"Überleben": O.G. Pezos neues Album geht direkt ins Herz [Meinung]
O.G. Pezo

"Das kein Rap, sondern ein Gedicht", erklärt O.G. Pezo auf "Étude", dem fast schon spoken-word-artigen Intro seines am Freitag erschienenen Albums. Neun von zehn posthum veröffentlichten Alben sind äußerst unangenehm, "Überleben" schafft, was nur seltenst gelingt: Die Platte weckt Emotionen – und macht vor allem traurig. Traurig, weil Deutschrap einen seiner vielversprechendsten Künstler verloren hat. Traurig, weil der Berliner es schafft, harten Straßensound mit solch einem Schmerz zu durchziehen, dass es an die besten Werke eines ganz bestimmten Offenbachers erinnert. Und traurig, weil trotz allem die Frage nach dem, was hätte sein können, bleibt.

O.G. Pezos Debüt "Überleben" erscheint zweieinhalb Jahre nach seinem Tod

Im November 2021 wurde bekannt, dass der Berliner O.G. Pezo infolge einer Corona-Erkrankung verstorben war. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Rapper, der immer nur mit zensiertem Gesicht in Erscheinung getreten ist, schon eine kleine Fangemeinde aufgebaut. Der richtig große Hype kam - wie leider so oft in solchen Fällen - erst nach dem Tod. Die Qualität der bereits veröffentlichten und der im Nachgang releasten Tracks sorgt dafür, dass die Hörerzahlen stetig wachsen. Jetzt, knapp zweieinhalb Jahre sowie einige Singles und EPs später, ist mit "Überleben" O.G. Pezos offizielles Debütalbum erschienen. Und das macht alles richtig, was ein posthumes Album richtig machen kann.

Allein der Titel ist so gut gewählt. "Überleben" – das Album nach diesem schlussendlich gescheiterten Wunsch zu benennen, bereitet perfekt auf die Tragik vor, die einen auf der Platte erwartet. O.G. Pezo wollte überleben. Überleben in Berlin, und überleben in Deutschland. Wer das Ganze als Standard-Straßenrap abtut, hört nicht hin.

Es geht um Pradas an den Füßen, um Kilos und um Gewalt. Und kurz darauf folgen solche Zeilen:

"Mutter krank seit vielen Jahren/
hat Schmerzen seit vielen Tagen/
Ihr Lächeln süß, doch sie hat tiefe Narben/
Sag mir, Gott, wie viel kann ein Mensch ertragen?/
Ihr Vater hatte sie geschlagen/
Heiratete einen fremden Mann, doch sie wollte ihn nicht haben/
Sie flüchtet nach Deutschland, ein neues System/
Rassismus war ihr neues Problem/
Es stört sie, wie wir ausseh'n, wie wir reden/
doch ihr werdet seh'n"

O.G. Pezo schafft es, mit einfachen Lines so starke Bilder zu zeichnen, ohne auch nur einmal ins Pathetische oder in den Studenten-Rap abzurutschen. Fast alle Songs könnte man problemlos im Auto aufdrehen und dennoch verliert sich das Album nicht in einer thematischen Belanglosigkeit. Es wird nichts verherrlicht, es wird aber auch nicht im Mitleid versunken. Es knallt und regt trotzdem zum Nachdenken an. Wie viele Alben können das schon von sich behaupten?!

"Ein falscher Ton und ich lehr' dir Respekt/ Glaub mir, unser Leben hat nie geschmeckt" (O.G. Pezo auf "9mm")

Neben den Texten trägt vor allem die Produktion, die über das gesamte Album restlos überzeugt, zu diesem Erfolg bei. Dylan van Dael, Al Majeed, Z-Maka und die anderen beteiligten Producer haben es hingekriegt, dass sich alle Songs voneinander unterscheiden und trotzdem ein ganz klares Soundbild zu erkennen ist. Selbst der wahrscheinlich fröhlichste Track des Albums, "Prada", lässt den Hörer am Ende, wenn das Outro langsam ausfadet und man ein letztes Mal "Paranoia, weil der — Mann mich sucht" hört, mit einem Gefühl der Beklommenheit zurück. Zwar wird kaum an Bass gespart, aber es driftet auch nie in trivialen Partysound ab. Mit "Paris" bekommt ein melancholisches Streicher-Instrumental sogar gleich seine eigene Anspielstation.

Klasse statt Masse: Jedes Feature auf "Überleben" liefert ab

Posthume Alben sind allzu oft von übermäßig vielen Featuregästen geprägt. Zum einen, weil häufig nur noch halbfertige Tracks übrig sind, die irgendwie gefüllt werden müssen. Und zum anderen, weil Leute gerade bei nach dem Tod gehypten Rappern gerne ein Stück vom Kuchen abhaben wollen oder mit prominenten Gästen das Release gepusht werden soll. Gott sei Dank wurde auf "Überleben" ein anderer Weg eingeschlagen!

Insgesamt gibt es nur vier Features. Zwar sind mit Pashanim und Lucio101 zwei der größeren Rapper dieses Landes auf dem Album, ihre Parts wirken aber ebenso wenig deplatziert wie die von Caney030 und Aslan. Generell bekommt man vor allem das Gefühl, hier wurde nicht einfach jeder drauf gelassen, sondern wirklich nur Leute, die schon zu Lebzeiten mit O.G. Pezo verbunden waren. Und das zahlt sich aus. Ähnlich wie die Produktion tragen die Featuregäste alle auf ihre eigene Art zum Gesamtkonzept der Platte bei. Statt sich selbst ins Rampenlicht zu schieben, wird von jedem auf das das gleiche Ziel hingearbeitet. Kein Vers wirkt deplatziert – ganz im Gegenteil: Schmerz zieht sich wie ein roter Faden auch durch alle Features. Mal subtil, mal plakativ.

"Meine Jungs kommen im Jeep oder Coupe/ Ich bin halber Deutscher, aber ich war nie deutsch genug" (Pashanim auf "Überleben")

Trotz allem kommt man nicht drumherum, zu überlegen, wie gut das Album noch hätte werden können, wenn mehr Zeit da gewesen wäre. Statt "Überleben" mit Features vollzuballern wurden die bereits aufgenommenen Parts in Ruhe gelassen. Daraus folgt, dass die Platte bei insgesamt 13 Tracks auf nur 25 Minuten Spielzeit kommt. Zwar hat das den Vorteil, dass "Überleben" keine Längen hat, dennoch vermisst man hier und da eine zweite Strophe. Und auch die Raffinesse der Lines ist manchmal etwas variabel, sodass es fraglich ist, ob es wirklich jede Zeile aufs Album geschafft hätte, wenn O.G. Pezo noch da wäre.

Insgesamt tut dieses Hätte-Wäre-Könnte dem Album aber keinen Abbruch. Spätestens wenn sich O.G. Pezos Bruder auf "Outro / çıkış" zu Wort meldet, schnürt es einem unweigerlich den Hals zu.

"Das Leben war nie fair zu uns, das wussten wir davor
Deine Kette um mein'n Hals, deine Stimme in mei'm Ohr/
Mein Blick geht empor, Bruder, ich bin jetzt Vater
Doch, dass du nicht da bist, macht's unertragbar
Unser Leben ist ein Drama, ich bewege mich für Para
Ich hoff', dass du das siehst, ich bin da für unsre Mama
Die Hoffnung ist jetzt weg, ich glaub' nicht mehr an Karma"

Hier geht es nicht darum, nochmal dick Geld mit Song-Resten zu machen. Hier wird einem Freund, einem Familienmitglied und einem Künstler die letzte Ehre gezollt.

O.G.Pezo für immer!

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