ich interessant, sie kommt aber zu spät. Ich erzähle in meinem Buch von den Neunzigern - bis heute hat sich das ja alles weiter zugespitzt. Man hätte das Thema schon vor 20 Jahren auf den Tisch bringen müssen. Heute musst du in Neukölln und im Wedding ums Überleben kämpfen. Jetzt hört man verschiedene Meinungen, vor allem ist aber gut, dass geredet wird. Man muss damit umgehen, dass es solche Gegenden gibt, in denen eben auch viele radikale Ansichten haben. Terror muss nach Deutschland auch nicht erst importiert werden, das ist alles schon da. Geht man damit nicht am besten um, indem man versucht, die Situation der Menschen zu verbessern? Angefangen mit der Jugend?
Klar, die Jugend ist gerade in diesen Gebieten angekotzt, teilweise auch zurecht. Ihre Eltern sind nie wirklich in Deutschland angekommen und sie wachsen leider teilweise mit antisemtischen, antideutschen und antiwestlichen Gedanken auf. Der Antisemitismus, den du in deiner Jugend erlebt hast, ist ein großes Thema in deinem Buch. Du schreibst aber auch davon, wie du die Stadt mit Graffitis zugebombt- und Leute angestochen hast. Du sprichst bei uns auch ohne Probleme darüber, dass du mal Boss Aro, der Rapper warst. Was sagt dein Arbeitgeber, die israelische Armee, dazu? Du repräsentierst sie ja auch.
Ich habe das Buch ja geschrieben und den Verlagsdeal abgeschlossen, bevor ich den Job bei der Armee angenommen habe. Aber auch jetzt bin ich offen und ehrlich und das ist eben die Realität. Man muss einen Menschen auch in seiner Umgebung sehen und verstehen, wo sein Verhalten herkommt. Es ist ja nicht so, als wäre ich in Spandau mit dem Messer rumgelaufen. Da muss man sich fragen, wie ein Junge, der viele Freunde hat, Multi Kulti lebt und gerne Fußball spielt, schließlich so wird, dass er nachts auf der Straße sprüht und sich mit Gangs abgibt. Wer mich abstempeln will, dem sage ich "versuch dich in mein Buch reinzulesen und hab keine dummen Vorurteile. Sonst bist du nicht besser als die, die im Wedding mir gegenüber Vorurteile hatten." Wie kam es, dass du nach Gewalt und Knast schließlich studiert hast und andere nicht? Hilft einem da, was einem die Eltern mitgegeben haben?
Auch. Und das was mir meine Freundin Janica mitgegeben hat. Ein super Mädchen, dass immer zu mir hielt. Und all die muslimischen Freunde. Die haben verstanden, warum ich getan habe, was ich getan habe, aber mir immer gesagt, dass ich es zumindest nicht übertreiben soll. Was Janica, Sahin oder meine Eltern mir gesagt haben, hat mir geholfen. Ich war auch immer eher jemand, der alles mitgemacht hat, der laut mitgequatscht hat. "Lass uns denen auf die Fresse hauen!" Aber das war immer auch Show. Ich war eigentlich nie wirklich aggressiv und immer -da kannst du die BC Jungs fragen- der, der diplomatisch "lass uns reden" gesagt hat. Ich habe nie aus Spaß Leute verprügelt, so bin ich nicht erzogen worden.

Hast du von Leuten von früher Reaktionen auf dein Buch bekommen?
Ich habe eigentlich ausschließlich positives Feedback bekommen. Die aus dem Wedding meinten meist "wir wussten zwar, dass bei dir einiges passiert ist, aber das Schwarz auf Weiß zu lesen, ist schon krass" . Ich denke aber auch, dass Leute, die antiisraelisch sind, das Buch zum Kotzen finden. Aber mein Gott -  ich verkaufe ein paar Hundert Bücher, der Wedding wird natürlich trotzdem der Wedding bleiben. Radikale werden radikal bleiben und am Ende habe ich mit einem Buch nichts verändert.

Veränderungen kann es ja auch im Kleinen geben. Lass uns nochmal über die Rap Welt sprechen, in der inzwischen auch manche "Jude" als Schimpfwort benutzen. Sagen wir mal, du hättest deine Rap Karriere weiter verfolgt. Wenn du heute der erfolgreiche, deutsch-persische, jüdische Straßenrapper wärst: Wäre die deutsche Rap Welt anders?
Ich würde dann zumindest dieselbe Message vertreten, wie in meinem Buch und zum Dialog aufrufen. Und Radikalen sagen, dass sie auf dem falschen Weg sind. Ich würde ihnen erzählen, dass ich das am eigenen Leib erlebt habe und hoffen, dass ihre kleinen Brüder und ihre Kinder eine andere Einstellungen haben werden. Das kann man mit einem Buch sagen, das könnte man auch mit Rap sagen.

Und arabische Kids im Wedding würden das Album von dem Typ hören, der dazu steht, dass er Jude ist?
Ich glaube schon, aber es wäre sicherlich auch zu gefährlichen Situationen gekommen. Wenn man sich so outet und auch die schlechten Erfahrungen anspricht, sind immer auch viele angepisst. Damit muss ich leben. Auf der nächsten Seite findest du die Aussagen von MC Basstard zu Arye aka Boss Aro und der gemeinsamen Zeit bei Berlin Crime .

Arye Sharuz Shalicar - Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude

Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde

MC Basstard über Boss Aro : Seit wann kennt ihr euch, in welcher Beziehung steht ihr zueinander?
Ich kenne Aro seit Anfang der 90er Jahre und bin über Graffiti mit ihm in Kontakt gekommen. Aro war damals im Wedding sehr berüchtigt. Alle im Wedding kannten ihn irgendwoher und er hatte auch einiges von mir gehört. So bin ich eines Tages einfach spontan zu ihm nach Hause und habe bei ihm geklingelt. Er ist dann raus gekommen, war glaub ich erst ziemlich verdutzt aber dann kamen wir gleich ins Gespräch und verstanden uns auf Anhieb super. Ich war damals vielleicht 13 oder 14 Jahre alt und war dann ein Teil von der Sprühergang ASP . Ich war mächtig Stolz darauf mit Aro in einer Crew zu sein und er hat mir wirklich immer mehr, als jeder andere meiner Freunde eingetrichtert, dass das was wir hier machen, nicht alles sei. Dass ich meine Schule und mein Abitur machen soll und kein Alkohol oder Drogen zu mir nehmen darf. Aro hatte stets wie ein großer Bruder auf mich aufgepasst und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Später hat er mich zu Berlin Crime geholt und dann fing eigentlich erst alles an. Also würde es Aro nicht geben, hätte ich wahrscheinlich nie angefangen Musik zu machen.
 
Welche Anekdote aus eurer gemeinsamen Vergangenheit ist dir besonders im Gedächtnis geblieben?
Das einprägsamste Bild, das ich von früher vor mir habe, ist wie eine Gruppe von 20 Leuten, Sonntagnachmittags auf einem U-Bahnhof in Berlin vor dem Gleisbett steht und jeder bereitet sich irgendwie vor. Der eine macht einen Fat Cap auf die Dose. Der andere zieht sich Handschuhe an. Der nächste vermummt sich. Bis ein lautes: " Jetzt! " von Aro kommt. Alle springen gleichzeitig auf die Gleise und sprühen in Rekordzeit den kompletten Bahnhof bunt. Es waren wirklich nur Sekunden bis der ganze Bahnhof von oben bis unten in eine Berlin Crime Werbetafel verwandelt wurde. Wiederum auf den Ruf von Aro haben alle
aufgehört und die Dosen wieder eingepackt um den Bahnhof geordnet zu verlassen. Das war keine normale Sprüheraktion. Das war Militärstyle. Aro hat daraus immer etwas besonderes gemacht. Er hat die Anderen animiert, für die Gruppe alles zu geben und immer loyal zu sein. Ich glaube nur so hat sich BC bis jetzt gehalten. Viele Mitglieder tragen den Namen als Tattoo und in vielen Songs ist die Crew nach wie vor ein Thema. Wir sind halt wirklich Veteranen. Deine Reaktion auf sein Buch?
Ich habe sein Buch in zwei Tagen durchgelesen und war sehr erstaunt über vieles. Aro hat über die Zeit, in der er im Wedding diese Probleme hatte, nie wirklich geredet. Ich wusste zwar, das viele Araber nicht gut auf ihn zu sprechen waren aber andererseits gab es auch Einige, die ihn mochten und für die seine Religion keine Rolle gespielt hatte. Für mich spielte Religion und Herkunft sowieso nie eine Rolle. Entweder jemand war symphatisch oder nicht. Es gibt überall gute und schlechte Menschen. Das darf man nicht an der Herkunft messen. Aber leider wird das sehr oft gemacht. Ich hoffe, das viele Menschen, gerade diejenigen aus den Problembezirken, dieses Buch lesen werden und einige vielleicht anfangen sich Gedanken zu machen. Und ich hoffe das Aro in Zukunft in eine Position kommt in der er wirklich etwas in eine positive Richtung verändern kann. Denn er hat definitiv das Zeug dazu.

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