Wie wurde Sadi Gent obdachlos und was bedeutet leben für ihn? (Interview)

Sadi Gent ist kein Mensch, der sein Leben gemäß eines gesellschaftlichen Ideals lebt. So hatte er während seiner ersten Promophase keinen festen Wohnsitz, er verbrachte seinen Urlaub in Mailand auf der Straße und geht trotz eines abgeschlossenen Studiums ausschließlich seiner größten Leidenschaft, der Musik, nach. Ich habe mich anlässlich seines kürzlich erschienenen Albums Mintgold mit ihm über all diese Themen unterhalten.

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Du beschreibst dich als jemanden, der in den Tag hineinlebt und generell ohne großen Plan durchs Leben geht. Wie sieht ein stereotypischer Tag bei dir aus?

Sadi Gent: Ich bin schon immer dann aufgestanden, wenn es mir passt und habe mir dann meistens erstmal einen Tee gemacht. Dann erstmal frischmachen und der ganze Spaß, der da dazu gehört. Wenn gutes Wetter ist, muss ich dann auf jeden Fall raus. Hier trifft man dann eigentlich immer irgendwelche Leute und verbringt den Tag meistens draußen oder man besucht Leute in verschiedenen Studios. Das geschieht aber alles ohne Plan. Bei schlechtem Wetter geht’s eigentlich direkt an den Rechner, um dort eben Musik zu machen, bis das Pensum für den Tag erreicht ist. Ich bin schon immer nur meinen Bedürfnissen nachgegangen und das mach' ich immer noch so. Unabhängig davon habe ich aber auch studiert und so ein Quatsch.

Hat dein zuvor angesprochener legerer Lebensstil dazu geführt, dass du um die Arbeiten an Bis dato obdachlos warst?

Sadi Gent: Ich hab ein paar Jährchen zusammen mit einem Kumpel am Kotti in einer WG gewohnt und irgendwann musste ich ausziehen, da mein Kumpel kurz davor war, ein Kind zu bekommen. Ich war dann gezwungen, die Wohnung zu verlassen, da wir das vorher so vereinbart hatten. Ich hatte auch echt Zeit, mich um eine Wohnung zu kümmern. Irgendwann kam dann aber der Tag, an dem ich ausziehen musste, und ich hatte mich noch nicht richtig um eine neue Wohnung gekümmert und dementsprechend auch keine gefunden. Aus diesem Grund stand ich dann erstmal ohne Dach über dem Kopf da. Der gute Mo hat dann allerdings gesagt, dass man das auf keinen Fall so lassen könne. Er hat mich dann auf unbestimmte bei sich im Wintergarten auf dem Sofa pennen lassen. In Berlin ist es eben wirklich schwer, als freischaffender Künstler auf die Schnelle eine Wohnung zu finden. Ein anderer Bekannter hat dann zum Glück irgendwann ein freies Zimmer in seiner Wohnung gehabt, in das ich dann schließlich einziehen konnte. Darüber war ich auch sehr glücklich, da ich das Gefühl hatte, Mo und seiner Freundin ein bisschen auf den Sack zu gehen. Das war wirklich eine kleine Wohnung, in der wir da zu dritt gewohnt haben. An meinem Lebensstil und dem Geld lag es also nicht wirklich, sondern eher am Timing, meiner Verplantheit und dem Wohnungsmarkt in Berlin. Ärgerlich war nur, dass die vier Monate, in denen ich quasi obdachlos war, genau in meine Promophase zu Bis Dato gefallen sind. Das hat alles schwieriger gemacht. Seit diesem Album kann ich auch von der Musik leben und muss mir keine Sorgen machen, die Miete nicht zahlen zu können. Die neue Wohnung habe ich also auch zum Teil Bis Dato zu verdanken.

Generell scheinen dir aber feste Wohnsitze nicht sonderlich viel zu bedeuten. Du hast beispielsweise auch in Mailand drei Tage auf der Straße geschlafen.

Sadi Gent: Ja, das stimmt. Ich bin einfach niemand, der auf Teufel komm raus behütet sein muss. Der bequeme und einfache Weg ist nicht unbedingt meiner. Ich weiß, ich könnte mir jederzeit einen Rucksack packen und abhauen. In Mailand hatte ich eben drei Tage keinen Schlafplatz, aber trotzdem eine unfassbar schöne Zeit. Wenn man sich umschaut, stellt man fest, dass wir in einer sehr schönen und entspannten Welt leben. Für drei bis vier Tage ist das gar kein Problem. Länger bräuchte ich das aber nicht. Ich bin aber generell ein Mensch, der nicht lange an einem Ort bleiben kann, da ihm sonst die Decke auf den Kopf fällt. Ich muss dann einfach raus und für ein paar Monate Urlaub machen.

Auf der nächsten Seite erfährst du die überraschenden Hintergründe dieses Videos. 

 

Du wehrst dich dagegen, einen vorgefertigten Gesellschaftsweg zu gehen. Wie sieht der denn aus und wie sieht im Kontrast hierzu dein persönlicher Weg aus? Es mutet ja fast ironisch an, so etwas aus dem Mund eines ehemaligen Studenten zu hören.

Sadi Gent: Mein Bachelor ist aus freien Stücken entstanden, da ich einfach ein sehr wissbegieriger Mensch bin. In Deutschland hast du auch einfach die Chance, an Bildung ranzukommen, obwohl du nicht viel Kohle hast. Ich bin einfach ein neugieriger Typ, lese unfassbar viel und bilde mich einfach gern weiter. Deshalb habe ich mich auch entschlossen zu studieren. Ich könnte mir auch im Augenblick wieder vorstellen, ein Studium zu beginnen, um meinen Horizont zu erweitern. Der vorgefertigte Gesellschaftsweg, nach dem du mich gefragt hattest, sieht vor, dass man bereits in jungen Jahren funktionieren muss. Bis zu einem bestimmten Alter ist es schön, man kann machen, was man möchte und hat keinerlei Sorgen. Ab einem gewissen Alter muss man dann aber auf der Höhe sein und eine bestimmte Entwicklungsstufe erreicht haben. Wenn man etwas länger braucht als die anderen Kinder, fällt man einfach aus dem Raster und wird als komisch und unnormal abgestempelt. Wenn du mit sieben beispielsweise noch nicht rechnen kannst, sagen die Leute zu dir, dass irgendetwas mit dir nicht stimme. Außerdem muss man bestimmte Dinge einfach lernen und das völlig unabhängig davon, ob dies deinen Interessen und Stärken entspricht. Du musst es dir einfach reinpeitschen, um deinen Abschluss zu bekommen. Dieser ist dann eine Art Pass, den du brauchst, um im Leben weiterzukommen, da dir ohne ihn einfach einiges verwehrt wird und man kaum ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist. Hat man den Abschluss, fügt man sich dann fast schon zwangsläufig einem größeren Unternehmen, wenn man sich nicht gerade selbstständig macht. Bis zu einem gewissen Grad akzeptiere ich das alles auch und verstehe, dass jeder einen gewissen Beitrag zur Gesellschaft leisten muss, da diese sonst nicht funktioniert. Aber dass man dazu getrimmt wird, sich selbst, seine Bedürfnisse, Wünsche und Träume hinten anzustellen, da Funktionieren einfach wichtiger ist und man sich Autoritäten fügen muss, entspricht nicht meinen Vorstellungen. Ich hab' mich schon mit vielen älteren Herren über dieses Thema unterhalten und irgendwann sagt jeder: "Oh mein Gott, ich habe mein komplettes Leben einfach verschwendet und habe meine Träume vernachlässigt.“ Sicherheit ist den Menschen einfach wichtiger als ihre Träume. Das find ich richtig uncool.

Wie sieht dein Leben im Kontrast hierzu aus?

Sadi Gent: Ich versuche einfach zu leben und meinen Träumen nachzugehen. Die wenigsten Menschen machen sich Gedanken darüber, was leben eigentlich bedeutet. Für mich persönlich bedeutet leben, jeden Weg zu durchwandern, jedes Gefühl zu durchleben, Orte zu sehen, die man sehen will und nicht in diesem kleinen goldenen Käfig einfach zu versauern. Sammeln, jagen, sich finden und dann aber wieder verlieren. Das gehört für mich alles zum Leben dazu. Musik und Hiphop sind meine größte Leidenschaft und mein kleiner Zufluchtsort in der Großstadt, in der ich lebe, und der Traum, dem ich nachjage, obwohl es lukrativere Wege geben würde. Ein weiteres Ziel ist es aber noch, Musik in anderen Ländern zu machen. Ich bin zwar schon viel gereist und habe viele Länder gesehen, aber ich habe noch lange nicht genug. Die Möglichkeit, das zu tun, was ich möchte, ist mir das Allerwichtigste und bedeutet Leben für mich. Viele denken darüber leider nicht nach und verkriechen sich hinter Ausreden. Wenn man möchte, kann man unabhängig von finanziellen Mitteln in jedes Land kommen. Es ist zwar unbequem und möglicherweise unsicher, aber man hat immer die Möglichkeit, von A nach B zu kommen. Ich lerne überall wahnsinnig hilfsbereite Menschen kennen, die einem helfen, an sein Ziel zu kommen. Diesen Weg sind schon einige Leute gegangen.

Auf der Suche nach Hilfsbereitschaft warst du auch, als du einen Schauspieler als Obdachlosen verkleidet hast und mit versteckter Kamera für dein Musikvideo Mayday Reaktionen von Passanten auf diesen aufgezeichnet hast. Welche Erfahrungen hast du hierbei gesammelt?

Sadi Gent: Im Grunde genommen waren die Reaktionen so, wie wir sie erwartet haben. Wir sehen ja tagtäglich in unserem Leben, wie Menschen mit Obdachlosen umgehen. Natürlich gab es Ecken, an denen wir gedreht haben, an denen wir angewidert angeschaut wurden und niemand etwas mit uns zu tun haben wollte. Viel erstaunlicher waren aber die Reaktionen, die wir so nicht erwartet hatten. So gab es Menschen, die einfach unfassbar tolerant unserem Schauspieler gegenüber waren, sich ewig lang mit ihm unterhielten und ihn sogar auf irgendeine Weise attraktiv fanden, obwohl wir ihn mit Sachen eingesaut hatten, die du sicher noch nicht gesehen hast. Das war für mich einfach erstaunlich. Was auch krass war, war, wie viel Geld er in ein paar Stunden, in denen er sich bettelnd auf die Straße gesetzt hatte, verdient hat. Gleichzeitig war das aber auch wahnsinnig hart für unseren Schauspieler, da er wirklich gefühlt hat, wie es ist, betteln zu müssen. Er hat die verächtlichen Blicke auf sich haften gespürt. Eigentlich ist er ein kommunikativer Mensch, der sehr offen auf Menschen zugeht, schnell Anschluss findet und Kontakte knüpfen kann. Kaum hatte er sich verkleidet, reagierten die Menschen eben völlig anders auf ihn und er stieß krass auf Ablehnung. Wenn wir uns vor Geschäften aufgehalten haben, wurden wir weggescheucht und sogar aus der U-Bahn wurden wir geworfen, obwohl er den Mitarbeitern dort sogar gesagt hat, dass er dort ist, weil er friert. Er hat Schwäche eingestanden und dennoch wurde er so angefeindet. Nur aufgrund seines Outfits. Wie du im Video sehen kannst, hat es geschneit und es war arschkalt. Er musste stundenlang durch den Schnee wandern und hat wahnsinnig gefroren. Auf jeden Fall eine krasse Erfahrung, die sicherlich feinfühliger macht.

Welche Ziele hat sich Sadi Gent für das Album gesetzt und was kann man in Zukunft von ihm erwarten? Auf der nächsten Seite erzählt er es dir.

 

Du selbst möchtest natürlich nicht wieder ohne Wohnung dastehen und weiterhin von der Musik leben können. Welche Ziele hast du dir denn für Mintgold gesetzt und wie zufrieden bist du mit der bisherigen Resonanz?

Sadi Gent: Ich hab' mir das Ziel gesetzt, mit der neuen Platte Mintgold zu gehen. Das werde ich auch sicher erreichen. (lacht) Natürlich wäre es auch unfassbar schön, wenn es uns gelingen würde, ein mintgrünes Zeichen in den Charts zu hinterlassen. Auf die Zahlen an sich bin ich nicht ganz so fixiert. Natürlich wäre es cool und schön, wenn Menschen meine Musik unterstützen, aber in erster Linie bin ich froh, wenn meine Fanbase stetig wächst und hierzu gehört einfach gesundes Wachstum. Wenn ich feststelle, dass die Leute verstehen, was ich mache, und sie meine Vision nachvollziehen können, bin ich glücklich. Die Reaktionen auf die bisherigen Songs waren bis jetzt zum Glück sehr positiv. Gleichzeitig bin ich aber auch froh, wenn meine Musik bestimmten Leuten nicht gefällt. Wenn Leuten die Beats nicht gefallen oder ihnen die Songs zu nachdenklich sind, kann ich das aber völlig akzeptieren.

Eine weitere Möglichkeit, ein solches mintgrünes Zeichen zu setzen, könnte die EP sein, die du gemeinsam mit Mo fertig gestellt hast.

Sadi Gent: Genau, wir haben grundsätzlich eine gemeinsame EP fertig, wollen diese aber nochmal neu aufnehmen. Die kommt auf jeden Fall, sobald ich wieder etwas Luft habe. Da werden aber alle Infos kommen, sobald es soweit ist. Nach dem Album werde ich aber erstmal wieder meinen Bedürfnissen nachgehen, wie ich das mein ganzes Leben schon gemacht habe.

Kannst du mir zum Abschluss der Interviews die Farbe Mintgold anhand einer Zeile auf dem Album definieren?

Sadi Gent: Wow, das ist krass. (überlegt) Mit Detail, Liebe und Herz wird was Gold glänzt überstrichen. Dort, wo wir hingeschwommen sind, da folgen die uns nicht hin.

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Interview: Marc Schleichert

Marc Schleichert

Autoreninfo

Marc Schleichert ist seit Anfang 2014 ein Teil von Hiphop.de und leitet hier den Textinterview-Bereich. In dieser Funktion spricht er regelmäßig sowohl mit hungrigen Newcomern als auch mit alteingesessenen Künstlern.
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