Das große Westafrika Interview: Snipe, SBY, Don Mic
Hiphop lässt sich heute wohl zu Recht als weltweit bedeutendste Musikkultur Jugendlicher bezeichnen. Angefangen Ende der siebziger Jahre in New York, gibt es inzwischen keinen Kontinent mehr, auf dem Rap keine Rolle spielt. Auch das Mutterland Afrika macht da natürlich keine Ausnahme. Länder wie Südafrika, Namibia, Nigeria oder eben Senegal verfügen über beachtliche Hiphop-Szenen. Auch wenn die Verdienste der Musiker hier kaum amerikanische Verhältnisse erreichen, die Bedeutung der Musik ist oft beeindruckend. Afrikanischer Rap findet allerdings auch außerhalb Afrikas statt. Die Flucht vor Armut und der Wunsch, die eigene Familie besser unterstützen zu können, treiben viele junge Afrikaner in die verschiedensten Länder der Welt. Nicht nur Frankreich bezieht einen nicht zu verachtenden Teil seiner kreativen Energie aus seinen afrikanischen Einwanderern, auch in Deutschland wächst die afrikanische Szene langsam aber sicher zusammen. Immer häufiger schaffen Rapper mit afrikanischen Wurzeln den Schritt ins Rampenlicht. Darüber hinaus existiert im Underground eine wachsende Szene talentierter Künstler, die von hier aus Musik für ihre Heimatländer, Deutschland und die jeweiligen Communitys weltweit produziert - weitgehend unbeachtet von der deutschen Mainstream Rap-Szene. Viele in Deutschland denken bei dem Wort "Afrika" nach wie vor vor allem an eins: Hunger, Krieg und Elend. Das, was die verschiedenen Länder des Kontinents zu bieten haben, fällt leider zu oft unter den Tisch. Selbst der Fakt, dass es sich bei Afrika um mehr als ein Land handelt, scheint oft nebensächlich. Über afrikanischen Rap ist bei uns bislang wenig bekannt, was unter anderem an fehlenden Vertriebswegen und den Bedingungen der Musikproduktion in den jeweiligen Ländern liegen dürfte. In Deutschland lebende Afrikaner gelten nach wie vor gerne pauschal als Gangster, die in Zwangsehen leben und ihre Wohnung mit Heroin finanzieren. Rassismus existiert leider
 
  
wirklich - auch außerhalb der Fantasien der Brothers Keepers , so ununterhaltsam und abgedroschen das auch klingt. Neben Südafrika hat Rap Musik vor allem in den westafrikanischen Ländern einen hohen Stellenwert. Die eigenständigen Szenen der verschiedenen, größtenteils französisch-sprachigen Länder, produzieren Rap Musik, wie sie sonst wohl nirgends zu hören ist. Die Rap Szene des Senegal gehört zu den vier größten der Welt. In unserem großen Westafrika Special widmen wir uns daher beispielhaft dem Senegal, Guinea und der Elfenbeinküste. Da gute Informationen ohne lange Reisen leider nur schwer zu bekommen sind, fragen wir doch am besten die, die sich mit dem Thema auskennen: MCs aus Westafrika. Der Senegalese Snipe lebt heute in Bonn, wurde in Paris geboren und trat im Senegal unter anderem schon mit den bedeutendsten Acts auf. In Deutschland konnte er mit seiner ehemaligen Crew Diaspora lokale Erfolge verzeichnen und war einer der Hauptverantwortlichen bei der Etablierung der Hiphop-Bühne auf dem Rheinkultur Festival.
Der 23-jährige SBY zog vor zwei Jahren aus der guineanischen Hauptstadt Conakry nach Düsseldorf, zuvor war er in seinem Heimatland mit Cible du Ghetto auf Konzerten im ganzen Land unterwegs. Heute arbeitet er bei Highlight Entertainment an seinem Debut Album For Lakhara. Um die Runde voll zu machen, liefert dir der Wuppertaler Rapper Don Mic Informationen aus seinem Heimatland, der Elfenbeinküste. Neben frischen Informationen über Rap in einer eigentlich gar nicht so fernen Welt, erzählen dir die drei jungen Rapper von ihren eigenen Projekten, dem Leben in ihrer Wahlheimat Deutschland und ihrer Sicht auf deutschen Hiphop.
Das Westafrika Interview Part 1: Leben und Rappen in Deutschland
Was hat euch nach Deutschland geführt? Snipe : Ich habe damals meine Armee-Zeit in Frankreich abgeleistet und hatte einfach bock, etwas anderes zu sehen. Mein Vater war Diplomat in der Senegalesischen Botschaft in Deutschland und ich dachte mir: warum nicht da hin ziehen? SBY : Ich kam hauptsächlich zum Studieren. Deutschland war mein Traumland. Mein Vater war hier, als ich noch sehr klein war, Deutschland war dadurch immer in meinem Kopf. Ich habe hier deutsch gelernt, jetzt arbeite ich an meinem Studium und mache bei Highlight Entertainment weiter Musik. Don Mic : Wenn man ein Mann in Afrika ist, muss man für seine gesamte Familie sorgen. Mein Vater hat sich damals gedacht "ich habe eine arme Familie, ich gehe nach Deutschland und sehe zu, Geld für sie zu verdienen". Eigentlich wollte er hier studieren, aber das ist in der Situation absolut nicht einfach, es wurde immer schwieriger. Er hat dann, wie viele Afrikaner, eine deutsche Frau geheiratet und durfte bleiben. Ich war auf einer französischen Schule in Afrika und bin deshalb auch erst mal nach Frankreich gegangen, bis mein Vater mir angeboten hat, hierher zu kommen. Seitdem bin ich hier. Fühlt ihr euch als Afrikaner, die zwischenzeitlich in Deutschland leben, oder habt ihr vor dauerhaft hier zu bleiben und fühlt euch als Afrika-stämmige Deutsche? Snipe : Für mich ist es ein Abschnitt. Würde es mir hier nicht gefallen, trotz aller Probleme, würde ich nicht bleiben, aber niemand weiß was morgen passiert. Ich unterstütze auch zwei Familien, plus Freunde. Viele in Afrika denken Europa wäre ein El Dorado, was nicht unbedingt der Fall ist. Erst mal bin ich hier. SBY : Das Schicksal liegt in Gottes Händen. Ob ich hier bleiben kann hängt ab von Gott und der Ausländerbehörde....[allgemeines Lachen, Anm.d.Verf.]. Die Behörde bestimmt ob du morgen gehst oder für immer bleibst. Ich würde gerne immer bleiben, aber das heißt nicht das ich Deutscher werden würde. Das hier ist meine neue Kultur, aber nicht meine Herkunft. Don Mic : Als Afrikaner in Deutschland zu wohnen, ist eine Mission. Es gibt viele Leute die immer Geld verlangen und denken es liegt hier auf dem Boden. Als Deutschen würde ich mich nicht bezeichnen aber natürlich muss man sich an die Kultur anpassen, wie ein Deutscher das in Afrika auch müsste. Wenn Gott mir die Kraft gibt, werde ich immer etwas für mein Land tun. Ich bin stolz, Afrikaner zu sein. Snipe : Ich stehe voll dahinter, wenn ein Afrikaner sagt, dass er immer Afrika repräsentieren wird, egal wo er ist. Vor allem weil wir aus Ländern mit politischen Problemen und teilweise Bürgerkrieg kommen. Jeder liebt sein Land, egal woher er kommt. Wir sind auch alle Botschafter hier. Auch wenn man die Kultur des Landes übernimmt: man muss wissen wo man herkommt um zu wissen wo man hingeht. Don Mic : Irgendwann will ich auch zurück, Häuser bauen und meinem Bruder helfen. Die Leute haben hier aber auch ein falsches Bild. Es gibt nicht nur Armut in Afrika. An der Elfenbeinküste gibt es Leute, die haben Sachen, die hier keiner hat. SBY: Wir wollen zeigen das Afrika nicht nur Krieg, Armut und AIDS heißt, sondern auch ein Traum ist. Afrika hat genauso wie andere Länder Wissenschaftler und so weiter, hier werden aber nur die schlechten Seiten gezeigt. Das Positive muss dazu kommen, das ist unser Auftrag. Viele denken wenn sie an einen Schwarzen denken, sofort an einen Dealer, einen Gangster. Deshalb machen wir unser Studium und sehen nebenbei zu, unser Geld zu verdienen und zu überleben. Wir sind keine Kriminellen aber ich persönlich habe auch meinen Underground Lifestyle. Snipe : Jeder versucht seinen Weg zu gehen und etwas Geld zu haben. Damit du auch mal in den Puff gehen kannst wenn du ficken willst, statt zu onanieren. Und damit du deine Träume erreichst, das ist einfach Hustle. Ich hatte nichts als ich hier hin kam und habe trotzdem meine Gruppe aufgebaut [Diaspora, zusammen mit Dako, dem heutigen Rheinhiphop-Veranstalter, Anm.d.Verf.], ein Album rausgebracht und ein Festival auf die Beine gestellt, auch wenn ich das jetzt nicht mehr mache. Ich habe mir meinen Respekt verdient und das ist mir sehr, sehr wichtig. Wenn die Leute dich sehen, müssen sie sehen, dass du niemand bist, mit dem man rumfickt. Das ist wichtiger als alles andere, auch als Geld. Wenn du Geld hast, aber keine Ehre, hast du nichts. Bei Afrikanern, oder bei Männern allgemein, ist das sehr wichtig. Vor allem in dem Milieu, in dem wir verkehren. Aus euren Ländern wandern viele junge Leute aus. Auch bei Rappern gibt es das oft. PBS Radical, eine der wichtigsten westafrikanischen Gruppen, haben sich mal darüber beschwert, dass so viele Senegalesen nach Frankreich gehen, aber trotzdem noch vom Senegal rappen. Fühlt ihr euch da angesprochen? Wie seht ihr das? Don Mic : Musik ist international, besonders Hiphop. Es gibt Songs von der Elfenbeinküste, die hier in der Disko gelaufen sind, auch wenn niemand was verstanden hat. Ich lebe heute in Europa, aber wenn ich rappe, erwähne ich natürlich auch wo ich herkomme. Das darf ich auch sagen wenn ich nicht mehr da lebe. Snipe : Es wäre natürlich falsch zum Beispiel nie in einem Land gewesen zu sein und trotzdem darüber zu reden. Da käme wohl nichts gutes bei raus. Ein Anwalt muss auch erst mal mit seinem Mandanten sprechen, bevor er ihn gut verteidigen kann. ------------------------------------------------------------------------ -------- "An der Elfenbeinküste herrscht Bürgerkrieg. Das heißt aber nicht, dass die Leute sich permanent umbringen." -------------------------------------------------------------------------------- Das Westafrika Interview Part 2: Leben und Rappen in Westafrika
Wie muss man sich das Leben und die politische Situation in euren Heimatländern vorstellen? Don Mic : An der Elfenbeinküste [offiziell Côte d'Ivoire, Anm.d.Verf.] herrscht Bürgerkrieg. Das heißt aber nicht, dass die Leute sich permanent umbringen. Unsere Präsidenten sind Marionetten, manipuliert von Frankreich. Die Jugendlichen bei uns wollen einfach nur gut leben. Für mich ist der Krieg bei uns sehr traurig, weil Leute sich hassen, nur weil sie aus dem Norden oder Süden kommen. Aber es ist nicht wie der zweite Weltkrieg oder so. Wir sind auch ein höfliches, gutes Volk, in dem sich die Leute helfen. Die Ursprünge der Probleme, zum Beispiel die Waffen, kommen aus Europa. Europäer kommen nach Afrika und geben Medikamente für den Zugang zu Rohstoffen. Warum sagen sie dem Afrikaner nicht stattdessen, wie das Handy gebaut wird, für das sie die Rohstoffe brauchen? Wir haben viele intelligente Leute die so etwas könnten, aber es wird ihnen nicht gezeigt, wie es geht. Snipe : Senegal hatte mal einen Bürgerkrieg im Süden, der immer noch nicht ganz beendet ist. Manche im Süden wollen Unabhängigkeit. Wegen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen ist das Land wie ein brodelnder Vulkan. In Afrika ist alles voller Widersprüche. Neben jedem der lacht, gibt es einen der weint. Die Bodenschätze sind ein Glück für das Land, aber sie bringen auch Pech, in Form gieriger anderer Länder. Momentan ist es ruhig und ich hoffe es bleibt so. SBY : In Guinea gab es nie Krieg, aber in sämtlichen Nachbarländern. Wir haben oft Soldaten geschickt oder Flüchtlinge auf-  
  
 genommen. Ich rappe auch über Krieg, weil die Situation so ist, weil Afrika von vielen verkauft wird. Zum Beispiel von Leuten die mit amerikanischen und europäischen Waffenhändlern Geschäfte machen. In Ruanda sind bereits drei Millionen Leute gestorben, aber man hört hier nie etwas darüber, warum dort Krieg herrscht. Snipe : Wobei es natürlich immer auch immer an uns selbst liegt [allgemeine Zustimmung, Anm.d.Verf.]. Wir wissen alle, dass es Kolonisation gab und heute in einer modernen Form noch gibt. Aber es liegt auch an afrikanischen Führern, die sich die Taschen voll stopfen. Wie Mobuto. Deshalb geht die Kritik auch an uns. Wir sind diejenigen, die diesen Krieg zulassen. Don Mic : Afrika braucht andere Einstellungen, Afrika braucht einfach mehr Liebe. Wenn hier jemand etwas kann, steht er vielleicht im Wettbewerb zu anderen, wenn in Afrika jemand ein Talent hat, kann er umgebracht werden, sobald sich die Mächtigen bedroht fühlen. Snipe : Man muss immer beide Seiten sehen. Wir lassen es zu, wir sind die, die die Waffe in den Händen halten, aber die, die abdrücken, sind andere. Viele gute Leute wurden umgebracht, von ihren eigenen Leuten. Eure Länder liegen geographisch direkt aneinander. Die Bevölkerungsgruppen überschneiden sich über Grenzen hinweg. Pular oder Wolof gibt es im Senegal genauso wie in Guinea. Wie groß ist die Ähnlichkeit der Länder? SBY : Es gibt viele Gruppen die in allen drei Ländern leben. Deshalb ist es schon sehr ähnlich. Zur Musik: habt ihr auch in Afrika schon gerappt? Oder kamt ihr erst hier zum Hiphop? Don Mic : Auf der französischen Schule habe ich die ersten Rapper kennengelernt und wollte unbedingt dabei sein. Aber sie sagten mir, ein HipHopper muss sich so und so anziehen und so weiter. Ich war ganz neu an der Schule. Die ersten Versuche waren an der Elfenbeinküste, dann gings in Frankreich und schließlich Deutschland weiter. Snipe : Ich hatte 2005 meinen ersten Auftritt in Afrika, im Senegal. Das war sehr emotional. Ich wurde von PBS Radical eingeladen. Die Leute da hatten einfach absolut den gleichen Vibe wie ich und haben meine Botschaft verstanden. Ich war dabei als Daaraji ihr zwölfjähriges Jubiläum gefeiert haben und habe auch zum Beispiel Wageble kennen gelernt. Ich habe damals im Senegal getanzt. In Frankreich in der Armee habe ich dann mehr geschrieben, aber die erste eigene Show hatte ich mit Diaspora in Bonn. Wie ich am Anfang gesagt habe, Deutschland war mein Schicksal. Hier hatte ich meine ersten Erfolge. Auch wenn ich auf Französisch rappe, fühlen die Leute meinen Vibe. Ich bin gerade durch Rap sehr mit Deutschland verbunden. SBY: Für mich hat es mit einem Auftritt von PBS Radical und Killpoint angefangen. Ich war damals noch klein. Später habe ich dann mit einem Freund Cible du Ghetto gegründet. Wir waren bei einer Tournee dabei, mit Killpoint und Yat-Fu aus dem Senegal. Da sind die Leute auf uns aufmerksam geworden, auch wenn wir noch jung waren. Später waren wir auf der Compilation Tribunal Hip Hop und hatten viele Auftritte. Bei dem größten, in 2003, waren über 2000 Leute anwesend. Wie groß ist Hiphop bei euch? Don Mic : Ich habe immer viel Hiphop gehört, aus Frankreich und dem Senegal. Wie Positive Black Soul [PBS Radical, Anm.d.Verf.]. Die Leute die bei uns wichtig sind, sind Allmighty , Stezo , Angelo , Phantom und Kajim . Ansonsten gibt es vor allem viel Zouglou [ivorische Musik; Anm.d.Verf.]. Snipe : Ja, Zouglou ist auch beeinflusst von Hiphop und die Themen sind ähnlich. Auf jeden Fall ist es sehr politisch. Tanzmusik, aber die Themen sind sehr sozialkritisch. SBY : Bei uns gibt es viele, die sich so kleiden, aber nicht wirklich rappen. Hiphop hat einen schlechten Ruf und ist im Underground. Es gibt aber ein großes Festival für Afrikanischen Rap in Guinea. Kann man sagen, dass es so wie es heute in Guinea ist, früher im Senegal war? Das Hiphop einen schlechten Ruf hatte und vor PBS als kriminell und amerikanisch verschrien war? Snipe : Ja. Heute ist Rap im Senegal sehr akzeptiert. SBY : Heute machen auch viele Tracks zusammen mit alten, etablierten Musikern, zum Beispiel mit Sekouba Bambino oder Baba Mal . Snipe : Am Anfang war Mbalax die dominierende Musik. Das ist die Musik, die Youssou N’Dour , Baba Mal und Ismaël Lô geprägt haben. Rap war anfangs überhaupt nicht akzeptiert. Die Leute haben dabei nur an Gangsta Rap gedacht. Erziehung und die Meinung der Eltern sind im Senegal sehr wichtig. Du musst machen was deine Eltern sagen in deinem Leben, so ist das bei uns. Erst haben die Leute nicht verstanden, worum es bei Rap geht. Leute wie PBS haben dann aber über sozialkritische und politische Themen gerappt und heute hören selbst die älteren Leute Rap. Auch ältere Leute können sich mit den Inhalten identifizieren, weil es um alltägliche Probleme geht. Darum wie du deine Familie ernähren kannst, was aus Kindern wird, wenn sie nicht mehr in die Schule gehen und so weiter. Heute merken auch ältere, dass die Themen die die Jugendlichen in ihre Raps packen, sie etwas angehen. Ich habe mal gehört, bei den bekanntesten Rap Shows im Radio würden 80 Prozent der Leute vor dem Radio hängen. Beziehen sich solche Zahlen wirklich auf die gesamte Bevölkerung? Snipe : Man muss bei solchen Zahlen bedenken, wie man im Senegal lebt. In Büros läuft das Radio, zu hause, wenn Jugendliche rumhängen und Attaya [starker, süßer Tee; Anm.d.Verf.] trinken läuft das Radio, wenn gekocht wird.... immer! Außerdem gibt es im Senegal viel mehr Jugendliche als zum Beispiel hier, was auch diese 80 Prozent erklären kann. Die Leute um die Dreißig stellen den Großteil der Bevölkerung. Andererseits kennt inzwischen sogar meine Mutter einige Gruppen, die sie früher niemals gehört hätte.... Wie würdet ihr erklären, dass gerade Senegal die größte Hiphop-Szene in Westafrika hat? Don Mic : Gottes Wille... Snipe : Ja, auch. SBY : Tourismus... Snipe : ...der bringt aber nicht Rap ins Land. SBY : Stimmt. Ich denke die Medien sind dort einfach freier als bei uns. Snipe : ...ja, das war aber vor ein paar Jahren auch noch anders. Ich könnte mir vorstellen, dass das daran liegt, dass Rap seine Wurzeln im Senegal hat. Da kann jeder drüber denken, wie er will, aber hierher kommen die Griots. Ihre Geschichten klangen schon immer wie Rap. Sie zogen durchs Land und haben Geschichten verbreitet, auch für Geld teilweise. Die Leute haben sie zum Beispiel bezahlt, um die Geschichte ihrer Ahnen zu erzählen. Diese Tradition ging mit den verschleppten Sklaven nach Amerika und kommt jetzt wie ein Boomrang zurück. Daara J rappen da auch drüber, mit dieser Metapher. Außerdem lieben es Senegalesen zu reden. Man sagt, wenn der Tag des jüngsten Gerichts kommt, werden die Engel die Senegalesen direkt ins Paradies schicken, damit sie gar nicht erst anfangen zu reden... -------------------------------------------------------------------------------- "Hier werden die Leute auch verarscht. Das sind Themen, die irgendwann kommen, dann wird es hier so sein wie in Frankreich. Dann kommen auch die sozialkritischen Texte." -------------------------------------------------------------------------------- Daara J haben auch mal gesagt, dass sie sich als moderne Griots sehen. Ist das für dich zu weit hergeholt oder verstehst du deinen Rap auch als Teil dieser Tradition? Snipe : Ich sehe mich als Reporter. Das ist auch eine Art von Griot. Ich versuche das zu zeigen, was man nicht im Fernsehen sieht, positiv oder negativ. Ich habe auch Texte auf Wolof, der  
  
 senegalesischen Nationalsprache, aber ich bin nicht fit genug in senegalesischer Geschichte, um mich Griot zu nennen. Wer sind eurer Meinung nach die wichtigsten Acts in euren Ländern? SBY : Die berühmtesten in Guinea sind Killpoint , Mifa-Gueya , Silatigui, Fac -Alliance , Ideals Black Girls , Deef-I-Force , Legitim Defense , Reasonable Djelly und Black Muslim . Snipe: PBS , Daara J , Pee Frois , BMG 44 , Snipe ....[lachen; Snipe schnappt sich das Diktiergerät:] Ich-bin-wichtig! Es gibt noch die Ex- RapAdio Gruppe, Dakar Allstars ... sehr viele. Akon auch, natürlich. Selbst wenn er nicht rappt. Wie wichtig sind denn Leute wie Akon oder auch traditionelle Musiker die weltweit berühmt sind, wie Youssou N Dour für die Rap Szene? Snipe : Sehr wichtig, alleine weil sie berühmt sind. Sie tun auch viel. Youssou N Dour hat mehrere Studios, einen Radio Sender,... er ist ein großer Arbeitgeber. Auch wenn er gerade politische Probleme mit dem Sohn des Präsidenten hat. Das mag ich auch an Senegalesen und Afrikanern allgemein. Dass jeder, der die Möglichkeit hat das Land bekannt zu machen, diese auch nutzt. Wie eben auch Youssou N Dour oder Akon. Es war auch sehr wichtig für uns bei der letzten Weltmeisterschaft, vor vier Jahren so weit zu kommen und zum Beispiel Frankreich zu schlagen. Damit die Leute sehen, dass es uns gibt, selbst wenn uns Europäer erstmal nur als Exoten sehen. Das ist ein Anfang. Wie würdet ihr Rap aus eurem Land jemandem beschreiben, der so was noch nie gehört hat? Snipe : Ich würde schon sagen, dass sehr viel im Senegal noch eher Oldschool klingt. So etwas nach der Zeit von Das EFX in den USA. Es gibt aber auch modernere Styles. Die Sprache ist meist Wolof, weil das von allen verstanden wird. Auf jeden Fall hat senegalesischer Rap einen eigenen Style. Spielen traditionelle Instrumente da eine Rolle? Snipe : Ja. Ballacho, Cora, Gimbri.... auch dadurch hat die Rap Musik in West Afrika einen eigenen Sound. Auch wenn man genau wie hier, immer nach Amerika guckt, gibt es einen sehr eigenen Style. Viel Gesang und Melodie gehören bei uns dazu, Hiphop wird als wirkliche Musik verstanden, anders als hier. Es ist außerdem sehr schwer überhaupt Beats zu bekommen. Da fehlt einfach die Technik. Viele nutzen daher selbst für Alben amerikanische Beats. Wirkliche Studios sind selten. Auch DJs haben es da schwer oder? Soweit ich weiß sind Platten, Turntables und alles was dazu gehört, auch sehr schwer zu bekommen. Snipe : Das stimmt. Leute die viel rumkommen, wie G-Base von Pee Frois, haben Chancen an Equipment zu kommen. Ein DJ legt oft gleich für mehrere Gruppen auf. Gibt es größere Unterschiede zwischen dem Rap der Westafrikanischen Länder? SBY : Das ist schon ähnlich. Wir nutzen die gleichen Instrumente und auch die Themen sind ähnlich. Man kann aber schon merken, aus welchem Land die Musik kommt. Im Senegalesischem Rap wird oft die Balach benutzt, in Guinea benutzt man mehr Ballafon oder Flute Pastoral. Die Themen sind offensichtlich meist sozialkritisch. In Amerika und auch in Deutschland ist das inzwischen anders. Warum ist das so in Westafrika? Don Mic : Snipe hat mir das gerade noch gut für seine Musik erklärt. Er meinte er rappt einfach über das, was er erlebt hat. Man kann nicht über den Knast rappen, wenn man nie im Knast war. Wenn ich in Afrika sagen würde "ich komme aus dem Ghetto" würden die Leute mich auslachen. Die würden sagen "du bist gut angezogen, siehst gut aus, riechst gut, was weißt du vom Ghetto?" In Deutschland geht es Leuten gut, sie haben alles was sie brauchen, aber sie sagen sie sind Ghetto und Gangster. Nur weil du einen Tag im Knast warst, bist du nicht Gangster. Ich rappe auch über das was ich gesehen habe, nichts wovon ich nichts verstehe. Das ist bei uns so. Wenn dir ein Afrikaner sagt "Junge, ich schlage dich!" - dann steht er am nächsten Tag um sieben vor deiner Tür und glaub mir: er schlägt dich. Sonst wird er das auch nicht sagen. SBY : Unsere Themen gehen oft um soziale, politische und ökonomische Probleme. Man erzählt was man sieht. Snipe : In Afrika kann das nicht anders sein. SBY : Das ist anders als Deutschland, wo man über Sex rappt. Das ist eine andere Welt. Snipe : Es rappt natürlich nicht jeder nur über Politik. Aber man kann nichts von Party erzählen, wen man nicht mal was im Bauch hat. Ich kann die Amis verstehen, wenn sie über Bling Bling reden. Weil sie das jetzt haben! Wenn man ein Album macht und 20 Millionen Dollar verdient ist es schwer noch über das Ghetto zu reden. Das erste was die machen ist doch umziehen. In Afrika bringst du 10 Alben raus und bist immer noch nicht reich. Du lebst wo du geboren wurdest und deine Träume bleiben die selben. In Deutschland ist das auch anders. Trotzdem könnte man hier ernstere Themen haben. Hier wird es doch auch immer schlechter. Es gibt immer mehr Jugendliche ohne Ausbildungsplatz, die Preise steigen, Arbeitslosigkeit,... es ist nicht mehr wie früher. Hier werden die Leute auch verarscht. Das sind Themen die irgendwann hier auch kommen, dann wird es hier auch sein wie in Frankreich. Dann kommen auch die sozialkritischen Texte. Im Senegal soll Rap sogar eine wichtige Rolle bei der Abwahl des Präsidenten im Jahr 2002 gespielt haben soll. Weil die Jugend den heutigen Präsidenten Abdoulaye Wade unterstützt hat. Snipe : Ich würde nicht soweit gehen, dass Rap den Präsidenten gestürzt hat. Aber die Musik hat zu der Stimmung gepasst. Unsere alte Regierung war seit der Unabhängigkeit 1960 an der Macht. Fast eine versteckte Diktatur, auch wenn nicht massenhaft Leute von der Regierung ermordet wurden oder so. Rap hat auch da die Gesellschaft gespiegelt und dadurch eine Rolle gespielt.
  ------------------------------------------------------------------------ -------- "Wenn wir Beef haben, dann kannst du dich verstecken! Wenn wir Beef haben, haben wir Beef. Egal wo wir uns treffen werde ich dich schlagen." -------------------------------------------------------------------------------- Westafrika Interview Part 3: Deutscher Rap braucht einen Kodex
Was war euer erster Eindruck von deutschem Rap als ihr hierhin gekommen seid? Snipe : Damals war ich nicht sehr an deutschem Rap interessiert. Vielleicht an Torch oder den Stieber Twins , die im Fernsehen kamen. Aber das hat mich nicht so sehr angeturnt. Mich hat aber schon beeindruckt, dass die Sprache bei denen auch Flow haben konnte. Ich habe deutsch gerade erst gelernt und fand die Sprache sehr hart, im Klang. Gerappt klang das schon besser. Jetzt interessiert deutscher Rap mich immer mehr, weil ich selber welchen mache. Es gibt gute und schlechte Sachen. Ich kann auch keinen verurteilen. Das einzige was ich wirklich nicht mag, ist wenn weiße, Araber oder Türken das N-Wort benutzen. Ich sage das immer wieder in Interviews. Man kann Sachen von Amerika übernehmen, aber nicht alles. Millionen von Leuten haben unter Kolonisation und Sklaverei gelitten, das sollte man respektieren. Auch bei Schwarzen finde ich es nicht gut, wenn sie das Wort benutzen. Aber das ist schon was anderes als bei Weißen. Ich verstehe auch nicht, dass keiner da reagiert und dass die Medien das so durchgehen lassen. Dass Sido im Fernsehen Patrice "den N*gger von MTV" nennen kann und das nicht zensiert wird. Don Mic : Als ich jung war, war mir deutscher Rap egal. Wenn ich erst Blumentopf höre und dann Arsenik [aus Frankreich; Anm. d. Verf.], dann denke ich mir doch - verdammt da höre ich lieber Arsenik! Inzwischen hat sich die Musik verbessert. Langsam haben die Deutschen auch mal Rhythmus. Das soll keine Beleidigung sein, aber zu  
  
 oft war in Deutschland die Stimmung einfach nicht da. Heute gefällt mir die Entwicklung musikalisch aber sehr gut. Ich mag Sido zum Beispiel überhaupt nicht... Snipe : Auch wenn er spinnt, ich finde er hat gute Ideen und flowt gut. Don Mic : Just a moi! Ich mag ihn nicht, aber wie er flowt - ich find das gut! Auch bei Azad , Kool Savas oder Eko . Deutscher Rap hat sich entwickelt. SBY : Für mich hörte sich am Anfang sehr viel gleich an. Das war für mich kein Rap. Aber inzwischen kenne ich mehr und sehe das viele wirklich was im Kopf haben. Gentleman finde ich außerdem gut. Don Mic : Was mich etwas stört, ist dass es in deutschem Rap immer nur nach diesem "Ich bin so, Du bist so"-Schema läuft. Es heißt nie "wir". Bei uns ist es immer Plural, bei deutschem Rap ist es immer Singular. Snipe : Ich bin sehr optimistisch, was deutschen Rap angeht. Schade ist zum Beispiel, dass die Leute in Deutschland bisher aufhören Rap zu hören wenn sie älter werden. Deutschen Rap kann man wegen den Themen auch oft nicht mehr hören, wenn man Erwachsen ist. In Frankreich gibt es Themen, die von alltäglichen Problemen handeln, da kann auch ein Vierzigjähriger noch etwas mit anfangen. Ein Vierzigjähriger wird aber nicht laut "Ich fick' deine Mutter" mitrappen. Dadurch ist das Publikum dann auch sehr untreu. Alle paar Jahre geht eine Generation und eine neue kommt. Rapper die vorher angesagt waren und etwas geleistet haben, sind plötzlich weg vom Fenster. Was ich der älteren Generation hier vorwerfe ist, dass sie nie einen Kodex für Rap etabliert haben, wie in anderen Ländern. Meinst du nicht, Leute wie Torch haben das versucht, es wurde nur später von anderen über Bord geworfen? Snipe: Ja vielleicht, aber warum wurde es über Bord geworfen? Ein richtiger Kodex wird nicht über Bord geworden. Torch zum Beispiel ist my Man, aber das ist meine Kritik an dieser Generation. Hier fehlt ein Kodex den jeder kennt und respektiert. Ich kann nicht verstehen wie zum Beispiel ein Eko Fresh früher neu rauskommen konnte in dem er Torch disst. In anderen Ländern werden ältere respektiert und keiner kann denen was tun. Egal wie jung und frech du bist, in Frankreich kannst du Leute wie NTM oder IAM nicht berühren. Sonst ist deine Karriere vorbei! In Deutschland steht ein Kool Savas dann noch neben dem und singt mit... Jedes andere Land hat auch verstanden das man, wenn man nicht schwarz ist, nicht N*gger sagen kann. In Frankreich würde das keiner machen, in Amerika wäre deine Karriere vorbei, aber hier geht das. Warum muss Deutschland immer mit solchen Sachen auffallen, so dass man im Ausland sagt, deutscher Rap wäre Nazi-Rap? Da sollte sich jeder fragen, warum es dieses Nazi-Bild nach wie vor gibt, obwohl die Leute gar nicht mehr so sind. Jeder sollte überlegen, warum der Ruf so schlecht ist und die Leute sich untereinander haten. Deutschland braucht einen Kodex. Ich bin ja ein Teil davon, deshalb versuche ich daran auch mitzuarbeiten, mit meinen Erfahrungen. Ich habe im Senegal Ghettos gesehen, die du dir gar nicht vorstellen kannst. Ich habe in Frankreich gelebt, ich lebe Rap und ich respektiere den Kodex. Ich kann über jeden meine Meinung sagen, wir sind alle Männer, aber manches muss man respektieren. Wenn du sagst, du kommst von der Straße, musst du das auch respektieren. Torch war der erste der hier ein Label gegründet hat, das sollte man respektieren, egal was man von ihm denkt. Ältere sollten ihre Jungs dazu bringen, sich so zu verhalten. Niemand greift hier ein. Auch bei dieser N-Wort Geschichte. Keiner außer Da Fource und uns, Diaspora, haben damals ihre Meinung über MOR gesagt. Meli noch [Ex- Skillz En Masse , heute Ischen Impossible , Anmn.d.Verf.]! Eine Frau! Eine Frau muss hier kommen und einschreiten, weil die Männer sich nicht wie Männer verhalten. Wer Hiphop macht, muss sich auch Hiphop verhalten.
Dieses ganze Bitch-Verhalten kann ich nicht verstehen. Alle dissen sich und stehen Backstage dann zwei Meter nebeneinander, mit ihren Crews... Ey, wenn wir Beef haben, dann kannst du dich verstecken! Wenn wir Beef haben haben wir Beef, egal wo wir uns treffen werde ich dich schlagen. Bis du dich entschuldigst. Oder bis ich mich entschuldige - aber wir klären das wie Männer! Don Mic : Die Deutschen sagen, das ist Show-Business, Entertainment. Man soll das nicht ernst nehmen, das ist Musik. Battle gehört aber ja schon auch dazu beim Rappen. Seht ihr das anders? Oder gefällt euch nur die Art und Weise in Deutschland nicht? Snipe : Von Battle halte ich viel, das macht die Musik lebendiger. Das muss aber in einem gewissen Rahmen bleiben. Wenn wir uns battlen, werde ich zum Beispiel nicht zulassen, dass du meine Mutter beleidigst. Meine Mutter ist mir heilig. Du kannst mich battlen und sagen, dass dir meine Musik nicht gefällt. Aber du kannst nicht meinen Stolz und meine Männlichkeit berühren. Wenn es persönlich wird, werde ich auch persönlich. Ihr rappt alle drei in Deutschland und arbeitet hier an euren Karrieren. Glaubt ihr das ihr mit eurer Musik hier großen Erfolg haben könnt? Gerade auf französisch? Snipe : Das ist auf jeden Fall schwierig, auch wenn wir eine gute Resonanz bekommen. Früher konnte ich Deutsch nicht gut genug, um deutsch zu rappen, heute schreibe ich meine Texte auch auf Deutsch und lasse die Grammatik von Freunden korrigieren. Viele fühlen die Musik aber auch auf Französisch, bei guter Musik merkt man, was dahinter steht. Meine Musik ist international, ich bin ja auch nicht nur in Deutschland aktiv. Don Mic : Ich baue manchmal deutsche Parts in meine Texte ein, damit die Leute hier verstehen worum es geht. Aber es gibt Sachen, die lassen sich so nicht übersetzen. Da mache ich lieber guten Rap auf Französisch. SBY : Deutsch ist eine schwere Sprache, auch zum Rappen. Ich versuche das ab und zu, Pular und Französisch bleiben aber auf jeden Fall meine Haupt-Sprachen im Rap. Wie Snipe gesagt hat, die Musik wird ja auch nicht nur hier gehört. Die Amerikaner rappen auch auf Englisch und trotzdem funktioniert die Musik selbst in China. Viele hier verstehen die Texte auch nicht, aber weil der Vibe stimmt, tanzen die Leute. Ich denke deshalb kann auch unsere Musik hier Erfolg haben.

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