Deutscher Rap beendet seine Karriere
(Rayk Anders) Wacht Deutschrap langsam auf? Immer öfter bekommt man in den letzten Monaten zu hören, dass hochkarätige Hiphop-Künstler kürzer treten, oder gleich ganz aufhören wollen. Beispiele?
Separate hat aufgehört.
Eko zieht sich zurück.
Sentino ist lange Weg.
SD
hat genug.
Joe Rilla macht erstmal Metal.
Manuellsen beendet seine Rap-Laufbahn.
5 Vor 12 wurde geschlossen.
Royalbunker schloss die Pforten.
Und das dicke Ende: Kool Savas schließt Optik Records .
Ausgerechnet Savas. Einer, der als der wohl passionierteste Musiker der deutschen Hiphop-Elite gilt. Der stets jedem zu verstehen gab, dass Optik sein Ein und Alles sei. Der soweit ging zu sagen, er wäre bereit für die Musik sein Leben zu geben.
Selbst ihm, einer der treibensten und prägendsten Kräfte dieser Szene, bleibt im Angesicht schwindener Verkäufe und finanziellem Druck nichts anderes übrigt, als seine große Vision formell ad acta zu legen.
 
  Das Geld, das bei Optik Records eingenommen wurde, wurde laut Savas komplett ins Label re-investiert. Das ermöglichte zwar die Beschäftigung eines hauseigenen Grafikers und eines festangestellten Teams, sowie das Stemmen des Optik Shops und eine selbstständigen Tour-Organisation samt Tourbus, bedeutete aber auch ein für Jahre anhaltendes Nullsummenspiel: Die Einnahmen wurden nicht als Polster hinterlegt, sondern flossen umgehend in laufende Projekte. Das kam der Aufbauarbeit an Künstlern wie Caput und Amar definitiv zu gute, drängte das Label mit der Zeit aber finanziell immer mehr in die Ecke. Zusätzlich gab es von Savas des öfteren Bemerkungen zu hören, sein Major-Partner Subword würde ihn bei der Gewinnbeteiligung ordentlich schröpfen. Immer wieder kam es zu Nach-Verhandlungen, da der King of Rap sich im Vergleich zu anderen Künstlern unterbezahlt sah. Den Grund darin sah er in Business-Fehlern zu Beginn seiner Karriere. Hätte er seinen Major-Deal erst nach "Der Beste Tag Meines Lebens" unterschrieben, würde er heute nach eigener Aussage "das 10-20 fache verdienen".

Die Schließung von Optik wirft Fragen auf. Ist deutscher Rap so unrentabel geworden, dass selbst die Big Names nicht mehr davon leben können? Werden noch mehr MCs bald das Handtuch schmeißen? [ zur Diskussion im Forum ]
Wie lange zum Beispiel Deluxe Records noch bestehen bleibt, ist zur Zeit eine der spannendsten Fragen. Nach dem Organisations-Desaster beim Snaga & Pillath -Album, der Auflösung der Headliners und dem gefloppten Illo -Album wartet momentan immer noch der Münchener Ali A$ auf seinen eigenen Album-Release. Samy selbst pflegt derweil mehr seine Auftritte in diversen TV-Shows und gefällt sich in der Rolle des Deluxe -Zoom-Moderators. Die Verpflichtung des ehemaligen Royal Bunker-Zöglings Tua blieb indes eher wenig beachtet, und auch der letzte gesignte Künstler Blade durfte bislang kaum Akzente setzen. Statt neuen Mixtapes bringt man beim Label mit der Plattenkiste mittlerweile lieber USB-Sticks und T-Shirts auf den Markt.

Bei nicht wenigen Rappern stehen die Zeichen auf eine Zeit nach Rap. Snaga etwa betonte bereits vor einem Jahr, dass sich deutscher Rap nicht rentiere, und er nach einem neuen S&P-Album sowie einem eventuellen zweiten Teil von Snaga fickt Deutschland das Mic an den Nagel hängen werde. Seine Zukunft sehe er vielmehr im Filmbusiness: Mit Partnern betreibt er eine Filmfirma und plant seit langem, einen Gangsterfilm im Ruhrpott zu verwirklichen.

Künstler wie Snaga und Manuellsen dürften nicht die einzigen bleiben, die ihre
Zukunft als Rapper in Frage stellen. Nach 20 Jahren Hiphop in Deutschland, diversen Hochs und Tiefs; von Eimsbush bis Aggro , hat sich eine Gewissheit breit gemacht:
Deutschland ist nicht Amerika. Während in den Staaten jede Saison neue
Rap-Superstars ins Rampenlicht drängen, wird die hiesige Szene seit jeher von den stets gleichen großen Namen regiert. Auch eine Dekade nach dem Release von Pures Gift gehört Samy Deluxe noch immer zu den größten Namen des Spiels, Kollegen wie Azad , Curse und Savas dominieren ebenfalls Jahre nach ihren Debüts noch die öffentliche Wahrnehmung von Deutschrap. [ zur Diskussion im Forum ]
Vielversprechende Youngster wie Sentino oder Kollegah tauchen zwar immer wieder auf, kommen über den Bekanntheitsgrad ihrer eigenen Szene jedoch nur selten hinaus. Einzige Ausnahme bleibt bis heute die Aggro -Clique und das gleichzeitig groß gewordene Ersguterjunge -Camp.

Aber selbst der ehemalige Vorzeige-Indie Aggro Berlin scheint die Risiken des
heutigen Musikgeschäfts nicht mehr allein durchzustehen. Seit November letzten Jahres hat man sich doch noch einem Major angeschlossen und ist einen Vertriebsdeal mit Universal Deutschland eingegangen. Konkurrent Bushido , der mit seinem Label Ersguterjunge bei Sony BMG unter Vertrag steht, lästerte, der Grund seien hohe Verluste beim zweiten Fler -Album gewesen. Was immer letztlich die Beweggründe waren:
Fakt ist, dass Flers letztes Album "Fremd im eigenen Land" das bisher
verkaufsschwächste Fler-Album ist und Gerüchte zirkulieren, dass ausgerechnet
Zugpferd sido darüber nachdenkt, das Label zu verlassen. Fler teilte uns soeben im Südberlin Maskulin Interview sinngemäß mit, Specter sei lange der Meinung, dass es mit deutschem Rap zu Ende ginge und er wäre nicht sicher,ob er nach Südberlin Maskulin noch ein Album releasen würde. Grund? Die scheinbar  aussichtslose  Marktlage.


( Tobias Kargoll ) Noch vor vier Jahren war die Szene eher von Aubruchsstimmung geprägt gewesen. Aggro hatte nicht nur deutschen Gangsterrap eingeführt und neue Massen für (ihren) Deutschrap begeistert, sondern bewiesen, dass roughe Independent Labels auch hierzulande ihren Weg vom Bordstein zur Skyline gehen können. Der American Dream einer eingeschworenen Crew aus einer bis dato eher vernachlässigten Gegend, die mit neuem Sound und neuem Style ein scheinestapelndes Imperium aufbaut, schien auch hier zu funktionieren. Zeitgleich hatte der post-Millenium Rap in den Staaten die Inhalte von aggressiven ich-komme-aus-dem-Dreck Beschreibungen und gewissenhafter Kulturpflege zu einer neuen Hauptdisziplin verlagert: Swagger wurde das Wort der Stunde. Dipset begeisterte auch die in Deutschland ansässige Hiphop-Gemeinde mit purster Ignoranz und abgehobenster Selbstverliebtheit. Der Süden zeigte, dass er erst Recht weiß, wie man aus Songs Hymnen macht und setzte Sirup verklebte Grillz obendrauf. Schon seit die ersten DJs ihre Strom-von-der-Laterne Jams mit simpel gereimten Selbstbeweihräucherungen anheizten, gehörte selbstverliebte Angeberei zu Rap wie die Shades zum Stunna. Seit Consciousness und Schaben im Müsli aber als Themen ausgedient hatten, wurde die stilechte Angeberei zum bestimmenden Element, von Jim Jones über T.I. , UGK , Young Jeezy und Lil Wayne bis zu "business, man" Jay-Z .

[ zur Diskussion im Forum ]  
Geprollt wurde obendrein vornehmlich mit dem hart erarbeitetem Geld, inzwischen auch gerne legal verdient. Die Kleindealerei der Neunziger wich Kofferraum-Kilos, Vitamin Wasser und Immobilien Geschäften. Zu was führte das bei den hungrigen Achtziger Babys, die sich gerade aufmachten, im deutschen Rap Game mitzuspielen? Zum Glauben daran, dass selbiges auch hier möglich sei. Solange davon reden wie reich und erfolgreich man ist, bis man es wirklich wird. Wie Aggro Berlin aus dem Nichts etwas geiles aufbauen. Sich selbst über Erfolg definieren. Diese Zeit ist nun wohl offiziell vorbei.

Die Generation Swagger Rap, eingeleitet von dem bekannten "Bitte Spitte" -Dream Team, über High Society , pervertiert von Kollegah und vielleicht am exaktesten personifiziert in den genannten Snaga , Pillath und Manuellsen , musste erkennen, dass das große Geld trotz harter Arbeit ausblieb. Dass das aktuelle Werk vielleicht von zehntausenden gesaugt, aber nur von hunderten gekauft wird. Dass kein Label es schaffte den Weg von Aggro Berlin zu wiederholen. Dass die Musik alleine einem unter diesen Bedingungen lange nicht das bringt, was man sich von Rap versprach. Dass Groupies minderjährig und häßlich sind, Fans gerne auch ehrlose Internet Hater, das Angebot im Fruity Loops-Zeitalter die Nachfrage frisst wie Hyphy-Kids Ecstacy und Labels auf diesem recht hoffnungslosen Markt eher Treffpunkte für Ratlose, überforderte und Hänger wurden, als große Businesses. Was für ein Business, Mann?

[ zur Diskussion im Forum ]

Wie schon beim ersten Deutschrap Hype, platze die Blase. Die Kombination aus zuammenbrechendem Musikmarkt und dem Selbstverständnis als Geschäftsmann bietet natürlich einiges an Frustrationspotential. Um Geld im eigentlichen Sinne ging es dabei nicht mal, Geld ist in den 2000-er Jahren nur mehr denn je zum Barometer für Erfolg und den verdienten Respekt geworden. Es geht nicht in erster Linie um das ausgebildetste Kulturbewusstsein, ausgefeilte Skillz oder blutrünstigeste Gangsterei, Erfolg bei den Massen bestimmt den Wert eines Rappers. Kein Erfolg macht den Swagger Rapper zum wertlosen Poser. Erfolg misst sich in Geld oder Plattenverkäufen. Könnte man Respekt, Aufmerksamkeit, Liebe der Massen und einen
Platz in der Geschichte auch bei den gemeinhin bezahlten Taschengeldern haben, würde es einige vielleicht gar nicht mehr stören, nebenbei arbeiten oder Hartz 4 beziehen zu müssen. Das war aber nicht was man sich von Rap versprochen hatte. War es nun also die Schuld der mit falschen Vorstellungen gestarteten Rapper? Nein, hohe Ziele sind so wenig falsch wie vor vier Jahren die Vorstellung, andere könnten es Aggro Berlin mehr oder weniger nachtun, völlig unrealistisch wahr. Oder um es mit Feuer Über Deutschland -Champ Adi zu sagen: "man sieht dass Rap am Arsch ist, wenn Snaga keinen Deal hat". Die zweite bestimmende Hälfte der vergangenen Jahre, die Gangsterrapper, verdienten im Schnitt nicht gerade mehr. Nur haben sie noch die Möglichkeit, sich über ihre Härte und Straßenkredibilität zu definieren, während der gemeine Swagger Rapper vor der Wahl steht,Die zweite bestimmende Hälfte der vergangenen Jahre, die Gangsterrapper, seine Ansprüche der Reaität anzupassen oder das Handtuch zu werfen. Bezeichnend für die Erfolgschancen, Swagger nich nur durch Coolnes, sondern auch durch Erfolg zu rechtfertigen, ist wohl, dass selbst Aggro Berlin es nicht schaffte, aus dem ehemaligen Bordstein-Rapper Fler einen dauerhaft erfolgreichen Swagger Rapper zu machen.


(Rayk Neubauer ) sido strebt momentan eine neue Richtung an: Er beginnt, Pfade abseits der Musikindustrie zu suchen. Die Moderation des VIVA Comet war nur der Anfang - als Jury-Mitglied sitzt er nun neben Dee und Loona in der aktuellen Popstars -Jury. Doch er weiß sein Charisma noch besser zu vermarkten. Demnächst soll ein abendfüllener Spielfilm mit ihm in der Hauptrolle in die Kinos kommen. Von Fler s geplanter Modelinie Psalm 23 hörte man zwischenzeitlich weniger, sie soll aber kommen. Er konzentriert sich wieder auf den Kern der Fans und veröffentlicht nun ein Kollaboalbum mit Godsilla . Der Name Südberlin Maskulin ist dabei ein Insider, der nur Szenekennern vorbehalten ist und die breite Masse, die man mit Trendsetter ansprechen wollte, schon gar nicht mehr mit einkalkuliert. Stattdessen gibt es wieder harte Beats und Props an Savas . [ zur Diskussion im Forum ]
Geht es zurück in die 90er?
Eine schrumpfende Indie-Szene und einige wenige echte Stars bei den Majors?
Wie lange werden Künstler noch ihren Traum verfolgen, wenn sie davon schlicht nicht mehr leben können? Wie viele hochgelobte Alben wird Olli Banjo noch veröffentlichen, bevor er die Schnauze davon voll hat, stets nur der Lieblingsrapper deines Lieblingsrappers zu sein?
Hiphop allgemein, und Deutschrap im Speziellen, wurden schon mehrmals totgesagt.
Auch die jetzige Phase ist, was sie ist: eine Phase. Bereits für die nahe Zukunft
stehen einige Highlights parat, die dem Ganzen wieder neuen Schwung geben könnten.
Am heißesten erwartet: Das Duell der beiden Hiphop-Ladys Jasmin Shakeri und Kitty Kat . Im Gegensatz zur weit übers Ziel hinausgeschossenen und musikalisch unpräsenten Lady Bitch Ray könnten hier erstmals zwei echte Identifikationsfiguren einer neuen, weiblichen Jugend ins Rampenlicht treten. Mit Sex-Appeal und ordentlich Beathoavenz -Unterstützung könnte im besten Fall tatsächlich eine neue Begeisterung für Rap made in D entstehen. Falls nicht: Azad und Savas denken laut über einen zweiten Teil von
One nach. Und das war nun really, really good.

( Tobias Kargoll ) Wirklich neu sind ansonsten zwei Trends, für die wir gleich mal
geräumige Schubladen aufmachen: Clown Rap und MOR -Revival. In der ersten Kategorie machen es sich nicht nur die auf Major aktiven Rap-Ärzte von KIZ bequem, sondern auch Die Orsons , Blumio , Die 3 von der Tanke und massig (noch) unbekannte Artists.
In die zweite Kategorie fallen die von der Juice zum Kultsstatus gebrachten Huss & Hodn plus Konsorten, sowie ebenfalls massig (noch) Unbekannte. Als Beispiel sei dir Endproll Double N.O. ans Herz gelegt.
Passt denn auch beides nicht schlecht zum momentanen amerikanischen Trend der etwas intelligenteren, vor allem aber auf Spaß und gutes Aussehen bedachten Hipster Rapper. Rap scheint wieder mehr Spaß machen zu sollen, wenn es schon so schwer ist damit reich und erfolgreich zu werden. Der Weg ist das Ziel. Diese Chance, kommerziell auf ein neues Level zu kommen, hat Deutschrap scheinbar verspielt. Ob die Musik nun besser wird, weil sie nicht für Geld gemacht wird, oder eher schlechter, weil professionelle Strukturen und
die Möglichkeit, sich voll auf Musik zu konzentrieren, für so viele ausbleibt, musst du entscheiden. It ain't over until we decided it. [ zur Diskussion im Forum ]

Groove Attack by Hiphop.de