Anderson .Paak im Interview: "Dr. Dre ist definitiv von Kendrick Lamar beeinflusst."

Das Kalenderjahr, das sich dem Ende zuneigt, gehörte ganz klar den Jungs aus Compton. Ob Kendrick Lamar, Dr. Dre oder The Game – alle legen 2015 einen etwas neueren Sound an den Tag. Die neue Westcoast hat quasi ihre Geburtsstunde.

Einer von den kreativen Köpfen, die hinter den Kulissen Einfluss ausüben, selbst aber noch nicht den weltweiten Ruhm haben, heißt Anderson .Paak. Bisherige Erfolge: Ganze sechs Platzierungen auf Dr. Dres letztem Album Compton, gemeinsame Studiosessions mit DJ Premier, The D.O.C. und eigentlich jedem deiner Lieblingsrapper.

Auch bei der Produktion zu The Documentary 2 war .Paak involviert. Momentan arbeitet er schon an seinem neuen Projekt Malibu. Wir haben uns mit der neuen "rechten Hand" des großen Dr. Dre unterhalten...

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Hiphop.de: Zunächst einmal, wie kam der Kontakt zu Dr. Dre zustande?

Anderson .Paak: Dre hat einen Song durch einen A&R gehört. Dieser A&R hat ihm Suede von mir und Knxwledge vorgespielt. Das hat ihm gefallen und er hat dem A&R gesagt, er solle uns fragen, ob wir über einen DJ Dahi-Beat etwas für Dre machen wollen? Das mit Dre hab ich nicht geglaubt, aber für Dahi können wir sehr gerne was machen, dachte ich mir. Dann komme ich im Studio an und die ersten Menschen, die ich sehe, sind The D.O.C. und Dr. Dre. Er hat Suede einfach mehrmals laufen lassen und nach dem dritten Mal gesagt "Lass uns arbeiten!". Der erste Beat, den er anwirft, ist All In a Day's Work und ich fange an, aus dem Kopf Melodien zu summen. Alle Anwesenden fanden es gut, also fingen wir an, darauf zu schreiben... seit diesem Abend bin ich jeden Tag im Studio mit Dre.

Man hört von Dre viele unterschiedliche Geschichten. Dich hatte er gerade frisch kennengelernt. Hat er dir direkt klargemacht, welches Konzept er verfolgt oder hat er dich erstmal machen lassen?

Er tut beides. Den Leuten im Raum hat er die gesamte Zeit erzählt, wie sich der Sound anhören soll. Er nennt immer Referenzen von anderen Songs und singt zwischendurch auch Melodien, wie es ungefähr sein soll. Ich habe mir das alles angeschaut und mich dem angepasst. Weißt du, da sind immer sehr viele Leute bei Dre im Studio. Der Kern seiner Produktionen – den er seit Jahren kennt – darf allerdings schon relativ frei arbeiten. Sie kennen sich nunmal auch musikalisch gut. Am Ende läuft es aber darauf hinaus, dass Dre zufrieden sein muss. Er nimmt nichts auf, wovon er nicht 100-prozentig überzeugt ist. Niemand geht vorher in die Booth. Er weiß genau, wonach er sucht.

Wenn man in den Credits zu Compton stöbert, findet man deinen Namen bei sechs verschiedenen Songs. Unter anderem hast du – so steht es hier – den "ertrinkenden Mann" auf Deep Water gegeben.

Ja... (lacht) das stimmt! Man, war das peinlich...

Dr Dre, The Game und Jon Connor schreien ihre "Compton"-Adlibs ins Mic!

Posted by Hiphop.de on Monday, August 10, 2015

Wie kann ich mir das vorstellen? Kommt Dr. Dre zu einem und sagt, dass du jetzt in der Booth so tun musst, als würdest du ertrinken?

So ziemlich. Das war eine komische Situation. Da waren etwa 20 Leute im Studio an dem Tag. Von The Game bis DJ Premier. Und er kam zu mir und brauchte einen ertrinkenden Mann, um dem Ganzen noch mehr Dramaturgie zu verleihen. Ich hab vor den vielen Leuten mit einer Flasche Wasser ganz behindert geprobt und bin dann in die Kabine. Persönlich finde ich es immer noch ein bisschen zu viel (lacht) – aber selbst hierbei wusste Dre, wie es sich anhören sollte.  

Diese Sequenzen sind Dre sehr wichtig, oder? 

Das ist seine Art und Weise, das Album wie einen Film klingen zu lassen. Manche Teile des Albums hatte er derart enorm verändert. Als ich die Platte zum ersten Mal gehört habe, gab es Stellen, die stark verändert worden waren, damit es zum Übergang davor oder danach passt. 

Es gibt ein ziemlich geiles Foto, auf dem man Dre zusammen mit Game und Jon Connor im Studio regelrecht schreien sieht. Warst du an dem Tag auch da?

Nein, an dem Tag leider tatsächlich nicht. Aber das waren die "Compton!"-Adlibs für Deep Water, glaube ich...

Auf der nächsten Seite erzählt .Paak davon, wie Dr. Dre sich eines Morgens bei ihm entschuldigt hat...

Du hast gerade davon gesprochen, dass du bei Release ganze Abschnitte in neuem Gewand gehört hast. Waren deine Vocals auch betroffen? Wie fühlt man sich da?

Ich bin einfach glücklich, dass ich so oft auf Compton bin. Das meiste was ich aufgenommen habe, ist nämlich tatsächlich auf der Platte geblieben. Und ja, fast alles hat er noch nachträglich verändert, aber das ist bei Dre offenbar normal. Und es ist jedes mal besser als zuvor, absolut immer. Das ist unglaublich, manchmal muss man sich zwicken. Oft lässt man als Künstler ungern seine eigene Musik verändern, aber bei Dre funktioniert irgendwie alles. Einmal habe ich ihm am Abend noch einen sample-lastigen Track gezeigt, den er gefeiert hat. Ich hab ihn ihm da gelassen und als ich am nächsten Tag ins Studio komme, sehe ich nur, wie seine ganzen Musiker die Samples aus dem Song nachgespielt haben. Dre hatte meine Vocals wieder draufgelegt. Und es war phänomenal. Dre hat sich auch noch entschuldigt. (lacht) "Yo, tut mir Leid, dass ich dir nichts gesagt habe. Wir hatten ein wenig Zeit heute morgen..." Was sagt man dazu? 

Wie lassen sich die Veränderungen beschreiben, die er mit den Tracks vornimmt, nachdem alles aufgenommen ist?

Meistens arbeitet er nachts an den Dingen, während er alleine ist. Oft geht es darum, Sachen rauszunehmen. Er nimmt fast alle Vocals raus und schaut dann, was wirklich reinmuss. Plötzlich hört es sich einfach viel besser an. Manchmal ist weniger mehr.

Und wie ist Dres direkter Einfluss im Studio auf die Leute? Gibt es etwas, was er beim Aufnehmen anders macht als alle anderen?

Dre schafft es irgendwie, die beste Vocal Performance aus mir herauszubekommen. Oft nehme ich mich selbst zuhause auf, weil ich meine kreativen Momente nicht verpuffen lassen will. Aber bei Dre ist es einfach anders. Er schlägt Dinge vor, die erst verrückt klingen und er ist niemals zufrieden mit etwas Schlechtem. Was Leute nicht wissen, ist, dass er auch Vorschläge für Melodien und Tonlagen gibt. Er kann das alles. Die Hauptsache für ihn ist immer, dass am Ende etwas Geiles und Neuartiges entsteht.

Etwas Neuartiges hast du jetzt sogar hinbekommen. Dir ist bewusst, dass du zum ersten Mal Dr. Dre und DJ Premier gemeinsam auf einen Track bekommen hast?

Jep, das weiß ich ganz genau! Dre und Preemo haben schon oft zusammen gearbeitet, aber nie ist etwas auf einem Album gelandet. Mein Partner Knxwledge und ich haben Preemo irgendwo in Russland getroffen und an einem Track gearbeitet. Später hat er mir einen Beat geschickt, der zu Animals wurde. Wir wollten das damals schnell raushauen wegen der Dinge, die in Baltimore und Ferguson passierten. Dann habe ich den fertigen Song noch kurz Dre gezeigt... und er fand ihn perfekt. Am nächsten Tag rief er mich an und sagte mir, dass er den Song für sein Album will. Da sagt man nicht "Nein". Er hat seine Strophe draufgehauen und Preemo zum Scratchen geschickt. Fertig.

Da muss ich aber mal nachfragen. Das klingt alles nach einer sehr schnellen, entschlossenen Arbeitsweise von Dre. Warum hat Detox dann so viele Jahre gedauert?

Alle sagen mir, dass es noch nie so schnell war. Ich weiß nicht, ob gerade vielleicht einfach alles gut funktioniert, was er beginnt? Oder er in einer Phase angekommen ist, wo er sich wirklich sicher ist, was er will und mit wem er arbeiten möchte. Ich kann es nicht wirklich beurteilen...

Der Sound, der auf Compton stattfindet, erinnert viel mehr an Kendrick Lamars To Pimp A Butterfly als an The Chronic oder 2001. Es ist nicht der traditionelle Westcoast-Sound, sondern eher ein moderner. Siehst du das auch so?

Ja, definitiv. Gruß an Kendrick. Das ist sehr wichtig, was er und seine Leute gemacht haben. Ich weiß, dass Dre auch zu ihnen hinauf schaut, nicht herab. Und mal ehrlich: Wenn du dich nicht von dem beeinflussen lässt, was in den letzten 16 Jahren um dich herum passiert ist, dann läuft was falsch bei dir. Definitiv ist Dr. Dre beeinflusst von Kendrick und seinen Alben. Aber das stammt auch wiederum alles aus Compton, das ist quasi ein Kreislauf. Und genauso möchte ich auch alles verändern und meinen eigenen Stempel aufdrücken, so wie es Dre und Kendrick geschafft haben.

Deine eigene Musik beispielsweise auf Venice klingt so gar nicht nach typischem Rap. Du gehst von Alternative über House bis rüber nach Trap. Was waren deine Einflüsse als Kind?

Viele Leute, von denen ich umgeben war, haben mir in meinem Leben neue Einflüsse gegeben. Da war eine Menge Rock dabei. Als Kind hab ich in der Kirche Schlagzeug gespielt – daher viel Gospel. Meine Schwester hört bis heute Nirvana und Guns N' Roses. Nach der Highschool saßen meine Eltern beide im Knast, da lungerte ich auf den Straßen rum und lernte viele verschiedene Leute kennen. Ein Homie war beispielsweise Punk-Rock-Fan. Er hat mir Minor Threat gezeigt. Als er eines Tages mit Coldplay ankam, hat das meinen Kopf gef*ckt. Seitdem höre ich sehr viel Alternative wie Radiohead.

Was steht jetzt für dich an?

Ich arbeite mit Knxwledge an unserem Projekt Nxworries. Außerdem kommt meine EP Malibu etwa im November, das ist zu 80% fertig. Ich hab dort eine Menge mit Dre drauf gearbeitet. Auf The Documentary 2 kannst du mich natürlich auch hören. Dafür waren wir sehr viel im Studio. Game ist ein super Typ. Eine andere Arbeitsweise als Dre – ganz anders. Er lässt einem viel mehr Freiheiten. Da geht viel über Motivation und den Vibe des Moments. Das macht auch enorm viel Spaß!

Okay, last but not least... wer steht noch auf deiner Wunschliste?

Anderson .Paak: Pharrell muss sich melden.

Aria Nejati

Autoreninfo

Aria Nejati ist seit 2013 Teil des Hiphop.de-Teams. Als Chef des US-Ressorts interviewte er schon Größen wie 50 Cent und Ice Cube. Außerdem schreibt er für die GQ und das JUICE Magazin.
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