Rap Beef 2014 – Ein Traum für Trolls
Der Troll: Der Fluch des Internets

Letztens habe ich bei einem Rapmagazin folgenden Kommentar gelesen: "Ich höre schon lange keinen Rap mehr, aber diese Daily Soap ist geil." Das fasst gut zusammen, wie Rap-Beef mittlerweile verfolgt wird. Eine unterhaltsame Daily Soap. Man schaut Rappern zu, wie sie sich gegenseitig fertig machen. "Natürlich ist das alles bescheuert, aber ich find's lustig." Mitten im Leben.

Es wäre ein harmloses Vergnügen, wenn es wirklich Scripted Reality wäre. Wenn Rapper wirklich zusammen Shisha rauchen und Beef nur für die Promo inszenieren würden. Sie lassen sich darauf ein und nehmen die Promo mit, das heißt aber nicht, dass öffentliche Schlammschlachten niemandem schaden würden. Sie schaden dem Ruf von Rap, jedem, der zugibt, diese Musik zu hören und vor allem allen direkt Beteiligten. Vor ein paar Jahren haben sich alle geschämt, zuzugeben, dass sie Rap hören und sich stattdessen mit Electro und Indie Rock beschäftigt. Dann wurde auf Electro und Indie Rock gerappt, Rap kam im Mainstream besser an und man war wieder stolz, Hiphop zu sein (auch wenn Casper und Frauenarzt natürlich nichts mit Hiphop zu tun haben, wie jeder Klugscheißer weiß). 2015 sind wir vielleicht wieder soweit, dass die ersten beginnen, Rap aus dem Facebook-Profil zu löschen.

Erst ging es um Disstracks. Die wurden dann von Sprüchen auf Twitter und Facebook begleitet. Wie gut die Tracks sind, wer der bessere Rapper ist, trat in den Hintergrund. Es ging nur noch darum, wer der ekligere Mensch ist und wer welches Geheimnis über wen weiß. Dann traten Songs ganz in den Hintergrund. Dann fiel auf, dass Rapper ja nur reden. Richtig wäre ihnen zusagen: "Red nicht, rap!" Die Forderung ist stattdessen: "Fahr doch endlich hin und stich ihn wirklich ab!" Wie Al-Gear vs. Firuz K und Maskulin vs. Banger, Toony vs. Kommentarschreiber etc. zeigen, wird dieser degenerierte Wunsch inzwischen mehr und mehr umgesetzt.

In diesem Jahr wurde noch mal einer draufgesetzt. Social-Media-Rap-Beef ist viel besser als eine Daily Soap: Er ist interaktiv! Da Hiphop und Web 2.0 schließlich Mitmach-Kulturen sind, bauen sich Beef-Konsumenten selbst ein. Warum sollte man auch Rapper sein müssen, um sich einen Gangstercharacter auszudenken und Beef zu haben? Man erstellt einen Fake-Account mit Rapper-Namen oder erfindet sich eine Figur. Dann beginnt man, andere Rapper anzuschreiben und auf Reaktionen zu warten.

Die gestörte Realsatire funktioniert sogar. Hamad45 liest, dass ihn der Firuz-Fake-Account beleidigt und fährt zum echten Firuz K nach Hause, um ihn zur Rede zu stellen. Fler antwortet einem dieser Accounts, er sei ja schon bei Farid gewesen, habe ihn aber in Ruhe gelassen, weil Farid nicht alleine lebe. Die Welt liest Drohungen auf Twitter und berichtet, wie "der Rapper samt Fans" ihrem Autor "zu Leibe rückt". Nur, dass es eben keine Fans im herkömmlichen Sinne, sondern Fake-Accounts waren. Die natürlich keinem "den Finger abschneiden" oder Drive-Bys organisieren. Die Fake-Accounts haben jetzt den erhofften Fame, weil Die Welt über sie berichtet. Einer von ihnen schreibt: "Hab den opfer von Reporter in Paranoia versetzt hahaha." 465 Likes. Herzlichen Glückwunsch, du hast es geschafft, die Leute reden von dir. Wahrscheinlich auch mit der Staatsanwaltschaft. Mittendrin statt nur dabei. Rap-Beef ist ein interaktives Rollenspiel geworden. Ein Traum für Internet-Trolls.


PS: Ja, mir ist bewusst, dass wir auch über Beef berichten und damit die Daily Soap ausstrahlen. Ich stell auch in Interviews Fragen zu Beef. Ich hab' genauso Schuld wie Rapper und Fans. Ich find's sogar unterhaltsam. Ich wollte nur mal ganz bescheiden anmerken, dass es einen Unterschied zwischen "nicht-perfekt" und "völlig hängengeblieben" gibt.

Toxik

Autoreninfo

Toxik ist Musikjournalist und Chefredakteur von Hiphop.de. In der Vergangenheit schrieb er außerdem für WAZ, WR, taz, Juice, Raveline und andere.

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