Queer as Rap
Als Dwight den Whiskey on the Rocks hinunterspült, sieht er dass der Barkeeper die Flasche Hennessy erneut öffnet, auffordernd einen weiteren zu bestellen. Mit einer stolpernden Handbewegung signalisiert er dem schnauzbärtigen Barmann sein gestilltes Alkoholbedürfnis, setzt seine bonbonfarbene Nu Era Fitted Cap auf sein kurzes, schwarzes Haupthaar und verlässt die dunkle Kneipe ebenso wie er sie betreten hatte. Voller Sehnsucht, voller Schmerz. Draußen regnet es. Unbeeindruckt von den Sturzbächen versucht Dwight eine Zigarette anzuzünden, schmeißt das völlig durchnässte Papier aber mit einer raschen Handbewegung weg. Seine Gedanken kreisen um diese eine Nacht. Noch high von den gerauchten Rocks spürte Dwight damals eine ungekannte Zuneigung zu einem befreundeten Rapper namens Pedro, der ein paars Bars vor einem Liquor Store spittete. In der selben Nacht, man kickte Freestyles, rauchte Joints, trank Bier, intensivierten Dwight und Pedro ihr Verhältnis in einem abgelegenen Motelzimmer der übelsten Sorte. Die quietschenden und herausstehenden Federn der Matraze wippten im rhytmischen Takt der Bewegung. Man hätte ein Lied darauf singen können. Zum Abschied küsste Dwight den halb Puerto-Ricaner Pedro lange und innig auf den Mund, dabei hielt seine Hand zärtlich den Kopf. Während Dwight die Nacht rekonstruierte, immer und immer wieder über Ursache und Wirkung nachdenkend, zog er es vor dem Regen auszuweichen. Eine Neonrote Leuchtreklame blitzt auf und holt Dwight zurück in das Hier und Jetzt. "NUDE NUDE NUDE" steht in großen Lettern auf der Tafel. Die davor wartenden Hoes würdigt Dwight keines Blickes, ihn zieht es nach innen. Ins Warme, dort wo die Frauen unbekleidet tanzen. Er ist doch nicht schwul.

Nicht schwul se in . Noch vor ein paar Jahrzenten war es gänzlich undenkbar, sich als schwul zu outen. Bis Stonewall. Bis zu dieser Serie von gewalttätigen Konflikten zwischen Homosexuellen und Polizeibeamten im verfaulten Apfel New York City. Am 28. Juni 1969 um 01:20 Uhr führten Polizisten des NYPD eine Razzia im Stonewall Inn durch, einer Szenebar mit homosexuellem Zielpublikum in der Christopher Street an der Ecke der 7th Avenue in Greenwich Village. Bis dahin wurden die Personendaten der Homosexuellen aufgenommen, oft sogar öffentlich gemacht und es kam immer häufiger zu Verhaftungen und Anklagen wegen anstößigem Verhalten. Am Tag der Stonewall Razzia hielten sich besonders viele Homosexuelle, Transvestiten und Drag Queens in NYC auf, um die Beerdigung der Schauspielerin und Schwulenikone Judy Garland zu betrauern. Mitten in der Nacht stürmte die Polizei dann die Bar und versuchte wie üblich, die Polizeiwagen so voll wie möglich mit Verdächtigen zu besetzen. Damals rechtfertigte die Polizei die Verhaftungen mit Anklagen wegen Indecency (etwa "Anstößigkeit" oder "Erregung öffentlichen Ärgernisses"). Dazu zählte man Küssen, Händchenhalten, das Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts oder auch nur die bloße Anwesenheit in der Kneipe während der Razzia. Doch eine bedeutende Änderung sollte an diesem Abend Einzug in die Schwulenszene halten. Als Reaktion auf die Willkür der Polizei beschloß man kurzer Hand sich der Verhaftung zu widersetzen. Durch die Ereignisse folgte eine breite Solidarisierung des New Yorker Schwulenviertels und auch in den darauffolgenden Tagen wurde den inzwischen verstärkten Polizeitruppen erfolgreich Widerstand geleistet. Erst nach fünf Tagen beruhigte sich die Situation. Asterix Shit, over here.

Schwul sein . Endlich durfte man schwul sein. Nur fehlte vielen Heterosexuellen das Grundverständnis für die "vom anderen Ufer". Man wusste nicht was schwul war. Eine Krankheit? Ansteckend? Ursprünglich beschrieb das Adjektiv schwul eine Wetterlage und bedeutet soviel wie "drückend warm" oder "heiß". Im Laufe der Zeit setzte sich aber die umgelautete Form schwül analog zu dem Antonym "kühl" durch. Das weiterhin bestehende Adjektiv schwul benutzte man in der Folge immer öfter als Bezeichnung für homosexuell. Diese Bedeutungsübertragung hat die spätere Redewendung "warmer Bruder" beeinflusst. Mit dieser Bezeichnung für einen homosexuellen Mann war eine tiefe Abneigung verbunden, der so Ausdruck verliehen wurde. Erst seit den 80ern findet eine Umgewichtung des Wortes statt. Da das Wort von Homosexuellen zunehmend als Selbstbezeichnung gebraucht wird, tritt der negative Beigeschmack zunehmend in den Hintergrund. Einen (in Ansätzen) ähnlichen Prozess durchläuft das Wort "Nigger", welches durch exzessiven Gebrauch in der afroamerikanischen Bevölkerung langsam den, durch Sklavenhalter geprägten, negativen Unterton verliert.

Mit der öffentlichen Akzeptanz fokussierte die Industrie ein weiteres Mal erfolgreich eine Minderheit als gewinnbringende Geldquelle. Nach afro-amerikanischer Musik, chinesischer Küche und von Häftlingen hergestellten Militärfallschirmen popularisierte man nun Homosexuelle in TV und Radio. Queer as Folk, Elton John und George Michael sowie der sehr gute und überaus erfolgreiche Film Brokeback Mountain trugen zu schwer gefüllten Taschen einiger Industriemogule bei. Selbstverständlich war es nur eine Frage der Zeit bis schlaue Köpfe sich schnelles Geld mit Homo Hiphop ausmalten. Businessmalen nach Zahlen, ya dig?

Wie weit dieses Spiel mit kaufkräftigen Gruppen getrieben wird, führen uns nicht nur die Biobauern vor. Vor ein paar Jahren gab es einen Rapper namens Caushun. Mittelmäßig talentiert, aber eine feste Größe der New Yorker Hiphop Szene und dabei schwul wie pinke Frettchen. Bemerkenswert an dieser Geschichte ist nicht, dass Caushun der erste Homosexuelle Rapper war sondern das Caushun gar nicht homosexuell war. Und gerappt hat er auch nicht selbst. Milli Vanilli in vorgeblich schwul. Das Projekt Caushun entstand aus einem Spaß heraus, als Ivan Matias, der spätere Manager Caushuns, bei einer Radiostation anrief und sich als schwuler Rapper vorstellte. Matias, ein Heterosexueller, fand Gefallen an dem Spiel und recordete Demotapes. Diese schickte er an die Radiostationen in der Umgebung unter dem Pseudonym Caushun. Der folgende Schneeballeffekt forderte ein Gesicht und um nicht selbst als Schwuler vor ein Publikum treten zu müssen, rekrutierte Matias den schwarzen Hairstylisten Jason Herndon. In der Folge des entstandenen Buzzes um den vorgeblich schwulen Rapper, wollte sogar Russell Simmons Ehefrau Kimora Lee Simmons den damals Mitte Zwanzigjährigen auf ihr Label Baby Phat Records signen. Jedoch verliefen die Verhandlungen im Sand als Herndon wegen Identitätsbetrug vor Gericht landete. In einem Interview sagte Matias, der Herndon "no musical talent" unterstellt: "It's business at the end of the day. In the beginning, it was a sting, but I learned that's my job. My job is to make things that people can buy and sell again."

Statt dem erwarteten Sturm der Entrüstung über die vorgegebene Homosexualität des erfundenen Rappers, blieben kritische Stimmen lause und homosexueller Rap wurde schneller als gedacht laut. Mittlerweile beherbergt die "queere" Szene feste Instanzen wie den Latino-Rapper Deadlee sowie das britische Pin-Up und Rapper Q-Boy (beide bekannt aus der Gaytime der Hiphop.de Videonews), das Deep Dick Collective und die Homorevolution Tour, die mit jährlicher Regelmäßigkeit für mehr Akzeptanz und mehr Toleranz für Schwule wirbt.

Akzeptanz und Toleranz. Worte von denen so mancher Rapper lernen kann und sollte. Vor einiger Zeit erschütterte ein Raptrack namens Keine Toleranz des von Aggro Berlin gedroppten Rappers G-Hot und seinem Partner Boss-A die Kralle die deutsche Medienlandschaft. Sogar Spiegel Online widmete sich dem Thema mehr schlecht als Recht mit der fragwürdigen Überschrift Schwule Rapper: Muskelspiel mit Homogangster. In dem Track rufen die beiden Rapper zu Gewalt gegen Homosexuelle auf. Zwar behauptet G-Hot, um seine Zurechnungsfähigkeit fürchtend, in einem Videostatement, dass der Track a) schon mehrere Jahre alt sei, und b) von Dritten ins Netz gestellt wurde. Fraglich bleiben diese Ausreden, gibt es doch Screenshots von einer von Boss-A in Myspace Gästebüchern geposteten Tracklist eines noch erscheinenden Mixtapes, welches den Track Keine Toleranz featuret sowie ein Video von G-Hot und Boss-A auf dem Christopher Street Day, mit einem Schild in der Hand, auf dem groß geschrieben steht: "Keine Toleranz". Während dieser Provokation beleidigen sie schwule mit an NSDAP Zeiten angelehnten Begriffen wie "Untermenschen" u.ä.. Mittlerweile verkündete Markus Kavka stellvertretend für MTVIVA, dass beide Musiksender zu keiner Zeit ein Video des Rappers G-Hot spielen werden. Akzeptanz und Schutz der Homosexuellen als Reaktion auf totalitäre Verweigerung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Keine Toleranz für Keine Toleranz.

Im Jahr 2007 scheint sich die Hiphop Szene zu entspannen, Rapper wie Lil Wayne vermischen sonst der Schwulenszene zugeschriebene Kleidungsstile und "schwul" artikulierte Wörter mit Standard Rap Kontexten und kreierten so einen neuen Trend. Diplomats Vorsteher Cam´Ron machte die Farbe pink salonfähig ("i got the whole New York wearing pink") und lackierte sich sogar seinen Cadillac Escalade in der sonst als homosexuell verpönten Farbe. Kanye West nennt sich den "Louis Vuitton Don" und samplet Daft Punk und es scheint als beruhige sich die gesamte Hiphop Szene in ihrer Diskussion um mögliche schwule Tendenzen eigentlich nicht schwuler Rapper. Sogar der eigentlich so harte Pimp C beschwert sich zwar über den schwulen Style mancher Kollegen, betont aber gleichzeitig, dass seine Füße und Hände schöner wären, als die der vorher disrespektierten Kollegen. Das Interesse an Schwulen scheint zu steigen, schließlich wurden homosexuelle Männer lange Zeit als besser angezogen, besser trainiert und mit besseren Manieren bestückt angesehen. Schlecht sich daran ein Beispiel zu nehmen ohne der Vorliebe für Frauen abtrünnig zu werden? Mitnichten.

Das Wort "Schwul" hat seine eigentliche Bedeutung verloren und wird in den meisten Fällen nur noch als Synonym für "Scheiße" oder ähnliches mißbraucht. Homosexuelle, das gilt auch für lesbische Frauen, werden zwar, sofern sie Hand in Hand durch eine Fußgänger Passage späzieren, weiterhin kritisch beäugt, aus der Zeit der gewalttätige Übergriffen, sind wir aber glücklicherweise heraus. Es mag Jahrhunderte dauern bis Schwule genauso akzeptiert sind wie Heterosexuelle, solange sie aber ohne Abstriche Bars spitten, Freestyles kicken, in Cornern ciphern und Crowds zum rocken bringen dürfen, bin ich down. NO HOMO.

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